Predigt zum Herrentag des Gedenkens an die Vertreibung Adams aus dem Paradies / Vergebungssonntag (Mt. 6: 14- 21) (02.03.2014)
(Röm. 13: 11 - 14: 4)
Liebe Brüder und Schwestern,
endlich ist es soweit! Die Apostellesung zu Beginn der Großen Fastenzeit bringt die Stimmung unserer Herzen auf den Punkt: „Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf. Denn jetzt ist das Heil uns näher als zu der Zeit, als wir gläubig wurden. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe, darum lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts. Lasst uns ehrenhaft leben wie am Tag, ohne maßloses Essen und Trinken, ohne Unzucht und Ausschweifungen, ohne Streit und Eifersucht. Legt (als neues Gewand) den Herrn Jesus Christus an, und sorgt nicht so für euren Leib, dass die Begierden erwachen“ (Röm. 12: 11-14).
Heute, am Gedenktag der Vertreibung aus dem Paradies, sind die Augen unserer Herzen auf die verlorene Gemeinschaft mit Gott gerichtet. Adam und Eva genossen kurz zuvor noch die Wonne des Paradieses aufgrund eines ungetrübten Vertrauensverhältnisses zu Gott. Durch den Sündenfall in Form der Missachtung des ersten Gebotes – des Fastens (s. Gen. 2: 16-17) – wurde dieses Verhältnis zerrüttet. Nun stehen sie vor den verschlossenen Toren des Paradieses, und weinen.
Folgende Überlegung liegt nahe: ist Gott kleinlich, nachtragend, gar grausam?..
In dem bei russischsprachigen Gläubigen populären Buch „Die nicht heiligen Heiligen“ (“Несвятые святые“) von Archimandrit Tichon (Shevkunov) erzählt dieser von seinem geistlichen Ziehvater Archimandrit Ioann (Krestiankin, +2006). Als Jugendlicher war dieser Zeuge eines Geschehnisses im Kloster, das damals von einem späteren Bekennerbischof geleitet wurde, der in Bezug auf sein heiligmäßiges Leben über jeden Zweifel erhaben war. Vater Ioann, der als wahrer Starez selbst von Liebe erfüllt war, konnte als Teenager damals nicht verstehen, wie dieser heilige Mann zwei Mönche aus dem Kloster verweisen konnte, und das am Sonntag der Versöhnung!.. Aber wenn Gott die Liebe ist (s. 1. Joh. 4: 8), so muss es auch hier bei diesem Diener Gottes einen Grund gegeben haben. Im vorliegenden konkreten Fall des Klosterverweises kommt Vater Ioann zu der Schlussfolgerung, dass im Moment der Implementierung der Strafe schon die Vergebung beginnt. Und das führt uns zum beschwerlichen Prozess der Versöhnung mit Gott.
„Wen Gott liebt, den züchtigt Er, wie ein Vater seinen Sohn, den er gern hat“ (Spr. 3: 12; vgl. Offb. 3: 19). Ein Vater liebt seinen Sohn ohne wenn und aber. Trotzdem: wenn der Sohn sich schwer versündigt hat, kann der Vater nicht einfach darüber hinwegsehen. Ja, er liebt seinen Sohn, und er will doch am allermeisten, dass sich das vorherige innige Verhältnis wieder einstellt, aber das geht nicht durch ein einfaches „Schwamm drüber“, denn das wäre allein schon aus pädagogischer Sicht fatal. Der Sohn muss erst zu spüren bekommen, was es bedeutet, die Gunst des Vaters zu verlieren. Denn wenn der Sohn weiß, dass ihm der Vater am Ende doch alles durchgehen lässt, wird er niemals verlässlicher und verantwortungsbewusster Erbe des Vaters werden.
Deshalb stehen wir heute zu Beginn der großen Fastenzeit, dem „ersten Adam“ gleich, symbolisch vor dem zugezogenen Vorhang der geschlossenen Königspforte und beweinen den Verlust der Gemeinschaft mit unserem Schöpfer, und hoffen in sieben Wochen vor den sperrangelweit geöffneten Toren des Paradieses die Auferstehung des „Zweiten Adam“ zu feiern, als Dessen Nachfahren wir das Himmelreich erben wollen (s. 1. Kor. 15: 45-47).
Der Mensch muss sich zur Wiedererlangung des Paradieses einer Prüfung unterziehen, um Aufschluss darüber zu bekommen, ob er der verzeihenden Milde Gottes würdig ist. Du willst Vergebung von deinem Gott? – Gut, dann zeige, wie ernst du das meinst: „Wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wird euer Himmlischer Vater auch euch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben“ (Mt. 6: 14-15).
Das ist genauso, wie bei einem Sohn, der sich etwas Ernstes zu Schulden hat kommen lassen. Er kann nicht mit einer billigen Entschuldigung daherkommen, also einem Eingeständnis der eigenen Schuld mit dem einzigen Ziel, mit einer milden Strafe davonzukommen (bei Gericht nennt man das wohl einen „Deal“). Eine echte Bitte um Verzeihung ist die des verlorenen Sohnes: „Ich habe gesündigt … ich bin nicht mehr wert dein Sohn zu sein … mach mich zu einem deiner Tagelöhner“. Nur so kann man die heutzutage überzogen anmutenden Normen des Kirchenrechts verstehen: kanonische Disziplinarmaßnahmen haben das Heil des Menschen zum Ziel, nicht seinen Untergang. Gott will nicht Rache oder Genugtuung, Ihm liegt vielmehr an einer nachhaltigen Gesundung des Herzens. Christus ist ja als „Arzt“ unserer Seelen (s. Mt. 9: 12) gekommen, nicht als Rächer, und so lautet Sein Heilrezept „Umkehr“ (s. Mt. 4: 27; Mk. 1: 15; Lk. 24: 47). Aber dabei warnt Er uns vor Heuchelei: „Wenn ihr fastet, macht kein finsteres Gesicht wie die Heuchler. Sie geben sich ein trübseliges Aussehen, damit die Leute merken, dass sie fasten. Amen, das sage Ich euch: Sie haben ihren Lohn bereits erhalten“ (Mt. 6: 16).
So soll auch unsere obligatorische Beichte während der Großen Fastenzeit ein wirkliches Großreinemachen der Seele sein, nicht bloß eine Pflichtübung nach „Schema F“. Jeder ist nun zum Selbsttest aufgerufen, soll schonungslos feststellen, wie viel ihm am Seelenheil im Vergleich zu irdischem Wohlergehen gelegen ist: „Sammelt euch nicht Schätze hier auf der Erde, wo Motte und Wurm sie zerstören und wo Diebe einbrechen und sie stehlen, sondern sammelt euch Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Wurm sie zerstören und keine Diebe einbrechen und sie stehlen“ (6: 19-20).
Dass es bei den irdischen Schätzen nicht bloß um materiellen Reichtum geht, zeigt der letzte Satz der heutigen Lesung: „Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz“ (6: 21). Wir sind ja als fromme Christen einsichtig genug, dass wir nicht dem schnöden Mammon dienen wollen, aber dennoch hängt unser subjektives Wohl und Wehe von äußeren Umständen ab, wie eben bei denen, die ohne Gott leben (s. Mt. 6: 32a). Für alle Menschen erfindet der Widersacher tausendfach „Ersatzreligionen“, um sie vom wahren Glauben an Gott abzubringen – am besten so, dass sie es selbst gar nicht merken. So zum Beispiel durch das tägliche Horoskop in der Zeitung (bzw. heutzutage im Internet). Wenn man das liest, wird sofort deutlich, worum es den „Schatzsuchern“ ohne Gott geht: Gesundheit, Geld, Liebe (wobei die Reihenfolge beliebig vertauscht werden kann, je nach dem, in welchem Bereich man momentan die größten Defizite hat). Und so verbringen die Leute ihr ganzes Leben auf der vergeblichen Suche nach dem vergänglichen Glück, denn so können sie am besten von der Suche nach dem ewigen Glück abgehalten werden.
Niemand will die Daseinsberechtigung elementarer irdischer Belange an sich in Zweifel ziehen, zumal auch unser Himmlischer Vater weiß, dass wir all dessen im zeitlichen Leben bedürfen (6: 32b), aber wir selbst machen unser Glück anfällig für den Befall durch „Motten und Würmer“ bzw. zu einer leichten Beute für „Diebe“, wenn wir in unserem Herzen nicht zuallererst nach dem Schatz im Himmel streben. Aus diesem Grunde ist die Fastenzeit die willkommene Gelegenheit, sich selbst Klarheit darüber zu verschaffen, was einem selbst wirklich am wichtigsten ist, wofür wir bereit wären, alles andere aufzugeben, um nur diesen einen Schatz zu besitzen (vgl. Mt. 13: 44-46). Denn wo unser Schatz ist, da ist auch unser Herz! Amen.