Predigt zum Lazarus-Samstag (Hebr. 12: 28 - 13: 8; Joh. 11: 1-45) (08.04.2017)

Liebe Brüder und Schwestern,

 

die Erweckung des Lazarus ist das Vorspiel zur Passion Christi und die Vorandeutung der allgemeinen Auferstehung - die "Auferstehung vor der Auferstehung". Doch ist diese Auferweckung des bereits einbalsamierten Lazarus nicht das erste Wunder dieser Art. Wir kennen insgesamt sechs Fälle von auferweckten Toten aus der biblischen Geschichte; drei aus dem Alten Testament und drei aus dem Neuen:

 

  1. der Prophet Elias erweckte den Sohn der Witwe aus Sarepta zu Sidon, indem er sich dreimal mit ausgebreiteten Armen über den Knaben hinstreckte (s. 3. Kön. 17: 21);
  2. der Prophet Elischa erweckte den Sohn der vornehmen Schunemitin, indem er sich auf ihn legte und sich siebenmal mit ausgebreiteten Armen über ihn beugte (s. 4. Kön. 4: 35);
  3. nach dem Tode des Propheten Elischa wurde bei einem plötzlichen Einfall der feindlichen Moabiter ein zu Grabe Getragener eilends in das Grab des Propheten geworfen; sobald der Tote die Gebeine Elischas berührte, wurde er wieder lebendig (s. 4. Kön. 13: 21);
  4. der Herr Jesus Christus erweckte die gerade erst verstorbene Tochter des Synagogenvorstehers Jairus (s. Mt. 9: 25;  Mk. 5: 41-42;  Lk. 8: 54-55);
  5. der Herr Jesus Christus erweckte den einzigen Sohn der Witwe von Nain, als dieser zu Grabe getragen worden war (s. Lk. 7: 14-15);
  6. der Herr Jesus Christus rief Lazarus, der schon vier Tage tot gewesen war, aus dem Grabe heraus (s. Joh. 11: 43-44).

 

Demzufolge wird die Auferstehung Christi (und mit Ihm zahlreicher Heiliger, s. Mt. 27: 52-53) in dieser Reihenfolge an siebter Stelle stehen. Die Zahl Sechs steht für irdische Vollkommenheit, aber noch ohne die segnende Gnade Gottes. Die Zahl Sieben symbolisiert hingegen die Vollkommenheit des menschlichen Schaffens mit Gottes Gnade. Gott hat die Welt ja in sechs Tagen erschaffen, aber erst durch den siebten Tag wurde die ganze Schöpfung geheiligt (s. Gen. 2: 2-3; vgl. Ex. 20: 8-11; 34: 21). So bleiben bis heute nach kirchlicher Überlieferung die sechs Werktage ohne die Heiligung durch den siebten Tag profan, so dass die in ihnen verrichteten Werke jeglichen Segen des Herrn entbehren. Darum ist es kein Zufall, dass die Auferstehung Christi in der zeitlichen Abfolge durch die Sieben gekennzeichnet ist. Diese nummerische Symbolik verdeutlicht, dass die Auferstehung der Menschen erst durch die Auferstehung Gottes am dritten Tag geheiligt, sprich, zu einem Leben mit Gott führt. Die Drei und die Sieben wurden von den beiden vorgenannten Propheten auf mystische Weise offenbart, ebenso wie das Zeichen des Kreuzes durch die seitwärts über die toten Jüglinge ausgestreckten Arme (s. 1. und 2.), während die Auferweckung des Toten durch den Leichnam des Propheten (s. 3) die alttestamentliche Vorandeutung des lebenspendenden Todes Christi ist. Und hat außerdem durch die zweifache Totenerweckung durch Elischa nicht bewahrheitet, dass dieser Prophet zwei Anteile des Geistes von Elias bei dessen Entrückung von der Erde empfangen hatte (s. 4. Kön. 2: 9)?!

Die Auferweckung des Lazarus wird nur beim Evangelisten Johannes geschildert und in einen direkten Zusammenhang mit dem triumphalen Einzug in Jerusalem gebracht, der als solcher auch von den Synoptikern wiedergegeben wird. Augenfällig ist hierbei die Diskrepanz zwischen göttlichem Wirken und menschlichem Denken (s. Joh. 11: 37; 12: 5;  vgl. Mt. 26: 8-9;  Mk. 14: 4-5;  Lk. 7: 39), wie sie bis heute leider allerorten zu beobachten ist. Gott muss Sich aber nicht vor Menschen, deren Sinn nach Unrechtem steht (Gen. 6: 5 u. 8: 21), rechtfertigen (s. Ps. 50: 6). Auch wir würden uns oftmals insgeheim wünschen, dass dieses oder jenes in unserem Leben anders gelaufen wäre, weil wir nicht verstehen (wollen), dass Gott alles in Seiner Weisheit zu unserem Wohl lenkt. Lazarus wurde dann, als er krank war, nicht geheilt, weil Gott durch ihn und mit ihm noch etwas Größeres vorgesehen hatte. Und so wird es in allen Dingen sein, deren Sinn wir bislang noch nicht erkennen können. Gott gibt uns dadurch die Gelegenheit, an Ihn zu glauben, selbst wenn alle Indizien gegen Seine allweise Vorsehung, Seine vollkommene Allmacht und Seine unaussprechliche Güte zu sprechen scheinen. Wir glauben aber, nein, wir wissen, dass in der Auferstehung alle Fragen beantwortet sein werden. Und es gibt keinen, der von vornherein von der Auferstehung ausgeschlossen wäre, denn selbst der Räuber gelangte mit Christus in das Paradies (s. Lk. 23: 43). Und der, welcher während der zurückliegenden sechs Wochen im Einklang mit dem Geiste und der Tradition der Kirche (also nicht bloß dem Buchstaben des Gesetzes nach) seine Seele durch Gebet und Fasten gereinigt hat, wird die siebte Woche als das größte Gnadengeschenk seines Lebens erachten - etwas, ohne das alles Übrige in dieser Welt keinen realen Sinn ergibt. Wem also nun diese Einsicht geschenkt wurde, der hat schon den Grundstein für den "achten" Tag gelegt - das ewige Paskha. Die Zahl Acht steht für die Vollkommenheit Gottes als nächste Stufe nach der vergöttlichten menschlichen Vollkommenheit. Wenn der "siebteTag", - das gegenwärtige Zeitalter - erfüllt ist, wird der "achte Tag", - das kommende Äon - anbrechen. Dieses wird mit dem Kommen des Menschensohns in Herrlichkeit und mit Ihm aller Engel (s. Mt. 25: 31;  Mk. 8: 38) anbrechen. Ich kann mir jedenfalls keine bessere Vorbereitung auf diesen Tag vorstellen, als ein Leben in der Teilhabe an den gnadenreichen liturgischen und sakramentalen Schätzen der Kirche. Amen.

Jahr:
2017
Orignalsprache:
Deutsch