Predigt zum 6. Herrentag nach Ostern / vom Blindgeborenen (Apg. 16:16-34; Joh. 9:1-38) (06.06.2021)

Liebe Brüder und Schwestern, am letzten Herrentag der freudigen Osterzeit erzählt uns der heilige Evangelist Johannes der Theologe von der Heilung des von Geburt an Blinden in der Nähe des Teiches Schiloach. Welch ein Gegensatz zu dem 38 Jahre lang Gelähmten am Schaftor, von dessen Heilung wir vor zwei Wochen lasen. Mir drängt sich fast der Verdacht auf, er habe „keinen Menschen“, der ihn „in den Teich bringt, wenn das Wasser sich bewegt“ (Joh. 5:7), weil er es (menschlich gesprochen) nicht besser verdient. Der Herr möge es mir gnädig verzeihen, - aber kennen wir nicht alle solche Leute, denen man zwar per se kein Leid gönnt, aber wenn das Schicksal sie dann doch mit aller Härte trifft, sich unser Mitgefühl in Grenzen hält, auch wenn es unserer sündhaften Schwäche und der gefallenen menschlichen Natur geschuldet sein mag? Keine Schadenfreude, nein, aber doch die Einsicht, dass (wieder aus menschlicher Sicht gesprochen) Gott weiß, wozu Er dies zulässt. Klar wissen wir: Gott „lässt Seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“ (Mt. 5:45), aber unser menschliches Gerechtigkeitsgefühl neigt in besagten Fällen eher dazu, Gottes Willen zu akzeptieren, als in ähnlich tragischen Situationen, in den aber vermeintlich Unschuldige zu Schaden kommen (vgl. Lk. 13:1-5). Mir scheint es schon sehr befremdlich, dass einer 38 Jahre lang ohne Verwandte und Freunde ist. Irgendwie erinnert es mich an diejenigen unserer Zeitgenossen, welche immer dann, wenn sie der materiellen oder sonstiger Hilfe bedürfen, sich dann plötzlich an die Kirche wenden, ohne die sie bis dahin bestens ausgekommen waren. Mich beschleicht dann jedes Mal das Gefühl, dass wenn dies gute (sprich: hilfsbereite) Menschen wären, ihnen doch sehr zahlreiche Menschen jetzt bereitwillig unter die Arme greifen müssten. Aber vielleicht täusche ich mich da auch, wer weiß?! Die Folgewirkung der Heilung des Gelähmten am Schaftor durch den allwissenden Menschensohn bestärkt mich aber in dieser Annahme: als dieser nämlich erfährt, wer es war, der ihn (am Sabbat) geheilt hat, geht er schnurstracks zu den Juden und denunziert seinen Wohltäter (s. Joh. 5:15). Und in diesem Kontext scheint es dann nicht verwunderlich, dass die Jünger des Herrn danach, im Falle des Blindgeborenen, zuerst die Erkundung anstellen wollen, wer für dessen Unglück verantwortlich sei – er selbst oder seine Eltern (s. Joh. 9:2 – obwohl die Frage in diesem Falle gemäß menschlicher Denkweise völlig absurd erscheint, gleichwohl aber nicht aus göttlicher Perspektive – s. Ps. 50:7). Und die Antwort des Herrn darauf lässt sich auch so interpretieren, dass der Blindgeborene nichts für seine Behinderung konnte (s. Joh. 9:3) und sich dann der ihm gewährten Gnade, im krassen Gegensatz zum Gelähmten, sozusagen nachträglich als würdig erweist. Der Gelähmte wurde ja vom Herrn aufgefordert, sein Leben zu ändern (s. Joh. 5:14), was er dem Herrn mit der Einleitung neuer Verfolgungen durch die Juden vergalt. Der Blindgeborene jedoch wird zum Sinnbild all derer, deren geistliche Augen durch die Erkenntnis Christi plötzlich erleuchtet werden (s. Joh. 9:35-39). In diesem Fall staunen wir über den Bekennermut dessen, der zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht einmal wusste, wer denn konkret der Menschensohn war. Und diesen Bekennermut brauchen wir heute, besonders die Jugend. Wir nähern uns ja dem Pfingstfest – der Ausgießung des Heiligen Geistes, infolge deren die zuvor ängstlichen Aposteln plötzlich unerschrocken aller Welt den Glauben an die Auferstehung verkündeten. Auch die religiöse Wiederauferstehung in Russland war nur möglich dank solcher Leute wie Volodja Gundiaev, der sich im Knabenalter in der dunkelsten Chruschtschow-Ära weigerte, sein Kreuzchen in der Schule abzunehmen und sich dabei auf die Verfassung der Sowjetunion berief (die bekanntlich die „Glaubensfreiheit“ garantierte). Selbst der Schuldirektor zollte dem Jungen damals Respekt. Und heute erwartet der Herr von den Kindern und Jugendlichen Ähnliches. Er wird sie dafür entlohnen, das steht fest. Manche einsame alte Frauen gehen zur Kirche, weil es die einzige Gelegenheit ist, unter Leute zu kommen. Wenn aber junge Menschen Gottes Liebe dem Freizeitvergnügen vorziehen, hat das vor Gott eine ganz besonderen Stellenwert, glaubt mir! Die Anstrengung muss bloß umgewandelt werden – von: „Wie lange dauert das noch?!“ zu: „Jetzt, wo ich da bin, werde ich mich voll dem Gebet widmen und die Welt ´da draußen` für zwei Stunden einmal außen vor lassen!“ Ja, genau das ist es, was das oberste Gebot besagt: „Du sollt den Herrn, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft“ (Dtn. 6:5; vgl. Mt. 22:37; Mk. 12:30, Lk. 10:27a). Diejenigen, die sagen, sie würden zu Hause „beten“ (in Wahrheit rattern sie bloß das „Vaterunser“ herunter, ohne sich auch nur annähernd in dessen Sinn zu vertiefen), dürfen sich nicht täuschen lassen. Stellen sie sich vor, jemand würde zwei Wege zur Erlangung eines Universitätsdiploms in Aussicht stellen: a) den „herkömmlichen“ Studiengang, verbunden mit Fleiß, Kreativität, Ausdauer und enormer geistiger und körperlicher Anstrengung, gepaart mit jahrelangen bedeutsamen Einschränkungen des Privatlebens, oft mit finanziellen Engpässen, und b) das Alternativprogramm, bestehend aus dem ABC und den primitivsten Rechenarten „plus“, „minus“, „mal“ und „geteilt“. Und egal welche Variante man wählt, erhält man am Ende das gleiche Diplom! Herrlich, nicht wahr?! So wird es wohl auch bei der Erlangung des Paradieses sein (haha). Klar, dass man sich dann für die „alternative Option“ entscheiden würde. Bloß, wo finden sich in der Heiligen Schrift Hinweise darauf (vgl. Mt. 7:13-14; Lk. 13:24)?! „Gott ist aber ein liebender Gott“ wird man uns entgegnen. Aber hat Christus nicht auch Strenge gezeigt (s. Mt. 21:12-13; Mk. 11:15-17; Lk. 19:45-46; Joh. 2:14-17), die aus moderner Sicht wohl „unchristlich“ erscheint. Und was wird denn aus Kindern, deren Eltern nur „lieb“ zu ihnen sind?! Zuerst kleine, dann große Monster. Nein, danke! Die Heilige Schrift kennt da ganz andere Wege (s. Spr. 23:12-14; vgl. Hebr. 12:4-11; Offb. 3:19). Und würde ich, mit allen gesetzlichen Vollmachten ausgestattet, über eine Insel mit Gaunern herrschen (ähnlich G.K. Chestertons „Pater Brown“, der in so ein Loch strafversetzt wurde), würde ich gewiss drakonische Strafen für jegliche Vergehen androhen, dabei aber den Leuten die Chance und den Anreiz geben, auf ehrliche Weise es zu Wohlstand und Ansehen zu bringen. Strenge gehört zur Liebe immer dazu! Die Verfolgungen der Kirche haben bereits begonnen. Erstes Zielobjekt ist auf sehr subtile Weise die heranwachsende Generation, die im Kindergarten, in der Schule und in den Massenmedien einer beispiellosen Gehirnwäsche ausgesetzt wird. Anders als die Anschläge aus der Zeit des militanten Atheismus baut diese Propagandastrategie auf scheinbar unstrittigen aber verführerischen „Werten“ wie „Liebe“, „Freiheit“, „Toleranz“, „Menschenrechte“, „Selbstbestimmung“ usw. Wer diese Vereinnahmung der Herzen und des Verstandes unserer in Sachen ethischer und spiritueller Wahrheitsfindung noch unerprobten Jugend kritisch sieht, wird kurzerhand als ewig Gestriger oder gar als feindliches Element abgestempelt. Viele, auch unter den Gläubigen, kennen und verstehen den Sinn der Worte nicht: „Denn wenn ihr nach dem Fleisch lebt, so werdet ihr sterben müssen; wenn ihr aber durch den Geist die Taten des Fleisches tötet, so werdet ihr leben. Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Kinder Gottes“ (Röm. 8:13-14). Nur wie oder wo empfangen wir den Geist Gottes, wenn nicht in der Kirche Christi, welche am Pfingsttag im Heiligen Geist gegründet worden ist?!.. Nur hier erhalten wir die Impfung gegen den Verderben bringenden Geist dieser Welt, denn wir „haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, dass wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist. Und davon reden wir auch nicht mit Worten, wie sie menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt, und deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen. Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist ihm ein Torheit, und er kann es nicht erkennen; denn es muss geistlich beurteilt werden“ (1 Kor. 2:12-14). Jüngst wurde ein orthodoxer Priester beim „Ökumenischen Kirchentag“ dafür ausgelacht, weil er von der Eucharistie als göttlichem Mysterium sprach. Es ist wie mit dem Glauben an die Auferstehung, der einigen modernen „Christen“ ja fast schon peinlich zu sein scheint. Niemand will mehr davon etwas hören (vgl. Apg. 17:32-33). Doch wir alle brauchen Orientierung im Leben. Die ideale, vollkommene, göttliche Balance zwischen Erbarmen und Wahrheit, Liebe und Gerechtigkeit (s. Ps. 24:10; 83:12; 84:11) sehen wir im Mensch gewordenen Sohn Gottes. Er allein ist „der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (Joh. 14:6). Und Seine Kirche ist „Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit“ (1 Tim. 3:15). Deshalb: „Die Furcht des Herrn ist der Wahrheit Anfang. Klug sind alle, die danach tun“ (Ps. 110:10; vgl. Spr. 1:7; 8:13; 9:10; 14:27; Hiob 28:28). Und sobald die Jugend das erst einmal begriffen hat, muss uns vor der Zukunft nicht bange sein. Amen.
Jahr:
2021
Orignalsprache:
Deutsch