Der Hl. Johannes Chrysostomus über den Römerbrief 13,1-5

Es ist einfach, das Thema, das unter der Rubrik “Kirche und Staat” erscheint, als “politisch” einzustufen, und somit - wie manche denken - als nicht rein kirchlich. Aber, wenn wir die Kirchenväter aufmerksam lesen (in dieser Nummer des “Boten” wenden wir uns dem großen Kirchenvater Johannes Chrysostomus zu), wie anders sieht dann diese Frage aus! Befreit von den Netzen der Entkirchlichung sieht die Seele plötzlich: hier geht es um die tiefste geistliche und ethische Entscheidung, nämlich darum: was ist die Kirche als Reich Gottes?
Der Erwerb dieser Befreiung, die Annahme des Reiches Gottes und somit der Kirche Christi war schon immer schwierig; das gilt für die Apostel und alle Zeitgenossen Christi wie für die Zeitgenossen der Apostel und später der Kirchenväter; auch vor 70 Jahren ging es - wie heute - immer um dasselbe, um das Allerwertvollste: die wahre Kirche und - in ihr - das Heil der Seele, die so leicht dem Verderben anheimfallen kann. Nicht zufällig spricht der Hl. Johannes Chrysostomus von den Wegen der Vereinigung des Himmels mit der Erde (s. unten)! Und unser Herr, der in den letzten Stunden seines irdischen Lebens als Angeklagter vor Pilatus steht, bricht doch nicht zufällig sein Schweigen, um zu sprechen - wovon doch? - genau über das! Also geht es um das Herz des Evangeliums... Red.

“Jedermann ordne sich der obrigkeitlichen Gewalt unter; denn es gibt keine Gewalt, die nicht von Gott ist. Die bestehenden (Gewalten) sind von Gott angeordnet. Wer sich daher der Gewalt widersetzt, widersetzt sich der Anordnung Gottes; die sich aber widersetzen, ziehen sich selbst das Gericht zu. Nicht das gute Werk hat Grund, die Obrigkeit zu fürchten, sondern nur das böse. Du willst die Gewalt nicht fürchten müssen? Dann tue, was recht ist, und du wirst von ihr Lob erhalten. Denn sie ist für dich Gottes Dienerin für das Gute. Wenn du aber Böses tust, so fürchte, denn nicht umsonst trägt sie das Schwert. Ist sie doch Dienerin Gottes, Rächerin zu Zorn für den, der Böses tut. Darum ist es geboten, sich zu unterwerfen, nicht nur um des Zornes, sondern auch um des Gewissens willen” (Röm. 13, 1-5).
Der Hl. Johannes Chrysostomus (†407 n.Chr.) beseitigt den so häufigen Mißbrauch des Wortes “keine Gewalt, die nicht von Gott ist”, und erklärt: “Wie das? Ist denn jeder Vorgesetzte von Gott eingesetzt? Das sage ich nicht, antwortet der Apostel. Ich spreche jetzt nicht von einem jeden einzelnen Vorgesetzten, sondern von der obrigkeitlichen Gewalt selbst. Die Existenz der Obrigkeiten, so daß die einen vorgesetzt sind, die andern aber untergeordnet, sowie der Umstand, daß all dies nicht zufällig und willkürlich geschieht, sodaß die Völker hin- und herjagen würden wie die Wellen - all das nenn’ ich ein Werk der göttlichen Weisheit. Deshalb sagte der Apostel auch nicht, daß es keinen Vorgesetzten gäbe, der nicht von Gott wäre, sondern er diskutiert das Wesen der Macht im allgemeinen und sagt: “es gibt keine Gewalt, die nicht von Gott ist. Die bestehenden (Gewalten) sind von Gott angeordnet”. Genauso spricht der Weise (Salomo): “vom Herrn wird die Frau dem Manne anverbunden” (Spr. 19, 14) und meint damit, daß die Ehe von Gott angeordnet ist, nicht aber, daß Gott einen jeden, der eine Ehe schließt, anverbindet, denn wir sehen ja, daß viele mit schlechten Absichten Ehen schließen und nicht dem Gebot der Ehe nach, dies aber können wir selbstverständlich keineswegs Gott als Schuld anlasten...” (aus d. Russ. nach der 12-bändigen Ausgabe SPB 1898-1906, Bd. 9, S. 774-775).
Selbstverständlich lehrte der Hl. Johannes Chrysostomus nicht die “Theologie der Revolution”. Er unterstreicht die rechte Pflichterfüllung, wider die Anarchie und das Chaos, und zeigt auf, daß ein Vorgesetzter, der die Tugend schützt, indem er Böses straft und Gutes fördert, durchaus ein Diener Gottes sein kann, sogar ohne es selbst zu wissen. “Sage mir nicht, daß manch einer seine Macht zum Bösen gebraucht, sondern achte auf die Wohlordnung des Ganzen und du wirst die große Weisheit dessen erkennen, der dies prinzipiell zum Gesetz werden ließ... Wenn der Apostel dies als Gesetz niederlegte, als die Vorgesetzten Heiden waren, umso mehr gilt das jetzt, da wir Gläubige als Vorgesetzte haben” (ibid. S. 778). Auf diese Weise sind die feinen ethischen Linien der Unterscheidung gezogen für den Bereich des Personalen ebenso wie für die innere Zweckbestimmung der Macht als einer Einrichtung: “die Einrichtung der Macht ist ein Werk Gottes; die Tatsache aber, daß lasterhafte Menschen zu ihr zugelassen werden und sie nicht so verwenden, wie es gebührt, hängt von der Verderbtheit der Menschen ab” (Bd. 5, S. 551).
Der Gehorsam des Christen richtet sich auf Christus-Gott. Deshalb ist er dem Vorgesetzten, wenn dieser auch fehlerhaft oder lasterhaft ist, zum Gehorsam verpflichtet in all dem, worin dieser nicht seine Lasterhaftigkeit auf den Christen auszudehnen versucht. Der Christ ist aufgerufen Unrecht in Geduld zu tragen, aber keineswegs kann er selbst daran teilnehmen. Eine solche Mitbeteiligung ist eine Sünde, die nicht der Selbstrechtfertigungen bedarf, sondern einer tiefen reinigenden Umkehr. Aus demselben Gehorsam zu Christus ist der Christ nicht zum Gehorsam gegenüber einer obrigkeitlichen Gewalt verpflichtet, die Gott und die Tugend antastet. Hier wird er den Weg einer Verwerfung jeglicher Form des Götzendienstes (d.h. wo das Geschöpfliche höher gesetzt wird als der Schöpfer, u.a. im weltlichen Denken oder der Menschengefälligkeit) beschreiten. Für eine Predigt des Friedensschlusses mit dem Bösen, was auch für die Verzerrung des Prinzips der Macht gilt, gibt es in der Heiligen Schrift wie bei den Hl. Vätern keinen Platz.
Vermeintlichen “Friedensstiftern” dieser Art steht die Auslegung der Worte Christi durch den Hl. Johannes entgegen: “Meinet nicht, Ich sei gekommen, Friede auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen Frieden zu bringen, sondern das Schwert (Mt. 10, 34). Der Kirchenvater sagt hierzu: “... insbesondere tritt Frieden dann ein, wenn das, was von der Krankheit angesteckt ist, abgeschlagen und wenn das feindliche abgetrennt wird. Nur auf diese Weise kann der Himmel sich mit der Erde vereinen. Der Arzt rettet ja auch die übrigen Teile des Leibes, indem er den unheilbaren Teil abschneidet; ebenso stellt der Kriegsherr die Ruhe wieder her, indem er die Übereinstimmung der Verschwörer sprengt. Genauso war es beim Turmbau zu Babel: eine schlechte Eintracht wurde zerstört durch eine gute Uneinigkeit, - und Frieden war hergestellt. So säte auch Paulus die Spaltung unter die, die sich gegen ihn verbündet hatten (Apg. 23, 6). Die Übereinkunft gegen Nabot war schlimmer als jeder Krieg (1. Kön. 21). Einmütigkeit ist keineswegs immer gut: auch Räuber verstehen sich untereinander. So war auch dieser Unfriede nicht die Folge des Gebotes Christi, sondern ein Werk des menschlichen Willens... Und es sind ja nicht nur die Freunde und Mitbürger, sagt Er, die gegeneinander aufstehen werden, sondern selbst Verwandte, und unter Menschen eines Blutes wird Zwietracht sein. “Denn Ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit der Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter” - das heißt, es wird nicht einfach Auseinandersetzung unter Hausgenossen sein, sondern sogar unter denen, die mit aufrichtigster Liebe und engsten Banden untereinander verbunden sind... Und obwohl Christus nicht die Ursache dessen ist, sondern die menschliche Bosheit, sagt Er dennoch, daß Er Selbst es bewirkt. Solch eine Ausdrucksweise eignet der Schrift. An einer anderen Stelle heißt es: Gott gab ihnen Augen, damit sie nicht sehen (Jes. 6, 9; Ez 12, 2). So spricht Christus auch hier, damit, wie ich oben bereits sagte, die Jünger später - an diese Sprechweise gewöhnt - inmitten der Erniedrigungen und Beleidigungen nicht mehr bestürzt sind... Und indem Er all dies sagt, zeigt Er, was für eine starke und feurige Liebe Er verlangt. Da Er uns sehr liebt, will Er, daß auch wir Ihn gleichermaßen lieben. Solche Worte aber stärkten die Apostel und erhoben ihren Geist. Wenn sogar eure Schüler, sagt Er, ihre Verwandten, Kinder und Eltern verlassen werden, wie müßt erst ihr sein - ihre Lehrer! Die Beschriebenen Nöte werden ja nicht mit euch aufhören, auch auf die anderen werden sie übergehen. Da Ich gekommen bin, große Güter zu schenken, fordere Ich auch großen Gehorsam und Eifer” (ibid., Bd. 7, 384-386).
Was die obrigkeitliche Macht anbetrifft, so zeigt sich hier das Prinzip noch deutlicher anhand der Frage nach der elterlichen Macht : “Wenn aber Paulus vieles bezüglich der Eltern gebietet und bestimmt, ihnen in allem zu gehorchen - wundere dich nicht darüber! Das gilt nur für das, was der Gottesfurcht nicht entgegensteht. Es ist eine heilige Sache, Ihnen jegliche andere Ehre darzubringen. Wenn sie aber mehr fordern als ihnen gebührt, dann soll man sich ihnen nicht unterordnen” (ibid. S. 386). Der Hl. Johannes Chrysostomus unterstreicht: “Er hat nicht einfach gesagt, daß man zu sterben bereit sein soll, sondern daß man bereit sein soll, einen gewaltsamen Tod zu erleiden, und nicht nur einen gewaltsamen, sondern auch einen erniedrigenden, schimpflichen Tod... “Wer sein Leben gefunden hat, der wird es verlieren, und wer sein Leben verliert um Meinetwillen, der wird es finden” (Mt. 10, 39). Siehst du wohl, wie schädlich es ist, seine eigene Seele mehr zu lieben als es gebührt, und wie nützlich es ist, sie zu mißachten? Da aber die Forderungen Christi schwer waren, insofern als Er ihnen gebot aufzustehen gegen die Eltern und Kinder, gegen die natürlichen Bindungen und Blutsbande, gegen die ganze Welt und selbst gegen die eigene Seele, - daher verspricht Er ihnen dafür auch den größten Lohn. All das, sagt Er, wird nicht nur keinen Schaden zufügen, sondern sogar noch den größten Nutzen bringen; was dem entgegensteht aber, das wird Verderben bringen” (ibid. 387).
Es gibt noch eine Stelle im Evangelium, anhand derer das ethische Urteil bezüglich der obrigkeitlichen Gewalt besonders deutlich wird. Das ist der Moment, als der göttliche Gesetzgeber Selbst vor Pilatus steht, der Ihn richtet. Hier offenbart Christus, in welchem Sinne es “keine Gewalt gibt, die nicht von Gott ist”, und wie niemand und nichts den Menschen (auch einen Nichtchristen) befreien kann von der ethischen Verantwortung vor Gott. Der Kirchenvater schreibt darüber: “... da Er schwieg, sagte Pilatus: “Weißt Du nicht, daß ich Macht habe, Dich freizugeben, und Macht habe, Dich zu kreuzigen?” (Jo. 19, 10). Siehst du, wie er sich selbst schon im voraus verurteilt hat? Tatsächlich, wenn alles von dir abhängt, warum läßt du Ihn dann nicht frei, da du doch keinerlei Schuld an Ihm findest? Als Pilatus in dieser Weise den Schuldspruch wider sich selbst ausgesprochen hat, da sagt Jesus: “der Mich dir auslieferte, hat größere Schuld” (11), und zeigt so, daß auch Pilatus ebenso der Sünde schuldig befunden ist. Um aber seinen Hochmut und Stolz niederzustrecken, sagt Er: “Du hast keinerlei Macht über Mich, es sei denn, sie ist dir gegeben” (11) - womit Er deutlich macht, daß all dies nicht zufällig geschieht und nicht nach der gewohnten Ordnung, sondern auf das Mysterium bezogen. Damit Pilatus aber beim Hören der Worte “es sei denn, sie ist dir gegeben” nicht meine, er sei frei von jeder Schuld, - fügte Er hinzu: “der Mich dir auslieferte, hat größere Schuld”. Wenn es ihm aber doch “gegeben war”, dann ist doch offensichtlich, daß weder er (Pilatus) noch sie (die Juden) angeklagt werden können!? Vergeblich sagst du das. Der Ausdruck “gegeben” bedeutet hier - zugelassen. Christus sagte gewissermaßen so: (Gott) ließ es zu; doch deshalb seid ihr diesem Verbrechen nicht fremd” (ibid., Bd. 8, S. 568-569).
Die inneren Wendepunkte der unauflöslichen ethischen Verantwortung, der Pflicht zum Vorgesetzten und zu Gott, sind also klar gezeichnet. Demgemäß ist auch die ganzheitliche Lehre der Kirchenväter und das Leben der Heiligen. Auch das Leben des Hl. Johannes Chrysostomus, der es mit den Worten “Ehre sei Gott für alles!” in ferner Verbannung vollendete, legt dafür Zeugnis ab; hatte er doch seinerzeit, als die Kaiserin Eudoxia einstmals von ihm forderte: “Höre auf, dich uns zu widersetzen und mische dich nicht in unsere königlichen Angelegenheiten ein, denn wir mischen uns auch nicht in die kirchlichen Angelegenheiten, sondern überlassen es dir, sie selbst zu ordnen...” - längst so geantwortet:
“Die Kaiserin wünscht, daß ich gleich einem Toten sein soll, der die geschehenen Ungerechtigkeiten nicht bemerkt, die Stimme der Erniedrigten, Weinenden und Seufzenden nicht hört, die Sünder nicht entlarvt; aber da ich Bischof bin und mir die Sorge um die Seelen anvertraut ist, muß ich auf alles mit wachsamem Auge blicken, die Bitten aller anhören, unterweisen und auf Vergehen hinweisen. So weiß ich doch, wenn ich die Freveltaten nicht aufdecken und die Frevler nicht bestrafen werde, daß ich mich selbst der Bestrafung schuldig mache, und daher zittere ich, daß die Worte des Propheten Hosea nicht etwa mir gelten: “es verdeckten die Opferpriester den Weg des Herrn” (“die Priester verdeckten den Weg des Herrn”, lautet die Stelle im griech. und kirchenslaw. Bibeltext, Hos. 6,9). Denn der göttliche Apostel gebietet, einen Sünder vor allen bloßzustellen, damit andere Angst bekommen sollten... Ich decke den Frevel auf, aber die Frevler stelle ich nicht bloß; keinem habe ich seine Gesetzlosigkeit ins Gesicht gesagt, keinen habe ich namentlich mit Schimpf belegt und niemals erwähnte ich in den Predigten den Namen der Kaiserin, um sie zu entlarven.... Wenn jemand von den Zuhörern sich durch meine Belehrungen im Gewissen getroffen fühlt wegen der von ihm begangenen üblen Taten, dann möge er sich nicht über mich erzürnen, sondern über sich selber, und vom Bösen ablassen und das Gute tun... So soll die Kaiserin sich ruhig ärgern wie sie will, ich höre nicht auf, die Wahrheit zu sagen. Lieber erzürne ich doch die Menschen als Gott: ‘Wenn ich noch Menschen gefällig sein wollte, wäre ich nicht Christi Knecht’. (Hl. Apostel Paulus im Schreiben an die Galater 1,10”. Heiligenvita, 13. November).
Der ethischen Umnachtung, die Rußland in der Revolution ergriff, widersetzten sich die Neumärtyrer-Hierarchen und zahllose Gläubige mit dem Klerus. Sie widersetzten sich auch der kirchlichen Administration des Metropoliten Sergius; schließlich lag dem “Sergianismus” dieselbe Verwischung der ethischen Linien zugrunde.
Demgegenüber trieb die Rechtfertigung der “sergianischen” Kirchenadministration ihre Nachfolger und Verteidiger voran auf den Wegen der entkirchlichten Denkweise: aufgrund der besagten Worte des Apostels sei der orthodoxe Christ “nicht nur um des Zornes, sondern auch um des Gewissens willen” verpflichtet, sich der obrigkeitlichen Gewalt zu unterwerfen, und zwar prinzipiell und in “jedwedem Staat”. Ausdrücklich eingeschlossen wird das gottlos-antichristliche Regime, das angeblich den Geist der Kirche nicht antastete (Sendschreiben des Bischofskonzils des Moskauer Patriarchats, 25-27. Oktober 1990). Angetastet wurde hierdurch jedoch die Heilige Schrift, und zwar im Namen eines Konzils. Jeder dieser Bischöfe hatte bei seiner Einsetzung kirchlich geschworen, die Bibel in Übereinstimmung mit den Heiligen Vätern zu deuten, - doch nicht einer zog bislang zurück, nicht einer entlarvte die Irrlehre, die hier im Namen des Episkopats von den Kanzeln und in der kirchlichen wie der weltlichen Presse verkündet wurde!
Was diese Verschiebung der Begriffe, des geistlichen Sinnes bedeutet, sollte jedem klar sein. So werden im Gewissen und in den Herzen der Gläubigen die ethischen Grenzen der Unterscheidung verwischt, die uns die Deutung der Schrift durch die Kirchenväter lehrt. Wir wissen: die Kirche preist in ihren Gesängen die Märtyrer selig dafür, daß sie “dem Schwert ihre Nacken neigten”. Strafte das Schwert der obrigkeitlichen Gewalten sie etwa dafür, daß sie Böses taten? nicht etwa dafür, daß sie, um des Gewissens willen ungeachtet des Zornes, dem Geist der Lüge und der Gottlosigkeit widerstanden? Gefühllosigkeit gegenüber einer Deutung der Schrift durch das eigene Leben wird durch diese Irrlehre gelehrt, die den Menschen nahelegt, die Heiligen mit dem Munde zu loben, ihre wahre innere Kraft aber zu verleugnen (2. Tim 3, 5).
Maßlos tragisch ist es zudem, daß diese Irrlehre im Namen der Russischen Kirche verkündet wurde. Man sollte daran jedoch begreifen, mit welcher Unentrinnbarkeit sich eine solche geistliche Entscheidung auswirkt: die einst getroffene Wahl offenbart sich jetzt in der Bereitschaft, den Heiligen Vätern und selbst Christus den Mund zu verschließen. Welcher orthodoxer Christ kann annehmen, daß dies durch “die Fülle der Russischen Kirche” geschehen sei?
Vielmehr sehen wir hieran: die einstmalige Verleumdung der christlichen Brüder sowohl in den Katakomben (die vom Stalin-Regime der Ausrottung anheimgegeben wurden) als auch derer im Ausland (gegen sie richtete sich ja das “Sendschreiben”), führte klar erkenntlich zum Übergriff wider die Kirchenlehre und die Bibel. Die Tatsache, daß diese Handlung auch noch der “Fülle der Russischen Kirche” zugeschrieben wird (die die Autoren des “Sendschreibens” für sich beanspruchen), erweist sich als eine Verleumdung der Russischen Kirche durch den Mißbrauch ihres Namens.
Zutreffend ist, daß das russische orthodoxe Kirchenvolk von der so getroffenen Wahl schier erdrückt wird. Dies ist eine geistliche Wunde. Es gilt, den umfassenden Sinn dieses Wortes zu verstehen. Ungeheilt - verströmt sie insgeheim ihre Gifte. Sie entkräftet uns in den schwierigen Beziehungen zum Staat und zur Gesellschaft im heutigen Rußland; verhindert eine echte Wiedergeburt der Kirchlichkeit; verschließt vielen Suchenden die Türen zum Heil, trägt bei zum Erfolg anderer Irrlehren, die massiv in Rußland eindringen...
All das ist, natürlich, von Gott zugelassen. Aber wenn wir uns vom Geist der Selbstrechtfertigungen und Halbwahrheiten verlocken lassen - die ja umso gefährlicher und verlogener sind, je mehr sie der Wahrheit ähneln -, dann sind auch wir “diesem Verbrechen nicht fremd”.
Schmerzerfüllt schauen auf uns die Augen der Neumärtyrer, und sie werden es tun, solange wir nicht mit ganzem Herzen die Wahl annehmen, die sie getroffen haben. Sie sind die Herrlichkeit der Russischen Kirche - und unsere Heilung. Wir sollen daher nicht fürchten, die Dinge beim Namen zu nennen.

Heilige Neumärtyrer Rußlands, bittet Gott für uns!
N.A.