Des heiligen Antonius des Großen Weisungen über die menschlichen Sitten und den guten Lebenswandel

101.Eine unvernünftige Seele wird, obwohl  sie der Natur nach unsterblich und die Gebieterin des Körpers ist, wird durch sinnliche Lüste zu einer Dienerin des Körpers, denn sie versteht nicht, daß der Genuß des Körpers der Seele Schaden ist. Sie aber, die von Stumpfheit und Torheit umfangen ist, trachtet nach dem Genuß des Körpers.
102.Gott ist gut, der Mensch ist schlecht. Im Himmel ist nichts Schlechtes und auf der Erde ist nichts wahres Gutes. Der vernünftige Mensch erwählt das Bessere, er erkennt den Gott des Alls und dankt Ihm und besingt Ihn; den Körper aber verabscheut er mehr als den Tod, und seine üblen Begierden läßt er nicht zur Erfüllung gelangen, weil er ihre Verderblichkeit und schlechte Wirkung kennt.
103.Der schlechte Mann liebt die Besitzvermehrung, die Gerechtigkeit aber verachtet er; weder bedenkt er die Unverläßlichkeit, Unbeständigkeit und Kurzweiligkeit des Lebens, noch behält er die Unbestechlichkeit und Unausweichlichkeit des Todes im Sinn. Wenn aber jemand auch im Alter schändlich und unverständig ist, so ist er wie ein faules Holz, das zu nichts taugt.
104.Vergnügen und Freude fühlen wir nachdem wir Not erfahren haben. Jener nämlich, der nicht dürstet, trinkt nicht gern; und derjenige, der nicht hungert, ißt nicht gern; derjenige, der nicht sehr müde ist, legt sich nicht gerne zur Ruhe, und derjenige, der vorher nicht betrübt war, empfindet keine Freude; so werden wir auch nicht von den ewigen Gütern genießen, wenn wir nicht die Kurzdauernden verachten.
105.Das Wort ist ein Diener des Verstandes; das nämlich, was der Verstand will, spricht das Wort aus.
106.Der Verstand sieht alles, auch das was im Himmel ist, und nichts verdunkelt ihn, es sei denn allein die Sünde; für den Reinen ist nichts unfaßbar, ebenso wie für sein Wort nichts unaussprechbar ist.
107.Gemäß dem Körper ist der Mensch sterblich, gemäß dem Verstand und dem Wort (= der Vernunft) ist er unsterblich. Schweigend denkst du - denkend sprichst du in dir. Im Schweigen nämlich gebiert der Verstand das Wort. Das dankbare Wort aber, das Gott dargebracht wird, ist die Rettung des Menschen.
108.Wer Sinnloses redet, hat keinen Verstand. Nichts verstehend nämlich spricht er. Aber prüfe, welches Tun dir zur Rettung der Seele nützlich ist.
109.Das vernünfige und seelennützliche Wort ist ein Geschenk Gottes. Dagegen ist das von Geschwätzigkeit erfüllte (unnütze) Wort, welches das Maß und den Abstand des Himmels und der Erde und die Größe der Sonne und der Sterne bestimmen will, eine Erfindung des Menschen, der sich eitel (umsonst) müht. Er sucht nämlich das nichts Nützende und prahlt (brüstet sich) ohne Grund, wie einer, der mit einem Sieb Wasser schöpfen will, denn, dieses zu finden, ist den Menschen nicht möglich.
110.Niemand sieht den Himmel und kann das in ihm erkennen (?) außer ein Mensch, der um einen tugenhaften Lebenswandel eifert, und der Den, Der ihn (den Himmel) zum Heil und zum Leben des Menschen schuf, kennt und verherrlicht. Solch ein gottliebender Mann weiß nämlich sicher, daß ohne Gott nichts ist, sondern überall ist er und in allem, denn Gott ist unbegrenzt.  
    Fortsetzung folgt