Predigt am Sonntag der Kreuzverehrung 18.03.2023

Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes,

 

Lieber Brüder und Schwestern,

 

heute gedenken wir wieder des Kreuzes Christi, nämlich der Auffindung des Hl. Kreuzes und der kostbaren Nägel durch die Hl. Kaiserin Helena. Immer am 3. Sonntag der Großen Fastenzeit wurde in Byzanz die in der Hagia Sophia aufbewahrte Reliquie, ein Teil des lebendigmachenden Kreuzes Christi, herausgetragen und verehrt. Dieses in vielerlei Hinsicht wunderbare Ereignis war und bleibt eine Art der Katechese, die uns wieder und wieder die Wahrheit des Evangeliums über die Passion unseres Herrn vermittelt. Für die damaligen Katechumenen war es zudem eine Vorwegnahme der Auferstehung in Christo – eine Erinnerung an Sterben und Auferstehen in der Taufe, die immer am Samstag der Heiligen Woche stattfand und im festlichen Empfang der ersten Kommunion gipfelte. 

Jeder von uns kann bestätigen, dass es einem besonders schwer fällt, mit Freude und Begeisterung aufs Kreuz zu blicken. Man spürt nur Schmerz, Einsamkeit und furchterregenden Hauch des Todes. Man sieht den verwundeten Menschensohn sterben.  Warum aber das, was das Leiden Christi in solchem Ausmaß abbildet, wurde seit dem frühen 3. Jahrhundert mit Ehrfurcht und Liebe verehrt? 

Dreihundert Jahren waren von der Auferstehung bis zur Auffindung des Kreuzes vergangen. Diese Zeitperiode war für das aufblühende Christentum von höchster Bedeutung, denn im Laufe dieser Zeit hatten sich wichtige Veränderungen im christlichen Leben zugetragen: Jerusalem wurde zerstört und erneut aufgebaut, das Heilige Kreuz, seine Überreste gingen jedoch verloren. Dem zum Trotz wuchs die Gemeinde der Nachfolger Christi weiter. Dieser Zuwachs an den neuen Kirchengliedern war unsichtbar, denn der Kirche war in ihrer Freiheit behindert, und musste ihr Leben in den Katakomben entfalten. Durch den Märtyrertod und die Heiligkeit konnte der Ruf über die noch kleine Gruppe der Schüler Jesu sowohl in die Kaiserpaläste als auch in die Laienhäuser eindringen. Dadurch speiste und festigte sich der christliche Glaube, was zur Verbreitung der Frohen Botschaft unter dem Umstand der Verfolgung betrug. Je mehr man die Kirche herausforderte, desto sichtbarer und präsenter wurde sie. Sei es zentraler Sinn des heutigen Festes: Das innere Wachstum der Kirche und deren Entwicklung sind nur in Verbindung mit dem Verlust wichtiger Reliquien und dem staatlichen Verbot ihrer Verehrung möglich. Auch Jahrhunderte später waren zahlreiche Reliquien der Kirche beraubt worden. Das brachte solche Schmerz und Schande mit sich, dass das christliche Leben beendet zu sein schien: In der Sophienkirche zu Konstantinopel hielten die Muslime ihre Gebete und Riten ab, die Sophienkirche zu Kiew war verwüstet, als sie sich unter der Besatzung von den Uniaten befand. Wie in den ersten Jahrhunderten lebte unsere Kirche   auch nach diesem Unheil weiter, indem sie innerlich mit Vielem bereichert wurde, äußerlich aber einiges verlor. 

Die Begebenheit über die inventio crucis oder Auffindung des Kreuzes unter Kaiserin Helena nimmt in der heutigen Forschung eine kritische Stellung ein. Die Reliquie des Heiligen Kreuzes wurde einigen Quellen zufolge schon vor der Reise Elenas ins Heilige Land in der Auferstehungskirche zu Jerusalem verehrt; die Auffindung verbindet man wiederum mit der Person des Kaisers Herakleios, der nach dem erfolgreichen Sieg über den Persern das Kreuz zurückeroberte und festlich in der Auferstehungskirche zu Jerusalem aufstellte. Laut dem Kirchenhistoriker des 4. Jh.s Eusebius war der Tempel der Göttin Venus nach der Machtübernahme der Römer in Jerusalem auf dem Berg der Kreuzigung Christi gebaut. Der Venuskult wurde schon in der Antike in Form der Orgien  ausgeführt, was von einigen heidnischen Dichtern sogar als Gottesdienst bzw. -opfer gelobt wurde. Können Sie sich nur vorstellen, dass sich solche Dinge Jahrhunderte lang am Ort unserer Erlösung abspielten? Die Herrschaft der Sünde kann aller Welt derart Schaden zufügen, das sie den Menschen äußerlich am Leben lässt, innerlich ihn aber zerstört und unfähig macht, das Gute zu begehen. Die Macht der Sünde behindert auch heute unseren Glauben, macht unser Gebet zunichte und entzieht die Hoffnung auf unsere Errettung. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist die Zerstörung des Venustempels damals und im übertragenen Sinne heute sowie die Wiedererrichtung der Grabeskirche in Jerusalem ein symbolischer Akt des Sieges über die Sünde. Denn wo das Kreuz unseres Herrn vergessen und geschändet wird, werden da solche Tempel der Sünde entstehen. Mit dreimaligem Niederfallen vor dem Kreuz bezeugen wir, dass unser Glaube trotz der Teufelswerke jeglicher Art weiter wächst und unser Leben prägt. 

Der Sonntag der Kreuzverehrung macht uns heute den ersten Christen ähnlich, vor derer Augen die göttliche Liebe ans Kreuz genagelt worden war. Wir befinden uns nun ebenso auf dem Golgatha und sehen mit Ehrfurcht zu, wie die Waffe gegen den Gottessohn zur Waffe gegen den Teufel wird. 

Bereits zur Lebenszeit des Kaisers Konstantin nannte man das Kreuz als lignum vitae oder das Holz des Lebens. Und nämlich darum, weil sich Christus um der Liebe zum Menschengeschlecht willen kreuzigen ließ. Das heißt, dass das wahre Leben aus der Liebe unseres Heilandes erwächst. Diese auf uns ergießende Liebe macht uns durch die Früchte des Kreuzes, das Blut und Leib unseres Herrn, lebendig. Somit werden wir bei jeder Liturgie vom geistlichen Tod auferweckt. Denn „wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch.“ (Jh 6:53). 

Das Thema des heutigen Festes abschließend wünsche ich uns allen, dass wir das Kreuz Christi in den Mittelpunkt unseres Lebens stellen würden. Nur durch dessen Wirkung kann man Trost, Vergebung und Hoffnung erlangen, insbesondere in der heutigen Zeit der Kriege und der vorherrschenden Gottlosigkeit. Deshalb fallen wir heute vor dem Kreuz nieder, umarmen es und richten unsere flehentlichen Bitten an den Gekreuzigten. Und wenn Leid und Schmerz in unser Leben dringen, erinnern wir uns immer an die weisen Worte des seligen Paulus: „Denn worin er selber gelitten hat und versucht worden ist, kann er helfen denen, die versucht werden“ (Hebr 2:18). Amen.

Jahr:
2023
Orignalsprache:
Deutsch