Die Neumärtyrer Rußlands

Daniel, Abt des Swjatogorskij-Klosters.
Nach dessen gewaltsamer Schließung tauchte er  für ei-ne kurze Zeit unter, und arbeitete dann - unter Geheimhaltung seiner geistlichen Würde - als Buchhalter in einer Charkower Behörde. Erzbischof Alexander  bevollmächtigte ihn dennoch, heimliche Amtshandlungen durchzuführen; so vollzog er z. B. die großen Weihen an einer Nonne. Als einfaches Gemeindeglied besuchte er die Kasanskij-Kirche und wurde dort Mitglied einer sogen. "Zwanziger-Gruppe". Es waren jene opferbereiten Menschen, auf deren Namen das Gotteshaus "registriert" war und die dadurch nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Verwandten und Freunde in Gefahr brachten. In der Tat verschwanden sie alle über kurz oder lang in den Konzentrationslagern oder den Folterkammern der NKWD. Als Abt Daniel dann auch die Verwaltung der Kirchenkasse übernahm (wofür sich niemand zur Verfügung stellen wollte, da das besonders gefährlich war) , wurde er verhaftet und verschwand im Jahre 1937 spurlos und für immer.

Vater Gabriel,
der aus einer  Bauernfamilie im Ural stammte und im Besitz einer außerordentlich schönen Tenorstimme war (er sang schon als Kind im Kirchenchor seines kleinen Heimatdorfs),  nahm das Kreuz des Priestertums in einer Zeit auf sich, als die Kirche besonders unerbittlich und grausam verfolgt wurde. Nachdem die örtlichen Machtorgane auch eine Pfarrkirche geschlossen hatten, reiste er von Ort zu Ort und von Stadt zu Stadt um in Privatwohnungen heimlich zu zelebrieren und kirchliche Amtshandlungen zu vollziehen. Er setzte seine Tätigkeit auch dann fort, als sie den Behörden bekannt wurde und man den Priester intensiv zu suchen begann. Daraufhin zelebrierte er nur nachts und unter Vorsichtsmaßnahmen, die ihn z.B. auf der Straße unkenntlich machten. Seine Freunde und alle, die ihn liebten und hochschätzten, gewährten ihm Nachtasyl und unterstützten ihn in seinem schweren Lebenskreuz nach Kräften. Ungeachtet der ständigen Furcht erkannt und verhaftet zu werden  - was seinen sicheren Tod bedeuten würde - strahlte Vater Gabriel stets Freude und Zuversicht aus.  Als in Charkow nur noch ein einziges Gotteshaus übriggeblieben war (und zwar am Stadtrand auf den "Kahlen Ber-gen"), kam er in der Osternacht in diese Kirche und begab sich in den Altarraum, wo er unbemerkt bleiben wollte. Doch vermochte sein Herz im Jubel und Glanz der Osternacht nicht stumm zu bleiben, die Freude überflutete es, brach durch und auf dem Höhepunkt der Matutin fiel seine herrliche, unverwechselbare Stimme, die Stimme eines En-gels, in den Chor ein.
Nach dieser Nacht verschwand Vater Gabriel für immer.

Simeon Krapuchin,
Erzpriester und Superintendent und mit ihm Vater Jakob Sergijewskij  aus Sytschowka (Gouvern.Smolensk) verschwanden nach ihrer Verhaftung im Jahre 1930 spurlos.

Erzpriester Ismael Roschdestwenskij,
Pfarrer der Verklärungskirche in Strelna bei Petrograd kehrte zweimal aus der Verbannung zurück, wonach er sein priesterliches Amt jedes Mal im Geheimen weiter ausübte. Im Jahre 1937 wurde er erneut verhaftet und nach Sibirien verbannt,wo er in der Jezov-Ära erschossen wurde.

Priester Michael Jaworskij
aus Petrograd wurde, nachdem er seine Strafzeit im Solowetzkij-Konzen-trationslager am Nördlichen Eismeer abgegolten hatte, zu weiteren zehn Jahren verurteilt. Er überlebte sie nicht.

Erzpriester Alexander Sacharov   
(Diozese Petrograd) starb 1927 im Solowetzkij-Konzentrations-lager.

Erzpriester Fjodor Kolobov,
Pfarrer der Kirche St. Johannes des Theologen in Pskow, wurde nach vielen Jahren schwerer Haft nach Sibirien verbannt. Sowohl er, als auch seine Ehefrau, die ihm dahin freiwillig folgte, verschwanden dort spurlos.
Priester Michael Kamenskij,
Pfarrer an der Kirche des Hl. Clementin in Pskow, wurde daselbst von den Bolschewisten zu Tode gefoltert.

Kriegsgefangene Polen, die nach dem russisch-polnischen Krieg 1919-20 auf einer Insel im See Seliger (Gouvern.Tambow) interniert waren (vermutlich war es das Kloster des Hl.Nil Ssorskij), hörten von den dort noch verbliebenen Mönchen (deren Aufgabe es war, die Abortgruben zu reinigen), daß in den Kellergewölben des Klosters unzählige Mönche bei lebendigem Leibe eingemau-ert worden waren. Den Polen gelang es, in die Wände der Kammern kleine Löcher zu bohren, durch die ihnen dann der unerträgliche Geruch verwesender Leichen entgegenströmte.

Erzabt (Archimandrit) Aristarchos
wurde in der Kirche des Unerschaffenen Abbildes Christi in Borki im Jahre 1918 gefoltert und dann durch das Skalpieren des Schädels zu Tode gebracht. Mit ihm wurde der Priestermönch Rodion umgebracht.

Erzpriester Michail Beljajew,
Pfarrer an der Kathedrale von Borki wurde 1921 in Rostow ermordet. Sein leiblicher Bruder, der Priester Makarius Beljajew erlitt im selben Jahr das gleiche Schicksal.

Wladimir, Metropolit von Kiew und Galizien.
 Neben dem jungen Metropoliten Benjamin von Petrograd ist Metropolit Wladimir der Erste in der langen Reihe der von den Bolschewisten zu Tode gefolterten bzw. erschossenen hohen kirchlichen Hierarchen Rußlands. Sein Tod fiel in jene Tage, als in Moskau das seit Jahrhunderten ersehnte Allrussische Kirchenkonzil tagte. Die furchtbare Kun-de erschütterte dessen Teilnehmer zutiefst. Am selben Tag (25.1.1918) beschloß das Konzil den jährlichen Gedenktag für die Märtyrer der blutigen bolschewistischen Revolution festzusetzen.
Der Metropolit wurde am 1.1.1848 als Sohn frommer Eltern in einem Dorf des Gouvernement Tambow geboren. Vor seinem Eintritt in den Mönchsstand hieß er Wassilij Bogojawlenskij. Sein Vater war Priester und wurde ebenfalls bestialisch ermordet.
Wassilij absolvierte 1874 die Kiewer Theologische Akademie, wonach er sieben Jahre als Lehrer am Priesterseminar in Tambow tätig war. Von 1882 an ist er Priester in Koslow, wo er sich mit großem Eifer der Predigt, d.h. der Verkündung der christlichen Botschaft an das einfache Volk widmet. 1886 trifft ihn ein schwerer Schlag - seine junge, heißgeliebte Frau und das einzige Kind sterben kurz nacheinander. Wassilij nimmt unmittelbar nach dieser Heimsuchung die Mönchsweihe an,- er heißt jetzt Wladimir - und durchläuft dann, ohne sich darum zu bemühen, alle Stufen der hierarchischen Leiter. Das Jahr 1888 sieht ihn bereits als Bischof von Staraja Russa; 1891 wird er zum Bischof von Samara ernannt, wo, nach einer katastrophalen Mißernte, Hungersnot herrscht und darüber hinaus die Cholera wütet. Bischof Wladimir erweist sich als ein heldenhafter Kämpfer für das Wohl der schwer geprüften  Bevölkerung, widmet sich restlos dem Dienst an den Hungernden, Kranken und Sterbenden. Er beflügelt den ganzen Klerus zu einem ebensolchen selbstlosen Einsatz unter großen Opfern.
Von 1892 bis 1897  leitet er - schon als Erzbischof - das Exarchat Georgien. Und schon im Jahre 1898 sehen wir ihn auf dem höchsten Posten, den die Russische Kirche zu vergeben hat: er ist Metropolit von Moskau. Hier setzt er  seine ganze Energie für die Belebung und Intensivierung der seelsorgerlichen Tätigkeit der Moskauer Geistlichkeit ein, sorgt dafür, daß diese in engeren Kontakt zum Volk und vor allem zu den Fabrikarbeitern tritt, mit diesen Schichten ins Gespräch kommt. Er selbst wird darin zum Vorbild, besucht persönlich die Werkshallen in den Fabriken, führt nach einleitendem Gebet Diskussionen durch, warnt die Arbeiter vor sozialistischen Utopien, führt ihnen prophetisch vor Augen, in welch einen Abgrund diese Lehren ein Land wie Rußland stürzen würden. Seine Worte und sein ganzes Tun strahlen Liebe und tiefe Sorge um die ihm anbefohlenen Seelen aus. Den materiell Bedrängten hilft er großzügig, spontan, unbürokratisch. Seine brennende Sorge gilt auch besonders den in der Trunksucht Gefangenen; er hält Vorträge, führt Diskussionen, gibt entsprechende Schriften und Broschüren heraus, die anschaulich von den verheerenden Folgen der Volksseuche Trunksucht sprechen. In den bösen Jahren 1904-1905, den Jahren des russisch-ja-panischen Krieges und der ersten Revolution, als nur noch relativ wenige Standhaftigkeit und Charakterfestigkeit beweisen, bleibt er der zutiefst überzeugte und unbeugsame Streiter für Kirche und Vaterland. Immer schon und jetzt erst recht, liegen ihm die Studenten der Priesterseminare am Herzen; er weiß , welch  eine ungeheuere Verantwortung für Volk und Land auf ihnen liegen wird, führt mit ihnen lange, von väterlicher Wärme getragene Gespräche. Auch wußte er natürlich, wie armselig die Besoldung und die Lebensverhältnisse vieler Priester waren und auch in der Zukunft sein würden und beschwor die angehenden Geistlichen, sich damit abzufinden, sich auch mit wenigem zufriedenzugeben, vor einem materiell bescheidenen Leben nicht zurückzuschrecken. "Gebt dem Volk alles, verlangt von ihm nichts, denn unser Volk ist arm, sein Dasein ist von Trunksucht und anderen Lastern zersetzt; es tappt im Dunkel, läuft zu den Sektierern über. Tragt  i h r  das wahre Licht der christlichen Erkenntnis in die Massen! Dann wird sich die materielle Lage des Volkes von selbst verbessern. Diese Aufgabe wiegt ein ärmliches Leben des Priesters um vieles auf!"
Viele wähnten den Metropoliten Wladimir streng und unzugänglich, doch irrten sie sich; vielleicht lag das an seinem Gesicht, das stets von einem verborgenen Gram geprägt war.
Im Jahre 1912 verschied Antonius, der Metropolit von St.Petersburg, und an seine Stelle wurde Wladimir berufen. Wie tief er mit Moskau und des-sen Bevölkerung verwachsen war, kam ihm erst jetzt zu Bewußtsein, und der Abschied von dieser alten Metropole schmerzte ihn sehr. "Ein Baum", sagte er, "der mit seinen Wurzeln tief in der Erde  steckt, weiß nichts davon, wie stark sie dort verzweigt und durch wie viele feine und feinste Verästelungen mit dem Erdreich verbunden sind. Er merkt es erst, wenn er ausgehoben und an einen anderen Ort verpflanzt wird. So geht es auch mir: ich empfinde einen großen Schmerz bei der Trennung von Moskau, der Stadt, mit der ich mich fünfzehn Jahre lang aufs Engste verbunden fühlte. Doch Gottes Wille geschehe."
Die Diözese St.Petersburg leitete der Metropolit Wladimir drei Jahre. Es waren schwere Jahre. Die kirchlich-soziale Arbeit wurde blockiert, kam nur mit Mühe voran. In der Residenz trieben dunkle Mäch-te ihr zerstörerisches Wesen, Rasputins Einfluß erstreckte sich bereits auf alle Gebiete aus und nahm noch ständig zu. Der Metropolit zögerte nicht, den Kampf gegen diese allgegenwärtige Bedrohung aufzunehmen und zwar mit jener kompromißlosen Gradlinigkeit, die für ihn charakteristisch war und einen Teil seines Wesens ausmachte. Der Kampf war von Anfang an von Tragik umweht und von Aussichtslosigkeit gezeichnet, da zwischen dem Metropoliten und seinem Kreis, einerseits, und der Zarin Alexandra Fjodorowna und ihren Anhängern, andererseits, ein unüberbrückbarer Abgrund klaffte.
Die Zarin war eine aufopfernde und tief besorgte Mutter, die ihren einzigen, schwerkranken Sohn Alexej, Rußlands Thronfolger, über alles liebte und ständig um sein Leben zitterte. Diese leidenschaftliche und leidüberschattete Mutterliebe machten sich die im Dunkeln wirkenden Kräfte zunutze. Ob es ein unheilvolles Zusammenspiel einzelner politischer und anderer Faktoren oder die gezíelte Tätigkeit dieser, im Hintergrund wirkenden Mächte war, mag dahingestellt bleiben. Tatsache ist, daß die Zarin zur Überzeugung gekommen war, daß Leben und Schicksal des Zarewitsch unlösbar mit dem "Starez" Grigorij (Rasputin) verbunden seien. Auf dieser ihrer unerschütterlichen Überzeugung, gründete der grenzen- und schrankenlose Einfluß Rasputins auf das Leben des Kaiserreichs. Als die-ser Einfluß bis zum Herzen der Kirche vorgedrungen war, sah Metropolit Wladimir keinen anderen Ausweg, als den Zaren Nikolaus um eine private Audienz zu ersuchen. Solch eine Audienz wurde den hohen Hierarchen der Russischen Kirche sehr selten gewährt; der Zar zog es vor, alle Angelegenheiten durch die Vermittlung der Synode zu erledigen. Als der Oberprokurator der Synode - in die-sem Fall W.Sabler - vom Inhalt des  bevorstehenden Gesprächs erfuhr, warnte er den Metropoliten: Das sei ein überaus heikles, empfindliches und komplexes Thema; man sollte davon lieber die Fin-ger lassen. Doch der Hierarch bestand auf seiner Bitte mit großer Festigkeit, da er  in einem persönlichen Gespräch mit dem Zaren seine Pflicht, sowohl als höchster Repräsentant der Kirche, als auch als loyaler Untertan sah.
(Fortsetzung folgt)

 

Bote 1988-4
Die Neumärtyrer Rußlands

(Fortsetzung - Beginn s. Bote 3/88)
Hl. Neomärt. Vladimir von Kiew (2)
Wie man es erwarten konnte, sprach er mit dem Zaren mutig und mit großer Offenheit und scheute nicht davor, Nikolaus in Kenntnis über jene Flut schmutziger Gerüchte in Kenntnis zu setzen, die in der Residenz und in ganz Rußland kreisten und die Beziehungen Rasputins zur Zarenfamilie betrafen. Er verurteilte dessen Einflußnahme auf rein kirchliche Angelegenheiten in scharfen Worten. Der Zar erwiderte, daß der Metropolit in manchem ganz gewiß recht habe, fügte jedoch hinzu, daß die Zarin darauf nie und nimmer eingehen werde.
Als Alexandra Fjodorowna von dieser Unterredung erfuhr, kannte ihr Zorn keine Grenzen. Sie war über die "Einmischung Wladimirs in unsere Familienangelegenheiten" zutiefst empört und verbittert und sprach dem Metropoliten jede Loyalität gegenüber Zar und Vaterland ab. Von den schmutzigen Gerüchten über den "Starez" wollte sie nichts wissen und bezeichnete sie als infame Verleumdungen. Er und nur er sei es gewesen, der den Thronfolger unzählige Male vor dem Tod gerettet habe. Sie würde sich nie dazu verleiten lassen, auch nur die geringsten Zweifel an der Lauterkeit Rasputins zu hegen.
Einerseits hatte sie recht und zwar da, wo es um die schmutzigen Gerüchte, die die Zarenfamilie diffamierten, ging: Das Leben der kaiserlichen Familie war und blieb von makelloser Reinheit. Das wußte auch der Metropolit. Die Tragödie bestand darin, daß er und die Zarin aneinander vorbeisprachen. Die geplagte, um das Leben des Kindes bangende Mutter wollte den Ratgeber nicht verstehen. Und es ahnte wohl niemand zu jenem Zeitpunkt, daß diesem das gleiche Martyrium bevorstand wie denen, die er aus seiner brennenden Sorge heraus warnen wollte.
Wladimir fiel nach dieser  Audienz in Ungnade und wurde nach Kiew versetzt. Beim Abschied von St.Petersburg wurden ihm von einem hohen Geistlichen folgende Worte auf den Weg mitgegeben: "Sie waren für uns in diesen schweren und finsteren Jahren ein helles Licht; sie verabscheuten die Lüge und die Anpassung und blieben stets Ihren Überzeugungen  treu. Und Sie kannten keine Furcht vor den Mächtigen dieser Welt, sondern zogen es vor, alle Kränkungen und jedes Unrecht mit Demut zu ertragen."
Kiew empfing seinen Hirten liebevoll und mit Mitgefühl. Man sah in ihm einen um der Wahrheit willen Verfolgten und schätzte das hoch ein. Als Primas der Synode sah sich der Metropolit gezwungen, nach einiger Zeit wieder nach St.Petersburg zu reisen. Als er 1917 zurückkam, hatte sich die Lage infolge der Revolution geändert: Es war ein Exekutiv-Ausschuß gebildet worden, der den Verfall des kirchlichen Lebens mit allen Mitteln vorantrieb und förderte. Eine Diözesantagung an der sowohl der Klerus, als auch Gemeindeglieder teilnahmen, entwickelte sich schnell zu einer rein "ukrainischen" Versammlung, die mit Nachdruck die Forderung erhob, in einer autonomen Ukraine müsse die Kirche von der Petersburger Synode unabhängig sein. Metropolit Wladimir warnte die Verfechter dieser ausgefallenen Idee, indem er ihnen mit großer Geduld und Liebe klarzumachen versuchte, daß eine Spaltung der Kirche nur zum Triumph ihrer Feinde führen könne. Er rief sowohl den Klerus, als auch die Gemeindeglieder auf, die ihnen obliegenden Pflichten auch weiter in Treue zu erfüllen, alle Feindseligkeiten zu begraben und die Spaltungsversuche einzustellen. Bei diesen Bemühungen mußte er viel Bitteres und Verletzendes anhören und ertragen. Im Herbst 1917 entstand der autonome ukrainische Staat; in der Kirche etablierte sich eine "Interim-Regierung", an deren Spitze jetzt der bereits im Ruhestand lebende Erzbischof Alexej Dorodnizyn stand und die sich "Rada" nannte. Es begann eine Umbildung und Umgestaltung des gesamten kirchlichen Lebens. In alle Diözesanverwaltungen wurden ukrainische "Kommissare" abkommandiert. Anstelle des Patriarchen Tichon, den man aus den kirchlichen Fürbitten gestrichen hatte, wurde für die "Rada" gebetet. An die Adresse des Metropoliten Wladimir hagelte es Schmähreden und Beleidigungen; während er in Moskau an dem Allrussischen Kirchenkonzil teilnahm, erwog man Wege und Mittel, ihn an der Rückkehr nach Kiew zu hindern. Es wurden aber auch immer mehr Gegenstimmen laut, die scharf gegen das eigenmächtige, antikanonische Treiben der "Rada" protestierten und das Entstehen einer selbstständigen (autokephalen) ukrainischen Kirche verurteilten. Als der siebzigjährige Metropolit Wladimir nach Kiew zurückkam, begann gegen ihn eine Hetzkampagne schlimmster Art; es hagelte von Neuem Drohungen und Verhöhnungen. "Am 14.12.1917" - so lesen wir in einer Niederschrift, die vom Metropoliten Wladimir und seinem Sekretär A.Lewkow verfaßt und unterschrieben wurde, "erschien bei mir eine Kommission, die aus Priestern und Diakonen bestand (deren Namen waren in der Niederschrift einzeln aufgeführt) und von einem Priester namens Maritschew angeführt wurde. Er behauptete von sich Vorsitzender der ukrainischen Rada zu sein. Die Kommission teilte mir mit, daß die Rada die Absetzung des Bischofs Nikodim und die Einsetzung ganz neuer Mitglieder ins Konsistorium verlange. Auch ich wurde ersucht, Kiew zu verlassen. Ich bat, mir diesbezüglich eine schriftliche Anweisung zukommen zu lassen und beauftragte meinen Sekretär, sie sogleich aufzusetzen. Die Anwesenden bat ich, das Papier zu unterschreiben, doch alle weigerten sich, das zu tun."


Gegen Mitternacht drang in die Wohnung des Metropoliten der von einem Militär begleitete Rada-Priester Fomenko und bot ihm unerwartet den Rang des Patriarchen der unabhängigen ukrainischen Kirche an. Der Metropolit gab seiner Verwunderung Ausdruck: Soeben erst bestand man doch auf seiner Abreise aus Kiew? Im nächsten Augenblick schon forderten die nächtlichen Eindringlinge etwas ganz anderes: Die Aushändigung von 100.000 Rubeln aus der Kirchenkasse.
Als der Metropolit erklärte, daß das Geld nicht ihm, sondern seiner Diözese gehöre, nahmen die zwei Besucher eine so drohende Haltung ein, daß es dem Hierarchen nur mit Mühe gelang, Mönche herbeizurufen, denen er den Auftrag gab, die ungebetenen Gäste hinauszuführen. Diese widersetzten sich der Aufforderung, den Raum zu verlassen, und randalierten noch anderthalb Stunden, indem sie allerhand Unfug trieben.
Über die seelische Verfassung Wladimirs in jenen Tagen berichtet ein Augenzeuge, der Leutnant Krawtschenko: "Ich fürchte mich vor niemandem, sagte mir der Metropolit, - und bin jeden Augenblick bereit, mein Leben für die Kirche zu lassen, um sie nicht ihren Feinden preiszugeben. Ich werde alles auf mich nehmen, damit die hl.Orthodoxie an jenem Ort, wo sie begonnen hat, auch weiter besteht." Hier begann er bitterlich zu weinen."
Zu diesem Zeitpunkt hatte der Erzbischof Alexej (Dorodnizyn) seinen Einzug in das Höhlenkloster schon vollzogen und begann mit allen Mitteln die ukrainischen Mönche gegen Wladimir aufzuwiegeln: seine Hoffnung, diesen in seinem Rang abzulösen, schien ihm in greifbare Nähe gerückt. Im blutigen Dunst der Revolution reifte allerorts das Bestreben, die Kirche zu spalten; Wladimir wurde innerhalb der Klostermauern auf jede Weise schikaniert und terrorisiert, in den kleinen Dingen des Alltags "fertiggemacht". Seine Lage wurde immer unerträglicher, das Gefühl, in einer belagerten Festung zu leben, immer qualvoller. Seine Ehrlichkeit verbot ihm, in Alexej etwas anderes, als einen Rebellen und Aufwiegler, dazu noch einen Verbrecher gegen die kanonische Ordnung der Kirche zu sehen; sein Gewissen befahl ihm, auch vor dem Angesicht des Todes auf seinem Posten auszuharren. Daß er durch eine lasche Haltung diesem Tode entrinnen könnte, war klar; doch bevorzugte er die andere Lösung.
Anfang Januar 1918 begann in Kiew der Bürgerkrieg. Das rote Banner der bolschewistischen Revolution brachte, wie immer und überall, ein unvorstellbares Blutbad mit sich. Die Kirchen und Heiligtümer der altehrwürdigen Stadt wurden demoliert und verwüstet. Vom 15.Januar an wurde die Lawra unter Artilleriebeschuß genommen, da man in ihren Mauern Militär vermutete, was jedoch keineswegs den Tatsachen entsprach. Schon die Nacht zu diesem 15. bildete den Auftakt zu dem, was folgen sollte: Vier bewaffnete Männer und eine Frau in Schwesterntracht verschafften sich Zugang zu den Klosterräumen, aßen, tranken und ließen alles, was auf ihrem Wege lag, mitgehen. Am darauffolgenden Tag eroberten die roten Horden die Lawra, drangen in Mützen und mit brennenden Zigaretten in den Zähnen in die Gotteshäuser, verhöhnten die Ikonen und verwüsteten die Altarräume. Während  die Mönche bei klirrendem Frost bis auf die Haut ausgezogen und ausgepeitscht wurden, gingen im Inneren des Klosters die Raubzüge vor sich.
Während die Lawra noch unter schwerem Beschuß stand und auch danach, betete und zelebrierte Metropolit Wladimir sowohl in seinen Gemächern, als auch in der Hauptkirche und der St.Michaelskirche des Klosters. Seine letzte Liturgie vollzog er am Sonntag, dem 21. Januar. Am 24. betete er die große Litanei (Akaphistos) des Heimgangs der Mutter Gottes. Diese letzten Gottesdienste zeichneten sich durch große Gebetsinbrunst und Innigkeit aus. Währenddessen aßen, tranken und gröhlten im Kloster die roten Haufen, wobei sie sich im Essen sehr anspruchsvoll und wählerisch zeigten. Nach den Mahlzeiten inspizierten sie das Geraubte, schütteten auf die  Tische Altargeräte, Münzen und Uhren aus. "An diesem besonderen Ort wollen wir etwas ganz Besonderes anstellen" lautete die allgemeine Resolution. Am Abend des 25. erkundigten sie sich nach dem Verbleib des Metropoliten und begannen die - vor allem jüngeren - Mönche auszufragen, ob sie mit ihrem Leben zufrieden seien, ob ihnen etwas fehle, ob sie über nichts zu klagen hätten. Die vom Erzbischof Alexej aufgehetzten Novizen gaben zur Antwort, daß das Volk genug Geld ins Kloster  trage, daß aber "der da oben" alles für sich behalte. Dabei wiesen sie in Richtung von Wladimirs Gemächern. "Warum bildet ihr denn keine Komitees? Heute gibt es überall Ausschüsse, die die Interessen der Unterjochten wahrnehmen."     "Hier versteht man nur Millionen zusammenzuraffen", sagte ein betrunkener Matrose, "und was hütet ihr in euren berühmten Höhlen? Wohl Staub und Dreck? Wartet nur, wir werden die Särge öffnen und wenn wir dort nichts als Sägespäne finden, werden wir euch allen die Hälse umdrehen".
Um  halbsieben Uhr abends desselben Tages klingelten fünf Männer in Soldatenmänteln an der Tür zu den Gemächern des Metropoliten. Der Matrose war wieder dabei."Wir müssen ihn dringend sprechen, da die Mönche sich darüber beklagen, daß ihnen die Bildung von Ausschüssen untersagt ist." Während die Soldaten mit dem Metropoliten sprachen, stand vor der Tür eine Wache. Dann wurde der Hierarch ins obere Stockwerk geführt. "Sie wollen mich erschießen" sagte er im Vorbeigehen zum Bischof Fjodor und dem Erzabt Ambrosius, die verschüchtert dastanden. "Wer will dich denn erschießen?" erwiderte der Matrose, "mach, daß du vorwärts kommst."
Als der Treppenabsatz des oberen Stockwerks erreicht war, wandte sich Metropolit Wladimir zu seinen Mördern: "Meine Herren, erschießt mich hier, ich möchte nicht weitergehen." "Wer will dich erschießen?" wiederholte der Matrose, -  "vorwärts!"
In seinem Schlafzimmer wurde er ausgezogen, verhöhnt und gefoltert. Später fand man seine persönlichen Sachen über den ganzen Raum verstreut, darunter sein Kreuz, eine kleine Ikone, die er auf der Brust trug, sowie zwei zerrissene Halsketten. Dann kamen alle heraus. Der Metropolit trug eine Sutane und die weiße Mitra. Ein alter Mönch bat um seinen Segen, doch wurde er brutal weggestoßen: "Genug der Liebedienerei vor den Blutsaugern." Wladimir ging aber auf den Greis zu, küßte ihn, erteilte ihm den Segen und sagte: "Leb wohl, Philipp." Sein Gesicht war naß vor Tränen. Beim Verlassen der Klostermauern stimmte er eine liturgische Karfreitagshymne an. Draußen wartete ein Auto, in das alle einstiegen. Als das Auto nach knapp einem Kilometer auf einer kleinen Waldlichtung hielt, bat der Metropolit, ihn noch ein Gebet sprechen zu lassen. "Ja, aber mach´s schnell." Der Hierarch erhob die Arme zum Himmel und sprach: "Herr, vergib mir meine Schuld! Herr nimm meinen Geist in Frieden auf." An seine Peiniger und Mörder gewandt, vollzog er über ihnen das Zeichen des Kreuzes und sagte: "Herr, vergib ihnen so, wie ich ihnen von Herzen vergebe."
Dann folgten die Schüsse.
Auf dem Hof der Lawra hatten auf sie sowohl die Mönche, als auch die Soldateska in Totenstille gewartet. "Es sind zu viele Schüsse", sagte ein Mönch, "so erschießt man doch nicht einen Menschen." Ein Matrose fragte naiv: "Ja, hat man ihn denn schon abgeführt?" Dann lief ein Dutzend Soldaten fort; sie kamen nach einer knappen halben Stunde wieder: "Ja, der liegt dort." Und zu den Mönchen gewandt: "Dasselbe erwartet euch alle."
Doch die Nacht verlief ruhig. Das Unfaßbare war: Das Kloster schlief fest und ruhig, während der Herr und Vater der großen Lawra in einem Kilometer  Entfernung in seiner Blutlache lag. Das bischöfliche Marien-Medaillon (liturgische Panagia) und das Kreuz von der Mitra fehlten, Strümpfe und Schuhwerk hatte man dem Leichnam ausgezogen. Die nachfolgende medizinische Untersuchung ergab ein wahrhaftig grauenvolles Bild: Der Körper des zu Tode gemarterten Greises wies eine Schußwunde dicht an der rechten Augenhöhle auf und eine tiefe Hiebwunde am Kopf; eine Stichwunde hinter dem rechten Ohr und vier Wunden derselben Art im Gesicht. Ferner zwei Schußwunden im Bereich des rechten Schlüsselbeins und eine Reißwunde, die die ganze Brust aufgerissen und bloßgelegt hatte. Dazu kamen eine Stichwunde im Rücken und zwei am Halse, nahe der Brust.
Um 9 Uhr morgens erteilten die bolschewistischen Organe die Genehmigung, den Leichnam in die Lawra zu überführen. Das übernahm ein Erzabt in Begleitung von vier Sanitätern. Ihnen folgte ein Haufen Soldaten. In der Waldlichtung hielt der Geistliche eine kurze Totenandacht, dann wurde die sterbliche Hülle des Metropoliten auf eine Tragbahre gehoben. Zuvor aber beschimpfte die rote Soldateska den Toten und höhnte: "Wollt ihr ihn wirklich begraben? Vielleicht auch noch als Reliquie verehren? In den Straßengraben mit ihm!"
Auf dem kurzen Wege zum Kloster umringte eine Schar weinender Frauen die Tragbahre: "Märtyrer Gottes! Möge dir der Herr die ewige Ruhe in Seinem Reiche geben! " Darauf schrien die Soldaten: "Nein, im untersten Stockwerk der Hölle, wo er hingehört."
In Moskau tagte noch das Große Allrussische Kirchenkonzil. Zwecks eingehender Untersuchung des Tatbestandes der Ermordung des Metropoliten Wladimir wurde eine Kommission unter der Leitung des Erzbischofs Kyrill von Tambow gebildet, doch kam sie nicht mehr zum Einsatz, da die politischen Ereignisse sich überstürzten und Kiew von Moskau abgeschnitten wurde.

In der Geschichte der Russisch-Orthodoxen Kirche war Metropolit Wladimir der einzige Hierarch, der nacheinander alle drei Metropoliten-Sitze - Moskau, St.Petersburg und Kiew - eingenommen und diese höchsten Ämter mit dem Dornenkranz des Martyriums gekrönt hat. Er und der junge Metropolit Benjamin von Petersburg eröffneten die lange Reihe der russischen Neu-Märtyrer und damit ein Ruhmeskapitel der Russischen Kirche.