Predigt zum 14. Herrentag nach Pfingsten / Herrentag vor Kreuzerhöhung (Gal. 6: 11-18; 2. Kor. 1: 21 - 2: 4; Joh. 3: 13-17; Mt. 22: 1-14) (25.09.2016)

Liebe Brüder und Schwestern, 

 

in der heutigen Lesung zum Herrentag vor der Kreuzerhöhung sagt der Herr: „(...) Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass Er Seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an Ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat. Denn Gott hat Seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit Er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch Ihn gerettet wird“ (Joh. 3: 16-17). Gott ist allmächtig, allwissend, allgegenwärtig, Er ist zudem unendlich weise, gerecht und erhaben. Bei diesen und anderen Attributen handelt es sich allerdings jeweils immer nur um menschenmögliche Apostrophierungen der göttlichen Eigenschaften, nicht aber um Bestimmungen des Wesens Gottes. Aus der angeführten Textstelle erkennen wir jedoch etwas, was der Menschheit erst durch Jesus Christus offenbart worden ist: „Gott ist die Liebe“ (1. Joh. 4: 8, 16). Es ist, wenn Sie so wollen, die Weiterführung der Offenbarung Jahwes, die Mose im brennenden Dornbusch zuteil wurde (s. Ex. 3: 14-15): Gott ist der „Seiende“, und dieses göttliche „Sein“ ist Liebe, ikonographisch ausgedrückt durch die griechischen Buchstaben `o On auf dem Kreuz-Nimbus Christi. Das Kreuz, das wir in wenigen Tagen miteinander verehren werden, ist bildhafter Ausdruck dieser absoluten Liebe. Es ist das Zeichen der Hoffnung, denn alles in dieser Welt – unsere Sündhaftigkeit, selbst die Bosheit des Satans – ist endlich; nur die freiwillig gekreuzigte Liebe Gottes ist unendlich. IC XC NIKA! 

Das Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl drückt ebendiese Liebe Gottes zu Seinen Menschen aus. In Gleichnissen wird die Realität des Himmelreichs (s. Mt. 22: 2) immer wieder in irdischen Bildern ausgedrückt – eine Realität, die für den fleischlichen Verstand unergründlich und unverständlich bleibt (s. 1. Kor. 1: 20). Die Gleichnisse des Herrn machen somit deutlich, dass im Himmelreich nicht die Regeln dieser Welt herrschen. Ziel der Gleichnisse ist es daher, den Menschen dem verderbenbringenden Denken dieser Welt zu entreißen (s. 1. Kor. 1: 21) und auf die andersartige Realität im Himmelreich einzustimmen bzw. ihn zum unausweichlichen Übergang vorzubereiten. Ein Mittel dazu ist für den Menschen das Befolgen der Gebote Gottes, denn das öffnet unsere Herzen für den Geist Gottes: „Und dies ist Sein Gebot: Wir sollen an den Namen Seines Sohnes Jesus Christus glauben und einander lieben, wie es Seinem Gebot entspricht. Wer Seine Gebote hält, bleibt in Gott und Gott in ihm. Und dass Er in uns bleibt, erkennen wir an dem Geist, Den Er uns gegeben hat“ (1. Joh. 3: 23-24). Fürwahr: „Wer sich aber an Sein Wort hält, in dem ist die Gottesliebe wahrhaft vollendet“ (1. Joh. 2: 5). Aber was ist mit den Geboten gemeint? Ist von irgendwelchen starren Direktiven die Rede? - Nein! Gebote Gottes unterscheiden sich ganz wesentlich von kirchlichen Bestimmungen wie Beten, Fasten, Beichten und anderen vermeintlichen Mussregeln. Im Grunde kennt das Neue Testament ja nur ein Gebot (s. Joh. 13: 34; 15: 12), aus dem sich alles Weitere ergibt - das aber ohne Abstriche: „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue,  Sanftmut und Selbstbeherrschung“ (Gal. 5: 22-23). Aber um so zu sein, müssen schon alle, „die zu Christus Jesus gehören, (…) das Fleisch und damit ihre Leidenschaften und Begierden gekreuzigt“ haben (Gal. 5: 24). Folglich kann kein „Naturtalent“ von sich behaupten, dass er auf Anhieb, d.h. ohne an sich gearbeitet zu haben, die Gebote Gottes befolgen kann: „Wer sich einbildet, etwas zu sein, obwohl er nichts ist, der betrügt sich. Jeder prüfe sein eigenes Tun. Dann wird er sich nur im Blick auf sich selbst rühmen können, nicht aber im Vergleich mit anderen“ (Gal. 6: 3-4). 

In den alltäglichen Prüfungen können wir beweisen, wie viel Geduld, Sanftmut, Friedfertigkeit, Mitgefühl, Hilfsbereitschaft wir gegenüber unseren Mitmenschen aufbringen. Es fällt uns nicht schwer, die zu lieben, die es in unseren Augen verdient haben, aber was ist mit denen, die nicht in unser Werteschema passen oder für die unser Bioorganismus einfach keine Sympathiehormone entwickeln kann (s. Mt. 5: 46; Lk. 6: 32)? - Selbst das Reservoir der Liebe zu unseren Nächsten ist endlich, wie Konflikte unter Familienangehörigen und Freunden beweisen. Wie wollen wir dann unsere Feinde lieben? Herausforderungen bietet das Leben zur Genüge: Schmähungen, Missachtungen, Ungerechtigkeiten, Bosheit, Hinterlist oder einfach nur menschliche Unzulänglichkeit, dazu die Versuchungen, deren Ursachen in unserem eigenen Inneren schlummern: Gefühle von Hass, Neid, Ablehnung, Rachsucht, Gier oder Wollust; von dämonischer Verzweiflung (die einen faktischen Aufruf zur Negation der Liebe Gottes darstellt) wollen wir hier gar nicht sprechen. Wer kann schon von sich behaupten, dass er für alle Zeit kraft seiner natürlichen Begabung und antrainierter Willensstärke dagegen gefeit ist?Wir reagieren gereizt auf Anfeindungen, und meinen, unsere emotionale Reaktion sei „natürlich“, „menschlich“! Kann aber etwas als natürlich gelten, was dem direkten Gebot des Herrn widerspricht?! Warum reagieren Heilige nicht „menschlich“, wie der hl. Erzdiakon Stephanus (s. Apg. 7: 60) oder die hl. Großfürstin Elisabeth? Weil Gott sie und uns „in der Treue zu Christus festigt und (...) uns alle gesalbt hat, Er ist es auch, Der uns Sein Siegel aufgedrückt und als ersten Anteil (am verheißenen Heil) den Geist in in unser Herz gegeben hat“ (2. Kor. 1: 21-23). Das Mysterium des Heiligen Geistes (Myronsalbung) ist kein Anhängsel der Taufe, sondern die Geburt aus dem Geiste (s. Joh. 3: 3, 5, 8).

 

Auch wir können demnach diesen Zustand erreichen, zugegeben, anfangs mit viel Mühe und Geduld. Doch wenn Gott unser ernsthaftes Bestreben sieht, wird Er uns Seine Gnade schenken, so dass wir der Seligkeit des Mahls im Reich Gottes teilhaftig werden können (s. Lk. 14: 15). Amen. 

Jahr:
2016
Orignalsprache:
Deutsch