Predigt zum Vorabend der Taufe des Herrn (1 Kor. 9: 19-27; Lk. 3:1-18) (18.01.2018)

Liebe Brüder und Schwestern,

 

heute enden die geweihten Tage (slaw. святки) zwischen der Geburt und der Taufe Christi, in denen nicht gefastet und auch nicht auf Knien gebetet wird. Es sind Tage der geistlichen Freude über die Menschwerdung Gottes und über die Offenbarung der Göttlichen Dreiheit in dieser Welt. Deshalb darf jeder, der sich in der vorangegangenen Fastenzeit durch Fasten und Buße auf diese lichten Höhepunkte des Jahres vorbereitet hat, in diesen Tagen auch mehrmals an den Heiligen Mysterien Christi teilnehmen. Da die Feste der Geburt und der Taufe Christi in der Frühzeit der christlichen Ära zusammen an einem Tag als Theophanie (Gotteserscheinung) gefeiert wurden, betrachten wir diese heiligen Tage zwischen den beiden Festen gewissermaßen als unzertrennliche Einheit. Beichten und Fasten war vorher; jetzt aber wäre es doch geradezu eine groteske Herabwürdigung der Gnade Gottes, wenn jemand inmitten dieser Festtagsfreude noch einmal beichten wollte, um die Heiligen Gaben empfangen zu dürfen. Es ist nur zu gut bekannt, dass in manchen Gemeinden sogar in der Osterwoche vor dem Empfang der Heiligen Gaben eine Beichte und evtl. sogar Fasten (!) obligatorisch sind. Die das zulassen, stellen sich bewusst oder unbewusst über den Typikon, die Tradition und die Katholizität der Kirche - und erweisen sich in der überwältigenden Mehrheit der Fälle als extrem beratungsresistent. "Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit: eine Zeit zum Gebären und eine Zeit zum Sterben, eine Zeit zum Pflanzen und eine Zeit zum Abernten der Pflanzen, eine Zeit zum Töten und eine Zeit zum Heilen, eine Zeit zum Niederreißen und eine Zeit zum Bauen; eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen, eine Zeit für die Klage und eine Zeit für den Tanz; eine Zeit zum Steinewerfen und eine Zeit zum Steinesammeln, eine Zeit zum Umarmen und eine Zeit, die Umarmung zu lösen, eine Zeit zum Suchen und eine Zeit zum Verlieren, eine Zeit zum Behalten und eine Zeit zum Wegwerfen, eine Zeit zum Zerreißen und eine Zeit zum Zusammennähen, eine Zeit zum Schweigen und eine Zeit zum Reden, eine Zeit zum Lieben und eine Zeit zum Hassen, eine Zeit für den Krieg und eine Zeit für den Frieden" (Koh. 3:1-8) - daher auch eine Zeit zur seelischen Buße und eine Zeit zum spirituellen Feiern.

Als Vorbereitungszeit exklusiv für das Fest der Taufe des Herrn hat die Kirche lediglich den heutigen strengen Fastentag am Vorabend eingesetzt. So kann auch bei diesem Fest der Übergang vom Buß- zum Feiertagsmodus stattfinden: "Die mit Tränen säen, im Jubel werden sie ernten" (Ps. 125:5). Vorabend, und nicht Vortag! Der Tag beginnt nach Gottes Ratschluss seit jeher mit dem Abend: "Es wurde Abend, und es wurde Morgen: erster Tag" (Gen. 1:5; vgl. 1:8,13,19,23,31). So beginnt der liturgische Tag mit der Vesper, und folglich beginnt jedes Fest mit der Vesper am Vorabend.  Die Große Wasserweihe nach der Vesper (die meistens in die Liturgie des hl. Basilios übergeht) ist der Höhepunkt des heutigen Festes. Eine Wiederholung der Wasserweihe tags darauf (nach der Liturgie zum Fest der Taufe Christi) ergibt theologisch und liturgisch keinerlei Sinn, ist aber der Unbedarftheit der Leute geschuldet, die halt nur am 6./19. Januar mit Kanistern bewaffnet zum Gottesdienst erscheinen. Überhaupt sind Konzessionen an die physische Schwäche der Menschen zum maßgeblichen liturgischen Faktor geworden. So feiern wir an diesem Tag die Vesper samt Liturgie am Vormittag, weil unser Kirchenvolk das eucharistische Fasten nicht bis zum Sonnenuntergang einhalten kann. Einst waren die Christen in den Katakomben allnächtlich potenzielle Märtyrer, heute sind wir bestenfalls sonntägliche Kirchenbesucher. Dennoch wird auch uns die Liebe Gottes zuteil.   

Diese nun abgeschlossenen heiligen Tage sind von der Entäußerung des Logos geprägt (s. Phil. 2:6-8). In den Entlassungen am Ende der Gottesdienste spricht der Priester: "Der um unseres Heiles willen geruhte, in einer Höhle geboren und in eine Krippe gelegt"  bzw. "dem Fleische nach beschnitten"  bzw.  "dem Leibe nach von Johannes getauft zu werden, Christus unser wahrer Gott..." - Wenn wir diesem Mysterium der Kenosis des Logos ebenso wie den Heiligen Gaben des Leibes und des Blutes Christi nicht mit "Gottesfurcht und Glauben" begegnen, degradieren wir dieses große "Geheimnis unseres Glaubens" (1 Tim. 3:16) zur folkloristischen Freizeitbeschäftigung. Das aber wäre unverzeihlich.

Die in vielen russischen Gemeinden praktizierte obligatorische Beichte vor jedem Empfang der Heiligen Gaben ist sicherlich gut gemeint, will sie doch eine möglichst würdige Teilnahme an den Mysterien Christi gewährleisten. "Ein zerschlagenes und demütiges Herz" (Ps. 50:19) kann aber auch ohne die sakramentale Beichte erreicht werden, so dass Gebete zur Kommunion, Morgen- und Abendgebete sowie liturgische Partizipation eine Aufwertung erfahren (als Student bekam ich als Thema für eine Seminararbeit: "Der Bußcharakter der Göttlichen Liturgie", - und hatte ob der Vielzahl neu gewonnener Erkenntnisse größte Mühe, den vorgeschriebenen Höchstumfang für diesen Aufsatz einzuhalten). Umgekehrt darf das Mysterium der Beichte nicht als banale Pflichtübung bzw. als "Eintrittskarte für die Kommunion" (Vater A. Schmemann) entwertet werden, denn in den häufigen Pseudo-Beichten wird das eigentliche Ziel - die Umkehr - verfehlt. Man bereut ein wenig, vergibt Widerstreitern ein wenig, kämpft ein wenig gegen seine Laster an... Wäre es aber nicht besser, mit Gottes Beistand diesen alltäglichen Kampf mit sich selbst intensiv und fortwährend zu führen, um dann in etwas größeren Abständen in einer echten Beichte wirklich Vollzug melden zu können? So hätten die Priester etwas mehr Zeit, sich seelsorgerisch um die zu kümmern, welche es wirklich nötig haben. Und von denen gibt es immer mehr als genug. Amen.       

Jahr:
2018
Orignalsprache:
Deutsch