Predigt zum Festtag des hl. Apostels u. Evangelisten Johannes d. Theologen (1 Joh. 1:1-7; Joh. 19:25-27, 21:24-25) (21.05.2020)

Liebe Brüder und Schwestern,

 

der hl. Sebastian von Karaganda (+ 1966) wandte einst sich am Gedenktag der Überführung der Gebeine des heiligen Nikolai des Wundertäters (der am 9./22. Mai begangen wird) an seine Gemeinde mit etwa folgenden Worten: „Es ist schön, dass ihr heute so zahlreich erschienen seid, aber wo wart ihr gestern, als wir das Gedächtnis des heiligen Johannes des Theologen gefeiert haben?“ ... In der Tat, beide Festtage sind im Kalender rot gefärbt und fettgedruckt, und doch erhoffen sich die Leute vom Wundertäter eher himmlischen Beistand für ihre irdischen Belange als vom Theologen.  

Nichts liegt mir ferner, als den heiligen Nikolai herabzuwürdigen, der natürlich zurecht als ein großer Heiliger von mir von klein auf verehrt wird. In meiner Kindheit und Jugend feierten wir unser Altarfest zu Ehren dieses „Nationalheiligen aller Völker“  –  zuerst in Frankfurt (nämlich im Dezember), später in München (dort im Mai). Und nichts davon würde ich ungeschehen machen wollen. Er ist nun mal der Lieblingsheilige der einfachen Leute. Aber warum erweisen wir dem Lieblingsjünger des Herrn nicht zumindest die gleiche Ehre? Oder kennen Sie etwa eine Kirche, die dem heiligen Johannes dem Theologen gewidmet ist? Auch seiner wird zweimal im Jahr gedacht (neben dem heutigen Tag noch am 26. September / 9. Oktober), und doch beschwert sich keiner, wenn an diesem Tag kein Gottesdienst stattfindet. Warum?

Im nicht eben prophetisch inspirierten, aber doch bemerkenswerten Werk „Die Erzählung vom Antichristen“ von Vladimir Solowjew (+ 1900), der zu der betreffenden Zeit bekennender Anhänger der Branch-Theory*) war, kommt es vor dem Weltende zu einem Disput zwischen dem Antichristen und drei exponierten Vertretern der drei großen christlichen „Familien“, nämlich Papst Petrus II, Prof. Theol. Paulus und dem einfachen Mönch Johannes. In der optimistischen Phantasie Solowjews vereinigen sich danach die drei „Zweige“ des Christentums und bieten dem Antichristen durch ihre besten Repräsentanten die Stirn. Interessant, dass diese drei Aposteln symbolisch für jeweils eine „Ausrichtung des Christentums“ stehen: Petrus für den Römischen Katholizismus, Paulus für den Protestantismus und Johannes für die Orthodoxie.

Simon Petrus war in der Tat Oberhaupt der Kirche, als diese aus nur einer Gemeinde - der Jerusalemer Urgemeinde - bestand. Paulus war derjenige, der die Heidenmission ermöglichte, inspirierte und selbst durchführte. Und Johannes?.. Als größter aller Theologen spricht er – ein einfacher Fischer – über Gott nicht anhand von angeeignetem Wissen, sondern aus Erfahrung. Das ist Orthodoxie – der wahre Lobpreis Gottes! Und aus den Evangelien wissen wir, dass Johannes zusammen mit Petrus und seinem älteren Bruder Jakobus zum engsten Kreis der Jünger gehörte (s. Mt. 5:37; Lk. 8:51; / Mt. 17:1; Mk. 9:2; Lk. 9:28/ Mt. 26:37; Mk. 14:33). Der Apostel Paulus bezeichnet Johannes, zusammen mit Petrus und dem Herrenbruder Jakobus, als „Säule“ (s. Gal. 2:9). Johannes lehnte sich während des Mystischen Abendmahls an die Brust des Herrn und erfuhr von Ihm, wer Ihn verraten wird (s. Joh. 13:25). Petrus wusste wohl, dass nur Johannes aufgrund seiner Nähe zum Meister dazu in der Lage sei, es zu erfahren (s. 13:24). Und dieser Apostel war es, der den Herrn nicht verleugnete und daher als einziger der übriggebliebenen elf Jünger diese Schuld nicht durch sein Märtyrerblut sühnen musste. Er war es, dem der Herr, am Kreuze hängend, Seine allerheiligste Mutter anvertraute (s. Joh. 19:26-27). Johannes wurde Ihr Sohn an Christi Statt – stellvertretend für uns Erdgeborene!  

Und dann wäre noch das, was nicht explizit geschrieben steht, sondern nur zwischen den Zeilen ausgedrückt wird. Bekanntlich rannten Petrus und Johannes gemeinsam zum Grab des Herrn, als sie von Maria Magdalena bzw. den anderen Myrrhenträgerinnen die Kunde von der Auferstehung Christi erhielten. Beim Evangelisten Lukas ist nur von Petrus allein die Rede: „Petrus aber stand auf und ging zum Grab. Er beugte sich vor, sah aber nur die Leinenbinden (dort liegen). Dann ging er nach Hause, voll Verwunderung über das, was geschehen war“ (Lk. 24:12). Bei Johannes wird diese Begebenheit so beschrieben: „Da gingen Petrus und der andere Jünger hinaus und kamen zum Grab; sie liefen beide zusammen dorthin, aber weil der andere Jünger schneller war als Petrus, kam er als erster ans Grab. Er beugte sich vor und sah die Leinenbinden, ging aber nicht hinein. Da kam auch Simon Petrus, der ihm gefolgt war, und ging in das Grab hinein. Er sah die Leinenbinden liegen und das Schweißtuch, das auf dem Kopf Jesu gelegen hatte; es lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden daneben an einer besonderen Stelle. Da ging auch der andere Jünger, der zuerst an das Grab gekommen war, hinein; er sah und glaubte. Denn sie wussten noch nicht aus der Schrift, dass Er von den Toten auferstehen musste. Danach kehrten die Jünger wieder nach Hause zurück“ (Joh. 20:3-10). - Merken Sie den Unterschied? Während Petrus sich noch wunderte über das Geschehene, glaubte Johannes bereits! Und war nicht „der Jünger, den Jesus liebte“ als einziger imstande, den Auferstandenen am Seeufer noch vor Petrus und den anderen zu erkennen (s. Joh. 21:7)? Ist er nicht das beste Beispiel dafür, dass man den Herrn nicht mit dem bloßen Verstand, sondern vor allem mit dem Herzen erkennen soll?!.. Wie kann es dann sein, dass sein Gedächtnis in unserer Volksfrömmigkeit nur „unter ferner“ liefen begangen wird?!.. - Ein Zustand, an dem sich schleunigst etwas ändern sollte. Amen.     

*) Branch-Theorie: Lehre von John Henry Newman (+1890), wonach sich die Kirche Christi in „Zweige“ (engl. branches) aufgeteilt habe. Newman war ursprünglich anglikanischer Pfarrer, konvertierte zum römisch-katholischen Glauben. Später wurde er Kardinal.

Jahr:
2020
Orignalsprache:
Deutsch