Kommentare zu den Evangelien des Hl. Justin Teil 2 1993-1996

Bote 1993-1
Vater Justin
Kommentar zum Hl. Evangelium nach Matthäus

Die Erde ohne Sünde, Tod und Teufel, - das ist das Paradies, das ist die Seligkeit. Und eine solche Erde, ist sie nicht auch das menschliche Herz? Wenn der Mensch die Erde seines Herzens von allem Sündigen, Tödlichen und Teuflischen reinigt, siehe, da ist der Mensch bereits in die Seligkeit eingetreten, und hat die unsterbliche Erde geerbt. Und das menschliche Gewissen? Ist nicht auch dieses eine ganze Erde voll von Klüften und Bergen, von Ebenen und Tiefen? Ungereinigt stellt es die schlimmste Verfluchung dar. Und die Seele? Oh, das ist etwas unvergleichbar Höheres als die Erde; und das Universum selbst ist ihr gegenüber nur eine kleine Welt, denn sie ist die große Welt in dieser kleinen Welt und um diese kleine Welt.1 Und darin, welche Unendlichkeiten, welche Grenzenlosigkeiten, welche Tiefen und welche Höhen! Und was alles strömt aus ihr hervor, und zwar strömt es ständig: Gedanken, Wünsche und Werke. Und durch sie und mit ihnen: zahllose Sünden, zahllose Tode. Und in ihnen - die furchtbare Verfluchung. Und wenn in den gott-menschlichen Tugenden unsere Seele von allem Sündigen, Tödlichen und Teuflischen gereinigt wird, dann ist es eine Seligkeit, eine unaussprechbare Seligkeit, über ihren Welten zu herrschen. Daher sagte auch der göttliche Heiland, daß die menschliche Seele mehr wert ist, als das gesamte sichtbare Universum, und daß der Mensch mit nichts seine Seele erkaufen kann, wenn er sie verspielt und erreichen kann, wenn er sie verdirbt. 
Nach dem dem hl. Gregor von Nyssa, stellen die Seligpreisungen des Heilands eine Leiter dar: von einer Stufe gehen sie auf die andere. Aber in dieser dritten Seligpreisung gibt es auf den ersten Blick etwas Ungewöhnliches. Wenn man die Folgerichtigkeit der Stufen betrachtet, kann jemand sagen, daß es unmöglich ist, nach dem Himmelreich die Erde zu erben. Im Gegenteil, wenn wir uns an die natürliche Abfolge der Dinge halten, dann wäre es folgerichtiger, zuerst die Erde zu erwähnen, und dann den Himmel, denn von der Erde steigt man zum Himmel empor. Aber wenn wir uns mit dem Geist auf die Höhe des Himmelsgewölbes erheben, dann werden wir dort die himmlische Erde finden, welche zum Erbe für jene bereitet ist, die in den Tugenden leben. So wird uns deutlich, daß es nichts Falsches in dieser Abfolge der Seligpreisungen gibt, in welcher zuerst der Himmel und dann die Erde erwähnt werden . Und daß der himmlische Teil als Erde bezeichnet wird, soll nicht verwundern, denn Gott-Logos läßt sich zu unserer Tiefe herab und wird zum Diener; aber Er hat sich überhaupt zu uns herabgelassen, weil wir nicht fähig waren, uns zu ihm zu erheben. Daher teilt er uns die göttlichen Mysterien auch mit Hilfe der uns bekannten Ausdrücke und Worte mit, welche gewöhnlich im menschlichen Leben gebraucht werden. Denn es wäre auch unmöglich, dem Menschen himmlische Güter unter ihren wahren Bezeichnungen zu eröffnen, da sie ja die menschlichen Gefühle und den menschlichen Verstand übersteigen2. Die Erde, von der in der dritten Seligpreisung gesprochen wird, ist jene Erde, welche der sanftmütige und gutmütige David im Auge hatte, als er, vom Heiligen Geiste geführt, sie schon besaß, und sprach: “Ich glaube, daß ich das Gute auf der Erde der Lebendigen sehen werde” (Ps 26,13). Denn der Prophet bezeichnete nicht als Erde der Lebenden die Erde, die alles Tödliche hervorbringt, und zu sich zurückführt und alles, was sie geboren hat, zerstört. Im Gegenteil, er kannte die Erde der Lebenden, auf welcher der Tod nicht geschritten ist, auf welcher der Weg der Sünder nicht vorgezeichnet ist, welche auf sich nicht die Spuren der Laster genommen hat, welche der Sämann des Unkrauts nicht mit dem Pflug des Bösen gepflügt hat, welcher nicht Unkraut und Dornen hervorbringt, auf welcher das Wasser der Ruhe und die Orte des Lichtes sind, und alles übrige, wovon uns in der von Gott beseelten Lehre der Heiligen Schrift auf rätselhafte Weise gesprochen wird3. Die Sanftmütigen werden ohne Zweifel jene Erde erben, fruchtbar mit wunderbaren Früchten und geschmückt vom Baum des Lebens, und überschwemmt von den Flüssen der geistlichen Gaben, auf welcher der wahre Weinstock wächst, deren Winzer der Vater unseres Herrn Jesus Christus selbst ist (Jh 15,1) 4.
Der selige Augustinus meint, daß die Erde, von welcher in der dritten Seligpreisung die Rede ist, jene Erde ist, von welcher im Psalm gesagt ist: “Herr, du bist meine Zuflucht, mein Teil auf der Erde der Lebenden” (Ps 142,5). Denn dies bedeutet eine gewisse Festigkeit und Beständigkeit des ewigen Erbes, wo die Seele mit Hilfe ihrer guten Einstellung ruht, sozusagen in ihrem angestammten Orte, wie der Körper in der Erde ruht und von welchem die Seele sich ernährt mit ihrer Nahrung, wie der Körper von der Erde: Das ist das Leben selbst und die Ruhe der Heiligen. Dabei sind die Sanftmütigen jene, die das Böse ertragen und sich dem Bösen nicht widersetzen, sondern das Böse durch das Gute besiegen (Röm 12,21). So sollen jene, welche nicht sanftmütig sind, sich streiten und um die irdischen und zeitweiligen Dinge kämpfen; aber “Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden die Erde erben”, von welcher sie nicht verjagt werden können5 
Bei der Erklärung der dritten Seligpreisung sagt der selige Theophylakt: Einige verstehen unter der Erde die geistige Erde, d.h. den Himmel. Aber man muß auch diese Erde verstehen. Da man die Sanftmütigen gewöhnlich als verachtet und bedeutungslos ansieht, sagt der Heiland eben, daß sie alles haben. Und die Sanftmütigen, das sind nicht jene, die sich nicht erzürnen (denn das sind solche, die des Verstandes ledig sind), sondern diejenigen, die Zorn besitzen, aber sich zurückhalten, und sich nur dann erzürnen wenn es notwendig ist6 .

Selig sind die, die nach Wahrheit hungern und dürsten, denn sie werden gesättigt werden.
Wiederum ist die Seligkeit in Qualen und zwar in furchtbaren Qualen, so wie sie von Hunger und Durst entstehen. Wieder geschieht mit den Menschen etwas Geheimnisvolles, etwas Göttliches, etwas Himmlisches. Hier führt der allbarmherzige Wundertäter durch des Menschen Seele sein viertes geistliches und seliges Wunder und setzt es zum Herrscher über all seinen Welten ein. Die Seligkeit, die dieses geistliche Wunder über das gesamte menschliche Wesen ergießt, bezeugt den Menschen in überzeugendster Weise, daß seine Seele die ewige Wahrheit besucht hat und in ihr Wohnung genommen hat.
Ein Hungriger kann sich nicht selbst ernähren, ein Durstiger sich nicht selbst tränken, denn sowohl der Hunger als auch der Durst sind etwas, das nur von etwas Äußerem besänftigt oder gelöscht werden kann. Welcher hungrige Mensch haut seinen Arm ab und ißt ihn, um damit seinen Hunger zu stillen? Und welcher durstige Mensch schlitzt seine Venen auf, um sein Blut zu trinken und damit seinen Durst zu löschen? Um seinen Hunger zu stillen und den Durst seines Körpers zu löschen, muß der Mensch Nahrung und Trank aus der ihn umgebenden Welt nehmen. Was für den Körper gilt, gilt auch für die Seele. Wenn sie hungrig und durstig ist, so kann sie sich nicht selbst ernähren und tränken, sondern sie muß von außen aufnehmen, und in der äußeren Welt sich Nahrung und Trank suchen.
Hunger und Durst der Seele können normal und unnormal sein. Abnormal ist der Hunger, und abnormal der Durst, wenn die Seele nach Sünde, Lust und Leidenschaft hungert und dürstet. Durch diesen Hunger und durch diesen Durst hungert und dürstet und sucht seine Nahrung und seinen Trank alles was im Menschen sündig und sterblich ist. Doch Sünde und Tod sind die einzige Abnormalität im menschlichen Wesen. Und da sie abnormal sind, kann dieser Hunger niemals gestillt werden und dieser Durst niemals gelöscht werden. Denn je mehr sich die Seele von Sünden und Leidenschaften nährt, desto hungriger wird sie; und je mehr sie sich von Gelüsten tränkt, umso durstiger wird sie. Das ist wie ein Mensch, der die Luft kaut, um seinen Hunger zu stillen oder der Salzwasser trinkt, um zu seinen Durst zu löschen. Das beste Beispiel dafür ist der verlorene Sohn: Er kann auf keine Weise seinen abnormalen Hunger stillen und seinen abnormalen Durst löschen, obwohl er sie ständig durch die Leidenschaften und Gelüste nährt und tränkt (Lk 15,16). Also stellen dieser Hunger und dieser Durst die Verfluchung des Menschen dar.
Normal ist der Hunger und normal der Durst, wenn die Seele nach der ewigen Wahrheit, der ewigen Liebe, der ewigen Güte, der ewigen Weisheit, der ewigen Freude, dem ewigen Leben, der ewigen Seligkeit hungert und dürstet; in einem Wort: nach der ewigen Gerechtigkeit, der Gerechtigkeit Gottes. Und normal ist der Hunger und normal ist der Durst, da das gottebenbildliche Wesen der menschlichen Seele durch sie seine Nahrung und seinen Trank sucht. Da sie gottebenbildlich ist, ist sie auch stets gott-zustrebend, d.h. immer hungernd und durstend nach allem Unsterblichen, allem Himmlischen, allem Ewigen, allem Göttlichen; sie empfindet immer Hunger und Durst nach dem lebendigen und wahrhaftigen Gott. Daher kann der normale Hunger und der normale Durst der Seele nicht nur gesättigt und gelöscht werden, sondern er kann einzig durch Gott gelöscht und gesättigt werden. Daher stellen sie auf all ihren Stufen die Seligkeit für den Menschen dar.
Als einem gottähnlich gebildeten Wesen ist dem Menschen der Hunger und der Durst nach der göttlichen Wahrheit und Gerechtigkeit eingeboren, nach der göttlichen Liebe und Güte, nach göttlicher Barmherzigkeit und Leben. Und wenn der Mensch diese in sich stärkt, dann gibt es in seinen Knochen keinen Frieden, sondern Tag und Nacht sucht er das, womit er seinen Hunger sättigen und seinen Durst stillen kann. Und niemand unter den Menschen kann ihm das geben, denn es gibt niemanden, der dies hat. Aber in unserer menschlichen Welt gibt es dennoch ein Wesen, welches das hat und gibt. Dieses einzige und alleinige Wesen ist der Gottmensch Christus. Durch sein gesamtes Leben und Wirken zeigt er offensichtlich und beweist unwiderlegbar, daß in ihm alle göttlichen Vollkommenheiten verwirklicht und gegeben sind, und zwar auf eine menschliche Art und Weise verwirklicht und gegeben uns den Menschen. Der menschliche Hunger und der menschliche Durst auf jegliche göttliche Vollkommenheit ist tatsächlich ein Hunger und Durst auf Ihn, den Gottmenschen Christus. Und wenn in der vierten Seligpreisung erklärt wird, daß selig sind die Hungernden und Dürstenden nach der Gerechtigkeit, dann versteht Er unter der Gerechtigkeit sich selbst, als die Verkörperung aller göttlichen und menschlichen Vollkommenheiten. Daß dies so ist, bezeugt uns der gott-tragende Apostel, der den Herrn Jesus Christus als Gerechtigkeit Gottes bezeichnet (Röm 1,17; 3, 21-22; 5,17; 1. Kor 1,30). 
Die nach der Gerechtigkeit Hungernden werden einzig und allein dann gesättigt werden, wenn sie sich von Christus nähren lassen, denn Er ist “das Brot des Lebens, welches vom Himmel kam” (Jh 6,51.35), um den Hunger des menschlichen Wesens nach Himmlischem und Unsterblichem zu stillen (vgl. Jh 6,50). Wer nach Gerechtigkeit dürstet, wird seinen Durst nur dann löschen können, wenn er vom Wasser des Lebens trinkt, welches nur Christus hat und gibt (vgl. Jh 4,12). Christus stellt dar und ist in sich die einzige wahre Nahrung und der einzige wahre Trank für jedes menschliche Geschöpf; wer auch immer diese Nahrung ißt, wird niemals hungrig werden und wer auch immer diesen Trank trinkt, wird niemals dürsten (vgl Jh 6,55.35). Das aber bedeutet: Für die Seligkeit der nach Gerechtigkeit Hungernden und Dürstenden gibt es kein Ende, denn in ihnen ist der Quell aller Seligkeiten: der Herr Jesus Christus. Denn sich mit Christus zu ernähren, durch Ihn, und in ihm und um seinetwillen zu leben, ist die Spitze der Seligkeiten für das menschliche Wesen in allen Welten.
In der vierten Seligpreisung gibt es auch vieles von der ersten und zweiten und der dritten Seligpreisung, denn auch die Armen am Geiste und die Traurigen nach dem Evangelium und die Sanftmütigen hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit. In der Tat, all das ist eine und die gleiche gottgerichtete Stimmung, die sich durch alle vier heilige Tugenden ergießt. Selig ist derjenige, der empfindet, daß es so wenige göttliche Gerechtigkeit in ihm selbst und in den ihn umgebenden Menschen gibt, daß er wünscht und daraufhin arbeitet, daß er die gesamte Gerechtigkeit Gottes in sich und der ihn umgebenden Welt verwirklicht. So wie die Erde nach himmlischem Regen dürstet, so dürstet auch die gottähnliche Seele des Menschen nach der göttlichen Gerechtigkeit. Wenn der Mensch nur einmal ernsthaft in seine Seele schaut, muß er folgendes bemerken: Zahllos und unendlich sind die Welten der gottähnlichen Seele, und alle hungern und dürsten nach Gott, nach der göttlichen Gerechtigkeit. Nur bemerken wir dies selten, denn die Sünden haben unser gottähnliches Gefühl für die Gerechtigkeit gelähmt und betäubt. Wenn sich dieses Gefühl durch Willensanstrengung erschüttert, aufwacht und zum Leben kommt, dann ergießen sich starker Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit Gottes aus allen Gefühlen unseres gott-zustrebenden menschlichen Wesens. Und sie kann sättigen und in Seligkeit umwandeln nur die “Gerechtigkeit Gottes”: Christus. Denn seitdem Er in unserer menschlichen Welt ist, wurde Er sowohl zum Wesen, als auch zum Maß und zur Kontrolle jeglicher höheren vollkommenen göttlichen Gerechtigkeit. Was ist Gerechtigkeit? Christus und sein Evangelium, d.h. all jenes, was Er ist und alles, was Er empfindet, denkt und tut. Und die Ungerechtigkeit? - Alles, was nicht Er ist, und was nicht von Ihm ist. 
Da der Gottmensch die Verkörperung der absoluten göttlichen Gerechtigkeit ist, ist er auch das Maß und die Kontrolle jeglicher Gerechtigkeit und jeden Rechtes auf der Erde. Ja, jeglicher Gerechtigkeit und jeglichen Rechtes. Denn nur in der Gerechtigkeit liegt das menschliche Recht. Die Menschen haben alles getan, um das Recht außerhalb der Gerechtigkeit zu finden. Und sie wollen nicht erkennen, daß das Recht nur in der Gerechtigkeit beschlossen ist, das vollkommene Recht in der vollkommenen Wahrheit und Gerechtigkeit - im Gottmenschen Christus. Woher entstanden Zwistigkeiten und Kriege zwischen den Menschen? Daher, daß sie das Recht außerhalb der Wahrheit und vorbei an der Gerechtigkeit suchen. Und noch: daß sie die Wahrheit und das Recht dort suchen, wo es sie nicht gibt: in den Menschen und in den Dingen. Und sie wollen nicht wissen, daß das menschliche Recht nicht das sein kann, was nicht von der Wahrheit und der Gerechtigkeit stammt. Die Logik der Menschen ist derart verdorben, das Gewissen so verbogen, daß viele ehrlich meinen, daß sie durch Ungerechtigkeit zur Gerechtigkeit gelangen können, durch Zwang zum Recht, durch Böses zum Guten. Solche Menschen halten nach dem tiefen Gedanken des gottweisen Apostels “die Wahrheit in der Ungerechtigkeit” (Röm 1,18), d.h. sie meinen, daß die Wahrheit und die Gerechtigkeit in dieser Welt mit Hilfe von Lüge und Ungerechtigkeit verwirklicht werden. Doch dies ist nicht das größte Übel; hier ist noch ein größeres: Einige Menschen sind derart entstellt, derart vom Normalen zum Abnormalen gewandt, daß sie sogar das Abnormale für das Normale erklären, die Ungerechtigkeit für Gerechtigkeit, die Lüge für Wahrheit, die Gewalt für Recht, die Sünde für Tugend, das Böse für das Gute. Und dabei kämpfen sie verbissen um die Verwirklichung dieser Maximen in unserer irdischen Welt.
Wer wird die Last des menschlichen Lebens erleichtern und das Joch der menschlichen Existenz gutmachen? Er, nur Er: der gütige Herr Jesus. Denn Er ist in unsere irdische Marterstätte gekommen, um alle Qualen des menschlichen Geistes auf sich zu nehmen und sie in Seligkeiten zu verwandeln. Ist der Hunger und Durst nach der Wahrheit nicht etwa eine Qual des Geistes? Und Er aber ist die Wahrheit. Siehe das ist die Seligkeit! Unsere ganze Qual um die Wahrheit verwandelt Er in eine Seligkeit von der Wahrheit, denn Er gibt sie uns ganz. Ist nicht etwa der Hunger und der Durst nach der Unsterblichkeit eine Qual für den menschlichen Geist? Und Er nimmt diese unsere Qual auf sich und verwandelt sie in eine Seligkeit, indem Er uns das ewige Leben gibt. Ist nicht etwa der Hunger und der Durst nach Liebe, nach Gerechtigkeit, nach Güte, nach Weisheit, nach allem Göttlichen, Himmlischen und Ewigen eine Qual für den Geist? Doch siehe, all diese unsere Qualen verwandelt Er, der Allbarmherzige, in unsere Seligkeiten, denn Er gibt uns all dies im Überfluß. All diese geistliche Speise, die Er allein hat und gibt, das ist eben das Leben des Brotes, von dem niemand jemals wieder Hunger verspüren wird, und das Wasser des Lebens, von dem niemand wieder dürsten wird. Daher ist Er der einzige, der diese Seligpreisung über den Hunger und den Durst nach der Gerechtigkeit aussprechen konnte, und sie mit den Worten beenden konnte: Denn sie werden gesättigt werden. 
Erst der Allwahre sagte, daß der Heilige Geist die Welt um der Wahrheit willen anklagen wird (Jh 16,8.10). Warum? - Weil Christus - “die Gerechtigkeit Gottes” - hier war in dieser Welt und die Welt Ihn nicht annhemen wollte. Da sie Ihn ablehnen, empfinden die Menschen stets Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit; und in diesem Hunger nagen sie an sich und fressen sich selbst und einander. Und das alles, weil die menschliche Natur sich nicht selbst nähren kann, indem sie sich selbst frißt. Welche Art von Wesen in der Natur kann sich dadurch ernähren, daß sie sich selbst ißt? Wenn das so bei den niederen Wesen ist, die weniger kompliziert und weniger wertvoll sind als der Mensch, wie soll es dann nicht für den Menschen gelten? Das ist die grundlegende Realität des Lebens in dieser Welt und daher auch das grundlegende Gesetz des Lebens, welches nur die Atheisten nicht sehen und nicht erkennen wollen. Daher sind sie immer sowohl hungrig als auch durstig, immer sowohl wütend als auch erbärmlich. Deshalb klagt sie der Heilige Geist auch an. Deshalb werden sie am Tag des letzten Gerichtes auch von “dem Universum der Welt nach der Gerechtigkeit durch den Menschen gerichtet werden” - Christus Jesus (Apg 17,31).
Alle die Sklaverei gegenüber der Sünde ist Sklaverei gegen die Ungerechtigkeit (Röm 6, 13.20). Die Menschen, die nicht Sklaven der Sünden und Laster sind, als ob sie Tugenden seien, suchen nicht Christus, noch wollen sie Ihn. Ihnen gestattet die Sünde nicht, läßt die Ungerechtigkeit nicht zu, welche ihren Geist in der Sklaverei festhält, daß sie sich der Gerechtigkeit zuwenden. Die Gerechtigkeit aber ist eben dadurch Gerechtigkeit, daß sie nicht mit Gewalt angewandt wird. Die Menschen der Ungerechtigkeit oder der geringen Gerechtigkeit “suchen die eigene Gerechtigkeit geltend zu machen und unterwerfen sich nicht der Gerechtigkeit Gottes” (Röm 10,3). Das Reich des menschlichen Geistes, welcher in Sklaverei gegenüber der Sünde und den Lastern steht, ist voll von Ungerechtigkeit, Unfrieden, Streit, Traurigkeit und in vielerlei Hinsicht ähnelt es einer kleinen Hölle. So ist der Geist jedes Menschen, der von sich selbst leben will und durch sich selbst und von der materiellen Welt, die ihn umgibt, nicht aber von Gott und durch Gott. Der menschliche Geist wird erst dann mit Gerechtigkeit erfüllt, mit Frieden und Freude, erst dann wird er zum kleinen Paradies auf Erden, wenn er mit Hilfe der Tugenden des Evangeliums sich mit dem Heiligen Geist vereint. Das bedeuten die gottgegebenen Worte des hl. Apostels: “Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist” (Röm 14,17). Ja, im Heiligen Geist, denn nur in ihm ist jedwedige Seligkeit des menschlichen Geistes beschlossen.
Nach der Meinung des hl. Gregor von Nyssa gibt es viele Dinge, die die menschliche Natur wünscht; deshalb ist große Umsicht notwendig, damit wir das Nährende von dem Giftigen unterscheiden können, und das, was unsere Seele als Speise zu sich nimmt, in uns nicht an Stelle des Lebens Tod und Verwüstung hervorruft. Unser Herr Christus, der teilnahm an allem, was uns gehört, außer der Sünde (Hebr 4,15; 2,14-18), und Teilhaber unserer Schwächen wurde, erklärte den Hunger nicht zur Sünde, sondern er ließ diesen natürlichen Wunsch nach Nahrung zu und erlebte durch eigene Erfahrung diese Schwäche. Denn nachdem er 40 Tage ohne Nahrung verbrachte, “fühlte er schließlich Hunger” (Mt 4,2). Der Versucher, der sah, daß sich in Ihm Schwäche bemerkbar machte, der Hunger, riet Ihm, diesen mit Steinen zu sättigen, d.h. den natürlichen Wunsch nach Nahrung in einen unnatürlichen zu verwandeln. Der Schöpfer ernährt die Menschen durch Brot von verschiedenen Samen. Diese Weisheit des Schöpfers verurteilt der Versucher als etwas Ungebührliches, denn wenn die Steine sich als günstiger für die Nahrung erweisen, so bedeutet das, daß Gottes Weisheit einen Fehler in der Vorsehung für das menschliche Leben zuließ. “Sage, daß diese Steine zu Brot werden”, - das sagt der Versucher bis heute denjenigen, die sich durch ihre eigenen Wünsche in Versuchung führen. Denn wenn der Wunsch aus dem Rahmen des unbedingt Notwendigen heraustritt, was ist das dann, wenn nicht der Ratschlag des Teufels, der die Nahrung von Samen verbietet und den Wunsch nach Unnatürlichem hervorruft? Brote aus Steinen essen die Geldgierigen, die reiche und luxuriöse Tische aus der Ungerechtigkeit zurichten. Denn hier tritt alles aus dem Rahmen dessen hervor, was für das Leben unabdingbar ist. Was gibt es Gemeinsames zwischen dem natürlichen Streben nach Nahrung und den silbernen Tellern, die man nicht ißt? Und wer anstelle von Brot dem Mund Gold zuführt, wird er etwa diese Not befriedigen? Also, wenn jemand anstelle dessen, was als Nahrung dient, etwas sucht, was zur Nahrung nicht benutzt wird, so sorgt er sich einfach um Gestein, denn das abverlangt die Natur, er aber ist mit anderem beschäftigt. Die Natur verlangt Nahrung, aber die Zubereitung wertvollen Geschirrs, reicher geschmückter Tische und Stühle und alles übrigen, all das ist die Sorge um Steine. Aber der Heiland, welcher die Versuchung besiegt, verjagt aus der Natur den Hunger nicht als das Übel des Bösen, sondern er entfernt nur die unnötige Sorge, welche nach dem Ratschlag des Verführers zur Notwendigkeit hinzugefügt wird, und überläßt der Natur, sich um das zu bemühen, was ihren natürlichen Rahmen nicht sprengt. Da also Christus “hungrig wurde”, ist auch der Hunger des Lobes würdig, der in uns als Nachahmung zu Ihm entsteht. Erkennen wir jedoch, wonach den Herrn “hungerte”, so werden wir natürlich die Kraft der vierten Seligpreisung verstehen, von der hier die Rede ist.z
Was für eine Nahrung ist das, derer sich Jesus nicht schämt? Nach dem Gespräch mit der Samariterin sagte er zu den Jüngern: “Meine Nahrung ist es, daß ich den Willen meines Vaters tue” (Jh 4,34). Und offensichtlich ist es der Wille des Vaters “welcher will, daß alle Menschen gerettet werden und zum Bewußtsein der Wahrheit gelangen” (1 Tim 2,4). Wenn er also unsere Rettung wünscht und unser Leben seine Nahrung wird, dann erkennen wir daraus, wofür wir eine solche Neigung der Seele brauchen. Wofür also? Dafür: daß wir nach unserer Rettung hungern und dürsten nach Gottes Willen, der unsere Rettung will. (Fuß: Sermo 4, S. 406-410).
Gebührt es etwa der Seligkeit, fragt derselbe Denker, nur nach der Gerechtigkeit zu streben? Und wenn jemand nach Keuschheit strebt oder nach Weisheit oder nach irgendeiner anderen Tugend - gibt der Heiland etwa auch einem solchen die Seligkeit? Aber vielleicht hat das Wort des Heilands über die Seligkeit der nach Gerechtigkeit Hungernden und Dürstenden diese Bedeutung: Die Gerechtigkeit ist eine der Tugenden; und die Heilige Schrift hat die Gewohnheit, indem sie einen Teil nennt, das Ganze darunter zu verstehen. So hat Gott viele Namen; und wenn einer benutzt wird, so bedeutet das nicht, daß ihm die anderen nicht zustehen. So ist es auch hier, wo das Wort Gerechtigkeit jegliche Art von Tugend bedeutet. Daher sind selig zu preisen auch jene, die nach Keuschheit und Weisheit oder jeglicher anderer Tugend hungern und dürsten. Denn es ist unmöglich, irgendeine Tugend für sich selbst, von den anderen getrennt, als vollkommene Tugend anzusehen. Der Begriff der Gerechtigkeit schließt alles Schlechte aus und umfängt alles Gute; das Gute aber ist all das, was als Tugend empfunden wird. Daher bedeutet die Gerechtigkeit in der vierten Seligpreisung jegliche Tugend (Fuß ibidem S. 411-413). 
Der Heiland sagte: Denn sie werden gesättigt werden. Der Fortschritt in welcher Tugend auch immer, ist niemals begleitet von einer vergänglichen unsteten Freude, sondern von einer unvergänglichen und stetigen Freude, welche sich im Laufe des ganzen Lebens fortsetzt. Woher das? Daher, daß jegliche Tugend immer in die Wirklichkeit umgesetzt werden kann, und zwar im Laufe des ganzen Lebens gibt es keine Zeit, wo der Mensch von seinen guten Werken übersättigt werden könnte. Und die Keuschheit, die Reinheit und jedes Gute führen immer zur Ausführung, während der Mensch die Tugend im Sinn hat und das Ausführen ist von Freude begleitet. Wenn die Tugend in jemandem fest Fuß faßt, dann wird sie nicht in Zeit bemessen, noch in Sättigung begrenzt, sondern ihm, der in ihr lebt, bringt sie immer ein reines, lebendiges starkes Gefühl ihrer eigenen Güter. Daher verspricht Gott Logos denen, die nach diesem Gefühl hungern, die Stillung des Hungers, eine solche Stillung, die durch die Sättigung den Wunsch weiter entbrennen läßt und nicht löscht. Denn wer eine Tugend wünschte, der tut Gutes in seiner Ordnung, da er in sich das sieht, was er wünschte. Daher ist selig derjenige, der nach Keuschheit hungerte, denn er wird erfüllt werden von Reinheit, und die Sättigung an ihr ruft nicht Abscheu, sondern die Verstärkung des Wunsches hervor; sowohl die Sättigung als auch der Wunsch wachsen gemeinsam in gleichem Maße. Denn das Streben nach der Tugend begleitet das Erreichen des Erstrebten; und das Erreichte Gut trägt in die Seele eine Freude, die kein Ende nimmt (Fuß ibidem S. 414-416).
Wenn wir auch eine gewisse mutige Behauptung ansprechen sollen, sagt der hl. Gregor von Nyssa, so scheint es mir, daß unter dem Namen der Tugend und der Gerechtigkeit unser Herr sich dem Wunsch der Hörer selbst anbietet, “der uns zur Weisheit gemacht worden ist von Gott, zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung” (1 Kor 1,30), und ebenso auch das “Brot welches vom Himmel herabsteigt” (Jh 6,50), “das Wasser des Lebens” (Jh 4,10), der Durst über den sich David in einem Psalm ausdrückt, indem er Gott diese selige Leiden der Seele eröffnet, wenn er spricht: “Meine Seele dürstet nach Gott, dem lebendigen Gott; wann werde ich kommen und das Angesicht Gottes schauen?” (Ps 41,3). Nach meiner Meinung ist also die wahre Tugend das Gute ohne irgendwelches Böses, das Gute, welches in sich alles allerbeste enthält: Gott Logos selbst - diese “Tugend, welche die Himmel bedeckte” (Habakuk 3,3) und mit völligem Recht wurden diejenigen als Selige bezeichnet, die nach dieser Gerechtigkeit Gottes hungerten; denn wahrlich, “jener, der den Herrn schmeckte” (Ps 33,9), d.h. jener, der in sich Gott aufgenommen hat, wird erfüllt von jenem wonach er hungerte und dürstete, nach dem Versprechen des Heilands: “Ich und der Vater werden kommen, und in ihm werden wir Wohnung nehmen” (Jh 14,23), offensichtlich da der Heilige Geist bereits Wohnung genommen hat. So war, scheint mir auch der große Paulus, der jene unaussprechlichen Paradiesfrüchte kostete, davon erfüllt, was er kostete, - stets hungerte er. Denn er erklärt, daß er davon erfüllt war, was er wünschte, indem er sagt: “In mir lebt Christus” (Gal 2,20), und wie jener, der Hunger empfindet - strebt er stets nach dem, was vor ihm liegt (Phil 3,13), indem er sagt: “Nicht als ob ich bereits erreicht hätte, oder bereits vollkommen wäre, sondern ich strecke mich aus, um zu erreichen” (Phil 3,12) (Fuß ibidem S. 416-417).
In der vierten Seligpreisung, sagt der Selige Augustin, spricht der Heiland über diejenigen, die das wahre unvergängliche Gute lieben.Sie werden von der Nahrung gesättigt werden, von der der Herr selbst sagt: “Meine Speise ist es, daß ich den Willen meines Vaters tue, welches die Gerechtigkeit ist”; und mit dem Wasser, von dem wieder derselbe Herr sagt, daß es jedem, der davon trinkt zum Quell des Wassers wird, das in das ewige Leben fließt (Jh 4,34. 14) (Fuß ebenda (engl. Übersetzung) Book 1, Chapter 2,6, p. 4).

5.7 Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. 
Hier ist eine Seligpreisung, in der alles zunächst vom Menschen und erst dann von Gott abhängt; in welcher der Mensch gegenüber Gott zum Schuldner wird; in welcher der Mensch nach der Einstellung mit Gott gleichgesellt wird. Woher das? - Daher, daß keine Tugend so notwendig für den Menschen ist, wie die göttliche Barmherzigkeit. Im ganzen Leben, in allen Momenten des Daseins, ist etwa den Menschen etwas notwendiger als die Barmherzigkeit Gottes? Ja, das ganze Leben des Menschen in seiner ganzen körperlichen und geistlichen Verschiedenheit und Komplizität hängt von der sichtbaren und unsichtbaren Barmherzigkeit Gottes ab. Zum Sehen braucht das Auge des Menschen die Sonne. Scheint die Sonne etwa nicht nach der Barmherzigkeit Gottes? Zum Hören braucht das menschliche Ohr die Luft. Ist die Luft etwa nicht ein Geschenk der Barmherzigkeit Gottes? Wer von den Menschen würde die Luft schaffen, wenn es sie nicht gäbe? Was für das Auge und das Ohr des Menschen gilt, das gilt auch für seinen gesamten Körper und für alle Funktionen des Körpers. Und für die Seele? - Für sie gilt die gleiche Grundlage, nur weit höher und weit schärfer. Wie denkt der Gedanke und wie fühlt das Gefühl? Nur durch das Geschenk Gottes und durch die Barmherzigkeit Gottes, denn Gott schenkte der gottähnlichen Seele des Menschen die Fähigkeit zu denken und zu fühlen. Wäre es nicht so, welcher Mensch wäre imstande, die Seele zu schaffen, welche denkt und fühlt, wenn nicht ein Mensch imstande ist, auch nur ein Blatt des Veilchens oder ein Steinchen zu machen. Und das menschliche Gewissen? Ist nicht auch dies ein Geschenk, das den Menschen durch die äußerste Barmherzigkeit Gottes gegeben wurde? In einem Wort: der ganze Mensch steht und besteht durch die Barmherzigkeit Gottes. Das empfindet jeder Mensch, der sich auch nur im geringsten ernsthaft in das rätselhafte Geheimnis des menschlichen Lebens auf der Erde vertieft. Daher wird in der fünften Seligpreisung vom Menschen auch verlangt, daß er sein Verhältnis gegenüber den Menschen nach dem Gesetz der göttlichen Barmherzigkeit definiert. Der Mensch besteht und lebt nach der Barmherzigkeit Gottes und von der Barmherzigkeit Gottes. Ende S. 135.


Bote 1993-2
Vater Justin
Kommentar zum Hl. Evangelium nach Matthäus

Was für eine Nahrung ist das, derer sich Jesus nicht schämt? Nach dem Gespräch mit der Samariterin sagte er zu den Jüngern: “Meine Nahrung ist es, daß ich den Willen meines Vaters tue” (Jh 4,34). Und offensichtlich ist es der Wille des Vaters “welcher will, daß alle Menschen gerettet werden und zum Bewußtsein der Wahrheit gelangen” (1 Tim 2,4). Wenn er also unsere Rettung wünscht und unser Leben seine Nahrung wird, dann erkennen wir daraus, wofür wir eine solche Neigung der Seele brauchen. Wofür also? Dafür: daß wir nach unserer Rettung hungern und dürsten nach Gottes Willen, der unsere Rettung will1
Gebührt es etwa der Seligkeit, fragt derselbe Denker, nur nach der Gerechtigkeit zu streben? Und wenn jemand nach Keuschheit strebt oder nach Weisheit oder nach irgendeiner anderen Tugend – gibt der Heiland etwa auch einem solchen die Seligkeit? Aber vielleicht hat das Wort des Heilands über die Seligkeit der nach Gerechtigkeit Hungernden und Dürstenden diese Bedeutung: Die Gerechtigkeit ist eine der Tugenden; und die Heilige Schrift hat die Gewohnheit, indem sie einen Teil nennt, das Ganze darunter zu verstehen. So hat Gott viele Namen; und wenn einer benutzt wird, so bedeutet das nicht, daß ihm die anderen nicht zustehen. So ist es auch hier, wo das Wort Gerechtigkeit jegliche Art von Tugend bedeutet. Daher sind selig zu preisen auch jene, die nach Keuschheit und Weisheit oder jeglicher anderer Tugend hungern und dürsten. Denn es ist unmöglich, irgendeine Tugend für sich selbst, von den anderen getrennt, als vollkommene Tugend anzusehen. Der Begriff der Gerechtigkeit schließt alles Schlechte aus und umfängt alles Gute; das Gute aber ist all das, was als Tugend empfunden wird. Daher bedeutet die Gerechtigkeit in der vierten Seligpreisung jegliche Tugend2
Der Heiland sagte: Denn sie werden gesättigt werden. Der Fortschritt in welcher Tugend auch immer, ist niemals begleitet von einer vergänglichen unsteten Freude, sondern von einer unvergänglichen und stetigen Freude, welche sich im Laufe des ganzen Lebens fortsetzt. Woher das? Daher, daß jegliche Tugend immer in die Wirklichkeit umgesetzt werden kann, und zwar im Laufe des ganzen Lebens gibt es keine Zeit, wo der Mensch von seinen guten Werken übersättigt werden könnte. Und die Keuschheit, die Reinheit und jedes Gute führen immer zur Ausführung, während der Mensch die Tugend im Sinn hat und das Ausführen ist von Freude begleitet. Wenn die Tugend in jemandem fest Fuß faßt, dann wird sie nicht in Zeit bemessen, noch in Sättigung begrenzt, sondern ihm, der in ihr lebt, bringt sie immer ein reines, lebendiges starkes Gefühl ihrer eigenen Güter. Daher verspricht Gott Logos denen, die nach diesem Gefühl hungern, die Stillung des Hungers, eine solche Stillung, die durch die Sättigung den Wunsch weiter entbrennen läßt und nicht löscht. Denn wer eine Tugend wünschte, der tut Gutes in seiner Ordnung, da er in sich das sieht, was er wünschte. Daher ist selig derjenige, der nach Keuschheit hungerte, denn er wird erfüllt werden von Reinheit, und die Sättigung an ihr ruft nicht Abscheu, sondern die Verstärkung des Wunsches hervor; sowohl die Sättigung als auch der Wunsch wachsen gemeinsam in gleichem Maße. Denn das Streben nach der Tugend begleitet das Erreichen des Erstrebten; und das Erreichte Gut trägt in die Seele eine Freude, die kein Ende nimmt3. Wenn wir auch eine gewisse mutige Behauptung ansprechen sollen, sagt der hl. Gregor von Nyssa, so scheint es mir, daß unter dem Namen der Tugend und der Gerechtigkeit unser Herr sich dem Wunsch der Hörer selbst anbietet, “der uns zur Weisheit gemacht worden ist von Gott, zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung” (1 Kor 1,30), und ebenso auch das “Brot welches vom Himmel herabsteigt” (Jh 6,50), “das Wasser des Lebens” (Jh 4,10), der Durst über den sich David in einem Psalm ausdrückt, indem er Gott diese selige Leiden der Seele eröffnet, wenn er spricht: “Meine Seele dürstet nach Gott, dem lebendigen Gott; wann werde ich kommen und das Angesicht Gottes schauen?” (Ps 41,3). Nach meiner Meinung ist also die wahre Tugend das Gute ohne irgendwelches Böses, das Gute, welches in sich alles allerbeste enthält: Gott Logos selbst – diese “Tugend, welche die Himmel bedeckte” (Habakuk 3,3) und mit völligem Recht wurden diejenigen als Selige bezeichnet, die nach dieser Gerechtigkeit Gottes hungerten; denn wahrlich, “jener, der den Herrn schmeckte” (Ps 33,9), d.h. jener, der in sich Gott aufgenommen hat, wird erfüllt von jenem wonach er hungerte und dürstete, nach dem Versprechen des Heilands: “Ich und der Vater werden kommen, und in ihm werden Wir Wohnung nehmen” (Jh 14,23), offensichtlich da der Heilige Geist bereits Wohnung genommen hat. So war, scheint mir auch der große Paulus, der jene unaussprechlichen Paradiesfrüchte kostete, davon erfüllt, was er kostete, – stets hungerte er. Denn er erklärt, daß er davon erfüllt war, was er wünschte, indem er sagt: “In mir lebt Christus” (Gal 2,20), und wie jener, der Hunger empfindet – strebt er stets nach dem, was vor ihm liegt (Phil 3,13), indem er sagt: “Nicht als ob ich bereits erreicht hätte, oder bereits vollkommen wäre, sondern ich strecke mich aus, um zu erreichen” (Phil 3,12)4.
In der vierten Seligpreisung, sagt der Selige Augustin, spricht der Heiland über diejenigen, die das wahre unvergängliche Gute lieben.Sie werden von der Nahrung gesättigt werden, von der der Herr selbst sagt: “Meine Speise ist es, daß ich den Willen meines Vaters tue, welches die Gerechtigkeit ist”; und mit dem Wasser, von dem wieder derselbe Herr sagt, daß es jedem, der davon trinkt zum Quell des Wassers wird, das in das ewige Leben fließt (Jh 4,34. 14)5.

Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. 
Hier ist eine Seligpreisung, in der alles zunächst vom Menschen und erst dann von Gott abhängt; in welcher der Mensch gegenüber Gott zum Schuldner wird; in welcher der Mensch nach der Einstellung mit Gott gleichgesellt wird. Woher das? – Daher, daß keine Tugend so notwendig für den Menschen ist, wie die göttliche Barmherzigkeit. Im ganzen Leben, in allen Momenten des Daseins, ist etwa den Menschen etwas notwendiger als die Barmherzigkeit Gottes? Ja, das ganze Leben des Menschen in seiner ganzen körperlichen und geistlichen Verschiedenheit und Komplizität hängt von der sichtbaren und unsichtbaren Barmherzigkeit Gottes ab. Zum Sehen braucht das Auge des Menschen die Sonne. Scheint die Sonne etwa nicht nach der Barmherzigkeit Gottes? Zum Hören braucht das menschliche Ohr die Luft. Ist die Luft etwa nicht ein Geschenk der Barmherzigkeit Gottes? Wer von den Menschen würde die Luft schaffen, wenn es sie nicht gäbe? Was für das Auge und das Ohr des Menschen gilt, das gilt auch für seinen gesamten Körper und für alle Funktionen des Körpers. Und für die Seele? – Für sie gilt die gleiche Grundlage, nur weit höher und weit schärfer. Wie denkt der Gedanke und wie fühlt das Gefühl? Nur durch das Geschenk Gottes und durch die Barmherzigkeit Gottes, denn Gott schenkte der gottähnlichen Seele des Menschen die Fähigkeit zu denken und zu fühlen. Wäre es nicht so, welcher Mensch wäre imstande, die Seele zu schaffen, welche denkt und fühlt, wenn nicht ein Mensch imstande ist, auch nur ein Blatt des Veilchens oder ein Steinchen zu machen. Und das menschliche Gewissen? Ist nicht auch dies ein Geschenk, das den Menschen durch die äußerste Barmherzigkeit Gottes gegeben wurde? In einem Wort: der ganze Mensch steht und besteht durch die Barmherzigkeit Gottes. Das empfindet jeder Mensch, der sich auch nur im geringsten ernsthaft in das rätselhafte Geheimnis des menschlichen Lebens auf der Erde vertieft. Daher wird in der fünften Seligpreisung vom Menschen auch verlangt, daß er sein Verhältnis gegenüber den Menschen nach dem Gesetz der göttlichen Barmherzigkeit definiert. Der Mensch besteht und lebt nach der Barmherzigkeit Gottes und von der Barmherzigkeit Gottes. 
Daher ist es nur natürlich, daß er selbst gegenüber den Menschen göttlich barmherzig sein muß. Darin liegt eine ungewöhnliche Seligkeit, denn die göttliche Barmherzigkeit eint den Menschen geistlich mit Gott, dem Quell jener Barmherzigkeit und jener Seligkeit.
Wenn sich die Seele des Menschen auf den Weg der Seligkeit in Christus begibt, empfindet sie auf jedem Schritt und in jedem Moment, wie sich unaufhörlich die unermessliche Güte Gottes auf sie ergießt. Wenn er die erste göttliche Tugend erlebt und in ihr die erste göttliche Seligkeit, dann fühlt der Mensch mit seinem ganzen Wesen und erkennt, was die Milde Gottes bedeutet, was es bedeutet, wenn Gott sich der menschlichen Seele erbarmt. Ist es nicht eine unendliche Milde Gottes, wenn wir durch Demut, durch Armut im Geiste das Himmelreich erlangen? Ist es nicht eine unendliche Milde Gottes, wenn wir über uns und die Welt um uns weinen und deshalb mit dem Heiligen Geist, dem Tröster erfüllt werden? Ist es nicht eine unendliche Milde Gottes, wenn wir für die Sanftmut das ganze Erdreich erben? Ist es nicht eine unendliche Milde Gottes, wen wir durch den Hunger nach Gott und den Durst nach der Wahrheit in uns die ganze Gerechtigkeit Gottes einwohnen lassen, Jesus Christus selbst?
Was ist die Krone der Milde Gottes? Die Menschwerdung Gottes, und alles, was der fleischgewordene Gott, unser Herr Jesus Christus, für das Menschengeschlecht getan hat und unablässig tut. All das stellt eine einzige, unwiederholbare, unendliche und wahrhaft göttliche Barmherzigkeit gegenüber den Menschen und unserer irdischen Welt dar. Nehmen wir an: der Mensch nimmt den Leib eine Lammes an, oder eines Tigers, oder einer Hyäne, oder einer Schlange, mit dem Ziel, die Tierwelt von Tod und Bösen zu befreien. Was würde diese Fleischwerdung in Vergleich zu der Menschwerdung Gottes bedeuten? Etwas unendlich Kleines, und gemäß den Folgen überhaupt nichts. Denn der ohnmächtige Mensch, selbst Sklave des Bösen und des Todes, wäre nicht im Stande, die Tierwelt davon zu retten. Dabei ist der Mensch schuld an jeglichem Tod und an jeglichem Übel in der Tierwelt. Und der Herr Jesus Christus? Sündlos, nimmt Er alle Sünden der Welt, und alle Qualen von den Sünden auf Sich, ist das nicht eine außergewöhnliche und vollkommene Barmherzigkeit Gottes? Unsterblich, erträgt Er den Tod um der sterblichen Menschen willen, – ist das nicht eine einzigartige und nie gesehene Milde Gottes? Und weiter: den von der Sünde verwilderten und von Sinnen gekommenen Menschen schenkt der Fleischgewordene Gott ewige Wahrheit, ewige Gerechtigkeit, ewige Weisheit, ewiges Leben und alle unzähligen göttlichen Vollkommenheiten und unendlichen Seligkeiten. Ist das nicht Barmherzigkeit, die ihresgleichen in allen Welten nicht besitzt?
Wenn der Mensch sich ernsthaft und von allen Seiten erforscht und eine genaue Diagnose über sich anstellt, so braucht er nichts so sehr wie die Milde Gottes. Denn zweifellos zeigt die Diagnose eines jeden Menschen Folgendes: Sünde, Sünde, Sünde, und in den Sünden – Krankheit, Krankheit, Krankheit und in den Krankheiten – Tod, Tod, Tod. Daher schreit der geistlich wache Mensch mit jedem Gefühl, jedem Gedanken, jeder Bewegung der Seele zu Gott: Milde, Milde, Milde! Wer sich nicht in einem solchen Verhältnis zu Gott befindet ist nicht milde gegenüber der Menschen. Und ein solcher Mensch ist ein geistlich Gelähmter, leidet an geistlicher Besessenheit. Das Gefühl der Sündhaftigkeit entwickelt sich mit der Reue; die Reue schreit nach ber Barmherzigkeit Gottes, nach der Vergebung der Sünden. Nur die Büßenden erhalten außergewöhnliche Barmherzigkeit von Gott, welche aus ihnen auf die sie umgebenden Menschen erstrahlt. Denn die Milde Gottes, wenn sie in das menschliche Herz eingeht, verwandelt sich mit Hilfe der übrigen göttlichen Tugenden in Barmherzigkeit, und ein barmherziger Mensch ist immer milde gegenüber den Menschen, so wie Gott ihm gegenüber milde ist. Ein Gefühl ist unveränderlich in der Seele eines barmherzigen Mensches, nämlich das Gefühl, daß er stets der Milde Gottes bedarf, weshalb er auch immer milde gegenüber der Menschen ist. Je rechtschaffener ein Mensch ist, umso mehr empfindet er seine Sündhaftigkeit; die heiligsten Menschen empfinden ihre Sündhaftigkeit im Laufe ihres gesamten Lebens am deutlichsten. Nehmen wir hierfür ein Beispiel. Das Antlitz des Hl. Sisoes leuchtete vor seinem Tod mit großer Helligkeit auf. Es waren die Hll. Propheten und Apostel zu ihm gekommen. Und als er noch mehr aufleuchtete, sagte er zu seinen Schülern: “Nun sind die Engel gekommen, um meine Seele zu nehmen.” Schließlich leuchtete sein Gesicht so wie die Sonne, und alle wurden von Furcht erfüllt, und der heilige Asket sprach: “Sieh, da kommt der Herr, schaut alle!” Danach trat Stille ein. Der heilige Greis sprach etwas mit dem Herrn. Als die Schüler ihn fragten, wovon er gesprochen hatte, antwortete er ihnen: ich bat den Herrn, mir die Tage meines Lebens noch etwas zu verlängern, damit ich Buße tun kann. – Ein stark entwickeltes Gefühl der persönlichen Sündhaftigkeit ist der ständige Begleiter des Christen auf dem gesamten Weg seiner geistlichen Verkommnung. Mit welchem Gefühl oder welchem Gedanken auch immer er in seiner Seele eintreten mag, auf allen Wegen seiner Seele begegnet der Mensch Sünden, Leidenschaften, Lastern. Und wenn er sich der Gefahr bewußt ist, welche ihm von ihnen droht, so schreit er ständig nach der Milde Gottes. Das ist jene “große Barmherzigkeit”, welche einzig der fleischgewordene Gott dem Menschengeschlecht schenkt, der allbarmherzig die Heilsökonomie der Welt von der Sünde, dem Tod und Teufel vollbracht hat. Nach dieser “großen Barmherzigkeit” schreit die Seele des orthodoxen Christen durch zahlreiche kirchliche Verse und Gebete.
Die fünfte Seligkeit, könnte man sagen, ist eine natürliche Seligkeit des Menschen, denn sie ist bedingt durch die menschliche Barmherzigkeit. Das heißt, die Barmherzigkeit ist etwas natürliches für den Menschen, stellt einen Bestandteil des menschlichen Wesens dar. Mit anderen Worten: der Mensch ist im Grunde als ein barmherziges Wesen geschaffen. Darauf verweist auch die Gottebenbildlichkeit der menschlichen Natur. Gott ergoß über das gesamte Wesen des Menschen die göttliche Barmherzigkeit und machte sie zur Grundlage alles Menschlichen. Doch das ist nur die eine Hälfte der Wahrheit über den Menschen. Die andere ist diese: Gott machte die göttliche Barmherzigkeit auch zur Grundlage alles Göttlichen im Menschen, all dessen wodurch der Mensch zu Gott wächst, gottähnlich wird. Wäre dem nicht so, wäre die göttliche Barmherzigkeit nicht zum Bestandteil der Grundlage des menschlichen Wesens geworden, würde dann etwa unser Herr Jesus Christus von den Menschen fordern, daß sie barmherzig sein sollten, so wie ihr himmlischer Vater – Gott – barmherzig ist (Lk. 6, 36)? Durch seine Barmherzigkeit erinnert der Mensch am meisten an Gott, ähnelt Gott am meisten. Und wenn er sie zu ihrem höchsten Maß entwickelt, wird er ein “Gott der Gnade nach”, wie die Hll. Väter sagen. Durch die göttliche Barmherzigkeit wird der Mensch zu einer ganzen kleinen Gottheit. Ein solcher Mensch ist ein wandelndes Evangelium Gottes, eine wandelnde Predigt von Gott.
Wenn der Mensch die göttliche Barmherzigkeit verliert, bleibt er dann noch ein Mensch? Wenn er diese verliert, so verliert er auch jenen inneren, jenen gottebenbildlichen, jenen ewigen Menschen in sich. Und es bleibt nur eine Hülle, und zwar eine von Würmern zerfressene und stinkende Hülle. Was ist der Mensch? – Die fleischgewordene Barmherzigkeit Gottes. Was ist der Unmensch? – Die fleischgewordene Grobheit und Unbarmherzigkeit. Der Mensch degeneriert allmählich zu einem Unmenschen, wenn er sich nicht in der Barmherzigkeit übt. Ein solcher ist jeder Egoist, jeder Eigensinnige. Seine ganze Seele ist aus Grobheit geflochten, aus Selbstsucht und den übrigen Sünden. Und das Reich der Selbstsucht mit ihren widerlichen Mitarbeitern – den Sünden, ist das etwa nicht die Hölle, die in dieser Welt beginnt, um in jener Welt niemals aufzuhören? Und das Leben in jener Hölle ist eben eine Verfluchung, eine ewige Verfluchung für das menschliche Wesen. Daher könnte man mit Recht sagen: verflucht sind die Unbarmherzigen, denn sie werden kein Erbarmen finden!
Da sie von Gott ist, zu Gott zieht und mit Gott vereint, ist die Barmherzigkeit eine Seligkeit für die Menschennatur. Und noch: sie vereint den Menschen mit dem, was in allen Menschen göttlich ist; so weckt sie die Menschen und treibt sie voran zu allem, was göttlich ist und erhält so auch sich selbst mit deren Hilfe in allem was göttlich ist. Auf diese Weise stellt der Barmherzige allmählich in den ihn umgebenden Menschen die paradiesische Haltung wieder her, das Paradies mit all seinen Seligkeiten. Das Paradies ist eben etwas, was hier auf der Erde beginnt durch die göttlichen Tugenden. An erster Stelle: durch die göttliche Barmherzigkeit. Jede göttliche Tugend schafft in der menschlichen Seele ein kleines Paradies und in ihm die Seligkeit. Und alle zusammen stellen sie das ewige göttliche Paradies her und in ihm die ewige Seligkeit, welche weder in dieser noch in jener Welt irgendwann aufhört. Daher hat der Mund des Gesegneten auch gesprochen: Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
Unser Herr Jesus Christus besteht ganz aus Milde und Mitleid. Mit Seinem ganzen Wesen ruft Er dazu auf, macht dazu geneigt und fähig. Als sagte Er: erbarme dich über dich selbst und über diese Mitbrüder um dich, denn sowohl dich als auch sie drückt die Sünde, verwüstet der Tod. Geistlich Blinde sehen das nicht. Diejenigen, die erst gerade anfangen zu sehen, erkennen das ein wenig. Die am besten sehen aber – und das sind die Heiligen – sehen nur das. Daher sind sie unendlich mitleidig und erbarmungsvoll. Alles Menschliche reizt sie zu dem Schrei und zum Ausruf: Herr, erbarme Dich! Deshalb ist dieser Schrei auch der häufigste in den heiligen orthodoxen Gottesdiensten. Schaut der Mensch ernsthaft und betrachtend in sich, so verwandelt er sich ganz in einen Gebetsseufzer, der kein Ende hat, einen Seufzer, durch den ständig strömt: Herr, erbarme Dich!

Bote 1993-3
Vater Justin
Kommentar zum Hl. Evangelium nach Matthäus

Hast du keine Barmherzigkeit und kein Mitleid mit dem Menschen? - Bedenke nur, wofür er geschaffen ist und wie tief und worauf er gefallen ist: auf den Tod, auf Verwesung, auf das Grab, auf Würmer, auf Gestank, auf die Hölle! Und wie groß ist die Wunde an seiner Seele! Ja, jeder ist tödlich verwundet, jeder Mensch. Wem haben die Sünden keine tödliche Wunde zugefügt, und zwar nicht eine, sondern hunderte, und wir sterben auch vor dem Tode viele Male! Siehe nur die menschliche Seele an! Wie sieht sie aus? Wie die Himmelskönigin in Lumpen; wie eine unsterbliche Schönheit, die mit schwarzem Kot übermalt ist; wie eine Hure, die für die ewige Jungfräulichkeit geschaffen war. Und das menschliche Herz? - Es ist das offene Auge Gottes; siehe, es ist erblindet und sieht weder sich selbst noch dich und umso weniger den Himmel, Gott, die Engel! Und das menschliche Gewissen? - Ja, das ist irgendein gefallener Engel, der sich im schwarzen Netz einer dunklen Philosophie des Bösen verfangen und verwickelt und sich im grausamen Labyrinth der listigen Dialektik der Sünde verirrt und verloren hat. Und das Gras, die Pflanzen, die Blumen, die Tiere und Vögel? - Ja, all das sind Verwundete über Verwundete, Kranke über Kranke, Todgeweihte über Todgeweihte! Läßt dies alles nicht all deine Gefühle und all deine Gedanken in die endlose göttliche Barmherzigkeit und das endlose göttliche Mitleid gegenüber den Menschen und allen übrigen Geschöpfen zusammenfließen?
Das Erbarmen fächert sich auf in verschiedene Arten von Barmherzigkeit und Mitleid, so wie sich die Seele auffächert in verschiedene Arten von Gedanken und Gefühlen. Barmherzigkeit bedeutet: die Hungernden nähren, die Dürstenden tränken, die Nackten bekleiden, die Kranken besuchen, die Gefangenen aufsuchen, sich um die reisenden Wanderer sorgen. Doch jemand wird sagen: ich bin ein Armer, ich bin erbärmlich, ich habe keinen Reichtum! Ja, aber - du hast eine Seele und in ihr alle Reichtümer der göttlichen Barmherzigkeit. Betet zu Gott für die Hungernden, für die Dürstenden, für die Nackten, für die Kranken, für die Gefangenen, denn auch das ist Barmherzigkeit. Faste für die anderen - auch das ist Barmherzigkeit. Weine für die, die keine Buße tun. Auch das ich Barmherzigkeit. Leide für die Rettung deiner Nächsten! - Auch das ist Barmherzigkeit. Antworte auf Beleidigung nicht mit Beleidigung! Antworte auf Böses nicht mit Bösem! Überwinde das Böse durch das Gute! Segne diejenigen, die dich verfluchen! Bete zu Gott für jene, die dich verfolgen! Tue Gutes denen, die dich hassen! Führe andere nicht in Versuchung! All das ist Barmherzigkeit, lauter Barmherzigkeit. Und um all dies zu tun, braucht der Mensch lediglich eine Seele und einen Körper und nichts anderes, keinerlei Reichtümer dieser Welt. Das ist das, was der Allbarmherzige in Seinem Evangelium anordnet: “Gebt Barmherzigkeit von dem, was in euch ist” (Lk 11,41). Was bedeutet das? Folgendes: Du gibst den Menschen ihre gottähnliche Seele und all ihre göttlichen Reichtümer: Göttliche barmherzige Gedanken, göttliche barmherzige Gefühle und Neigungen. Vertiefe dich in deine Seele und unter dem Wust der Sünden und dem Rost der Leidenschaften wirst du diese göttlichen Reichtümer finden, diese unsichtbaren inneren Schätze, mit denen Gott den Menschen schuf und ihn zu einem außergewöhnlichen Wesen in allen Welten machte. Daran denkt eben der barmherzige Heiland, wenn Er die frohe Botschaft verkündet: “Siehe, das Reich Gottes ist in euch” (Lk 17,21). Zu diesem Reich gehört auch die göttliche Barmherzigkeit der menschlichen Seele. Zweifellos verbirgt sich in der gottähnlichen menschlichen Seele ein tiefer Quell göttlicher Barmherzigkeit, welcher in viele Täler aufgefächert ist. Die Gründe dieser Täler führen zunächst zum Himmel, zu Gott. Läßt sich der Mensch in den Grund seines Wesens herab und findet er den Quell der göttlichen Barmherzigkeit in sich, so fühlt er sofort, daß er eins ist mit allen Menschen aller Zeiten und mit seinem ganzen Wesen Barmherzigkeit und immer Barmherzigkeit ausströmt für alle Menschen, diese unsere traurigen und unglücklichen Brüder und Mitbrüder, traurig und unglücklich vor Sünde und Tod. In dieser Welt ist jeder Mensch ohne Ausnahme göttlich reich, denn jeder hat das Reich Gottes in sich, in der gottähnlichen Seele. Er besitzt Splitter auch der göttlichen Wahrheit, der göttlichen Gerechtigkeit und der göttlichen Liebe, der göttlichen Güte und der göttlichen Weisheit und der göttlichen Barmherzigkeit und der göttlichen Heiligkeit und der göttlichen Unsterblichkeit und des göttlichen Lebens. Und all das kann er in dem Himmelsgewölbe seiner persönlichen auf dem Evangelium begründeten Askeseübungen und Gefühle zur Vollkommenheit entwickeln. So kann er auch seine Barmherzigkeit entwickeln und barmherzig werden, mitfühlend für alle Wesen und Geschöpfe. Wenn irgend etwas Menschliches zum Himmel strebt, vor das Antlitz Gottes selbst, dann ist es dies - die menschliche Barmherzigkeit und das Erbarmen für die Menschen (vgl. Apg 10,4).
Unser allbarmherziger Herr gründete Sein ge-samtes Verhältnis zum Menschengeschlecht auf der Barmherzigkeit: “In seiner Barmherzigkeit rettete Er uns durch das Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung kraft des Heiligen Geistes” (Tit 3,5; vgl. Lk 1,78; 1. Petr 1,3). Mit anderen Worten: Sowohl die Menschwerdung des Logos Gottes als auch die gesamte gottmenschliche Heilsordnung der Rettung des Menschengeschlechtes ist eine Sache der Güte und Menschenliebe Gottes, denn die Menschen von Sünde und Tod aus Barmherzigkeit anstelle aus Verdienst zu retten, ist eben ausschließlich wahrhaftige Menschenliebe (vgl. Tit 3,4). Da dem so ist, verlangt der allbarmherzige Retter mit Recht von den Menschen, daß die Barmherzigkeit das oberste Gesetz in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen sei. Dies muß allem übergeordnet werden, denn es stellt das Wesen des gottmenschlichen Evangeliums der Rettung dar: “Barmherzigkeit will ich, aber keine Opfer” (Mt 9,13; Hosea 6,6; vgl. Mt 12,1-8). Barmherzigkeit will ich gegenüber den Sündern, denn sie sind Sünder - geistlich Kranke, welche weise und zärtlich geheilt werden müssen von Sünde und Tod. Daher verlangt der menschenliebende Heiland Barmherzigkeit gegenüber allen Menschen, denn - welcher Mensch ist nicht sündhaft, nicht sterblich? Auf dieser Grundlage weist der Herr auch die Opfer zurück. Denn für Ihn ist das liebste Opfer - die menschliche Barmherzigkeit gegenüber den Menschen. 
Von der Barmherzigkeit des Menschen hängt nicht nur sein eigenes Leben in dieser Welt ab, sondern ebenso sein ewiges Leben, sowohl in dieser als auch in der kommenden Welt. Das verkündet das Gleichnis des Heilands über den barmherzigen Samariter, denn Er antwortet auf die Frage des Menschen: “Was muß ich tun, um das ewige Leben zu erlangen?” (Lk 10,25-37). Was? - Sei barmherzig! Das ist die Antwort auf die Fage nach dem ewigen Leben. Barmherzigkeit ist eine göttliche Kraft, die im Menschen alles besiegt, was sündhaft und sterblich ist; und sie macht den Menschen unsterblich, da sie ihn mit dem ewigen Leben erfüllt. Ein barmherziger Mensch lebt tatsächlich schon in dieser Welt davon, was unsterblich, göttlich und ewig ist. Und das ist die göttliche Barmherzigkeit. Ein Mensch göttlicher Barmherzigkeit betrachtet alle Menschen mit dem Auge Gottes und mißt alle Menschen mit Gottes Maß. Für ihn ist jeder Mensch sein Nächster, denn das Gefühl der Barmherzigkeit macht ihm jeden Menschen zum Nächsten, und er bedeckt jegliche Sünde durch seine Liebe, Gebet und Demut. Das ist auch kein Wunder, denn wenn der Mensch sich durch Barmherzigkeit Gott annähert, dann wird ihm jeder Mensch nahe: In Gott ist niemand weit. Aus Gott geschaut, sind alle Menschen unsere Nächsten, sie sind alle gottähnlich, wenn auch mehr oder weniger verzerrt. Das Gefühl der Barmherzigkeit ist an sich göttlich und daher unendlich und allumfassend. Als solchem ist ihm alles nahe und am nächsten, denn zunächst verringert es die Entfernung zwischen dem Menschen und Gott und daraufhin - zwischen den Menschen und den übrigen Menschen. Ein Mensch göttlicher Barmherzigkeit empfindet lebhaft, wie die Menschen, alle Menschen, Barmherzigkeit benötigen für jeden Hauch ihres Lebens auf der Erde und um so mehr für ihr Leben im Himmel. Ein Mensch, der mit göttlicher Barmherzigkeit lebt, ist ein glücklicher, unsterblicher noch in dieser Welt und er braucht keinen Tod zu fürchten, weder in dieser, noch in der zukünftigen Welt. Er besiegt jeglichen Tod durch die Kraft der göttlichen Barmherzigkeit und fragt ihn siegreich, tapfer: Tod, wo ist dein Sieg?
Die Barmherzigkeit des Menschen Christi hat kein Ende und keine Grenzen. Er darf sich niemals sagen: Ich bin genügend barmherzig! Wenn er dies sagt, so ist das der Tod seiner Seele. Wenn er aufhört, barmherzig zu sein, so ist er bereits gestorben, vor dem Tod ist er gestorben. Denn er hat sich von Gott getrennt, welcher der einzige Quell der Unsterblichkeit und des ewigen Lebens ist. Die Barmherzigkeit macht den Menschen zu einem göttlich Erhabenen und göttlich Unsterblichen. Nichts führt den Menschen zu solcher Ähnlichkeit mit Gott wie die Barmherzigkeit; sie macht ihn gerade zum “Gott der Gnade nach”. Ja, nach der Gnade, denn nur der Dreifaltige Gott ist der Gott der Natur nach. Die göttliche Barmherzigkeit ergießt über das gesamte Wesen des Menschen eine gewisse göttliche Kraft, welche die geistlichen Kräfte vergöttlicht und er fühlt sich unsterblich, unendlich, ewig. Diese göttliche allschöpfende Kraft führt den Menschen aus einer Barmherzigkeit in die nächste, aus der geringeren in die höhere, indem er ihn allmählich Gott annähert, welcher die Verkörperung der vollkommenen Barmherzigkeit ist und daher das ewige Ideal jeglicher menschlicher Barmherzigkeit und jeglichen Mitgefühls. Über all dies spricht beredt die höchste Frohbotschaft des Heilands über die Barmherzigkeit: “Seid barmherzig, wie euer Vater, Gott, barmherzig ist” (Lk 6,36). Nicht eine einzige Tugend hat der Heiland höher gestellt als diese. Und was noch mehr ist, Er erklärte, daß beim letzten Gericht die Barmherzigkeit Sein Maß sein wird, mit dem Er alle Menschen messen wird und jedem sein ewiges Schicksal bestimmen wird (vgl. Mt 25,31-46; vgl. Jk 2,13).
Die Barmherzigkeit gegenüber anderen ist zu gleicher Zeit auch Barmherzigkeit gegenüber sich selbst. Aber das ist keine Nachsicht gegenüber sich selbst, noch eine Salbung seiner selbst, noch ein Schonen seiner selbst vor den asketischen Übungen des Evangeliums. Noch ist dies Egoismus oder Selbstbezogenheit, in welcher Form auch immer. Die Barmherzigkeit gegenüber sich selbst ist lediglich zugelassen, wenn sie dem Evangelium entspricht. Und was ist Barmherzigkeit gegenüber sich selbst gemäß dem Evangelium? Das ist der Versuch der Rettung der eigenen Seele von Sünde, Tod und Teufel. Indem sich der Mensch darum bemüht, erweist er sich als barmherzig gegenüber allem, was in ihm göttlich, gottähnlich und ewig ist. Jegliche Sünde ist eine ganze Wunde auf der Seele und jegliche Leidenschaft eine ganze Krankheit der Seele. Indem er sich von den Sünden und Leidenschaften befreit, erweist sich der Mensch als mildtätig gegenüber sich selbst, denn er heilt seine gottähnliche Schönheit - seine Seele - von allem, was sie befleckt, verfinstert, verunstaltet, dem Tod entgegenführt und tötet. Die Fleischeslust ist eine Mörderin der Seele. Ebenso der Stolz, der Zorn, die Boshaftigkeit, der Neid und Materialismus und alle übrigen Sünden. Wer diese aus sich verdrängt und mit Hilfe der Tugenden des Evangeliums verjagt, hat bereits aus seiner Seele auch viele Mörder und viele Tode verjagt. Und so hat er gegenüber sich selbst jene Barmherzigkeit erwiesen, die einzig vom Evangelium Christi für den Menschen zugelassen und vorgeschrieben ist. Durch die Barmherzigkeit gegenüber anderen tut der Mensch Gutes an anderen gemäß dem Evangelium. Aber gleichzeitig rettet er auch sich selbst von dem furchtbaren geistlichen Tier: von der Gefühllosigkeit und dem mangelnden Mitgefühl, denn er vereint seine Seele mit dem allfühlenden und allmitfühlenden Heiland, welcher die Rettung demjenigen schenkt, der sich müht und in den heilbringenden Tugenden des Evangeliums kämpft.
Der heilige Gedanke des heiligen Gregor von Nyssa über die fünfte Seligpreisung ist sehr tief und gottweise. In der fünften Seligpreisung - sagt der heilige Denker - macht der Heiland in gewisser Weise jenen zum Gott, der diese Worte hört und versteht. Denn er sagt: “Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erfahren.” Aus vielen Stellen der Heiligen Schrift ist bekannt, daß heilige Menschen Gott als barmherzig bezeichnen. Daher, wenn Gott, dem die Bezeichnung des Barmherzigen zusteht, ruft dann nicht der Logos auch dich auf, Gott zu werden, da du mit der Eigenart der Gottheit geschmückt bist? Denn wenn in der gotteingegebenen Heiligen Schrift Gott barmherzig genannt wird, die Gottheit aber wahrhaftig selig ist, dann folgt daraus logischerweise, daß der Mensch, wenn er barmherzig wird, der göttlichen Seligkeit gewürdigt wird, da er das erreicht hat, womit die Gottheit bezeichnet wird. “Barmherzig ist der Herr und gerecht, und unser Gott ist gnädig” (Ps 114,4). Ist es denn etwa keine Seligkeit für den Menschen, so genannt werden und das zu werden, womit Gott für seine Werke bezeichnet wird? 1
Was ist Barmherzigkeit und worin liegt ihre Wirksamkeit? Warum ist jener selig, der das zurücknimmt, was er gibt, denn es ist gesagt: Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erfahren. Im eigentlichsten Sinn ruft dieser Ausspruch den Menschen zu gegenseitiger Liebe und Mitgefühl auf. Barmherzigkeit ist ein freiwilliges Trauern, hervorgerufen durch fremde Not. Oder deutlicher: Barmherzigkeit ist durch Liebe erfüllte Neigung zu denen, die mit Qualen gewisse Schwierigkeiten ertragen. Denn so wie Strenge und Unmenschlichkeit aus Haß entstehen, so entsteht Barmherzigkeit auf eine gewisse Weise aus Liebe, und hat sie selbst als ihre Quelle. Eine besondere Eigenschaft der Barmherzigkeit ist aber diese: Eine Verstärkung der von Liebe erfüllten Neigung, welche vereint ist mit dem Gefühl der Trauer. Feinde und Freunde bemühen sich in gleicher Weise, an etwas Gutem teilzuhaben; aber an etwas Traurigem teilzuhaben, ist lediglich denen eigen, die von Liebe erfüllt sind und von allen Banden in diesem Leben hält man die Liebe für das kräftigste; und die Barmherzigkeit ist die Vergrößerung der Liebe2.
Fortsetzung folgt

Bote 1993-5
Vater Justin
Kommentar zum Hl. Evangelium nach Matthäus

Wenn alle Gebote des Evangeliums im Herzen zu leben beginnen, und von oben bis unten durch das Herz gehen, und vom Anfang bis zum Ende, dann reinigt sich das Herz und wird erfüllt von ewiger göttlicher Liebe, dann wird auch das Gewissen gereinigt und auf immer von Gott erfüllt (vgl. 1. Tim. 1,5). Fragt man, wo denn der ganze Mensch sei, so ist die Antwort nach dem Evangelium eine: der ganze Mensch ist im Herzen. Hier ist auch sein ganzes Gewissen, hier sind auch all seine Welten. Am schwersten ist es, das Gewissen vom Bösen zu befreien, diesen gefallenen Engel im Menschen, der ganz aus dem feinsten Gewebe besteht. Das Gewissen wird nur gereinigt - “auf neue und lebendige Art”. Und das wäre? - Durch das Blut Jesu Christi (vgl. Hebr. 9,22). Wenn der Mensch sein Gewissen mit dem lebenspendenden Blut des Gottmenschen Christus kommunizieren läßt, glänzt sein Gewissen mit engelgleicher Reinheit auf, und wird ihm zum unfehlbaren Führer, der ihn mit Sicherheit auf den göttlichen Wegen der Unsterblichkeit und Ewigkeit führt. Und all diese Wege enden im Himmelreich, in welchem das Paradies mit all seinen Seligkeiten ist. 
Nur wenn der Mensch unaufhörlich mit Hilfe der heiligen Tugenden des Evangeliums lebt, nur wenn er in seinem gesamten Wesen unaufhörlich die göttliche Heiligkeit erlebt, reinigt er sich von jeglicher Unreinheit des Leibes und der Seele (vgl. 2.Kor. 7,1). So siedelt sich im Menschen jene heilige göttliche Kraft an, die jegliche Sünde und jegliches Übel weit von ihm entfernt hält, ihm die Reinheit des Herzens sichert, und in dieser - unendliche Seligkeit. Durch die heiligen Tugenden des Evangeliums siedelt sich im Menschen allmählich der Heilige Geist Selbst an, der dem menschlichen Herzen auch alle Kräfte verleiht, deren er zur Rettung von Sünde, Tod und Teufel bedarf, und die für das unsterbliche Leben in dieser und in der ewigen Welt nötig sind (vgl. Apg. 15,8-9; 2. Petr. 1,3). Aus dem Evangelium ist deutlich: es gibt keine Reinigung ohne Heiligung, keine Reinheit ohne Heiligkeit. Und umgekehrt: es gibt keine Heiligkeit ohne Reinheit. Denn die Reinheit von den Sünden erreicht man einzig und allein durch ein heiliges Leben in den göttlichen Tugenden. Im großen und qualvollen Kampf um die Reinigung und Heiligung des Herzens nehmen gemeinsam alle Tugenden des Evangeliums teil, angeführt von Glauben und Gebet. Denn “jegliches Geschöpf Gottes”, und an erster Stelle das gottähnliche menschliche Herz, “wird geheiligt durch das Wort Gottes und das Gebet” (1. Tim. 4,5). Alles jedoch, was sein Herz besudelt, - und das sind die Sünden, Laster, Leidenschaften, und ihre Schöpfer - die unreinen Geister, - wird aus dem Herzen “nur durch Gebet und Fasten” vertrieben (Mt. 17,21). Ja, nur durch Gebet und Fasten! Das ist das allwahre Wort des sündlosen Heilands. Und durch den Glauben siedelt sich Christus im menschlichen Herzen an - das ist ebenfalls ein allwahres Wort des sündlosen Heilands (Eph. 3,17). Und daß der Herr Christus auf immer im menschlichen Herzen bleibt, das erreicht der Mensch, indem er die Gebote des Herrn vollbringt, indem er wandelt wie Er wandelte, lebt wie Er lebte (vgl. Jo. 14,21-23; 1.Jo. 1,7; 2,6; 1.Petr. 1,15). Zweifellos liegt die Seligkeit derjenigen, die reinen Herzens sind, hierin: sie bewahren den Herrn mit seraphimischem Eifer und cherubischer Klarheit in ihrem Herzen, aber auch ihr Herz im Herrn (vgl. Gal. 2,20;Phil. 4,7).
“Niemand hat Gott je gesehen” (Jo. 1,18), - das ist eine Wahrheit, die vor Christus gilt. Aber seit Christus gilt diese Wahrheit: “der Eingeborene Sohn, Der in des Vaters Schoß ist, Der hat uns Gott verkündigt” (Jo. 1,18). Denn im Eingeborenen Sohn Gottes, im Gottmenschen Christus : “wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig” - katoikei pan plªrwma tªV QeøthtoV swmatikŽV” (Kol. 2,9; vgl. 1,19; Eph. 1,23), d.h. Gott wohnt im Körper, wie ein wahrer Mensch. Und wer den Gottmenschen Christus schaut, der schaut tatsächlich Gott. Deshalb sagte Er auch von Sich: “Wer Mich sieht, - der sieht den Vater” (Jo. 14,9). Nur wird das Schauen verstanden, das der menschlichen Natur möglich ist. Der Mensch als begrenztes und relatives Wesen, ist nicht imstande das Wesen Gottes selbst zu schauen, oder es ganz zu erkennen. In dieser Hinsicht gilt die Wahrheit, die der Hl. Apostel Paulus ausdrückte: “Gott wohnt in einem Licht, zu dem niemand kommen kann; Ihn hat kein Mensch gesehen, noch kann er Ihn sehen”(1.Tim. 6,16). Die menschliche Natur ist nicht imstande, das unmittelbare Schauen des Göttlichen Wesens zu ertragen. Das ist eine Wahrheit, die Gott schon im Alten Testament den Menschen eröffnete: “Der Mensch kann Mich nicht sehen und am Leben bleiben” (2. Mos. 33,20). 
Die Menschen können Gott bis zu einem gewissen Grade schauen, und zwar in Bildern, die der menschlichen Natur zugänglich sind. Auch im Gottmenschen Christus Selbst ist Gott durch den Körper verdeckt wie hinter einem Vorhang (vgl. Hebr. 10,20). Und wenn das ewige Licht der Gottheit heller durch Seinen Leib scheint, da fallen Seine Heiligen Jünger mit dem Angesicht zur Erde, da sie diesen Glanz nicht ertragen können. So geschah es bei der Verklärung des Herrn. Und wenn der Herr Jesus zuläßt, daß das ewige Licht Seiner Gottheit etwas stärker leuchtet, da fällt auch der furchtlose Saulus davor auf die Erde und - erblindet! (Apg. 9,3-9). Als der Gottesschauer Moses Gott schaut, sieht er Ihn in einem Bild, das der menschlichen Natur zugänglich ist. Das gilt auch für den Patriarchen Jakob, als er sagt: Gott schaute ich von Angesicht zu Angesicht (1. Mos. 32,30). Das gilt auch für die Gottesschau der Hl. Propheten Jesajas (Jes. 6,1-13), und für jegliche Gottesschau seitens vieler gottgefälliger Menschen: sie sehen nicht Sein Wesen, sondern werden zu Sehern und Teilhabern Seiner ewigen Kraft und Energie, die Seiner Natur eigen sind. Aber bei all dem ist folgendes von Bedeutung: das Schauen Gottes wird nur den Menschen geschenkt, die reinen Herzens sind, Menschen, die mit Hilfe der göttlichen Tugenden ihr Herz geheiligt haben und ständig Gott erleben und Seine Wahrheit, Seine Gerechtigkeit, Seine Liebe und die übrigen göttlichen Tugenden erleben. Wahrhaftig ist das Wort des Verkünders: “Wenn wir Liebe untereinander haben, wohnt Gott in uns” (1. Jo. 4,12). Was für die göttliche Liebe gilt, das gilt auch für die Wahrheit, für die Güte, und für alles Göttliche im Menschen. Denn Gott wohnt im Menschen durch die Tugenden des Evangeliums, indem Er ihn mit unaussprechlicher Seligkeit erfüllt, die in diesem Leben beginnt, um sich im jenseitigen fortzusetzen.
Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen. Hier bezeichnet der Heiland diejenigen als rein, sagt der Hl. Chrysostomos, die die ganze Tugend erlangt haben - kaqolikªn aretªn-, und nichts Böses in sich empfinden, oder diejenigen, die ihr Leben in Keuschheit verbringen -™n swfros¨nh - , denn um Gott zu schauen, brauchen wir nichts so sehr wie diese Tugend. Daher sagte auch der Apostel Paulus: “Jagt dem Frieden nach mit jedermann und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn sehen wird” (Hebr. 12,14). Hier wird von einem solchen Sehen gesprochen, welches dem Menschen möglich ist. Da viele barmherzig sind, nicht stehlen, nicht geldgierig sind, aber Unzucht treiben und sich der Unsittlichkeit hingeben, zeigt der Heiland, daß dieses Erstere nicht ausreicht, noch dieses Gebot hinzu .
Über diese Seligpreisung sagt der Selige Theophylakt: Viele stehlen nicht, und sind zunächst mildtätig, aber sie treiben Unzucht und erweisen sich somit in anderer Hinsicht als unrein. Christus befiehlt also, daß man neben anderen Tugenden auch die Reinheit pflegt, oder die Keuschheit nicht nur im Körper, sondern ebenso im Herzen, denn ohne Heiligkeit und Reinheit wird niemand den Herrn schauen. So wie sich im Spiegel, nur wenn er rein ist, Gesichter wiederspiegeln, so ist auch die Meditation Gottes und das Verständnis der Heiligen Schrift nur einer reinen Seele zugänglich. Denn ohne Heiligkeit, das heißt Keuschheit, wird niemand den Herrn schauen. Denn wie der Spiegel, nur wenn er rein ist, die Gesichter wiederspiegelt, so empfängt auch eine reine Seele das Schauen Gottes. Reinen Herzens sind, sagt Zigaben, die Keuschen - swfroneV.
Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen. Dieses Versprechen ist derart, sagt der Hl. Gregor von Nyssa, daß es jede Grenze der Seligkeit übersteigt. Denn wer wird nach einem solchen Gut noch etwas anderes wünschen, da er alles in dem besitzt, was er schaute? Gewöhnlich bedeutet das Wort “sehen” in der Hl. Schrift das gleiche wie “besitzen” (Ps. 127,6; 26,10). Wer also Gott sieht, der hat bereits im Schauen selbst alles, was alle Güter ausmacht: unendliches Leben, ewige Unverweslichkeit, unsterbliche Seligkeit, endloses Reich, unaufhörliche Freude, wahres Licht, geistliche und süße Speise, unüberwindlichen Ruhm, ununterbrochenen Frohsinn und jegliches Gut .
Einem reinen Herzen wird es geschenkt, Gott zu schauen. Das heißt, daß auch die Reinheit des Herzens nicht unmöglich ist, mit der man selig wird. Aber, wie kann man damit das in Einklang bringen, was der große Johannes sagt: “Gott hat niemand jemals gesehen”(Jo.1,18), und das, was Paulus in hohem Geiste spricht: “Ihn hat niemand von den Menschen gesehen, noch kann er Ihn sehen” (1.Tim. 6,16)? Es ist wichtig, sagt der große Philosoph, dies zu sagen: Die Natur Gottes an sich, nach ihrem Wesen, steht über jeglichem Denken wie etwas, das gedanklichen Kombinationen unzugänglich und mit ihnen unvereinbar ist; auch hat man in den Menschen noch keinerlei Kraft zum Erreichen des Unerreichbaren gefunden, noch hat man irgendein Mittel zum Verständnis des Unverständlichen erdacht.Daher bezeichnet der große Apostel die Wege des Herrn als unerfindlich (Röm. 11,33), womit er besagt, daß selbst menschliche Gedanken nicht den Weg betreten können, der zur Erkenntnis des Wesens Gottes führt. Doch, wenn auch Der, Der über jeder Natur steht, der Natur nach derart beschaffen ist, und außerdem unsichtbar und unbeschreiblich, so ist Er doch in anderer Hinsicht sichtbar und erkennbar. Dafür gibt es viele Mittel. An erster Stelle, nach der im All sichtbaren Weisheit, kann man in gewissem Maße Denjenigen schauen, Der alles durch Weisheit schuf. Betrachten wir die Schönheit der Schöpfung, so erhalten wir dadurch eine Vorstellung nicht vom Wesen, sondern von der Weisheit Dessen, Der alles weise schuf. Bedenken wir die Ursache unseres Lebens, nämlich daß Gott nicht aufgrund irgendwelcher Unumgänglichkeit, sondern durch guten freien Willen die Schöpfung des Menschen vornahm, so sagen wir wiederum, daß wir auch auf diese Weise Gott schauten, da wir Seine Güte, nicht aber Sein Wesen, erkannten. So bezeichnen wir auch alles andere, was uns zum Verständnis des Besseren und Erhabeneren führt, als Gotteserkenntnis, denn jeglicher erhabene Gedanke stellt Gott unserem Schauen vor. Denn sowohl die Macht, als auch die Reinheit, die Unveränderlichkeit, und alles, was dem ähnelt, schafft in unserer Seele eine Vorstellung von einem göttlichen und erhabenen Begriff. Aus dem Gesagten ist deutlich zu erkennen, daß der Herr in Seinem Versprechen wahrhaftig ist, wenn Er sagt, daß die, die reinen Herzens sind, Gott schauen werden; auch lügt Paulus nicht, wenn er betont, daß niemand Gott gesehen hat, oder Ihn sehen kann. Denn Der nach der Natur Unsichtbare wird in Seiner Wirksamkeit (in den Energien) sichtbar, in dem, was um Ihn ist . 
Unser Herr Jesus Christus nennt nicht denjenigen selig, der etwas über Gott weiß, sondern denjenigen, der Gott in sich trägt.: Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen. Dem gereinigten Auge der Seele erscheint Gott nicht wie irgendein Schauspiel - das erklärt uns der Logos Selbst, wenn Er sagt: “Das Reich Gottes ist in euch” (Lk. 17,12). Diese Worte nämlich besagen, daß derjenige, der sein Herz von allem Stoffhaften und von jeglicher leidenschaftlichen Neigung reinigt, in seiner eigenen Schönheit das Antlitz Gottes schaut. Denn in dir liegt dein Maß des Erreichens Gottes, Der dich so geschaffen hat, daß Er sogleich in der Natur ein solches Gut verwirklichte. Denn in deiner Zusammensetzung spiegelte Er die Ähnlichkeit der Güter Seiner Eigenen Natur wider, als habe Er sie in einer Art Wachs eingeritzt. Doch das Laster hat, da es die gottähnlichen Züge verwischte, das Gut nutzlos gemacht, das von widerlichen Schmutzschichten zugeschüttet ist. Wenn du also die Unreinheit, die sich auf dein Herz gelegt hat, durch ein eifriges Leben abwäscht, dann glänzt in dir wieder die gottähnliche Schönheit auf. So wie ein Nagel, wenn der Rost abgekratzt wird, obwohl er ganz schwarz war, jetzt der Sonne Strahlen wiedergibt und glänzt; so beginnt auch der innere Mensch, den der Herr als das Herz bezeichnet, wenn er sich von dem Rost der Unreinheit befreit, der auf seinem Antlitz durch die Liebe zum Bösen erschien, seinem Urbild wieder zu ähneln und wird gut; denn das, was dem Guten ähnelt, ist zweifellos gut. 
Fortsetzung folgt

Bote 1993-6
Vater Justin
Kommentar zum Hl. Evangelium nach Matthäus

Daher sieht derjenige, der sich selbst sieht, in sich auch das, was er wünscht; und so wird der, der reinen Herzens ist, selig, denn indem er seine eigene Reinheit schaut, sieht er in diesem Bild das Urbild. Denn wie jene, die die Sonne in einem Spiegel sehen, obwohl sie ihren Blick nicht auf den Himmel lenken, dennoch die Sonne im Spiegel nicht weniger klar sehen, als jene, die den Sonnenball selbst anschauen, so werdet auch ihr, sagt der Herr, wenn ihr auch keine Kraft habt, um das Licht selbst anzuschauen, in euch das finden, was ihr sucht, wenn ihr euch jener Gnade des Bildes zuwendet, welche euch am Anfang gegeben wurde. Denn die Reinheit, Furchtlosigkeit, Entfremdung von jeglichem Bösen, das ist die Gottheit. Wenn dies also in dir ist, so ist ohne Zweifel Gott in dir; wenn dein Denken von jeglichem Bösen frei ist, frei von Leidenschaft und weit von jeglicher Befleckung, so bist du selig gemäß deiner Weitsicht. Denn indem du dich gereinigt hast, hast du das geschaut, was für jene, die sich nicht gereinigt haben, nicht sichtbar ist; und indem du den materiellen Nebel von deinen seelischen Augen entfernst, siehst du einen seligen Anblick am reinen Himmel des Herzens. Was genau? Reinheit, Heiligkeit, Einfachheit und alle ähnlichen lichttragenden Reflektionen der Göttlichen Natur, in denen Gott sichtbar ist. 
Wie der Mensch sich selbst und sein Herz reinigen kann, sagt der hl. Gregor von Nyssa, das kann man beinahe aus jeder Belehrung des Evangeliums erfahren. In den Geboten, welche bei der Bergpredigt auf die Seligpreisungen folgen, befindet sich die deutliche Lehre über die Reinigung des Herzens. Hier schreibt der Herr nacheinander die Gesetze gegen jegliche Art von Lastern vor. Und überhaupt, in jedem Gebot wirst du ein Wort finden, welches wie ein scharfer Pflug, aus der Tiefe des Herzens die Wurzeln des Bösen ausreißen und das Wachsen der Dornen verhindern wird1.
Selig sind die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.
Wie dumm sind jene, sagt der selige Augustinus, die Gott mit den äußeren physischen Augen suchen, während Er mit dem Herzen geschaut wird! Wie an anderer Stelle gesagt ist: “In der Einfachheit des Herzens sucht Ihn!” (Weisheit Salomos 1,1). Denn ein einfaches Herz ist auch ein reines Herz. Und wie dieses Licht geschaut werden kann, nur mit den Augen, welche rein sind, so kann man auch Gott nicht schauen, solange nicht das rein ist, mit dem man Ihn schauen kann2. Denen, die reinen Herzens sind, ist die Kraft gegeben, Gott zu schauen, wie jenen, die ein reines Auge haben zum Schauen der ewigen Dinge3.
Der wunderbarste Gottesschauer unter den heiligen Vätern, der hl. Simeon der Neue Theologe, behauptet entschieden: “Sagt nicht, daß Gott für die Menschen unsichtbar sei! Sagt nicht, daß die Menschen das Göttliche nicht schauen, oder daß dies in unserer Zeit nicht möglich sei! Niemals war dies unmöglich, sondern sogar sehr möglich für jene, die es wünschen, insbesondere für jene, die ein Leben in der Reinigung von den Leidenschaften durchlaufen und dadurch die Augen geistig gereinigt haben4. “Ein reines Herz schafft nicht eine oder zwei oder zehn Tugenden, sondern alle gemeinsam, indem sie ineinanderfließen, sozusagen in eine Tugendhaftigkeit, welche in der letzten Stufe der Vollkommenheit erreicht wird”5.
Selig sind die Friedensstifter, denn sie werden Söhne Gottes heißen. 
Hier ist die Fülle der neutestamentlichen Seligpreisungen und darin die Fülle der neutestamentlichen Tugenden. Denn dieses ist ein Geschenk des fleischgewordenen Sohnes Gottes, des Herrn Jesus Christus. Die Menschen können zu Gottessöhnen werden, weil der Sohn Gottes zum Menschensohn wurde, und als Mensch gibt Er den Menschen göttliche Kraft, mit deren Hilfe sie Gottes Söhne werden. Das Friedensstiften ist eine göttliche Tugend, welche im vollkommensten und erhabensten Sinn dem Gottmenschen Christus eigen ist, den Menschen aber nur so weit eigen sein kann, so weit sie in Ihm leben, in Ihm und Seinem Willen. In dieser heiligen Tugend ist alles vom Gottmenschen: ihre Kraft und ihre Seligkeit. Und der Mensch? – Der Mensch stellt seine Seele für diese Tugend zur Verfügung.
Hier ist die Rede nicht von gewöhnlichem Frieden, sondern von einem Frieden, in welchem die göttliche Seligkeit beschlossen ist. Was bedeutet das? Das bedeutet, daß hier die Rede von einem Frieden ist, welcher an erster Stelle ein inneres Erlebnis der Seele ist, ein Erlebnis, welches in einen ununterbrochenen Zustand der Seele übergeht. Diese Stimmung ergreift und umfaßt die gesamte innere Welt des Menschen: alle Gedanken, alle Gefühle, alle Wünsche. Nur, dieser Friede ist die Folge eines langen und totalen, aber unsichtbaren Krieges der Seele. Der Kriegsschauplatz ist das Herz des Menschen und den Krieg führen Gut und Böse, Tugenden und Laster, Gott und der Teufel. Und im Menschen gibt es dies alles: sowohl das Gute als auch das Böse, sowohl die Tugenden als auch die Laster, sowohl Gott als auch den Teufel. Zwischen diesen Gegensätzlichkeiten ist der Krieg vollkommen natürlich, denn zwischen ihnen gibt es nichts wirklich Gemeinsames. Und wenn sie im Herzen des Menschen aufeinandertreffen, so bekämpfen sie sich bis zur Vernichtung.
Das Böse wächst und macht sich bemerkbar durch verschiedene und zahllose Sünden. Aber jede Sünde für sich und alle Sünden gemeinsam kämpfen gegen alles was göttlich, unsterblich und ewig ist im Menschen. Kämpft nicht etwa jegliche Sünde durch ihr Böses gegen das Gewissen, gegen jegliches göttliche Gute in ihr, welches sie eben gottähnlich macht, unsterblich und Gott zustrebend? Beginnt nicht jegliche Lüge in dem Moment, in dem sie in die menschliche Seele eindringt, um mit der Wahrheit in ihr zu kämpfen, mit jener göttlichen Wahrheitsliebe in ihr, welche die ganze Seele in die höhere Welt zieht, wo die Ewige Wahrheit regiert und waltet? Erklärt nicht jegliches Böse in dem Moment, in dem es sich durch die Sünde in die menschliche Seele einschleicht, allem Guten im Menschen den Krieg, weil alles Gute im Menschen selbst durch seine Natur den Menschen mit dem Ewigen und Vollkommenen Guten – Gott – verbindet und zusammenschweißt? Kämpft die Sünde etwa nicht durch ihre Finsternis gegen den menschlichen Verstand, den Verstand, welcher nach den unendlichen und heiligen Anblicken der göttlichen Wahrheiten lechzt? Kämpft etwa das Böse, wenn es sich mit Hilfe irgendeiner Sünde im menschlichen Körper einnistet, nicht unbarmherzig mit dem Körper, weil dieser der Tempel der gottähnlichen, unsterblichen Seele ist, dieser wunderbaren Himmelskönigin in unserem verlorenen irdischen Paradies? Es gibt kein Böses, es gibt keine Sünde, es gibt kein Laster in dieser menschlichen Welt, welche nicht einen unerbittlichen Krieg gegen jegliches menschliche Gute führte, gegen das Höchste wie das Geringste, das Sichtbare und Unsichtbare, denn das Böse ist dadurch böse und die Sünde ist dadurch Sünde, und das Laster dadurch Laster, daß sie unversöhnlich das Gute hassen, und wünschen, daß es aufhört zu existieren, wie im Menschen so auch in allen Welten um und über dem Menschen.
Kann dieser innere, geistliche, unsichtbare Krieg in der menschlichen Seele mit einem vollkommenen Sieg des Guten über das Böse und der Herrschaft eines dauernden seligen Friedens enden, welcher zum Bestandteil der Seele würde und sie in allen ihren Welten begleitete? Ja, das ist möglich! Und zwar nur durch Christus, unseren Gott. Zeuge dessen ist die gesamte Erfahrung des Menschengeschlechtes. Denn nur Christus, welcher die Verkörperung des Vollkommenen Göttlichen Guten in der menschlichen Welt ist, hat die Kraft, um jegliches Böse vollkommen zu besiegen, insbesondere auch alles Böse zusammen in unserer Welt. Dies tut Er mit Hilfe der göttlichen Tugenden und der göttlichen Kräfte, die in ihnen sind. Denn Seine göttlichen Tugenden sind zu gleicher Zeit auch göttliche Kräfte. Darin besteht der ganze Unterschied zwischen Christi Tugenden und allen übrigen Tugenden, von denen alle übrigen Religionen, Philosophien, Ethiken und Kulturen sprechen. Da Er ewig lebt, da Er durch Seine Auferstehung den Tod besiegte, besiegt der Gottmensch in den Seelen Seiner Nachfolger durch die Tugenden des Evangeliums, durch Seine göttlichen Kräfte jegliche Sünde und jegliches Böse. Durch jede Tugend ergießt sich in die Seele göttliche Kraft; und durch alle Tugenden ergießen sich in die Seele des Menschen Christi alle göttlichen Kräfte, die für den Sieg über alle Arten von Sünde und Böses notwendig sind. Entleert der Haß die menschliche Seele, so muß man dagegen die Liebe des Evangeliums ins Feld führen, und sie wird durch ihre allbesiegende Kraft den Haß verjagen, und der Seele wird sich ein göttlicher seliger Frieden bemächtigen. Peinigt dich Zorn, so führe in deine Seele die Sanftmut des Evangeliums, und sie wird durch ihre göttliche Kraft dessen gesamte dämonische Kraft überwinden. Würgt dich der Stolz, so stelle vor ihn die Demut des Evangeliums und durch seine göttliche Kraft wird sie aus dir das teuflische Böse vertreiben. Zerreißt dich die Fleischeslust, so führe gegen sie das Fasten und Beten ins Feld, und sie wird aus dir fliehen wie ein verstörter Schatten. So führe gegen jede Sünde, Laster und Leidenschaft die entsprechende Tugend des Evangeliums an, und sie werden sie durch ihre göttliche Kraft überwinden und vernichten. Und in deiner Seele wird der Friede Christi zu herrschen beginnen, jener ungewöhnliche und einzigartige Frieden, von dem der Heiland Seinen heiligen Schülern beim Letzten Abendmahl sagt: “Friede lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch” (Jh 14,27).
Der Friede Christi ist ein außerordentlicher Friede, denn er siedelt sich in der Seele an, wenn aus ihr die Sünden verschwunden sind. Aber die Sünden kann nur Der Eine Sündlose in der Seele besiegen und aus ihr vertreiben. Du glaubst nicht? Dann führe in die Seele Platon, Napoleon, Kant, Goethe, Buddha, Mohammed und all die übrigen Weisen dieser Welt ein, und alle werden sie hilflos und ohnmächtig sein vor der furchterregenden Kraft der Sünde, des Bösen und des Todes. Warum? Weil sie auch selbst Sklaven der Sünde, des Bösen und des Todes sind. Der Gottmensch aber vertreibt durch Seine göttliche Kraft mit Hilfe der Tugenden aus der menschlichen Seele alle Sünden, alles Böse, alle Tode. Und so beginnt in der Seele ein ungewöhnlicher Friede, ein Friede, dessengleichen die Welt wirklich nicht kennt, den die Menschheit nicht gibt, noch geben kann. In jeder Tugend Christi gibt es unvergleichlich mehr göttliche Kraft des Guten als in der entgegengesetzten Sünde dämonische Kraft des Bösen. So gibt es in der LIebe des Evangeliums so viel göttliche Kraft, daß sie imstande ist, jeglichen dämonischen Haß leicht, wie einen Schatten zu besiegen. Dasselbe triftt ebenso für die Demut des Evangeliums gegenüber dem Stolz zu, für die Sanftmut des Evangeliums gegenüber dem Zorn, für das Mitleid des Evangeliums gegenüber der Gefühllosigkeit und überhaupt für alle Tugenden des Evangeliums gegenüber den antipoden Lastern. Alle sind sie unbesiegbare Siegerinnen, welche keine Niederlage kennen, nur wenn sich ihnen der Mensch mit seinem ganzen Herzen hingbit, seiner ganzen Seele, seiner ganzen Kraft, seinem ganzen Wesen.
Die Sünden sind mittelbar oder unmittelbar die wichtigsten Keimträger und Verursacher jeglichen seelischen Unfriedens, aller Stürme und Verzweiflungen. Wenn die Seele von der Liebe zur Sünde erkrankt, so befindet sie sich in ständigem Krieg gegen Gott. Ob er will oder nicht, der Mensch kämpft durch die Sünde immer gegen Gott und alles Göttliche. Das ist der unvernünftigste Krieg unter dem Himmel, denn der Ohnmächtige kämpft mit dem Allmächtigen. Daher entstehen in diesem Kampf so viele Qualen, so viele Leiden, so viele Schrecknisse, so viele Tode für den Menschen. Aber all dies nimmt ein Ende, und der Frieden mit Gott setzt ein, wenn Christus mit Hilfe der göttlichen Tugenden die Sünden aus der menschlichen Seele entfernt. Das ist eine Wahrheit, die durch die Erfahrung aller Heiligen und vieler Millionen wahrer Christen bezeugt ist. Eine erstklassige Tatsache des Evangeliums lautet: “Den Frieden mit Gott haben wir durch unsern Herrn Jesus Christus” (Röm 5,1). “Er ist unser Friede”, unser Friede mit Gott, bestätigt der Hl. Apostel für den Herrn Jesus Christus (Eph 2,14), denn durch Sein gottmenschliches Werk unserer Rettung entfernte Er und entfernt ständig zwischen uns und Gott all das, was in uns gegen Gott hadert, und das sind die Sünden (Eph 2,15-19). Die Wahrheit ist offensichtlich: “Das alles aber kommt von Gott, der uns durch Christus mit Sich versöhnt hat” (2. Kor 5,18). Daher heißt das Evangelium Christi auch “Evangelium des Friedens” (Eph 6,15). Wenn der Mensch nach diesem Evangelium des Friedens lebt, erfüllt er seine Seele mit gottmenschlichem Frieden, und er erlebt unaussprechliche Seligkeit, welche der menschlichen Natur nur das Leben in Christus verleiht, nicht aber in irgendjemand anderem noch in irgendetwas anderem (vgl. Jh 16,33). Und dies ist jener besondere, jener außergewöhnliche “Frieden Gottes, der jeden Verstand übersteigt” und unsere Herzen bewahrt und unsere Gedanken im Herrn Jesus (Phil 4,7). 
Wenn der Mensch durch das Evangelium des eingeborenen Sohnes Gotttes lebt, das Evangelium des Friedens, so wird er selbst zum Sohn Gottes der Gnade nach. Und wenn er dies wird, so ist er bereits ein Friedensstifter, denn er wird mit all seinem Wesen sich bemühen, zwischen sich und den Menschen den Frieden Christi zu errichten. Auf welche Weise? Auf die Weise, daß er nicht zuläßt, daß die Sünden Mittler zwischen ihm und den übrigen Menschen werden, und daß er die Menschen nicht nach ihren Sünden schätzt, sondern nach ihren guten Eigenheiten. Er appelliert immer an das Gute in jedem Menschen und baut darauf seine Beziehungen zu den Menschen auf. Dabei ist für ihn die höchste Regel jenes heilige Wort des Evangeliums: “Soweit es möglich ist und es auf euch ankommt, haltet mit allen Menschen Frieden” (Röm 12,18; vgl. 2. Thess 3,16). Einen solchen Frieden kann man nur durch ein heiliges Leben erreichen (vgl. Hebr 12,14). Das ist “der Frieden in Christus Jesus” (1 Petr 5,14), der Frieden zunächst mit Gott und danach auch mit den Menschen, mit Hilfe eines heiligen Lebens in den Tugenden des Evangeliums.
Da sie den Frieden Christi in sich haben, strahlen die Friedensstifter diesen Frieden aus, und predigen im Evangelium Frieden (vgl. Eph 2,17), und zeigen durch ihr gesamtes Leben, daß Christus der Gott des Friedens ist (Phil 4,9; Röm 5,33; 16,20; 1. Thes 5,22; Hebr 13,20), “der Herr des Friedens” (2. Thes 3,16). Indem sie in der menschlichen Welt durch den Gottessohn, den Herrn Jesus Christus leben, diesen einzigen allvollkommenen Friedensstifter, beruhigen die Friedensstifter durch ihr Auftreten allein stürmische und besänftigen unfriedliche Seelen. Allein dadurch, daß sie leben, schaffen sie Frieden. Sie kämpfen ständig mit den menschlichen Sünden, aber mit Mitteln des Evangeliums. Für sie ist es offensichtlich: die Sünden schaffen in der menschlichen Seele Unfrieden, Krieg und Chaos, die Tugenden aber Frieden, Güte und Seligkeit. Das Leben im Sohne Gottes mit Hilfe der heiligen Tugenden schafft eine unaussprechliche, göttliche Seligkeit für die menschliche Natur. Diese Seligkeit ist das ewige Los der Söhne Gottes nach der Gnade: der Friedensstifter. Deshalb ist auch gesagt: Selig sind die Friedensstifter, denn sie werden Söhne Gottes heißen.
Die Tugend des Friedensstiftens, die siebente an der Reihe, beginnt in der ersten Tugend des Evangeliums, der Demut, wächst durch die zweite, veräs-telt sich durch die dritte, wird aufgeblättert durch die vierte, blüht durch die fünfte, reift durch die sechste, und erreicht so ihre Individualität und Selbständigkeit. In allen vorangegangenen Tugenden führt der Mensch ununterbrochen Krieg mit den Sünden und den Leidenschaften mit Hilfe göttlicher Kräfte. Jede Tugend des Evangeliums ist wie ein unzerbrechliches göttliches Schwert, welches die Sünden und Leidenschaften unbarmherzig ausrottet. Dieser ständige Kampf mit sich selbst ist eben die Berufung des Evangeliums für den Christenmenschen in dieser Welt. Davon sprechen deutlich jene ungewöhnlichen Worte des Heilandes: “Glaubt nicht, Ich sei gekommen, Frieden in die Welt zu bringen, nicht Frieden wollte Ich bringen, vielmehr das Schwert” (Mt 10,34). In unsere irdische Welt kam der Herr Christus herab als göttliches Feuer, welches alle Sünden verbrennt, alle Laster, alle Tode und alle Welten über dem Menschengeschlecht erleuchtet. Wenn der Herr mit Hilfe der Tugenden des Evangeliums in die menschliche Seele eintritt, so entflammt sie sofort mit göttlichem Feuer: es brennt in ihm, und sie verbrennt nicht, die gottebenbildliche, sondern es verbrennen alle ihre Leidenschaften, all ihre Sünden, alle ihre Tode. Davon verkündet beredt der Herr, wenn Er sagt: “Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen, und wie wünschte Ich, daß es lodere empor” (Lk 12,49).
Der wunderbare “Herr des Friedens”, der in der von Sünde und Leidenschaften gereinigten Seele mit Hilfe der göttlichen Tugenden anwesend ist, erfüllt die Seele mit unaussprechlicher Seligkeit, welche nie endet, weder in dieser noch in jener Welt. Dieser Seligkeit gegenüber steht Qual und Unfriede und Verzweiflung von der Anwesenheit der Sünden in der Seele. Jede Sünde ist eine Peinigerin der Seele und eine Kriegsspenderin in der Seele. Unter dem Einfluß der Sünden wechseln in der Seele des sündenliebenden Menschen ununterbrochen schwere und quälende Stimmungen ab: Zorn, Bosheit, Unfriede, Verzweiflung, Haß, Leid, Fleischeslust, Gier, Schadenfreude, Stolz. All das kämpft unbarmherzig gegen die Seele, gegen alles angeborene oder durch Tugend erworbene gottähnliche Gute. Und wenn der Mensch nicht mit den Sünden in sich kämpft, so wird er zum blutigen Schlachtfeld, auf dem stets schöne Gefühle, reine Gedanken, gute Absichten den Lüsten des Fleisches und den Leidenschaften geopfert werden, und durch die erbärmliche Seele donnert Chaos, Schmerz und Tod. Und das heißt: Unfriede, Unfriede, Unfriede. Ein solcher Mensch strahlt sein Dunkel aus, denn auch das Dunkel hat seine eigenen Strahlen, mit deren Hilfe es sich auf die umgebenden Seelen ergießt. Ein solcher Mensch ruft sehr häufig, ob er es will oder nicht, durch sein Auftreten allein, bei anderen Menschen schwere, quälende, sündige Neigungen hervor. Sein Böses kämpft immer gegen jegliches Gute in den Menschen: Seine Sünden und seine Leidenschaften und seine Lüste rufen immer Krieg gegen alles Ehrbare, Heilige, Göttliche, Unsterbliche, alles, was Christus angehört in den Menschen hervor, ob er das will oder nicht. Direkt oder indirekt sind die Sünden, Lüste und Leidenschaften immer Ursache allen Unfriedens und aller Kriege zwischen den Menschen. Ganz von der göttlichen Wahrheit ist dieses Wort des hl. Apostels: “Woher kommt Zank und woher Streit bei euch? Woher denn anders als von euren Lüsten, die in euren Gliedern streiten?” (Jak 4,1). Und durch die Lüste zieht unsichtbar jener wichtigste Schöpfer der Sünde, des Krieges und des Todes in die Menschen ein. Und mit ihm und nach ihm – auch die ganze Hölle, mit all ihrem Schrecken, all ihren Verzweiflungen, all ihrem Leid, all ihren Drangsalen. All das zu tragen und zu ertragen, das ist nicht nur schwer, sondern das ist ein ganzer Fluch für die menschliche Natur. In einem solchen Fall ist es auch erbärmlich und eine Qual und furchtbar und grausam und ein Fluch – ein Mensch zu sein. Wenn wir die sündigen Menschen mit den seligen Friedensstiftern vergleichen wollten, könnte man sagen: Unglücklich sind sie, armselig sind sie, verflucht sind die Kriegsstifter, denn sie werden Söhne des Teufels heißen! Ja, Söhne des Teufels! Denn der heilige Mund des Lieblingsschülers des Herrn sprach durch den Heiligen Geist diese Wahrheit aus: “Wer die Sünde begeht, stammt vom Teufel, denn der Teufel sündigt von Anfang an... Die Kinder Gottes und des Teufels sind daran zu erkennen” (1 Joh 3,8 und10). Und Kinder des Teufels sind “Söhne des Teufels” (Mt 13,38; vgl. Apg 13,10).

Bote 1994-1
Kommentar zum Hl. Evangelium nach Matthäus

Wo Sünde ist, da gibt es keinen Frieden, denn die Sünde ist ihrer Natur nach Krieg mit Gott oder Krieg mit den Menschen und der übrigen Schöpfung Gottes. Nur der Sündlose, d. h. der Allheilige ist der einzige Besitzer, der einzige Träger, der einzige Spender wahren Friedens, und Er gibt ihn den Menschen entsprechend ihrer Heiligkeit. Und zwar gibt Er ihn durch den Heiligen Geist, in dessen Reich es keinen sündigen Unfrieden und aufrührerische Gesetzlosigkeit gibt. Daher steht geschrieben: “Das Reich Gottes ist Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist” (Röm. 14, 17). Das ist jener “Frieden von oben”, um den wir mehrmals täglich in der Friedensektenie und der inständigen Ektenie bitten. Er lebr im Himmelreich zwien der göttlichen Gerechtigkeit und der göttlichen Freude, weshalb in ihm soviel göttliche Seligkeit ist. Das Reich Gottes bedeutet Frieden in Gerechtigkeit und Freude; das Reich des Teufels aber bedeutet Unfrieden in Ungerechtigkeit und Trauer. Der Friede Chrisi ist der Friede des Heiligen Geistes, immer gleichen Wesens mit der Gnade denn Friede und Gnade sind untrennbar in Gefühl und Bewußtsein der Kirche (vgl. 1 Kor. 1, 3; 2 Kor. 1, 2; Gal. 1, 3; Eph. 1, 2; Phil. 1, 2; Kol. 1, 2; 1 Thess. 1, 1; 2 Thess. 1, 2; 1 Tim. 1, 2; 2 Tim. 1, 2; Tit. 1, 4; Philemon 3; 1 Petr. 1, 2; 2 Jo. 3; Offb. 1, 4). Dies ist der Grund dafür, daß der Frieden ein Geschenk der Hl. Geistes ist: Er entspringt und wächst und entwickelt sich und wird vollkommen nur in engster Gemeinschaft und im Zusammenleben mit allen übrigen Tugenden des Evangeliums, mit allen übrigen Gaben des Hl. Geistes (vgl. Gal. 5, 22; 2 Tim. 2, 22; Jud. 2; 2 Jo. 3).

Zweifellos ist es eine außergewöhnliche Seligkeit für den Menschen ein Sohn Gottes zu sein. Doch wie wird man Sohn Gottes ? – Indem man von Gott geboren wird. Nur Christus ist Gottes Sohn der Natur nach, doch die Menschen können Gottes Söhne der Gnade nach werden. Und sie werden dies, indem sie von Gott durch die heiligen Tugenden geboren werden (Jo. 1, 12-13). Wenn die Menschen die heiligen Tugenden des Evangeliums erfüllen, werden sie Gottes Söhne der Gnade nach (Mt. 5, 45-48). Auf diesem Weg führt sie der gute Tröster (Röm. 8, 14), Der ihre Herzen durch Sich erfüllt: mit heiligen Gedanken, heiligen Gefühlen, heiligen Stimmungen (vgl. Gal. 4, 6-7). Für all das erwidern sie Gott durch grenzenlosen, uneingeschränkten, unwankelhaften Glauben (vgl. Gal. 3, 26), indem sie mit Hilfe der heiligen Tugenden des Evangeliums in der Reinheit des Evangeliums leben (vgl. 2 Kor. 6, 17).
Die reinen Herzens sind schauen Gott. Das ist eine große Seligkeit. Die Seligkeit der Friedenstiftens ist größer und inniger, denn hier wird der Mensch von Gott geboren, wird zum Gottessohn: seine Gedanken werden von Gott geboren, seine Gefühle, seine Wünsche und Werke. Und alles, was in ihm ist, ist unsterblich, ist ewig, ist selig, denn es ist vom lebendigen und wahren Gott. Indem die Menschen von Gott geboren werden, und Gottessöhne werden, werden sie in der Tat zu Brüdern des einzig geborenen Sohnes Gottes, unseres Herrn Jesus Christus, welcher diese Frohbotschaft aussprach: “Wer den Willen Meines Vaters vollbringt, Der im Himmel ist, Der ist Mein Bruder, und Meine Schwester, und Meine Mutter” (Mt. 12, 49). Der Wille des himmlischen Vaters ist in Christus und Seinem Evangelium (vgl. Eph. 1, 7-10). Wer das Evangelium Christi erfüllt, wird geistlich von Ihm geboren, wird Sein Bruder der Gnade nach. Friedensstifter sind sowohl Söhne Gottes als auch Brüder Christi, weshalb ihrer Seligkeit kein Ende ist.
In der dinglichen Welt ist der Friede zweifellos die erste kosmische Realität: alles und alles sind in unendlicher Harmonie und Einigkeit. Durch den Eintritt der Sünde in die Welt wurde diese Harmonie und diese Alleinigkeit gestört. Von dem Moment an wurde alles gleichsam von seiner Grundlage versetzt, und rückte ins Chaos, in die Unordnung, in den Unfrieden. Offensichtlich ist die Sünde die Quelle des Unfriedens und der Unordnung, die Quelle des Friedens und der Ordnung dagegen die Logoshaftigkeit, die Heiligkeit. Die logoshafte Einigkeit der Wesen und Geschöpfe ist eben der Unterpfand der Friedens, der Ordnung, der Harmonie; die sündige Zerbrochenheit der Wesen und Geschöpfe ist die Ursache des Unfriedens, der Unordnung, der Disharmonie. – Im Reich des Lebens und Daseins ist Gott der wichtigste und erste Friedensstifter; der Teufel ist der wichtigste und erste Kriegsstifter, denn er ist der wichtigste Sündenstifter. Die Sünde führt in erster Linie von Gott weg, Der die Achse jeglichen Wesens und jeglichen Geschöpfes ist; und dann beginnt der Absurz ins Chaos, in die Unordnund, in den Unfrieden. “Woher kommt der Kampf unter euch, woher der Streit? Kommt’s nicht daher, daß in euren Gliedern die Gelüste gegeneinander streiten?” (Jak. 4, 1). Jede, selbst die allerkleinste Sünde, ist Hefeteig für den Unfrieden und die Unordnung, zunächst Unfrieden und Unirdnung gegenüber Gott und vor Gott, und sodann gegenüber den Menschen und vor den Menschen. Die Sünde ist der erste und einzige Störer der kosmischen und menschlichen Alleinheit. Daher ist die gesamte Schöpfung zersplittert, uneins, und so auch die menschliche Natur: hier kämpfen durch die Sünde alles gegen alles, jeder gegen alle und alle gegen jeden. Der fleischgewordenene Gott Logos ist das einzige Heilimittel gegen diesen allgemeinen Krieg in der Sünde, und daher heilt Er auch als Einziger diese verhängnissvolle Zersplitterung und Uneinigkeit der Schöpfung und der menschlichen Natur. Der Einziggeborene Sohn Gottes heilt die von Sünde erkrankte Natur durch die Gottessöhne der Gnade nach (vgl. Rö. 8, 18-22), und trägt in sie jenen vorsündigen und präsündigen göttlichen Frieden, der Seligkeit in der Alleinheit und Alleinheit in der Seligkeit bedeutet. Als Haupt des dinglichen Kosmos, und des geheiligten Kosmos, der Kirche, ergießt der fleischgewordene Gott Logos Seinen göttlichen Frieden über das ganze Wesen der Kirche, indem er die Glieder der Kirche heiligt, und durch sie auch die ganze Schöpfung (vgl. Kol. 1, 16-22). Das ist der “Friede Gottes” – “in einem Leibe” (vgl. Kol. 3, 15), in einem Organismus: dem gottmenschlichen. Dies ist jener allvereinende Friede, für den die Orthodoxe Kirche Tag und Nacht seufzend zu dem wunderbaren und allerbarmenden Weltenschöpfer betet: “um den Frieden der ganzen Welt”, “Frieden der Welt zu geben”, “dem Weltall den Frieden zu geben”, “Frieden und großes Erbarmen zu schenken”...
Selig sind die Friedenstifter. Hier verurteilt der Heiland, sagt der Hl. Chrysostomos, nicht nur Bruderzwist und Haß, sondern fordert auch darüber hinaus: daß wir die zerstrittenen versöhnen. Und wieder führt Er eine geisltiche Belohnung an. Was für eine? Denn sie werden Söhne Gottes heißen, denn es war auch das Werk des einzig geborenen Sohnes, das Getrennte zu vereinen und das Zerstrittene zu versöhnen1. Unter Friedensstifter, sagt der selige Theophilakt, sind nicht nur jene zu verstehen, die selbst mit allen in Frieden leben, sondern auch jene, die die Zertrittenen versöhnen. Friedensstifter sind auch jene, die durch ihre Belehrung die Feinde Gottes zur Wahrheit bekehren. Solche sind Gottessöhne, denn uns versöhnte auch der Einziggeborene Sohn Gottes mit Gott.

Bote 1994-2
Kommentar zum Hl. Evangelium nach Matthäus

In der dinglichen Welt ist der Friede zweifellos die erste kosmische Realität: alle und alles befindet sich in einer unendlichen Harmonie und alles übergreifenden Einheit. Durch den Eintritt der Sünde in die Welt ist diese Harmonie und diese Alleinheit verletzt. Von diesem Moment an hat sich gleichsam alles von seinen Fundamenten losgerissen, ist in Chaos geworfen, in Unordnung, in Unfrieden. Offensichtlich ist die Sünde die Quelle des Unfriedens und der Unordnung, die Quelle des Friedens und der Ordnung dagegen - die Logoshaftigkeit, die Heiligkeit. Die logoshafte Alleinheit der Geschöpfe und Wesen ist der Unterpfand von Frieden, Ordnung, Harmonie; die sündhafte Zersplitterung der Wesen und Geschöpfe ist der Grund des Unfriedens, der Unordnung, der Disharmonie. - Im Reich des Lebens und der Existenz ist Gott der wichtigste und erste Friedensstifter; der Teufel - der wichtigste und erste Kriegsstifter, denn er ist der wichtigste Hervorbringer der Sünde. Die Sünde trennt zunächst von Gott, welcher die Achse jeglichen Wesens und jeglichen Geschöpfes ist; und danach setzt der Absturz ins Chaos, in die Unordnung, den Unfrieden ein. “Woher kommt der Kampf unter euch, woher der Streit? Kommt’s nicht daher, daß in euren Gliedern die Gelüste gegeneinander streiten?” (Jak. 4,1). Jede, auch die allergeringste Sünde ist Hefeteig für Unfriede und Unordnung, in erster Linie Unfriede und Unordnung gegenüber Gott und vor Gott, und darauf gegenüber den Menschen und vor den Menschen. Die Sünde ist der erste und einzige Störenfried der kosmischen und menschlichen Alleinheit. Daher ist die gesamte Schöpfung zersplittert, uneins, und so auch die Natur des Menschengeschlechtes: hier kämpft durch die Sünde alles gegen alles, alle gegen alle, jeder gegen jeden. Der fleischgewordene Gott-Logos ist das einzige Heilmittel gegen diesen allgemeinen Krieg der Sünde, und daher heilt Er auch Allein diese verhängnisvolle Zersplitterung und Uneinigkeit der Schöpfung und der menschlichen Natur. Der Einziggeborene Sohn Gottes heilt die von der Sünde erkrankte Natur durch Söhne Gottes der Gnade nach (vgl. Röm. 8,18-22), und trägt in sie jenen vor-sündigen Frieden, welcher Seligkeit in der All-Einheit und Alleinheit in der Seligkeit bedeutet. Als Haupt des dinglichen Kosmos und des geheiligten Kosmos, der Kirche, ergießt der fleischgewordene Gott Logos seinen göttlichen Frieden über das ganze Wesen der Kirche, heiligt die Glieder der Kirche, und über sie auch die gesamte Schöpfung (vgl. Kol. 1,16-22). Das ist der “Friede Gottes” - “in einem Leib” (vgl. Kol. 3,15), in einem Organismus: dem gottmenschlichen. Das ist jener alleinigende Friede, für den die Orthodoxe Kirche Tag und Nacht flehend den wunderbaren und allbarmherzigen Weltenschöpfer bittet: “für den Frieden der ganzen Welt”, “der Welt Frieden zu schenken”, “Frieden dem Weltall zu schenken”, “Frieden und große Gnade zu schenken” und ...
Selig sind die Friedensstifter. Hier verurteilt, sagt der Heilige Chrysostomos, der Heiland nicht nur Zwistigkeiten und Haß, sondern fordert auch etwas darüber Hinausgehendes: daß wir zwischen Zerstrittenen Frieden stiften. Und wiederum führt Er einen geistlichen Lohn an. Welchen? Denn sie werden Söhne Gottes heißen, denn auch das Werk des Eingeborenen Sohnes bestand darin, das Getrennte zu einen, und das Zerstrittene auszusöhnen1. Unter Friedensstiftern, sagt der Selige Theopylakt, sind nicht nur jene zu verstehen, die selbst mit allen in Frieden leben, sondern auch diejenigen, die Zerstittene miteinander aussöhnen. Friedensstifter sind auch jene, die durch ihre Belehrungen Feinde Gottes zur Wahrheit führen. Das sind Gottessöhne, denn auch der Einziggeborene Sohn Gottes söhnte uns mit Gott aus2. 
Im Zusammenhang mit dieser Seligpreisung sagt der sel. Augustin: Gottessöhne sind Friedenstifter in sich, da sie alle Leidenschaften ihrer Seele in Ordnung gebracht haben und sie dem Verstand, d.h. dem Verständnis und Geist, untergeordnet haben und dadurch vollkommen die körperlichen Wünsche unterjocht haben: Sie sind zu dem Reich Gottes geworden, in welchem alle Dinge so geordnet sind, daß das wichtigste und oberste Element im Menschen ohne Widerstand über die anderen herrscht, die uns mit den Tieren gemeinsam sind; und daß dieses höchste Element im Menschen selbst, d.h. der Geist und Verstand etwas noch Höherem untergeordnet sind: der Wahrheit selbst, dem eingeborenen Sohne Gottes. Denn der Mensch ist nicht imstande, über das zu herrschen, was niedriger ist, solange er sich selbst nicht etwas Höherem unterordnet. Und dies ist der Frieden, der den Menschen guten Willens auf der Erde gegeben wurde (Lk 2,14); das ist das vollständige und vollkommene Leben. Aus einem solchen Reich, in welchem vollkommener Friede und Ordnung errichtet sind, wird der Fürst dieser Welt vertrieben, der dort herrscht, wo Verderbtheit und Unordnung sind3.
Der gottweise Gedanke des hl. Gregor von Nyssa eröffnet uns neue Tiefen in der göttlichen Tugend des Friedenschaffens. Die Seligpreisungen, sagt der Heilige, welche dieser vorangehen, sind so geschaffen, daß jede von ihnen geheiligt und heilig ist, aber diese ist im wahren Sinne ein Heiligtum und das Allerheiligste. Denn wenn es das höchste Gut ist, Gott zu schauen, dann ist es zweifellos ein noch höheres Gut, Sohn Gottes zu werden4. Gott, welcher derart mächtig und erhaben ist, daß Er nicht geschaut werden kann, noch gehört, oder durch unser Denken verstanden werden kann, nimmt an Sohnesstatt den Menschen an; dieses Geringste unter den Wesen, diese Asche, dieses Heu, diese Nichtigkeit. Kann man etwa Dankbarkeit finden, die dieser Barmherzigkeit angemessen wäre? Der Mensch überschreitet die Grenzen seiner Natur, wird von einem Sterblichen zum Unsterblichen, vom Vergänglichen zum Unvergänglichen, vom Eintägigen zum Ewigen, in einem Wort vom Menschen zu Gott. Denn jener, der gewürdigt wurde, Gottes Sohn zu werden, wird in sich zweifellos die Würde des Vaters haben, da er Erbe aller väterlichen Güter wurde5.
So ist die Belohnung beschaffen, und welcher Weg führt dahin? – Sei ein Friedensstifter. Es scheint, daß auch die Tat, für welche eine solche Belohnung versprochen wird, ein neues Geschenk darstellt. Welche unter den Süßigkeiten dieser Welt ist süßer für die Menschen als ein friedliches Leben? Jegliche Annehmlichkeit des Lebens braucht, damit sie angenehm ist, Frieden6.
Selig sind die Friedensstifter. In zwei Worten wird die Medizin gegen viele Krankheiten vorgeschlagen. Was ist Frieden? Frieden ist die durch Liebe erfüllte Neigung zu dem Stammesgenossen. Und was steht der Liebe entgegen? Haß, Zorn, Gereiztheit, Neid, nachtragende Erinnerung an Böses, Scheinheiligkeit, alle Unbillen des Krieges. Gegen wie viele und was für Krankheiten sorgt dieses Heilmittel vor? Denn der Friede steht allem Aufgeführten entgegen und zerstört durch seine Anwesenheit das Böse. So wie durch die Rückkehr der Gesundheit die Krankheit zerstört wird und durch das Aufleuchten des Lichtes die Dunkelheit verjagt, so verschwinden mit dem Erscheinen des Friedens alle Leidenschaften, die von dem Entgegengesetzten hervorgerufen wurden7.
Wer die aufgeführten Leidenschaften aus dem menschlichen Leben mit der Wurzel herauszieht, verbindet durch Mitgefühl und Frieden die Menschen und führt sie zu freundschaftlicher Eintracht: Vollbringt der nicht wirklich ein Werk göttlicher Macht, indem er im Menschengeschlecht all das Böse vernichtet und an seiner Stelle die Gemeinschaft des Guten einführt? Daher bezeichnet der Herr auch den Friedensstifter als Gottessohn; denn indem er dies dem menschlichen Leben schenkt, wird er ein Nachahmer des wahren Gottes. Daher sind die Friedensstifter selig, denn sie werden Gottes Söhne heißen. Wer aber genau? Die Nachahmer der Menschenliebe Gottes; diejenigen, die in ihrem Leben das zeigen, was der göttlichen Wirksamkeit eigen ist. Der mildtätige Schenker alles Guten und Herr vernichtet vollkommen und führt in Nichts über all das, was dem Guten nicht anverwandt ist und ihm fremd ist, und verlangt vom Menschen eine ebensolche Tätigkeit: den Haß zu vertreiben, den Krieg zu beenden, den Neid zu zerstören, Schlachten zu verhindern, Scheinheiligkeit auszurotten, im Herzen das Gedenken an Böses auszulöschen und anstelle von all diesem das einzuführen, was ihm entgegensteht. So wie mit dem Entschwinden der Dunkelheit das Licht eintritt, so erscheinen anstelle des Obengenannten die Früchte des Geistes: Liebe, Freude, Friede, Güte, Langmut und alle übrigen Güter, welche der Apostel aufzählt (Gal 5,22-23). Wie soll daher der Spender göttlicher Güter nicht selig sein, der sich durch seine Gaben Gott ähnlich macht und welcher seine Wohltätigkeit der göttlichen Großzügigkeit angleicht? Doch vielleicht hat diese Seligpreisung nicht nur jene im Sinn, die anderen Gutes tun, sondern bezeichnet im wahren Sinne als Friedensstifter denjenigen, der den Aufruhr des Leibes und Geistes und den Bruderzwist der Natur in sich selbst zu Frieden und Eintracht führt, wenn das Gesetz des Körpers aufhört, welches dem Gesetz des Geistes entgegensteht (Röm 7,23), und wenn er sich dem besseren Reich unterordnet und dadurch zum Diener der göttlichen Gebote wird. Es ist besser, sich an den Gedanken der Heiligen Schrift zu halten, welcher da lautet: Das Leben der Erfolgreichen ist nicht in der Zwiespältigkeit, sondern darin, wenn in uns die “Trennwand” (Eph 2,14) der Laster niedergerissen wird, durch die Vereinigung mit dem Besseren “beide” zu einem zusammengefügt werden. Da wir also glauben, daß die Gottheit einfach, nicht zusammengesetzt und nicht beschreibbar ist, daher kehrt auch die menschliche Natur, wenn sie durch eine solche Befriedung der Zwiespältigkeit entfremdet wird, eben zum Guten zurück, wird einfach, unbeschreibbar und im wahren Sinne des Wortes, eine, und in ihr ist das Sichtbare mit dem Verborgenen und das Verborgene mit dem Sichtbaren ein und das gleiche. Dann wird wahrhaftig die Seligpreisung bekräftigt und solche Menschen werden im wahren Sinne Gottes Söhne genannt, denn sie sind selig geworden entsprechend der Verheißung unseres Herrn Jesus Christus8.
Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihrer wird das Himmelreich sein. 
Das ist also die Tugend und in ihr die göttliche Seligkeit, für alle Qualen und Nöte, für alle Gewitter und Blitze, für alles Leiden und Unglück, für alle Ungerechtigkeit und allen Tod, durch welche der Nachfolger Christi in dieser Welt hindurchgeht. Denn was ist Gerechtigkeit? Gerechtigkeit ist die Seele aller Tugenden des Evangeliums; in ihr sind sie zu einer organischen Einheit vereint, zu einer unteilbaren und unzertrennbaren Einheit. Alle Seligkeiten der Tugenden des Evangeliums sind Seligkeiten in der Gerechtigkeit und um der Gerechtigkeit willen. Die erste Tugend des Evangeliums ist die Armut am Geiste, die Demut, die voll göttlicher Gerechtigkeit ist und daher bedeutet: Selig sind die um der Gerechtigkeit willen Verfolgten– Selig sind die, die verfolgt werden um der Demut willen. Eine andere Tugend des Evangeliums ist die reumütige Haltung, die ebenso voll göttlicher Gerechtigkeit ist, und daher bedeutet: Selig die um der Gerechtigkeit willen Verfolgten – Selig sind die, die ihrer reumütigen Haltung wegen verfolgt werden. Die dritte Tugend des Evangeliums ist die Sanftmut, übervoll göttlicher Gerechtigkeit und daher bedeutet: Selig die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; auch das: Selig sind, die um der Sanftmut willen verfolgt werden. Die vierte Tugend des Evangeliums ist Hunger und Durst nach Gerechtigkeit, die fünfte die Barmherzigkeit, die sechste die Reinheit des Herzens, die siebente das Friedensstiften – sie alle sind voll und übervoll von göttlicher Gerechtigkeit, und daher bedeutet Selig die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden in jedem Fall auch noch dieses: Selig sind die, die um des Hungers und Durstes nach Gerechtigkeit willen verfolgt werden; selig sind die, die um der Barmherzigkeit willen verfolgt werden; selig sind, die um der Reinheit des Herzens willen verfolgt werden; selig sind, die um des Friedensstiftens willen verfolgt werden.
Denn die Tugenden des Evangeliums fließen eine in die andere über und verbinden sich zu einer Alltugend oder alles beherrschenden Tugend: der Gerechtigkeit. Gerechtigkeit ist dadurch Gerechtigkeit, daß sie ganz von Gott ist und ganz in Gott. Daher steht sie über jeglicher Tugend für sich genommen und über allen Tugenden zusammen genommen. Und selbst die Bezeichnung “Alltugend” umfaßt sie nicht vollständig, bringt sie nicht ganz zum Ausdruck, denn sie ist unvergleichbar weiter, tiefer und endloser als diese. Überhaupt ist sie um so viel größer, erhabener, vollkommener als alles Menschliche, um wieviel erhabener und vollkommener als jeglicher Mensch der Gottmensch Christus ist. Denn der Gottmensch Christus ist wahrlich das einzige Geschöpf in unserer irdischen Welt, in welchem die Gerechtigkeit Gottes vollkommen verkörpert ist. Ja, erst in Ihm erhielt die Gerechtigkeit Gottes ihr menschliches Gesicht, ihren menschlichen Leib. Vor Ihm wußten die Menschen tatsächlich nicht, was Gerechtigkeit ist, wahre, richtige, vollkommene Gerechtigkeit. Erst durch Ihn haben wir Einblick erhalten und eine solche Gerechtigkeit in Ihm erfahren. Selbst der kritischste Gedanke des Menschen kann in Ihm kein Stückchen Ungerechtigkeit finden. Er selbst und alles, was zu Ihm gehört, stellt dar und ist vollkommene Gerechtigkeit Gottes, fleischgeworden im menschlichen Wesen. Diese Gerechtigkeit zeigt Er durch sich und zeigt Er durch Sein Evangelium. Da Er die Verkörperung und Menschwerdung der vollkommenen Gerechtigkeit Gottes ist, ist Er in unserem menschlichen Leben auch das einzige sichere, unfehlbare Maß der Gerechtigkeit, jeglicher Gerechtigkeit überhaupt. Durch Seine vollkommene und beispiellose Gerechtigkeit zeigt Er aufs Offensichtlichste und beweist in überzeugendster Weise, daß der einzige Besitzer und Träger der vollkommenen Gerechtigkeit nur der vollkommene Gerechte ist: Er – der Gottmensch Christus. Daher ist auch das einzige wahre Maß der Wahrheit und Gerechtigkeit: Er, nur Er. Für jedes Auge, welches sehen will, für jeden Gedanken, der verstehen will, ist diese apostolische, diese auf der Erfahrung der Menschheit begründete Wahrheit klar: Christus ist die Wahrheit Gottes, die Gerechtigkeit von Gott; und nur in Ihm und durch Ihn werden wir Menschen zur Gerechtigkeit Gottes und dadurch zu Gerechten (vgl. 1 Kor 1,30; 2 Kor 5,21). Daher bedeutet Selig um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden im bestimmtesten und weitesten Sinn: Selig sind die, die um Christus willen verfolgt werden. Ihre Seligkeit liegt in der Erfahrung der Gerechtigkeit = Christus als Wesen und Ziel ihres Lebens. Und hierin liegt nicht nur Seligkeit, sondern sogar die Seligkeit der Seligkeiten: das Himmelreich selbst. Denn wo der König des Himmels ist, der Herr Christus, da ist auch das gesamte Himmelreich mit allen seinen Vollkommenheiten und Seligkeiten. Daher sagte der Allwahrhaftige auch: Denn ihrer ist das Himmelreich. Nur das Gefühl der Gerechtigkeit in der menschlichen Seele ist nichts anderes als die Erfahrung von etwas Himmlischem; und das Gefühl Christi in der Seele ist die Erfahrung des gesamten Himmelreiches mit all seinen ewigen Seligkeiten.

Bote 1994-3
Kommentar zum Hl. Evangelium nach Matthäus

Die Gerechtigkeit wird durch asketische Handlungen zur persönlichen Gerechtigkeit. Wenn die Demut des Evangeliums zur ständigen Tugend geworden ist, zur ständigen Haltung des Menschen, so hat ein Teil der Wahrheit Gottes in seine Seele Einzug gehalten. Ebenso ist es mit der Sanftmut, der Gerechtigkeitsliebe, der Barmherzigkeit, der Reinheit des Herzens und dem Friedenstiften: Wenn sie zu dauernden Tugenden werden, zur andauernden Grundhaltung des menschlichen Wesens, so hat sich bereits die ganze Gerechtigkeit Gottes in der Seele des Menschen angesiedelt und erscheint als seine eigene Gerechtigkeit. Denn was ist Gerechtigkeit? Gerechtigkeit bedeutet: ständig in der Gerechtigkeit und nach der Gerechtigkeit des wahrhaften Gottes zu leben. Dabei ist und bleibt für ewig das Vorbild und verwirklichte Ideal der vollkommenen Gerechtigkeit der Gottmensch Christus, denn Er allein ist die fleischgewordene und menschgewordene allvollkommene Gerechtigkeit Gottes. Inwieweit der Mensch durch die Tugenden des Evangeliums in sich den Herrn Christus ansiedelt und durch Ihn und um Seinetwillen lebt, insoweit wird er zum Gerechten. Beginnt der Mensch vollkommen durch Ihn und Seine göttliche Gerechtigkeit zu leben, ist er bereit, auch für Ihn zu jeder Zeit zu sterben, dann ist dieser Mensch ein wahrer Gerechter. Nur wahre Gerechte leiden für die wahrhaftige Gerechtigkeit. Und das sind? – Apostel, Märtyrer, Bekenner, Uneigennützige, Asketen und alle Heiligen überhaupt. Alle sie sind in stärkerem oder geringerem Maße von sichtbaren oder unsichtbaren Feinden vertrieben und verfolgt „um der Gerchtigkeit willen“, und das bedeutet: um Christi willen, um des Evangeliums willen. Selbstverständlich gebührt der reichste Ruhmeskranz den Eifrigsten und Aufopferndsten. Bei allen heiligen Gerechten ist die Gerechtigkeit Christi zum Maßstab ihrer Seele geworden, zu ihrem Gewissen, zu ihrem Wesen, und aus ihnen strahlt sie durch all ihre Gedanken, durch all ihre Worte, durch all ihre Gefühle, durch all ihre Werke. Wenn sie denken, wenn sie fühlen, wenn sie tun, so denken sie durch die Gerechtigkeit, fühlen durch die Gerechtigkeit, tun durch die Gerechtigkeit, denn sie ist durch die Gnade Gottes zu ihrem Selbstgefühl und ihrem Selbstbewußtsein geworden. 
Die zu Christus strebenden Leidensdulder um der Gerechtigkeit willen segnen diejenigen, die sie verfolgen (Röm 12,14), nehmen keine Rache für sich (Röm 12,19), erwidern Böses nicht mit Bösem, sondern besiegen das Böse durch das Gute (1 Petr 3,9; Röm 12,21); wenn sie verflucht werden, dann segnen sie, wenn sie verfolgt werden, dulden sie, wenn sie verschmäht werden, beten sie; sie werden zu heiligem Kehrricht, auf dem man herumtritt (1 Kor 5,12-13); in allem leiden sie Not, aber sie nehmen dies nicht übel; sie werden verfolgt, aber sie sind nicht verlassen; in gleichem Maße tragen sie den Tod unseres Herrn Jesus Christus auf ihrem Leib; in gleichem Maße überantworten sie sich dem Tod für Christus (2 Kor 4,8-11). In all diesem sind sie selig, denn unser Herr Jesus Christus, der durch Seine Gerechtigkeit in ihnen lebt, ergießt in ihr Wesen unausprechliche göttliche Seligkeiten. Nur so ist auch die Seligkeit der heiligen Märtyrer und der übrigen Gerechten Gottes in all ihren Qualen, Nöten, Leiden, Todesarten und Verfolgungen „um der Gerechtigkeit willen“ zu erklären. Und je gerechter der Mensch Christi ist, um so seliger ist er in all seinen Leiden für die Gerechtigkeit. Es bedarf nur der Erinnerung an den „Gerechten“ Hiob. Und der Apostel Paulus? Welche große Qual ruft in ihnen, wenn sie sie erreicht, nicht große Seligkeit hervor? Die heiligen Apostel freuen sich darüber, daß sie gewürdigt werden, um Christus und seiner Gerechtigkeit willen gequält und geschlagen zu werden (vgl Apg 5,40-41).
Die Seligkeit in Qualen ist nur den Christustragenden Gerechten bekannt. Sie freuen sich an ihrem Leben in Gerechtigkeit, noch mehr aber an ihrem Tod für die Gerechtigkeit. Das ist jene Freude, die ihnen nach dem prophetischen Wort des Heilands niemand und nichts nehmen kann (Jh 16,20-22): weder der Tod, noch das Leben, weder die Not, noch die Trauer, weder Verfolgung noch Hunger, weder Nacktheit noch Furcht, weder Schwert noch Engel, weder Fürstentümer noch irgend etwas jetziges oder irgend etwas künftiges, weder Höhe noch Tiefe oder irgendein anderes Geschöpf. Und bei all dem? „Um deinetwillen werden wir den ganzen Tag getötet, werden wir wie Schafe zum Schlachten gehalten, aber bei alldem siegen wir mit Hilfe dessen, der uns liebt“ (Röm 8,35-39), d.h. mit Hilfe des Herrn Christus. Eben darin liegt das Geheimnis des Christentums beschlossen, das Geheimnis seines Erfolges, seiner Unbesiegbarkeit, seiner Kraft, seiner Macht, seiner Allmacht. Ja, selbst der Herr Christus ist jenes allheilige und allmächtige Geheimnis und Kraft, denn Er ist alles und alle in den Seelen seiner wahren Nachfolger: sowohl die Gerechtigkeit, als auch die Freude, die Seligkeit und Wahrheit, Liebe und Kraft und Allmacht. Er ist es, der jegliche Not bei ihnen in Frohsinn verwandelt, in Freude, welche ihnen kein Peiniger nehmen kann, ja selbst der oberste Lehrer aller ihrer Peiniger, Satan nicht.
Zum Gerechten wird nur jener, der lächzend und dürstend nach Gerechtigkeit mit seinem ganzen Wesen die Gerechtigkeit sucht, und wenn er sie findet, sich durch sie ernährt, durch sie und ihretwillen lebt, und seine Gott zustrebende Seele ganz durch all das sättigt, was göttlich, unsterblich, ewig ist (vgl. Mt 5,6). Anders kann man eben nciht zum Gerechten werden, und noch weniger ein Gerechter bleiben. Denn nur wahre Gerechte leiden um der Gerechtigkeit willen, gehen ihretwillen in den Tod; und in all dem sind sie von Seligkeit erfüllt. Sie haben bis zum Ende erfahren und erkannt, daß es keine Gerechtikeit ohne die Gerechtigkeit Gottes gibt, und keine Seligkeit ohne Gerechtigkeit. Und alles, was nicht von der Gerechtigkeit Gottes stammt., ist eine Qual im menschlichen Geist, und Unglück und Hölle. Daher verleiht all das dem Menschen auch keine Seligkeit, denn es besitzt sie nicht.
Worin liegt das Hauptziel der menschlichen Existenz in dieser Welt? In der Gerechtigkeit Gottes. Dies erklärte der Gottmensch: „Suchet vor allem das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit“ (Mt 6,33). Die Gerechtigkeit Gottes führt den Menschen in das Gottesreich ein und macht ihn göttlich, ewig. In der Tat, die Gerechtigkeit Gottes ist auch das Reich Gottes. Denn Gott herrscht durch Seine Gerechtigkeit in all Seinen Welten. Demgegenüber herrscht der Teufel durch seine Ungerechtigkeit in all seinen Welten: zu allererst in sich selbst, dann im Menschen und in der Hölle. Die Regel des Lebens nach dem Evangelium lautet: Gott sei an erster Stelle in allem Menschlichen. Wenn der Mensch nach dieser Regel lebt, so kommt er an die erste Stelle, er ist schon im Reich Gottes. Und so kommt man und bleibt man an der ersten Stelle nur durch die Gerechtigkeit Gottes. Der Teufel ist die Verkörperung der Ungerechtigkeit, daher ist er auch der Hauptfeind der Gerechtigkeit (vgl Apg 13,10). Wie die Gerechtigkeit Gottes das Reich Gottes verwirklicht, so verwirklicht auch die Ungerechtigkeit das Reich des Teufels.
Im gottähnlichen Wesen der menschlichen Natur befinden sich Spliltter der Wahrheit Gottes. Wer sie durch die göttlichen Tugenden pflegt und vervollkommnet, wird ein Gerechter; wer sie aber durch Unachtsamkeit vergräbt und durch Laster erstickt, wird ein Ungerechter. Das Korn der Wahrheit wächst im Menschen, wenn der Mensch die Tugenden des Evangeliums übt, wenn er vollkommen in dem Himmelsgewölbe der Stimmungen des Evangeliums lebt, denkt und fühlt. Der heilige Apostel hat dies im Auge, wenn er den Christen verordnet: „... und wachsen lassen die Früchte eurer Gerechtigkeit“ (2 Kor 9,10). Indem die Christen so die Gerechtigkeit Gottes pflegen, werden sie von den Früchten der Gerechtigkeit durch den Herrn Jesus erfüllt (Phil 1,11).
Gott wird die ganze Welt nach der Gerechtigkeit richten – en dikaiosunh – , „denn er hat einen Tag gestzt, an welchem er richten will den Erdekreis mit Gerechtigkeit, durch einen Mann, der er dazu bestimmt hat und hat jedermann den Glauben angeboten, indem er ihn auferweckt hat von Toten“ (Apg 17,31). Dieser Mensch aber ist der Gottmensch Christus. Er wird durch Ihn richten, denn Er hat als Mensch allen Menschen die ganze Gerechtigkeit Gottes verkündet. Und Er lieferte ihnen den Beweis davon. Wie? Indem Er von den Toten auferstand. Die Auferstehung Christi von den Toten ist der Beweis dafür, daß Seine Gerechtigkeit stärker ist als der Tod, daß sie unsterblich und ewig ist, und daß sie in dieser und in jener Welt gilt. In der Tat, es gibt keine Gerchtigkeit ohne Christus und außerhalb Christi. „In ihm erscheint die Gerechtigkeit Gottes“ (Röm 1,17), und zwar erscheint sie ganz in menschlich offensichtlicher Weise. Er „herrscht durch die Gerechtigkeit für das ewige Leben“ (Röm 5,21). Er erschien auch in der Welt „auf daß wir in ihm die Gerechtigkeit Gottes würden“ (2 Kor 5,21). Denn indem sich die Menschen Ihn aneignen und Seine göttliche Gerechtigkeit, werden sie gerecht. Durch Seine allvollkommene göttliche Gerechtigkeit rechtfertigte Christus als Mensch Gott vor den Menschen, daß Er sie so schuf, denn Er schuf sie zur Unsterblichkeit und zum ewigen Leben. Das bedeuten die Worte des Apostels: „So kommt auch die Rechtfertigung, das Leben, durch die heilschaffende Tat des Einen über die ganze Menschheit“ (Röm 5,18). Gott wirkte als vollkommene Gerechtigkeit, als Er die Menschen zur Unsterblichkeit und zum ewigen Leben schuf. Dies bewies der Gottmensch Christus auf überzeugendste Weise. Daher haben die Menschen keine Entschuldigung, haben keine Rechtfertigung, wenn sie Gott beschuldigen, daß Er eine solche Welt schuf, ein solches Leben, einen solchen Menschen.
Die Sünde ist die Ungerechtigkeit, die Tugend aber Gerechtigkeit. Der Mensch lebt entweder im einen oder im anderen. Wenn die Sünde mit Hilfe ihrer Annehmlichkeiten vom Menschen Besitz ergreift, dann verwandelt sie ihn in eine Waffe, in „die Waffe der Ungerechtigkeit“ und er kämpft bewußt oder unbewußt mit jeder seiner sündigen Handlung, mit jedem sündigen Gedanken, sündigen Gefühl für die Ungerechtigkeit. Gewinnt er jedoch die Tugend lieb, so verwandelt sich der Mensch in eine „Waffe der Gerechtigkeit“, mit welcher Gott sein Himmelreich auf der Erde verwirklicht (vgl. Röm 6,12-13). Der Mensch ist entweder Diener der Sünde oder Diener der Gerechtigkeit, ein drittes gibt es nicht. Nur wenn er aufhört, Diener der Sünde zu sein, wird er zum Diener der Gerechtigkeit; wenn er der Gerechtigkeit dient, heiligt er sich selbst, sein ganzes Wesen, und er erreicht das, was das Ende und Ziel der Gerechtigkeit ist: das ewige Leben (Röm 6,16.18.19.22; Mt 25,46; 2 Kor 3,9; 2 Petr 2,21).
Der menschliche Geist kennt keine wahre Gerechtigkeit, solange ihn der Heilige Geist nicht damit erfüllt. Der Heilige Geist aber siedelt sich im Menschen durch die göttlichen Tugenden an. „Das Reich Gottes ist Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist“ (Röm 14,17): Zuerst Gerechtigkeit und in ihr auch Frieden und Freude. Der Heilige Geist offenbart sich besonders durch die Gerechtigkeit, lebt im Menschen durch die Gerechtigkeit, verwandelt ihn in seinen Tempel und durch die Gerechtigkeit vermehrt Er im Menschen alles Göttliche, Unsterbliche, Ewige. Im menschlichen Wesen wächst dann sprunghaft und unaufhaltsam das Gute und die Gerechtigkeit und die Wahrheit, diese heilige Dreiheit, welche den Menschen von Scheitel bis Sohle erheiligt. Durch sie wirkt und schafft der Heilige Geist besonders. Denn das Gute, die Gerechtigkeit und die Wahrheit sind die wichtigsten Architekten der menschlichen Unsterblichkeit, Ewigkeit, Gottähnlichkeit. Daher spricht auch der hl. Apostel: „Des Lichtes Frucht besteht in lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit“ (Eph 5,9).
Die Gerechtigkeit macht den Menschen ewig neu. Denn der Mensch der Gerechtigkeit und Wahrheit Christi ist auch der einzig wahre neue Mensch. Das ist der Mensch „geschaffen nach Gott in Gerechtigkeit und Heiligkeit der Wahrheit“ (Eph 4,24). Als schöpferische göttliche Kraft baut die Gerechtigkeit alle Gedanken des Menschen „nach Gott“ aus, alle Gefühle, Haltungen, und auf diese Weise macht sie ihn Gott ähnlich, nach Gottes Ebenbild. Vereint mit der Heiligkeit der Wahrheit, heiligt die Gerechtigkeit Christi den Menschen und macht ihn göttlich, gut, heilig, gerecht, schön. Das ist der wahre neue Mensch, der niemals altert, denn er wird niemals sterben. Unsterblichkeit macht ihn auch ewig neu und ewig jung. Die Sünde ist die einzige Kraft, die den Menschen altern läßt, denn nur sie tötet ihn ab. Der Mensch altert nicht, stirbt nicht, wenn er sich in „in das Gewand der Gerechtigkeit“ kleidet (Eph 6,14); und kein einziger Pfeil der Sünde kann diese Festung durchschlagen und sich in sein Herz einwühlen. Die Gerechtigkeit Christi macht den Menschen, wenn sie in ihm lebt, so sehr zum Menschen Christi, macht sie so sehr zu seinem Anverwandten, daß er in der Tat geistlich von Christus geboren wird. Der Apostel sagt den Christen: „Wenn ihr wißt, daß er gerecht ist, so erkennet denn auch, daß wer recht tut, aus ihm geboren ist“ (1 Jh 2,29). Und noch mehr: „Wer die Gerechtigkeit tut, ist ein Gerechter, wie auch er ein Gerechter ist“ (1 Jh 3,7). Daher stammt das heilige apostolische Maß: „Wer nicht recht tut, der ist nicht von Gott“ (1 Jh 3,10).
Unser Herr Christus sagte nicht nur Selig sind die Verfolgten, sondern Er fügte hinzu um der Gerechtigkeit willen, und dadurch zeigte Er deutlich, daß die Gerechtigkeit nur denjenigen geschenkt wird, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, nicht aber um etwas anderes willen. Dies ist eine außergewöhnliche Frohbotschaft und Wahrheit des Evangeliums. Sie durchströmt auch die Worte des hl. Apostels Petrus: „Wenn ihr um der Gerechtigkeit willen leidet, seid ihr selig „ (1 Petr 3,14). Jedes andere Leiden ist weit entfernt von der wahren Gerechtigkeit, am meisten ist es die Quelle verschiedenartiger Unglücke, Verzweiflung und Qual. Daher schreibt auch der heilige Apostel an die Christen: „Selig seid ihr, wenn ihr für den Namen Christi geschmäht werdet, denn der Geist, der ein Geist der Herrlichkeit und Gottes ist, ruht auf euch. Niemand aber unter euch leide als ein Mörder oder Dieb oder Übeltäter oder der in ein fremdes Amt greift. Leidet er aber als ein Christ, so schäme er sich nicht, sondern ehre Gott mit diesem Namen“ (1 Petr 4,14-16).
Indem er die Seligkeit um des Friedenstiftens willen mit der Seligkeit der Verfolgten um der Gerechtigkeit willen in Verbindung bringt, sagt der hl. Chrysostomos: „Damit man nicht meinet, der Friede sei immer etwas Gutes, fügte der Heiland auch dieses Gebot hinzu: Selig sind die um der Gerechtigkeit willen Verfolgten, d.h. die um der Tugend willen Verfolgten, um der Verteidigung anderer willen, um der Frömmigkeit willen, denn Er bezeichnet als Gerechtigkeit gewöhnlich immer die gesamte Philosophie der Seele – thn apasan ths yuchhV jilosojian„1
Aus Anlaß dieser Seligpreisung schreibt der sel. Theophylakt: Nicht nur die Märtyrer werden verfolgt, sondern auch viele andere wegen der Hilfeleistung für Notleidende und überhaupt für jegliche Tugend, denn jegliche Tugend ist Gerechtigkeit. Auch Räuber und Mörder werden ebenso verfolgt, aber dennoch sind sie nicht selig2. Da den um der Gerechtigkeit willen Verfolgten das Himmelreich als Belohnung bestimmt ist, soll man nicht jene unterschätzen, denen andere Belohnungen bestimmt sind. Denn wenn die Belohnungen, die in den übrigen Seligpreisungen erwähnt sind, wegen der Verschiedenartigkeit ihrer Bezeichnungen auch unterschiedlich aussehen, so bedeuten sie doch alle das Himmelreich. Denn alle, die dieser Belohnungen gewürdigt werden, ergötzen sich des Himmelreiches, weshalb sie auch alle als Selige bezeichnet werden 3.
Von dieser achten Seligpreisung sagt der gottweise hl. Gregor von Nyssa: Wie gleichsam ein Höchstpunkt aller Seligpreisungen, stellt diese Seligpreisung den Höhepunkt eines guten Aufsteigens dar. Denn der Herr sagt: Selig die Verfolgten um meinetwillen, denn ihrer ist das Himmelreich. Dies eben ist das Ende der asketischen Taten in Gott, dies ist die Belohnung für die Arbeit, dies der Lohn für vergossenen Schweiß: des Himmelreiches gewürdigt zu werden4.z 

Bote 1994-4
Kommentar zum Hl. Evangelium nach Matthäus

Selig, die um der Gerechtigkeit willen Verfolgten. Von wo und durch wen werden sie verfolgt? Die nächste Sinnbedeutung dieses Wortes weist auf das Gebiet der Märtyrer hin, es versteht sich darunter die Großtat des Glaubens. Wahrhaftig ist es eine Seligkeit, um des Herrn willen verfolgt zu werden. Warum? Weil die Verfolgung durch das Böse bewirkt, daß die Verfolgten im Guten verweilen. Die Entfernung vom Bösen dient als Anlaß für das Aneignen des Guten. Das Gute aber und das, was jenseits jedes Guten steht, ist der Herr selbst, dem der Verfolgte zueilt. Daher ist wahrhaft selig derjenige, der die Verfolgung seitens der Feinde zum eigenen Guten nützt. Die Verfolgung, die die Peiniger gegen die Gläubigen aufnehmen, bewirkt, da sie in sich viel Schmerzhaftes für die Gefühle trägt, daß körperliche Menschen die Hoffnung abwerfen, die ihnen das Erreichen des Himmelreiches durch Leiden verspricht. Der Herr aber, der die Schwäche der menschlichen Natur sieht, erklärt im voraus in erster Linie den Schwachen, welches Ende die asketischen Werke haben, damit sie durch die Hoffnung auf das Reich ohne Qualen das zeitliche Gefühl des Schmerzes überwinden. Daher freut sich der große Stephan, während er von allen Seiten mit Steinen beworfen wird, empfängt die Wolken von Steinen, die auf seinen Körper fliegen wie angenehmen Tau und belohnt die Mörder mit Segnungen, indem er dafür betet, daß ihnen dies nicht zur Sünde angerechnet werde. Denn er hat die Versprechung gehört und das Versprochene geschaut. Nachdem er gehört hatte, daß die um des Herren willen Verfolgten im Himmelreich sein werden, schaute er dies, als er selbst verfolgt wurde. Als er zum Martyrium eilte, öffnete sich ihm der Himmel und er schaute das, was versprochen war: Den Ruhm Gottes und Jenes, von dem er mit seinen Werken Zeugnis ablegte. Wer ist also seliger als der um des Herren willen Verfolgte, wenn ihm der Herr selbst miteifert1? 
Welche Belohnung, welchen Siegeskranz erhalten die um der Gerechtigkeit willen Verfolgten? Was man auch immer darunter sich ausdenken mag, all das ist nichts anderes, als der Herr selbst. Denn Er ist selbst sowohl der Anführer der Asketen, als auch der Kranz der Sieger. Er verteilt die Belohnungen; Er ist auch selbst die Belohnung. Er ist der gute Anteil; Er gibt auch den guten Anteil. Er bereichert; Er ist auch der Reichtum. Er zeigt dir die Schatzkammer; und Er selbst wird für dich zur Schatzkammer. Er ruft in dir den Wunsch nach wunderbaren Edelsteinen hervor; Er bietet sich dir Selbst an, der du alles um seinetwillen verläßt. Die um des Herrn willen Verfolgten müssen sich freuen, denn sie werden von der Erde vertrieben und dem himmlischen Gut zugetrieben, nach der Verheißung des Herrn: Selig, die vertrieben sind, um Seinetwillen, denn ihrer ist das Himmelreich, nach der Gnade unseres Herrn Jesus Christus 2.

Selig seid ihr, wenn man euch schmäht und verfolgt und euch fälschlich alles Böse nachsagt um meinetwillen: freuet euch und frohlocket, denn euer Lohn ist groß im Himmel! So haben sie auch schon die Propheten verfolgt, die vor euch waren.
Das ist das Geheimnis aller Seligpreisungen und Tugenden: Er selbst, der Gottmensch Christus; durch Ihn ist jede Seligkeit wirkliche Seligkeit, jede Tugend Tugend. Und mehr noch: Durch Ihn wird jede Tugend zur gleichen Zeit auch eine Seligkeit. Warum? Weil Er die Verkörperung aller göttlichen Tugenden und aller göttlichen Seligkeiten ist, “denn in ihm wohnt alle Fülle der Gottheit in persönlicher Einwohnung” – pan to plhrwma thV QeothtoV swmatikvV –(Kol. 2,9; vgl. Eph. 1,23). In Ihm haben sich auch alle Seligkeiten zu einer Seligkeit vereinigt: zu der Allseligkeit; und alle Tugenden haben sich zu einer Tugend der Alltugend vereint. Ohne Zweifel ist der Gottmensch die Alltugend und daher auch die alles übersteigende Seligkeit. Aus dem gleichen Grund ist Er auch die alles übersteigende Wahrheit und die Allgerechtigkeit, die alles übersteigende Liebe und Allweisheit, die Allherrlichkeit und alles übersteigende Güte, die Allbarmherzigkeit und das Allwissen, in einem Wort: In Ihm sind alle göttlichen und alle menschlichen Vollkommenheiten, denn Er ist vollkommener Gott und vollkommener Mensch, und daher vollkommener Gottmensch. Wer auch nach Ihm fragt: Was ist Wahrheit, was ist Gerechtigkeit, was ist Liebe, was ist Leben, was ist Unsterblichkeit, was ist Gott, was ist die Welt? – hat nicht wirklich gefühlt und wirklich das Problem der Wahrheit gestellt oder das Problem der Gerechtigkeit oder das Problem der Liebe, weder das Problem des Lebens, noch das Problem der Unsterblichkeit, noch das Problem Gottes oder das Problem des Menschen oder das Problem der Welt. Hätte er nämlich wirklich irgendeines dieser Probleme ergründet, sei es mit ganzer Seele oder ganzem Herzen, sei es mit seinem ganzen Wesen seine Lösung gesucht, so hätte er auf Ihn stoßen müssen, den wunderbaren Gottmenschen, und in Ihm hätte er die gewünschte Antwort finden müssen. Auf alle schicksalhaften Fragen des menschlichen Geistes gibt nur der Gottmensch menschlich reale und göttlich vollkommene Antworten, die für alle Welten, in denen menschliche Wesen leben, gültig sind. Denn Er kam eben deshalb unter die Menschen, eben deshalb erklärte Er diese Frohbotschaft: “Bittet, so wird euch gegeben werden, suchet, so werdet ihr finden, klopfet an, so wird euch aufgetan werden. Denn jeder, der bittet, empfängt, wer sucht, der findet, und wer anklopft, dem wird aufgetan werden” (Mt. 7,7-8).
Und die neunte Seligpreisung sagt uns klar und zeigt uns offensichtlich, daß der Gottmensch sowohl Schöpfer als auch Ziel und Sinn aller Seligpreisungen in allen Welten ist. Er ist jene Gerechtigkeit, um deretwillen die Gerechtigkeitsliebenden verfolgt werden; Er ist die Demut in den Demütigen, die Sanftmut in den Sanftmütigen, die Barmherzigkeit in den Barmherzigen, die Reinheit in denen, die reinen Herzens sind, der Frieden in den Friedensstiftern, die Güte in den Gütigen – in einem Wort: Er ist die Seele jeglicher Tugend und damit auch jeglicher Seligkeit. Und alles Böse, was über irgendeine Tugend gesagt wird, bezieht sich auf Ihn, geschieht um Seinetwillen. Werden die Träger seiner Tugenden verflucht und beleidigt und verspottet, so wird Er verflucht, beleidigt und verspottet (vgl. Röm. 15,3). Werden sie verfolgt, so wird Er Selbst verfolgt. “Saulus, Saulus, warum verfolgst du mich?” Denn indem du meine Nachfolger verfolgst, verfolgst du mich. Erschüttert und verängstigt fragt der Christenverfolger mit zittender Stimme: “Wer bist du, Herr?” Und erhält die Antwort: “Ich bin Jesus, den du verfolgst” (Apg. 9,4-5; 22,7-8; 26,14-15).
Aus übergroßer Liebe verkörpert sich der Herr Jesus in Seine Nachfolger, lebt in ihnen und alles, was sie ertragen um Seinetwillen, nimmt Er auf sich: Jeden Schlag, der auf sie fällt, fällt zunächst auf Ihn; jede Beleidigung, die ihnen zugedacht ist, fällt als erstes auf Ihn; so auch jede Ungerechtigkeit und jeder Fluch, und jedes böse Wort. An all ihren Gefühlen, Gedanken, Erlebnissen nimmt Er auf geheimnisvolle, göttliche Weise teil. Oft macht Er all das Ihre zum Seinen, damit sie überall in sich, in ihrem ganzen Wesen Ihn fühlen. Und neben Paulus kann jeder von ihnen für sich sagen: “Nicht mehr ich lebe, sondern in mir lebt Christus”. (Gal. 2,20). Indem Er in seinen Nachfolgern lebt, verwandelt der wunderbare Herr all ihre Leiden, alle Erschwernisse, alle Qualen, alle Tode um Seinetwillen unmerklich in Seligkeit, der kein Ende sein wird, weder in dieser noch in jener Welt. Daher sind sie auch fröhlich, daher selig, wenn sie verspottet werden, wenn sie verschmäht werden, wenn sie verflucht werden, verhöhnt werden, geschlagen und erschlagen werden um des Herrn Jesus willen. Höher als alles, was geschätzt wird, schätzen sie “die Schande Christi”, und gehen durch diese Welt mit Freude, “indem sie Seine Schande tragen” (Hebr. 11,26; 13,13), und stets “den Blick auf Jesus gerichtet, den Urheber und Vollender des Glaubens, der das Kreuz statt der ihm zu Gebote stehenden Freude auf sich nahm, ohne die Schmach zu achten und nun zur Rechten des Thrones Gottes sitzt” (Hebr. 12,2). Was mit dem Herrn Jesus geschah, geschieht auch mit Seinen Nachfolgern. In jedem von ihnen wiederholt sich sein Leben in größerem oder geringerem Maße. Dies ist eine Regel des Evangeliums, die für die Christen aller Zeiten verbindlich ist: “Werden doch alle, die in Christus Jesus nach dem Willen Gottes leben wollen, Verfolgungen zu bestehen haben” (2.Tim. 3,12). Daher empfiehlt der Christusträger mit Begeisterung den Christen: “Segnet die, die euch verfolgen; segnet und verflucht nicht!” (Röm. 12,14). Und der allbarmherzige Heiland selbst rät: “Betet zu Gott für die, die euch verfolgen” (Mt. 5,44).
Wenn die Menschen die Nachfolger Christi verfluchen, schmähen, verleumden, verfolgen, schlagen und erschlagen, so tun sie dies alles “in Lüge”, indem sie Christus und Sein Evangelium lügnerisch auffassen, falsch darstellen, falsch auslegen. In all dem bewahrheitet sich immer jenes Wort des Heilands: “Sie haben mich grundlos gehaßt” (Jh. 15,25). Wenn sie fluchen, so fluchen sie “für nichts”; und wenn sie verfolgen, verfolgen sie “für nichts”; und wenn sie schlagen und erschlagen, schlagen und erschlagen sie “für nichts”. Wenn sie dies tun, beweisen die Menschen, inwieweit sie sich mit dem Bösen und der Logik des Bösen identifiziert haben, daß sie bewußt, logisch, rational “grundlos” all das hassen, was Christi ist, göttlich, unsterblich, ewig. Natürlich besteht gerade darin die Sinnlosigkeit, fehlende Logik und der Wahnsinn des Bösen und seiner Verfechter: “Grundlos” Gott zu hassen und alles, was Gottes ist.
Die ganze Kraft der neunten Seligpreisung und damit auch jener, die ihr vorangingen, liegt in den Worten “um meinetwillen” beschlossen. Denn Er, nur als Besieger des Todes, konnte, kann und wird mit unvergänglicher Seligkeit all jene erfüllen, die “um Seinetwillen” verflucht, verschmäht, verleumdet, verfolgt, geschlagen und erschlagen werden. Jegliche Tugend des Evangeliums, wenn sie zum Ende verfolgt wird, führt geradewegs zu Ihm, dem Gott und Herrn Jesus, offenbart Ihn als ihren Schöpfer, Vollbringer und Belohner. So quillt auch jede Seligkeit aus Ihm hervor und mündet in Ihm ein. Dies ist kein Wunder, denn das Christentum führt in all seiner Vielfältigkeit und Vielgestaltigkeit der Erfahrungen, Gedanken, Gefühle, Werke zu Christus, ja das Christentum ist Christus verlängert in alle Ewigkeit (vgl. Mt. 28,20). Und wenn der Mensch Christus nachfolgt, in Ihm lebt, für Ihn leidet, so geht er mit seinem ganzen Wesen in das Himmelreich ein, in seine Freuden und Annehmlichkeiten, in seine Vollkommenheiten und Seligkeiten, und wird durch Christus zum unsterblichen Nachfolger alles Göttlichen, Unsterblichen und Ewigen (vgl. Gal. 4,7, Röm. 8,17). Daher sprach der Allwahrhaftige auch: Freuet euch und frohlocket, denn groß ist euer Lohn im Himmel. Klein ist die Erde und was auf ihr ist, um würdig die Christus zustrebenden Leidendulder zu belohnen. Nur der Ewige und die Ewigkeit, nur der Unsterbliche und die Unsterblichkeit können das würdig belohnen, was der Mensch durch den Ewigen und um des Ewigen willen, durch den Unsterblichen und um des Unsterblichen willen, durch Gott und um Gottes willen vollbringt. Indem der Mensch das tut, was Christi ist, wächst er aus unserer Welt heraus, übersteigt sie und ergießt sich mit seiner Seele in den Himmel und die himmlischen Welten, auf der Erde lebt er durch den Himmel und nach den Gesetzen des HImmels: Die Grenzen zwischen Erde und Himmel verschwinden, unter dem heißen Hauch seines Glaubens, seines Gebetes und seiner Liebe schmelzen sie wie Schnee; all seine Gedanken, all seine Gefühle, all seine Neigungen bewegen sich frei im Himmel und auf der Erde (vgl. Kol. 3,1-13; Phil. 2,5; 4,7; 3,20). Alles was auf der Erde ist, betrachtet er vom Himmel, bewertet er durch den Himmel und mißt durch den Himmel. Wie ein himmlischer Mensch auf der Erde, fühlt er mit seinem ganzen Wesen, daß sein Leben und seine Belohnung im Himmel ist. Indem er vom Himmel auf all seine Leiden um Christi willen schaut, eilt er ihnen freudig und froh entgegen.

Bote 1994-5
Kommentar zum Hl. Evangelium nach Matthäus

Selig die um der Gerechtigkeit willen Verfolgten. ...
Die frohe Botschaft des Evangeliums besagt, daß jenseits jeder Beleidigung, die der Mensch um Christi willen sanftmütig erträgt, alle Himmel als Belohnung stehen. Gibt es etwa eine Beleidigung, ein Leiden, welches der Christ nicht mit Freude um Christi willen ertragen könnte? Tausende von Verfolgungen und hinter ihnen viele Tausende von Todesarten werden auf den Menschen Christi gewälzt, und er eilt ihnen fröhlich und freudig entgegen, denn sie führen in seine Seele Tausende und Abertausende von Seligkeiten durch die allwahren Worte des Allgütigen ein: Freuet euch und seid froh, denn euer Lohn wird groß sein im Himmel. Was sind unsere irdischen Leiden für Christus gegenüber einer solchen Belohnung? Staubkörnchen gegenüber der Sonne, Tropfen gegenüber dem Meer. “Denn die augenblickliche, leichte Trübsal erwirkt uns eine überschwenglich reiche, gewaltige Fülle ewiger Herrlichkeit; wir sehen ja nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare: das Sichtbare währt nur für Augenblicke, das Unsichtbare aber ist ewig” (2. Kor. 4,17-18). Und jenseits von diesem allen steht Er, der den Himmel zum Himmel macht, und das Paradies zum Paradies und die Seligkeit zur Seligkeit. Daher ist unsere Belohnung größer als der Himmel und als der Himmel über den Himmeln, um so vieles größer als der endlose Gott größer ist als jedes Geschöpf, ja auch das vollkommenste.
Das ist dasjenige, was allen Aposteln in ihren Mühen, allen Märtyrern in ihren Qualen, allen Asketen in ihren Bemühungen, allen Gerechten in ihren Leiden, allen Christen in ihren Unternehmungen, Freude und Seligkeit gab und immer gibt. Hinter jedem Werk um Christi willen steht ganz Er, mit all Seinen Vollkommenheiten und Seligkeiten, Freuden und Genüssen. Lohnt es etwa nicht, für Ihn Tausende von Toden täglich zu erleiden, wenn dies nötig ist? Ohne Zweifel verbirgt sich in jedem von ihnen eine Unzahl von Freuden und Seligkeiten für den Leidendulder Christi. Deshalb gibt es kein Ende für die menschliche Freude in Christus. Diese Freude teilt uns der eifrigste Frohbotschafter und unersättliche Leidendulder mit: “Freut euch immer im Herrn und wiederum sage ich euch: freut euch” (Phil. 4,4; vgl. 1. Thes. 5,17; Kol. 1,24).
Die gesamte Geschichte des Christentums ist nichts anderes als ein ununterbrochenes Beispiel dieser Freude, dieser Seligkeit in den Leiden für Christus. Geschlagen und geschändet um Christi willen, gehen die Apostel: “sie freuten sich, daß sie gewürdigt worden waren, um des Namens Jesu willen Schmach zu leiden” (Apg. 5, 40-41). Der hl. Erstmärtyrer Stephan ist wahrhaftig ein heiliger Erstfreuender, denn er erlebte, während seiner Qualen die unbeschreibliche Seligkeit: “Er aber, voll Heiligen Geistes, schaute unverwandt gen Himmel und sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen: Ich sehe den Himmel offen – rief er – und des Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehen” (Apg. 7, 55-56). Neben dem heiligen Erstmärtytrer erleben diese Seligkeit in den Leiden für Christus in größerem oder kleinerem Maße alle übrigen heiligen Märtyrer, heiligen Bekenner, heiligen Uneigennützigen, heiligen Asketen und alle Gerechten. Wer wird ihre Freude und ihre Seligkeiten in ihren Ungemachen für Christus, in ihren Leiden für Christus, in ihrem Sterben für Christus aussprechen und wer wird sie beschreiben? Denn inwieweit sich die Leiden Christi an ihnen vermehren, insoweit vermehrt sich auch ihr Trost durch Christus. “Der Gott alles Trostes”, “der uns in all unserer Bedrängnis tröstet” (vgl. 2. Kor. 1,3-5). Daher sind sie “gern um Christi willen in Schwachheiten, in Schmähungen, Nöten, Verfolgungen, Bedrängnissen” (2. Kor. 12,10). Sie wissen und bekennen und erklären mit dem hl. Apostel allen Christen, da “euch doch die Gnade verliehen ist für die Sache Christi, nicht nur an ihn zu glauben, sondern auch für ihn zu leiden” (Phil. 1,29). Erfüllt von der Gnade des Heiligen Geistes, wird die Seele des Christen zur wundertätigen Werkstatt, in welcher jegliche Trauer und jedes Unglück, jedes Leiden für Christus unweigerlich in Freude, in Frohsinn, in Seligkeit verwandelt werden (vgl. Jh. 16, 20). Daher empfiehlt der Christustragende Apostel auch den Christen: “Nehmt es als Anlaß zu lauter Freude, meine Brüder, wenn ihr mancherlei Anfechtungen ausgesetzt seid: Ihr wißt ja, daß die Bewährung eures Glaubens Beharrlichkeit erwirkt; möge der Beharrlichkeit auch die Vollendung des Werkes beschieden sein, damit ihr vollkommen seid, ohne Fehl und in keinem Stücke zurückbleibt” (Jak. 1,2-4). Ein anderer hl. Apostel fügt gleichsam diese Frohbotschaft hinzu, indem er im Namen aller Christen spricht: “Aber nicht allein darüber freuen wir uns, nein, auch über die Drangsale; wissen wir doch: Drangsal wirkt Starkmut, Starkmut wirkt Bewährung, Bewährung Hoffnung, und Hoffnung läßt nicht zuschanden werden: Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ward” (Röm. 5, 3-5). 
Die neunte Seligpreisung ist ein Erlebnis, und nur als Erlebnis ist sie eine unzweifelhafte Wahrheit des Evangeliums. Sie erleben jene Christen, die um Christus willen geschmäht werden, verfolgt werden, verleumdet werden “in Lüge”, d.h. indem gegen sie Lüge verwandt wird, nur damit sie verschmäht, vertrieben und verleugnet werden können. Der Heiland verspricht in keinem Fall diese Seligkeit denjenigen Christen, die wegen ihrer eigenen Untätigkeit und nicht dem Evangelium entsprechenden Taten verschmäht und verfolgt werden. Hierin dient für das christliche Bewußtsein als Leitfaden und Wegweiser jenes gottweise Wort des hl. Apostels Petrus, das an die Christen aller Zeiten gerichtet ist: “Wenn ihr um des Namens Christi willen geschmäht werdet, selig seid ihr: denn der Geist, der euch verherrlicht, der Geist Gottes, ruht auf euch. Keiner von euch soll als Mörder oder Dieb, als Übeltäter oder Hehler zu leiden haben: Wer aber als Christ zu leiden hat, soll sich nicht schämen, sondern Gott preisen in der Kraft dieses Namens” (1. Petr. 4,14-16).
Vom Heiligen Geist durch die heiligen Mysterien des Evangeliums Christi geführt, verkündet der Hl. Chrysostomus folgende Frohbotschaft über die neunte Seligpreisung: Der Heiland sagt gleichsam: Wenn ihr auch als Betrüger bezeichnet werdet, wenn ihr auch als Anführer oder als Bösewichte oder mit irgendeinem anderen Namen bezeichnet werdet, so seid ihr dennoch selig. Was ist ungewöhnlicher als solche Belehrungen? Als Erhofftes zu bezeichnen, was andere umgehen, d.h. Armut, Tränen, Verfolgung, Schmähung? Aber Er selbst hat nicht nur das gesagt, sondern auch davon überzeugt, nicht zwei, nicht zehn, nicht hundert, nicht tausend Menschen, sondern das ganze Weltall. Eine solche Kraft hatte der göttliche Lehrer! Doch damit ihr nicht etwa meint, daß die Schmähungen an sich die Menschen selig machen, teilt Christus sie in zwei Arten auf: Wenn sie um Seinetwillen geschehen und wenn sie lügnerisch sind. Wenn dieses nicht der Fall ist, dann ist der Geschmähte nicht selig, sondern ein Unglücklicher. Siehe, welche Belohnung wiederum gegeben wird: Denn groß ist ihr Lohn im Himmel. Aber wir sollen nicht den Mut verlieren, wenn gesagt wird, daß nicht für jegliche Seligkeit das Himmelreich geschenkt wird. Denn der Heiland gibt wohl den Belohnungen verschiedene Bezeichnungen, führt sie jedoch alle in das Himmelreich ein. Denn auch wenn Er sagt, daß diejenigen, die weinen, getröstet werden, und daß die Barmherzigen Barmherzigkeit erfahren werden und die reinen Herzen Gott schauen, und die Friedenstifter als Söhne Gottes bezeichnet werden, so bezeichnet Er mit all diesem doch nichts anderes, als eben das Himmelreich. Denn wer diese Güter erhält, erhält zweifellos auch das Himmelreich. Deshalb sollen wir nicht denken, daß des Himmelreiches lediglich die Armen am Geiste gewürdigt werden, sondern das Himmelreich erhalten auch jene, die nach Gerechtigkeit dürsten, und die Sanftmütigen und alle übrigen1.
Nachdem Er sagte: Euer Lohn wird groß sein, fügte der Heiland auch noch einen anderen Trost hinzu: Denn so wurden die Propheten vor euch verfolgt. Da das Himmelreich sich näherte und erwartet wurde, verheißt Er ihnen den Trost durch die Gemeinschaft mit jenen, die vor ihnen litten. Denkt nicht, sagt Er, daß ihr etwa leidet deshalb, weil ihr etwas der Wahrheit Entgegengesetztes sprecht und vorschreibt; und daß ihr verfolgt werdet, weil ihr Lehrer böser Lehren seid. Ihr werdet nicht Verfolgungen und Gefahren ausgesetzt, weil ihr Böses predigt, sondern weil die Zuhörer böse sind. Daher werden die Verleumdungen auch nicht auf euch, die Leidendulder fallen, sondern auf jene, die das Böse tun. Davon legt bereits die vergangene Zeit Zeugnis ab. Denn auch die Propheten wurden nicht angeklagt wegen ungesetzlichen Handelns oder gottloser Lehre, als einige von ihnen gesteinigt wurden, einige verfolgt und einige wiederum verschiedenen Leiden unterworfen wurden2.
Wenn der Herr auch in den übrigen Seligpreisungen spricht Selig sind die Armen, selig sind die Barmherzigen, so spricht Er hier doch definitiv und wendet sein Wort unmittelbar an die Jünger: Selig seid ihr, wenn man euch schmäht und verfolgt und euch fälschlich alles Böse nachsagt, indem Er zeigt, daß dies sich in erster Linie auf sie bezieht, und daß dies in erster Linie den Lehrern eigen ist. Gleichzeitigt kündet Er hier Seine Würde und gleiche Ehre mit dem Vater an. Er sagt, wie die Propheten um des Vaters willen litten, so werdet auch ihr um meinetwillen leiden. Wenn Er aber sagt die Propheten vor euch, so zeigt Er damit, daß auch sie bereits Propheten sind. Wenn Er darauf zeigt, daß die Leiden für sie besonders nützlich sein werden, und daß Er sie verherrlichen wird, so sagt Er nicht: Ihr werdet verschmäht und verfolgt werden und ich werde das verhindern. Denn Er will sie nicht davor schützen, daß sie etwas Böses über sich hören, sondern daß sie großzügig die bösen Worte über sich ertragen, und daß sie sie durch ihre Werke widerlegen. Denn dies ist größer als jenes: So wie es wiederum viel erhabener ist, in der Zeit der Verfolgungen nicht zu verzagen, als überhaupt nicht zu leiden3.
Es ist unmöglich, daß diejenigen von allen gepriesen werden, die in Tugenden leben. Der Heiland spricht den Lohn nicht nur für die Gefahren zu, denen sie sich unterziehen, sondern auch für die Angriffe, denen sie sich aussetzen. Daher sprach Er nicht: Wenn ihr verfolgt und getötet werdet, sondern: wenn ihr verhöhnt werdet, wenn böse Worte gegen euch gesprochen werden. Wahrhaftig fügen die Anfeindungen größere Wunden zu als die Werke selbst. In Gefahren gibt es vieles, was den Schmerz lindert, wie z.B., wenn alle anstacheln, viele gutheißen, loben und preisen. Aber hier, in der Anfechtung, wird der Trost selbst unmöglich gemacht. Anfeindungen zu ertragen, wird nicht für eine große Tat gehalten, wenn sie auch demjenigen, der sie erträgt, mehr Gift zuführt als die Gefahren selbst. Viele haben die Hand gegen sich erhoben, weil sie nicht imstande waren, böse Stimmen über sich zu ertragen. Daher bestimmte Christus ihnen auch einen großen Lohn dafür. Auf daß nicht jemand zu Christus spräche: Warum treibst Du jetzt die Verleumder nicht zurück und stopfst ihnen nicht den Mund, sondern versprichst Lohn im Himmel? Er erwähnte die Propheten, um zu zeigen, daß Gott selbst in ihrer Zeit ihren Feinden nicht gewehrt hat. Wenn Gott sie aber durch die Hoffnung auf die Zukunft ermunterte, so ermuntert Er sie jetzt umsoviel mehr, als die Hoffnung auf die Zukunft selbst deutlicher geworden ist und das Verständnis des Lebens erhabener - meizwn h jilosojia. Es ist auch darauf zu achten, daß der Herr nach so vielen Geboten dieses letzte bietet. Das hat Er nicht ohne Grund getan, sondern um zu zeigen, daß diese Taten nur derjenige aufnehmen kann, der sich zunächst mit den vorangehenden Geboten darauf vorbereitet und in ihnen gefestigt hat. Deshalb flocht Christus uns aus diesen Geboten einen goldenen Kranz, jeweils von der vorhergehenden zur nächsten den Weg bereitend. In der Tat wird ein demütiger Mensch seine Sünden beweinen; und wer seine Sünden beweint, wird auch sanftmütig und gerecht und barmherzig sein; ein Barmherziger, Gerechter und Zerknirschter wird bestimmt auch reinen Herzens sein; und jemand, der reinen Herzens ist, wird auch ein Friedenstifter sein. Wer aber all das erreicht hat, wird auch auf jede Gefahr gewappnet sein, wird vor Anfeindungen keine Furcht haben, vor Verleumdungen und zahllosen Übeln 4.
Über die neunte Seligpreisung sagt der Sel. Theophylakt: Schließlich spricht der Herr zu seinen Aposteln und zeigt ihnen, daß es den Lehrern an erster Stelle eigen ist, Hohn zu ertragen. Nicht jeder, der verhöhnt wird, ist selig, sondern nur jener, der für Christus und lügnerisch verhöhnt wird. Andernfalls ist er unglücklich, denn er stellt für viele eine Anfechtung dar. Freut euch und seid fröhlich, denn euer Lohn im Himmel wird groß sein. Der Herr sprach nicht von einem großen Lohn für die anderen Tugenden, aber hier spricht Er davon und zeigt dadurch, daß das Ertragen von Hohn eine große und schwere Angelegenheit ist, denn viele haben sich deshalb das Leben genommen. Auch Hiob, der andere Versuchungen ertrug, war besonders erregt, als seine Freunde ihn beleidigten, weil er angeblich wegen seiner Sünden litt5.
In dieser Seligpreisung – sagt Zigaben – wird deutlich, daß selig seid ihr in erster Linie an die Jünger gerichtet ist und über sie auch an alle, die ihnen nacheifern werden. Denn so – sagt Er – wurden die Propheten vor euch verfolgt. Auf welche Weise “so”? Offensichtlich: Indem sie verhöhnt wurden und verfolgt und indem alle möglichen bösen Worte über sie lügnerisch gesagt wurden um Gottes willen. Wie der Herr Seine Jünger ausschickt, um das zu predigen, was ihnen geheißen wurde, so schickte auch Gott Seine Propheten aus. Indem der Herr wiederum sagt: Die Propheten vor euch, zeigt Er, daß auch sie prophezeien werden. Indem Er sie mit den Propheten gleichsetzt, muntert Er ihre Seelen auf6.
Aus Anlaß der Worte Freut euch und seid froh, denn euer Lohn wird reich im Himmel sein, sagt der Sel. Augustin: Ich glaube nicht, daß hier als Himmel höhere Teile dieser sichtbaren Welt bezeichnet werden. Denn unser Lohn, der stetig und ewig sein soll, kann nicht in vergängliche und vorläufige Dinge gesetzt werden. Ich meine vielmehr, daß der Ausdruck in den Himmeln geistliche Himmel bedeutet, wo ewige Gerechtigkeit verweilt. Von diesen Himmeln spricht der Apostel: “Unsere Heimstatt ist im Himmel” (Phil. 3, 20)7.
Neun Seligpreisungen sagen uns neun Wahrheiten, die, wenn sie in eine zusammenfließen, uns die Allwahrheit geben; und wiederum: neun Seligpreisungen sagen uns neun Tugenden, die, wenn sie in eine zusammenfließen, uns eine Alltugend geben. Und diese Allwahrheit und diese Alltugend ist eben der Gottmensch Christus. In Ihm, nur in Ihm und einzig in Ihm sind Wahrheit und Tugend einwesentlich. Nicht nur das, sondern in Ihm und einzig in Ihm sind einwesentlich untereinander auch Tugend und Seligkeit, alle Tugenden und alle Seligkeiten. Dies ist eine neue und nicht alternde Frohbotschaft: Sowohl die Tugenden als auch die Seligkeiten sind göttlicher Herkunft. Der Gottmensch Christus ist die vollkommene Verkörperung und die vollkommene Verwirklichung aller göttlichen Tugenden und aller göttlichen Seligkeiten. Deshalb sind alle Tugenden voll unbesiegbarer göttlicher Kraft. Wer sie sich aneignet, wird in sich alle Sünden meistern, alles Böse, alle Tode und wird sich die Unsterblichkeit und das ewige Leben sichern. 
Neun göttliche Tugenden und in ihnen neun göttliche Seligkeiten bedeuten wahrlich die schicksalstragendste und radikalste Wende im menschlichen Verständnis des Lebens, des Menschen und der Welt. Hier sind neue Werte und neue Maßstäbe gesetzt; und weiter: neue Lebensregeln, neue Denkregeln, neue Gefühlsregeln, neue Handlungsregeln. Seligkeit ist für die menschliche Natur die Demut, ein Fluch ist der Stolz; Seligkeit ist nach Gott strebende Reue, ein Fluch das sture Verweilen in den Sünden; Seligkeit ist die Sanftmütigkeit, ein Fluch der Zorn; Seligkeit ist die Gerechtigkeitsliebe, ein Fluch die Selbstgerechtigkeit; Seligkeit ist die Barmherzigkeit und Mildtätigkeit, ein Fluch die Gefühllosigkeit und Mitleidlosigkeit; Seligkeit ist die Reinheit des Herzens, ein Fluch die Unreinheit des Herzens; Seligkeit ist das Friedenstifen, ein Fluch der Kampf gegen Gott; Seligkeit ist das Leiden um der Gerechtigkeit willen, ein Fluch das Beharren in der Ungerechtigkeit; Seiligkeit ist es, Christus zu lieben, ein Fluch, sich um Christus nicht zu kümmern. In dieser menschlichen Welt bewegt sich das Wesen nur zwischen zweierlei: zwischen der Christusliebe und der Sündenliebe. Eines oder das andere bestimmt sein ewiges Schicksal und sowohl in dieser als auch in jener Welt. Die Sünde mit all ihren Vorläufern und Begleitern bedeutet für den Menschen in allen Welten nicht nur einen Fluch, sondern auch den Allfluch; der Gottmensch Christus aber mit all Seinen Tugenden und Seligkeiten bedeutet für den Menschen in allen Welten nicht nur Seligkeit, sondern Allseligkeit. Während hinter der Sünde natürlich das Reich der Sünde und des Bösen steht – die Hölle, mit all ihren ewigen Qualen für den Menschen, steht hinter dem Gottmenschen wiederum natürlich das Reich der Tugend und des Guten – das Paradies mit all seinen ewigen Freuden für den Menschen.

 

Bote 1994-6
Kommentar zum Hl. Evangelium nach Matthäus

Ihr seid das Salz der Erde.Wenn das Salz schal wird, womit soll man es selber salzen? Es taugt nichts mehr, man wirft es weg und es wird von den Leuten zertreten  –Mt 5,13. Die Besonderheit des Salzes liegt darin, daß es vor Verwesung bewahrt. Das Salz der Erde aber – wovon bewahrt es die Erde? Vor der Verwesung in Sünde und Tod. Denn die Erde und alles, was auf ihr ist, verdirbt und verwest von Sünde und Tod. Das Salz der Erde ist ein geistliches Salz, das Salz der Unsterblichkeit, das Salz der Ewigkeit, welches nicht zuläßt, daß irgend etwas Menschliches im Tode und in Sünde verwest. Die Erde mit ihren gottähnlichen Wesen, den Menschen, ist für die Unsterblichkeit geschaffen. Und sie, diese wunderbare Insel der Unsterblichkeit im Ozean des Weltalls, verwandelte die Sünde in eine Insel des Todes. Wäre dies nicht so, wäre dann etwa der Mensch auf der Erde angesiedelt, dieses rätselhafteste unsterbliche Wesen unter den übrigen unsterblichen? Das Schicksal der Erde hängt vom Menschen ab, aber auch das Schicksal des Menschen hängt in vielem von der Erde ab. Deshalb ist der Mensch das Salz der Erde, der Geschmack der Erde. Wovon verdirbt die Erde und alles was auf ihr ist? Vom Menschen. Aber der Mensch? Von der Sünde und vom Tod. Das bedeutet, die Erde verwest wegen des Menschen und vom Menschen. Wenn der Mensch sich aus der Verwesung rettet, dann kann auch die Erde sich vor ihr retten. Der Mensch aber rettet sich vor der Verwesung, indem er sich von der Sünde rettet. Die Rettung aber von der Sünde und alle Mittel dafür brachte der Gottmensch. Indem die Menschen diese gottmenschlichen Mittel benutzen, werden sie von der Sünde und vom Tod geheilt und werden zu Söhnen Gottes. Von Sünde und Tod geheilt, heilen sie allmählich auch die übrige Schöpfung von Sünde und allem Bösen und befreien sie von der Sklaverei der Verweslichkeit und des Zerfalls. Daher stöhnt und jammert die ganze Schöpfung mit uns in Erwartung der Erscheinung von Gottessöhnen, von Christustragenden Menschen und von Christusgetragenen (vgl. Röm 8,19-22). Die menschliche Verweslichkeit in den Sünden hat die ganze Erde durchdrungen und das Weltall erfaßt. Die Erde? Die Töterin des Alls und die Hauptverursacherin des Todes in den sichtbaren und unsichtbaren Welten. Der Stern der Unsterblichkeit, die Erde, wurde durch die menschliche Sünde zum Stern des Todes. Gott-Logos kam auf sie herab, um sie der Unsterblichkeit zurückzuführen. Und Er führt sie allmählich zurück durch seine Nachfolger, indem Er diese allmählich mit Seiner göttlichen Heiligkeit und Unsterblichkeit erfüllt und sie so von Sünde und Tod heilt.
Wie wird man zum Salz der Erde, zum Salz der Unsterblichkeit? Durch Aneignung der neun göttlichen Seligkeiten mit Hilfe von neun göttlichen Tugenden. Und das bedeutet: Durch Erreichen der Allseligkeit und Alltugend – des Herrn Christus. Denn Er ist eben dieses Salz, welches die menschliche Natur bewahrt, damit sie nicht in Sünde und Tod verwest. Indem die Apostel Ihn in sich trugen und durch Ihn lebten und um Seinetwillen, wurden sie zum Salz der Erde, Salz der Unsterblichkeit, welches die neutestamentlichen Menschen bewahrt, damit sie nicht von Sünde und Tod ergriffen werden. Daher spricht der Heiland auch zu seinen heiligen Schülern und über sie zu allen wahren Nachfolgern: Ihr seid das Salz der Erde,  ihr – die Demütigen, ihr, die Sanftmütigen, ihr, die Gerechten, ihr die Barmherzigen, ihr, die reinen Herzens, ihr, die Friedenstifter, denn die Demut ist Salz, welches die Seele vor der Verwesung im Stolz bewahrt; die Sanftmut ist das Salz, welches die Seele davor bewahrt, in Zorn zu verwesen; und so ist auch die Gerechtigkeit das Salz und die Barmherzigkeit ist Salz und die Reinheit des Herzens ist Salz und das Friedenstiften ist Salz, und jegliche Tugend des Evangeliums ist Salz, Salz, welches die menschliche Seele vor der Verwesung in verschiedenen Sünden und Lastern bewahrt. Sündige Gedanken, unreine Gefühle, böse Wünsche, schlechte Ansinnen, all das sind unsichtbare, geistliche Würmer, welche die menschliche Seele und den Geist und den Willen annagen und zerfressen und auf diese Weise die Verwesung der Seele hervorrufen, die Verwesung des Geistes, die Verwesung des Willens.
Christusträger sind das Salz der Erde, der Geschmack der Erde,  der Sinn der Erde. Alles was irdisch ist, ist von Sünde und Tod fade geworden, hat seinen göttlichen Geschmack verloren, seinen logoshaften Sinn, und ist unangenehm, widerlich und abscheulich geworden. Indem die Christusträger durch Christus die Welt von Sünde und Tod heilen, geben sie allem Irdischen seinen göttlichen Geschmack, seinen göttlichen Sinn, seinen göttlichen Wert wieder. Ohne Christus ist die Welt bitter, giftig bitter. Ohne Ihn ist die Erde nichts anderes als ein verwesender, zerfallender und stinkender Leichnam. Und der Mensch? – Das bitterste und verzweifelteste Wesen auf dem Erdenleichnam, welches in seinem eigenen Gift der Sünde zerfällt und verwest. Einzig und allein in Christus und mit Christus erhält die Erde und der Mensch ihren göttlichen Sinn, um dessetwillen es sich zu leben lohnt und darauf einzugehen, ein Mensch in dieser Welt zu sein. Nimmt man den Menschen und der Welt Christus, so nimmt man ihnen das göttliche Salz, welches ihnen allein den göttlichen Geschmack verleiht und göttliche Unsterblichkeit sichert, denn es bewahrt sie von Verwesung und Verfall in Sünde und Tod.
Wenn das Salz fade wird, wodurch wird es salzen? Die Apostel waren durch Christus das Salz der Welt, das Salz der Unsterblichkeit. Wenn sie Christus verlieren, so hören sie auf, das Salz der Welt zu sein, denn Christus kann durch niemand und nichts ersetzt werden. Niemand unter den Wesen, von den Engeln bis zu den Würmern; nichts unter den Geschöpfen, von der Sonne bis zum Atom, hat in sich solche göttlichen Kräfte und das Salz der Unsterblichkeit, daß es das menschliche Gewissen, die menschliche Seele, den menschlichen Willen vor Verwesung in Sünde und Tod bewahren könnte. Das einzige Wesen, welches dies im Überfluß besitzt, ist der Gottmensch Christus. Durch Ihn ist die Wahrheit Wahrheit, die Gerechtigkeit Gerechtigkeit, die Liebe Liebe, Barmherzigkeit Barmherzigkeit, Gewissen Gewissen und Seele Seele, Mensch Mensch, Unsterblichkeit Unsterblichkeit, Licht Licht. In all diesem ist Er das göttliche Salz, welches allem seinen göttlichen Geschmack verleiht, seinen göttlichen Wert und göttliche Unsterblichkeit. Nehmen wir Ihn aus all diesem heraus, dann verliert die Gerechtigkeit und die Wahrheit und die Liebe und das Gewissen und der Mensch ihren göttlichen Wert und Unsterblichkeit. Und sie taugen nichts mehr, außer daß sie weggeworfen und von den Leuten zertreten werden. Ja ohne Christus ist das Gewissen und die Gerechtigkeit und die Wahrheit und die Liebe und die Seele zu nichts nutze, außer daß sie draußen verstreut und daß sie von den Menschen zertreten werden. So ist es auch mit allen Tätigkeiten des Menschen: mit Wissenschaft, Philosophie, Kunst, Kultur, Zivilisation – all sie erlangen ihren unvergänglichen Wert und göttlichen Geschmack, wenn sie von göttlicher Kraft gesalzen werden, von göttlicher Gerechtigkeit, göttlicher Wahrheit, göttlicher Liebe Christi. Ohne dies sind sie nur “Qual des Geistes”, Ballast des Herzens, und sie sind zu nichts nutze, außer daß sie draußen zerstreut werden und die Menschen auf sie treten.
Ohne Christus zerfällt der Mensch, verwest er, und durch seine Verweslichkeit und Sterblichkeit steckt er alles um sich herum an. Indem die Menschen Christus verwerfen, verwerfen sie das einzige Salz der Unsterblichkeit in der menschlichen Welt und darauf fällt alles, was menschlich ist, der Verweslichkeit, dem Gestank und dem Tode anheim. Solche Menschen sind bemalte Gräber: von innen sind sie voll von Verweslichkeit und jeglicher Unreinheit (vgl. Mt. 23,27). Sie haben das Aussehen lebendiger Menschen, in Wahrheit sind sie jedoch geistliche Leichen. Auf sie beziehen sich auch jene traurigen Worte des Heilandes: “Laßt die Toten ihre Toten begraben” (Mt. 8,22). So ist es auch mit der Erde: sie ist eine Leiche im All, wenn sie nicht Christus in sich und auf sich hat. Ohne Ihn verwest sie und führt das All zum Tode, denn sie ist eine einzige Brutstätte des Todes und der Verwesung im Kosmos. Brot ohne Salz, das ist der Mensch ohne Christus und alles, was des Menschen ist; das gleiche ist auch die Erde ohne Christus und alles, was der Erde ist. Ohne Christus sind die Menschen, die Erde, das Weltall, zu nichts nutze, außer daß sie ausgeschüttet und niedergetrampelt werden. Und wirklich werden sie von unzähligen Todesarten durch zahllose Sünden ausgeschüttet und zertrampelt. Gäbe es Christus nicht, diesen einzigen Besieger der Sünde und des Todes, so wären alle Menschen, die ganze Erde, das ganze Weltall zum Tode verurteilt, von dem es keine Auferstehung gäbe. Denn es gibt keine Unsterblichkeit ohne Christus; und ohne Unsterblichkeit gibt es keinen Sinn, sei es für das menschliche Wesen, oder für seinen Wohnraum – die Erde. Ohne Christus ist es fade, ein Mensch zu sein, unschmackhaft und abscheulich und widerwärtig. Ja, widerwärtig? Denn was gibt denn dem menschlichen Wesen Geschmack und Sinn und Logik, wenn nicht Gott Logos? Und noch etwas: ohne Christus ist es dumm und unsinnig, Mensch zu sein. Denn ohne Ihn ist der Mensch ein ganzes Irrenhaus. Zum Irrenhaus machen ihn die Leidenschaften und der Luxus. Ein solcher Mensch ist wahrhaft “unnütz”.
Das Salz wird fade, wenn es mit Asche, Staub und Sand vermischt wird. Das Salz Christi wird fade, wenn es mit verschiedenen Lehren, “dem Menschen nach”, und mit “den Elementen der Welt” vermischt wird (vgl. Gal. 1,11; Kol. 2,8), wenn es mit verschiedenen humanistischen und hoministischen Wissenschaften, Philosophien, Kulturen, Zivilisationen vermischt wird. Wodurch wird es gesalzen? Durch nichts. Denn Christus, der Gottmensch, kann durch niemanden und durch nichts ersetzt oder geschaffen werden. Wird er durch Platon, Kant, Buddha, Mohammed, Marx, Goethe ersetzt, wodurch wird man dann den Tod besiegen, das Böse, den Teufel und die Menschen davon retten? Doch der Tod und das Böse und der Teufel bleiben neben Platon, Kant, Buddha, Mohammed und allen Kulturen und Wissenschaften, Religionen, Zivilisationen nicht nur mächtig, sondern allmächtig. Nur der Gottmensch besiegt und zerreibt in nichts. Deshalb ist Er auch nicht nur der einzige Sinn und der einzige Wert, sondern der einzige Allsinn, der einzige Allwert, sowohl des Menschen als auch der Erde. Wahrhaftig: das Salz der Erde.
Der Heiland verkündet: “Gut ist das Salz, wenn aber das Salz schal wird, wodurch wird man es selbst auffrischen?” (Mk. 9,50; vgl. Lk. 14,34). Woher kommt die Salzigkeit des Salzes? Sicher nicht vom Menschen. Dieses Gut kann er nicht schaffen. So kommt auch die Salzigkeit des geistlichen Salzes, des Salzes der Unsterblichkeit nicht vom Menschen, sondern vom Gottmenschen. Durch Seine göttliche Kraft gibt Er dem geistlichen Salz seine Salzigkeit. Und diese bewahrt vor Verwesung und führt das menschliche Denken, das menschliche Gewissen, die menschliche Seele zur Unsterblichkeit. Denn sie ist das Heilmittel gegen Tod und Sünde. In der Tat ist alles, was Christi ist, eben Salz für den Menschen: es heilt von Verweslichkeit und Sterblichkeit, sowohl das Denken, als auch das Fühlen, sowohl die Seele, als auch das Gewissen und den Körper. Hält etwa Haß Einzug in die menschliche Seele, so beginnt sie zu verwesen und ihr stinkender Hauch verbreitet sich um sie. Was ist zu tun, damit sie nicht ganz verwest und stinkt? Man muß in sie die Liebe Christi einführen. Wenn diese eingeführt wird, so führt der Mensch das Salz der Unsterblichkeit in sie ein. Und dieses wird die Seele von Haß heilen, sie gesund machen, und sie bewahren, damit sie aufs neue nicht der Verwesung, dem Gestank und dem Tod anheimfalle. Kein Zweifel, von jeglicher Sünde verwest die Seele, denn jede Sünde schafft Wunden in der Seele. Und all diese Wunden werden ausschließlich durch göttliche Tugenden geheilt, denn jede Tugend wirkt wie heilsames göttliches Salz, welches von aller Sünde und Laster heilt. “Gut ist das Salz”, wenn es im Essen verteilt und aufgelöst wird, denn es verleiht ihm einen angenehmen Geschmack und bewahrt es vor dem Verderben. So sind auch die Tugenden des Evangeliums beschaffen: man muß sie nur in die Seele einführen, sie in ihr verteilen und auflösen und dann werden sie zu Heilmitteln und heilen die Seele von jeglicher sündiger Verwesung. Es hat keinen Nutzen für das Essen, wenn das Salz neben ihm bewahrt wird, nicht aber hineingeschüttet wird. So nützen auch die Tugenden des Evangeliums, dieses göttliche Salz, dem Menschen nichts, wenn er sie neben der Seele, außerhalb hält; sie müssen nach innen hineingetragen werden, in die Seele, in ihr verteilt und aufgelöst werden, und sich mit ihr vereinen, damit sie sie bewahren und schützen vor Verwesung und Verderb. Geschieht dies nicht, so verwest und zerfällt die Seele auch weiterhin in den Leidenschaften und Sünden. Und es ist unnütz, es sei denn, es wird ausgeschüttet und zertrampelt. Und wahrlich, die Seele wird von den schwarzen Mächten des Bösen zertrampelt und aus Verwesung in Verwesung gezerrt, aus einem Tod in den anderen, aus Hölle in Hölle. Daher sagte der Allweise Heiland auch: “Habet das Salz in euch” (Mk. 9,50), nicht: neben euch, bei euch. Nur wenn das göttliche Salz Christi innen, im Bereich der gesamten menschlichen Seele aufgelöst ist, kann es den Menschen bewahren, damit weder das Gewissen noch der Wille oder das Herz in Sünden und Leidenschaften verwesen.
Der Hl. Chrysostomos verkündet: da die Gebote erhaben waren und weit über den alttestamentlichen standen, damit die Schüler nicht wankelmütig und furchtsam würden und sagen könnten: Wie können wir das erfüllen? – höret zu, was der Heiland sagt: Ihr seid das Salz der Erde, und zeigt damit, daß Er solche Gebote vorschreibt, weil sie unumgänglich sind. Die Lehre, die euch gegeben wird, sagt der Herr, betrifft nicht nur euer Leben, sondern auch das gesamte All. Denn euch schicke ich nicht in zwei oder zehn oder zwanzig Städte, oder zu einem Volk, wie einstmals die Propheten, sondern Ich schicke euch auf das Festland und das Meer und ins ganze Weltall und dies ist voll von Bösem. Mit den Worten: Ihr seid das Salz der Erde,zeigt der Heiland, daß die gesamte menschliche Natur in Sünden den Verstand verloren hat und verwest ist – mwranqeisan apasan thV anqrwpinhn jusin, kai katasapeisan upo tvn amarthmatwn. Um dessetwillen verlangt Er auch von den Schülern solche Tugenden, welche besonders unabdingbar und nützlich zur Berichtigung der anderen waren. Und wahrlich, wer sanftmütig ist und gütig und barmherzig und gerecht, der tut nicht gute Dinge, nur um seiner selbst willen, sondern der müht sich, damit diese wunderbaren Quellen auch zum Nutzen anderer fließen. Genauso lebt auch der, der reinen Herzens ist, und der Friedenstifter und der um der Wahrheit willen Verfolgte zum allgemeinen Nutzen. Glaubt also nicht, sagt der Herr, daß euch irgendwelche leichten Taten bevorstehen und daß meine Worte Ihr seid das Salz der Erde wenig Bedeutung besitzen.Was also? Haben sie etwa das zurechtgerückt, was verwest war? Nein, denn es ist unmöglich, mit Salz dem zu helfen, was bereits verdorben ist. Sie haben das nicht getan, sondern sie haben das gesalzen, was früher bereits berichtigt war und ihnen übergeben wurde, befreit von Verwesensgeruch, indem sie dies erneuert hielten und bewahrten, wie sie es vom Herrn empfingen. Denn von sündiger Verwesung zu befreien – to men gar apallaghnai thV shpedonoV twn amarthmatwn –, das war das Werk Christi; daß jedoch das Befreite nicht zum sündigen Verwesen zurückkehrt, das war die Aufgabe ihrer Fürsorge und ihrer Arbeit.1
Ihr seid das Salz der Erde. Die Propheten wurden zu einem Volk gesandt, ihr aber seid über die ganze Erde geschickt, das Salz, welches die Schwachen durch die Lehre und Anprangerung kräftigt, damit in ihnen nicht ständig Würmer arbeiten. Haltet dies im Auge und weicht nicht bitteren Anprangerungen aus, wenn ihr auch gehaßt und verfolgt werdet.2
Ihr seid das Salz der Erde. Der Herr bezeichnet als Erde hier die Menschen –  sagt Zigaben  – da sie aus Erde geschaffen sind. Der Herr sagt gleichsam: alle Menschen sind in Sünden verwest, sie sind verdorben von der Feuchtigkeit der Leidenschaften. Ihr also, die ihr von mir ausgewählt seid, damit ihr von dieser universalen Verwesung heilt, seid das Salz der Menschen: Ihr habt von mir die geistliche Kraft empfangen, stärkt sie und bewaffnet sie und tötet die unsichtbaren Würmer, d.h. die leidenschaftlichen Gedanken – touV empaqeiV logismouV – und so befreit sie von dem sündigen Gestank.3
Die Apostel – sagt der Hl. Hilarion von Poitiers  – sind Prediger himmlischer Dinge und Sämänner der Ewigkeit (aeternitatis satores), denn sie schenken allen Menschen, denen sie ihre Predigt zuwenden, Unsterblichkeit. Mit Recht wurden sie daher als Salz der Erde bezeichnet, denn mit Hilfe der Tugenden des Evangeliums salzen sie die Menschen mit dem Salz der Ewigkeit und bewahren sie so4.     Forts. folgt

Bote 1995-1

“Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die auf einem Berge liegt, kann nicht verborgen bleiben. Man zündet auch kein Licht an, um es unter den Scheffel zu stellen, sondern auf den Leuchter: dann leuchtet es allen im Hause.” Die Apostel sind das Licht der Welt nicht durch sich selbst, sondern durch den Herrn Christus. Denn Er allein erleuchtete durch Sein göttliches Licht sowohl von außen als auch von innen das gesamte Wesen der Welt, und Er führte alle Geheimnisse, die sich in den grundlosen Tiefen und uneinschaubaren Höhen der Welt verbergen an das Licht des menschlichen Bewußtseins. Und so zeigte Er den Menschen, daß Er wahrhaftig das Licht der Welt ist. Und mit Recht sagte Er von sich “Ich bin das Licht der Welt” (Jh.8,12). Da die Apostel im Herrn, der das Licht der Welt ist, sind, und soweit der Herr in ihnen ist, sind auch sie selbst das Licht der Welt. In Seiner unendlichen Demut bezeichnet Er, wenn Er auch nur allein das wahre Licht der Welt ist, Seine Schüler als Licht der Welt, um ihnen zu zeigen, daß es für sie unumgänglich notwendig ist, sich mit Ihm so eng und so vollkommen zu vereinigen, daß Seine Eigenschaften zu den ihren werden, daß Sein Leben das ihre wird, daß Sein Licht zum ihren wird. Indem sie Christus in sich haben, dieses Licht der Welt, werden die Apostel auch selbst zum Licht der Welt, dieses leuchtet aus ihnen, sie erleuchten die ganze Welt und alles, was in ihr ist, und zeigen den Menschen, daß ihre Rettung aus der Finsternis allein im Herrn Jesus liegt.
Der hl. Apostel schreibt an die Christen: “Ihr wart einstmals Finsternis, jetzt aber seid ihr Licht im Herrn” (Eph. 5,8). Das bedeutet: Ohne den Herrn und außer dem Herrn sind die Menschen Finsternis; und nur mit Ihm und in Ihm sind sie Licht. In der menschlichen Welt ist nur der Herr Christus allein wahres Licht (Jh. 1,9), und die Menschen haben teil an ihm, sofern sie durch Ihn leben. Nur Christus ist Licht der Natur nach, die Menschen aber werden Licht dem Geschenk nach, der Gnade nach. Alles was im Menschen leuchtet, kommt vom Gott Logos, der von seinem Licht bei der Schöpfung des menschlichen Wesens ausgegossen hat (Jh. 1,9). Und Mensch geworden, brachte Gott Logos dem menschlichen Geschlecht das ganze göttliche Licht, damit Er die Menschen zu Söhnen des Lichtes mache und sie vollkommen mit dem Licht der Welt erfülle. Indem sie durch Ihn leben, werden die Menschen auch selbst zum Licht der Welt. Solche waren die heiligen Apostel, die heiligen Märtyrer, die heiligen Asketen, die heiligen Väter, die Gerechten und alle wahren Christen; in einem Wort, alle Christusträger. Sie alle leuchten von göttlichem logoshaftem Licht. Je heiliger ein Mensch, umso lichter ist er; die heiligsten leuchten am lichtesten. Und wahrhaftig sind sie das Licht der Welt. Mit Hilfe ihres Lichtes sehen wir den göttlichen Sinn der Welt und seine ewigen Werte. Indem wir ihnen nacheifern, gehen wir nicht in Dunkel, sondern wir beschreiten den Weg des Lichtes, der Unsterblichkeit und Ewigkeit. In der Tat, indem wir ihnen nachfolgen, folgen wir dem Herrn Christus nach. Und an uns allen erfüllen sich wörtlich die göttlichen Worte des Heilandes: “Ich bin das Licht der Welt, wer mir folgt, wird nicht im Dunkel gehen, sondern wird das Licht des Lebens besitzen” (Jh. 8,12). Was jedoch bedeutet das “Ich” Christi? Den gesamten Gottmenschen. Denn der Gottmensch ist in seiner gesamten historischen Realität Licht der Welt und Licht des Lebens für alle lebendigen menschlichen Wesen. Er ist ganz Gott im Menschen; und das ist der Gottmensch. Und da haben wir das Licht der Welt und das Licht des Lebens. Folgt der Mensch nicht Ihm, so ist er ganz im Dunkel, weiß nicht wohin er geht: er kennt weder den Sinn der Welt, noch den Sinn des Lebens. Folgt er Ihm aber, so wird er zu einem unauslöschlichen Leuchtkäfer göttlichen Lichtes, der ihm und allen um ihn den Weg aus dem Tode in die Unsterblichkeit erleuchtet, aus der Zeit in die Ewigkeit, aus der Hölle ins Paradies. Stets bewahrheitet sich das Wort des Heilands: “Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt” (Jh. 9,5): Solange Ich in der Welt deiner Seele bin, in der Welt deines Gewissens, in der Welt deines Herzens, bin Ich das Licht all deiner Welten, und sie alle eilen freudig den Weg der ewigen Wahrheit ins ewige Leben entlang. Wenn du Mich aber aus ihnen durch sture Sündenliebe vertreibst, dann müssen all deine Welten in Finsternis untergehen, in Chaos und Tod; und du wirst niemals einen Ausweg aus der Finsternis finden, aus dem Chaos, aus dem Tod. Die Realität, die rohe irdische Realität ist dies: wer außerhalb Christi wandelt, wandelt in der Finsternis und weiß nicht, wohin er geht (vgl. Jh. 12,35). Wenn Er aber spricht, so spricht der Allbarmherzige zu all den Seinen: “Ich bin als Licht in die Welt gekommen, damit niemand, der an mich glaubt, im Finstern bleibe” (Jh. 12,46).  Der Glaube an Ihn ist der Ausweg aus der Finsternis, aus jeglicher Finsternis, der Ausweg für jeden Menschen: vom Klügsten bis zum Einfachsten, vom Reichsten bis zum Ärmsten, vom Berühmtesten bis zum Verachtetsten. Was Er sagt, sagt der Süßeste allen: “Solange ihr das Licht habt, glaubt an das Licht, damit ihr Söhne des Lichtes werdet” (Jh. 12,36). Das Licht ist etwas dermaßen Geheimnisvolles, dermaßen Wunderbares, dermaßen Göttliches, daß es vom menschlichen Geist weder erforscht noch erkannt werden kann. Es ist vielmehr etwas, woran man glauben muß. Die menschliche Wissenschaft kennt ja noch nicht einmal das Geheimnis des physischen Lichtes. Und was soll man da über das geistliche, göttliche, das Licht Christi sagen? Das ist etwas derart Erhabenes, derart Unerreichbares, derart Uneinsichtbares, daß es kein menschlicher Geist umfangen oder genügend erforschen könnte; daran kann man nur glauben. Daher ruft der Herr auch die Menschen zu diesem Glauben auf. Dieser Glaube ist eine wunderbare und süße Heldentat der Askese. Je mehr sich der Mensch darin übt, desto mehr schlägt sein ganzes Wesen immer weiter und weiter Wellen auf den unendlichen goldblauen Tiefen des stillen und milden Lichtes Christi. Und die emportragende Begeisterung und das süße Erzittern haben kein Ende, denn die betörenden Tiefen und anziehenden Höhen des göttlichen Lichtes Christi haben keine Grenze.
Durch den Glauben an das Licht wird man zum Sohn des Lichtes. Hier erfüllt sich ein angenehmes Wunder: der Mensch wird von Gott geboren wie das Licht, und aus ihm entschwindet jegliche Finsternis. Der ganze Mensch wird eingetaucht in Licht, getauft in Licht, kleidet sich in Licht. Dies ist ein großes und heiliges Geheimnis: das Geheimnis der Taufe. Aus ihm aber strahlen die lichten, göttlichen Tugenden; eine heller als die andere. Indem sie in den lichten Tugenden leben, leben die Söhne des Lichtes durch das Licht, sie leuchten und beleuchten allen den Weg des Lebens. Sie zeichnen sich durch unreservierten Glauben an den Herrn Christus aus, als das einzige All-Licht und den einzigen alles übersteigenden Wert des menschlichen Wesens in allen Welten, in erster Linie aber in dieser. Der Mensch wird durch den Glauben sehend, denn ohne Licht – was sollen uns die Augen? Ohne Glauben – wofür brauchen wir die Seele, wofür brauchen wir das Gewissen, das Herz, den Körper, ja wofür brauchen wir überhaupt die Existenz? Ohne Licht sehen die Augen nicht, auch wenn sie existieren; so sieht auch die Seele ohne Glauben an Gott das, was sie nicht sehen soll, auch wenn sie besteht. Daher sprach der Allwahrhaftige: “Wandelt im Licht, solange ihr’s habt, daß nicht die Finsternis euch überrasche. Wer im Finstern wandelt, weiß nicht, wohin er geht” (Jh. 12,35). Gott ist Licht und gleichsam alles, was von Gott ist; der Teufel ist Finsternis, und gleichsam alles, was vom Teufel ist. Das Leben in der Wahrheit, in der Gerechtigkeit, in Liebe, im Guten, in Demut, in Sanftmut und in den übrigen göttlichen Tugenden ist ein Leben im Licht; ein Leben aber in der Lüge, in der Ungerechtigkeit, in Haß, in Bösem, in Stolz, in Zorn und in den übrigen Sünden und Lastern ist ein Leben in der Finsternis. Die ganze Wahrheit des menschlichen Lebens ist in den Worten des gottweisen Apostels beschlossen: “Gott ist Licht, und in ihm ist keine Finsternis. Wollten wir sagen, wir hätten Gemeinschaft mit ihm, und würden dabei in der Finsternis wandeln, so würden wir lügen und nicht nach der Wahrheit handeln. Wandeln wir aber im Lichte, wie er selbst im Lichte ist, so haben wir Gemeinschaft miteinander, und das Blut Jesu, seines Sohnes, reinigt uns von jeder Sünde” (1. Jh. 1,5-7). Ein und das gleiche Licht besteht in der göttlichen und menschlichen Welt. Mit dem gleichen Licht lebt sowohl Gott als auch der Mensch, sowohl die irdischen als auch die himmlischen Wesen. Das Licht und das Leben im Licht machen die irdische und himmlische Welt gleich. Genauso macht die Finsternis und das Leben in der Finsternis der Sünde die Welt des Menschen und der Dämonen gleich. Die Wahrheit aller Welten donnert durch die Worte des heiligen Sohnes des Donners: “Wer sagt, er sei im Lichte, und dabei seinen Bruder haßt, ist immer noch in der Finsternis. Wer seinen Bruder liebt, bleibt im Licht, und es ist kein Anstoß in ihm; wer aber seinen Bruder haßt, ist in der Finsternis und wandelt in der Finsternis und weiß nicht, wohin er geht, weil die Finsternis seine Augen blind gemacht hat” (1. Jh. 2,9-11). Von ihrem Wesen her ist jede Sünde Finsternis, und sie blendet das geistliche Auge des Menschen, und der Mensch “weiß nicht, wohin er geht”. Jede Tugend aber ist ihrem Wesen nach Licht, und sie öffnet das geistliche Auge des Menschen, und dieser Mensch “im Licht sieht Licht” und weiß wohin er geht. Die Erkenntnis der Wahrheit wird für ein reines und lichtes Leben geschenkt. Nur ein Herz, das von Gott erleuchtet und durchleuchtet ist, besitzt die Wahrheit, weiß, wohin es geht, zu wem es geht, wozu es geht: es geht zu Gott, zur Unsterblichkeit, zum ewigen Leben.
Indem sie durch den Gottmenschen, den Gott des Lichtes leben, werden und sind die Christen Söhne des Lichtes und zwar des wahren Lichtes; sie werden und sind Söhne des Tages und zwar des nicht abendwerdenden Tages. Daher kann sie keinerlei Finsternis umfassen oder auslöschen (vgl. Jh. 1,5-9). Indem sie durch den Glauben den Gott des Lichtes annehmen, werden die Menschen von Gott geboren, werden zu Söhnen Gottes (vgl. Jh. 1,12-13). Und sie leben, indem sie aus sich mit Hilfe der göttlichen Tugenden jegliche Finsternis der Sünde, des Bösen, des Lasters vertreiben. Denn sowohl die Sünde als auch das Böse und das Laster sind nichts als Dunkel und Finsternis. Von all dem verkündet der heilige Apostel beflügelt: “Ihr aber, Brüder, seid nicht in Finsternis, so daß euch jener Tag wie ein Dieb überraschen könnte. Ihr alle seid ja Kinder des Lichtes, Kinder des Tages und nicht zu Nacht und Finsternis gehören wir. Also laßt uns nicht schlafen, wie die andern, sondern laßt uns wachen und nüchtern sein. Denn die schlafen, schlafen bei Nacht und die Trunkenen trinken bei Nacht; wir aber, die dem Tag gehören, wollen nüchtern sein, angetan mit Glaube und Liebe als Panzer und mit der Heilshoffnung als Helm. Denn Gott hat uns nicht zum Zorngericht bestimmt, sondern zur Erlangung des Heils durch unseren Herrn Jesus Christus, der für uns gestorben ist, daß wir, noch wach oder schon entschlafen, mit ihm vereint das Leben erlangen” (1. Thes. 5,4-10).
Die Apostel sind das Licht nicht einer Stadt oder eines Landes oder eines Kontinents, sondern der ganzen Welt, in all ihren Unendlichkeiten. Erleuchtet durch dieses göttliche Licht, hört die Welt auf, ein finsteres Ungeheuer und widerwärtiges Grauen zu sein, sondern sie erscheint als großes und heiliges Geheimnis Gottes. Die göttlichen Tiefen und unerreichbaren Höhen, die unumfaßbaren Weiten der Welt mit all ihren unzähligen Unendlichkeiten stellen für das menschliche Bewußtsein nicht mehr Vorläufer des Unbekannten dar. Eines ist klar, das Licht der Welt ist Gott, die Finsternis der Welt ist der Teufel. Die Gottesträger erleuchten die Welt durch göttliche Tugenden, die Teufelsträger verfinstern die Welt durch ihre Sünden. Die Finsternis der Sünde und des Todes erstickt die Welt. Die Christusträger sind die einzigen Lichtträger und Feuerträger im Dunkel der menschlichen Welten. Indem er die Seele durch göttliche Tugenden anzündet, wird der Mensch zum Lichtträger Christi. Jede Tugend ist wie eine kleine Sonne; und alle zusammen stellen sie die Ewige Sonne der Gerechtigkeit dar – den Herrn Christus. Und diese wärmt und erleuchtet alle menschlichen Welten; und dann gibt es in ihnen keine Finsternis. Diese ewige Sonne wärmt und leuchtet aus dem Herzen aller Christusträger durch die göttlichen Tugenden: Demut, Sanftmut, Gerechtigkeit, Reinheit des Herzens, Friedenstiftung, Christusliebe, Bruderliebe. Daher sind sie wie eine Stadt auf dem Berge, welche nicht versteckt werden kann. Keine Verfolgungen, keine Hindernisse, keine Kraft können das Licht der Welt daran hindern zu leuchten oder die Predigt des Evangeliums abwürgen. Allen zum Trotz werden die Prediger des Evangeliums Christi immer wie eine Stadt sein, die auf dem Berge steht, und die stets von allen Seiten zu sehen ist. Niemand und nichts wird im Stande sein, sie zum Schweigen zu bringen oder sie zu erschrecken oder sie von der rettungbringenden Predigt des heiligen Evangeliums abzuhalten.
Das Auge ist das Licht des Körpers; der Körper sieht durch das Auge sowohl sich selbst als auch die ihn umgebende Welt (vgl. Mt. 6,23). Die Apostel sind das Licht der Welt, und das bedeutet: die Augen der Welt; durch sie sieht die Menschheit den göttlichen Sinn der Welt und alle Wege, die das menschliche Wesen aus der Sünde und dem Tod in die Unsterblichkeit und das ewige Leben führen. Ohne sie ist die Welt ohne Augen, und zwar ohne heilige und unsterbliche Augen. Welche Finsternis überfällt das menschliche Wesen, wenn es in ihm kein apostolisches, göttliches, logoshaftes Licht gibt! Denn nur Gott Logos ist das Urlicht und All-Licht und dadurch das einzige wahre Licht in allen Welten. Sicher das einzige, wenn auch der “größte unter den Frauen Geborenen” im Vergleich zum menschgewordenen Gott Logos nicht Licht ist (vgl. Jh. 1,8). Und was es in der menschlichen Natur an Licht gibt, das wurde ihr vom Gott Logos bei der Schöpfung gegeben (vgl. Jh. 1,9). Im menschlichen Wesen sind das Leben und das Licht Synonyme. Der Mensch lebt durch das Licht; durch sein Leben leuchtet er und leuchtend lebt er (vgl. Jh. 1,4). Über die menschliche Natur ist das göttliche, logoshafte Licht ausgegossen wie lebendige lichttragende Körner. Daher bezieht jeder Mensch sein Menschsein aus dem logoshaften Licht. Und wenn dieses Licht durch Christus aufflammt zu einem unlöschbaren Feuer, dann werden die Menschen Christi zum Licht der Welt. Gott Logos wurde Mensch, um den Menschen zu zeigen, daß der Mensch im Grunde Licht ist und daß dies seine göttliche Berufung ist: Licht der ganzen Welt zu werden, des ganzen Weltalls. Die Menschen sind eben dafür geschaffen, Licht der Welt und Augen der Welt zu werden. Da Er sie Gott ebenbildlich schuf, sagte ihnen Gott gleichsam: Ihr seid das Licht der Welt und die Augen der Welt.  In der Tat, Er sagte ihnen das auch, als Er sie segnete und zu ihnen sprach: “Seid fruchtbar, mehret euch, füllet die Erde, macht sie euch untertan, herrschet über des Meeres Fische, über des Himmels Vögel und über alle Lebewesen, die auf Erden wimmeln” (Gen. 1,28). Aber die Sünde und der Tod erfüllten die Menschen mit Finsternis und sie hörten auf, Licht der Welt und Augen der Welt zu sein. Gott Logos kam herab in unsere menschliche Welt, um die Menschen von der Finsternis der Sünde und des Todes zu befreien, sie zur Unsterblichkeit und zum ewigen Leben zurückzuführen und sie von neuem zum Licht der Welt und zu den Augen der Welt zu machen.
Der Hl. Chrysostomos verkündet: Der Heiland sagt seinen Jüngern: Ihr seid das Licht der Welt. Wiederum: Licht, nicht eines Volkes, und nicht von zwanzig Städten, sondern des ganzen Universums. So wie die Rede vom geistlichen Salz war, so ist hier die Rede von geistlichem Licht, welches viel kräftiger strahlt als die sichtbare Sonne. Der Heiland versucht seinen Jüngern, Mut einzuflößen, denn mit den Worten: Eine Stadt, die auf dem Berg steht, kann nicht verborgen werden, bringt Er seine Macht ans Tageslicht. Denn so wie eine solche Stadt nicht verborgen sein kann, so kann auch die Predigt des Evangeliums nicht verschwiegen werden oder unbekannt bleiben. Da Er von Verfolgungen und Verleumdungen, von Anfeindungen und Kämpfen sprach und damit die Schüler nicht meinten, daß ihnen dadurch die Predigt des Evangeliums verhindert werden kann, sagt ihnen der Herr, indem Er sie ermuntert, daß ihre Predigt nicht nur nicht unbekannt bleiben wird, sondern auch das gesamte Universum erleuchten wird; dadurch werden auch sie bekannt und berühmt werden1
Ihr seid das Licht. Zuerst das Salz, dann das Licht – sagt der Sel. Theophylakt  – denn das Licht offenbart heimliche Werke. Das Licht ist es, das alles an den Tag bringt. Die Apostel erleuchteten nicht ein Volk, sondern die Welt. Eine Stadt, die auf dem Berg steht, kann nicht verborgen bleiben. Mit diesen Worten belehrt der Herr seine Jünger für asketische Taten und zur Aufmerksamkeit für ihr Leben, denn alle werden auf sie schauen. Denkt nicht, sagt Er, daß ihr euch verbergen werdet.     Fortsetzung folgt   

 

Bote 1995-2
Kommentar zum Hl. Evangelium nach Matthäus

5,15
Man zündet auch nicht ein Licht an und stellt es unter den Scheffel, sondern auf den Leuchter, dann leuchtet es allen, die im Hause sind. – Es wäre unnatürlich und ungeziemlich, wenn sich die Apostel, dieses Licht des Universums, vor Furcht und Kleinmut versteckten, so wie es unnatürlich und unvernünftig ist, eine angezündete Kerze unter ein Gefäß zu stellen. Die Apostel sind die Kerze, welche der Herr Christus mit unauslöschlichem göttlichem Licht anzündete, damit sie allen im Haus dieser Welt leuchtet. Denn das Haus bedeutet diese Welt, in der das Menschengeschlecht lebt. Die Apostel sind das Licht, dessen heilige Verantwortung darin liegt, allen Menschen in dieser Welt zu leuchten und den Weg aus dem Tod in die Unsterblichkeit zu weisen, aus dem Laster in die Tugend, aus der Sünde in das Gute, aus der Hölle in das Paradies. – Was bedeutet Haus noch? Es bedeutet die menschliche Seele. Durch die heiligen Apostel leuchtet das göttliche Licht Christi allen Gedanken in der Seele und allen Gefühlen und allen Wünschen und sie kennen ihren Weg, den Weg in die Unsterblichkeit und das ewige Leben, und sie laufen freudig diesen Weg entlang durch die heiligen Tugenden des Evangeliums. – Haus bedeutet außerdem jegliches menschliche Wesen. Denn jeder Mensch ist wie ein einzelnes Haus, in welchem ein ewiges Wesen lebt: Die gottebenbildliche Seele. Häufig ist sie von den schwarzen Wolken der Leidenschaften und schweren Nebelschwaden der Sinnlichkeit bedeckt und verborgen. Das göttliche Licht der Apostel muß diese schwarzen Wolken verjagen und die schwere Finsternis verdrängen, damit im Menschen alles, was gottähnlich ist, göttlich und ewig, von der göttlichen Wahrheit, von Liebe und Gerechtigkeit genährt, aufatmen kann, und zum unsterblichen Leben erweckt wird. – Haus  bedeutet auch noch das ganze Universum. Durch das Licht Christi beleuchten die Apostel alle Wesen im Universum. Ja, sogar die Engel. Denn auch sie lernen eine gewisse große Wahrheit durch die apostolische Kirche und ihr Evangelium (vgl. Eph. 3,10). Das Universum ist das Haus Gottes, in welchem die der Sünde ergebenen Menschen das allerschlimmste Dunkel darstellen, welches nur die heiligen Christusträger durch ihr göttliches Licht vertreiben können. Denn sie  erleuchten nicht nur alle Menschen in dieser Welt, sondern auch alle Wesen in allen Welten.
Indem er die Worte des Heilands anführt: Eine Stadt, die auf einem Berge liegt, kann nicht verborgen werden, noch kann ein Licht unter den Scheffel gestellt werden, sagt der Hl. Chrysostomos: Durch diese Worte weist der Heiland wieder seine Jünger auf ein strenges Leben hin, indem er sie lehrt, weitsichtig zu sein, weil sie sich vor den Augen aller auf dem Gebiet des gesamten Universums anstrengen mußten. Schaut nicht darauf, sagt Er, daß wir jetzt hier sitzen und uns in einer kleinen Ecke der Welt befinden, denn ihr werdet so auffällig für alle sein, wie eine Stadt, welche auf dem Berg steht, wie eine Kerze auf einen Leuchter gestellt ist, um allen im Hause zu leuchten1. Ich habe selbst das unauslöschliche Licht der Gnade angezündet. Es soll Angelegenheit eurer Anstrengung sein, daß das Licht eures Lebens auch anderen leuchtet2. Ich habe euch mit dem Licht der Gotteserkenntnis angezündet, nicht damit ihr euch versteckt, sondern ich stelle euch eben auf den Leuchter, d.h. auf einen erhöhten Platz der Lehre, damit ihr alle, die in dem Universum sind, erleuchtet .3

So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater, der in den Himmeln ist, preisen.  – Unser Herr Christus ist das Licht, die Christusträger sind die Kerze: Das Licht zündet die Kerze an, die Kerze aber brennt mit dem Licht. Die Christusträger sind das Material, das brennt und mit Christus leuchtet. Wenn sie sich selbst anschauen, empfinden sie und sehen sie, daß das Licht Christi über ihr ganzes Wesen ausgegossen ist und daß durch dasselbe ihr ganzes Wesen brennt und leuchtet. In diesem Brennen und Leuchten durch das Licht Christi saugen sie dieses so sehr in sich auf, identifizieren sich so sehr damit, und das Licht durchdringt sie in solchem Maße, wird so sehr zu dem ihren, daß auch sie selbst zum Licht der Welt werden. Und dann wird die Wahrheit offenbar, daß Menschen Brenn- und Leuchtmaterial sind, welches nur durch das Licht Christi brennt und leuchtet und zwar ewig brennt und ewig leuchtet, in allen Welten. Das Licht Christi aber brennt und leuchtet in den Menschen, wenn sie es beständig mit dem Eifer des Evangeliums, der Tugendhaftigkeit des Evangeliums anfachen. Jegliches Werk des Evangeliums, jeglicher Gedanke des Evangeliums, jegliches Gefühl des Evangeliums facht das Licht Christi in der menschlichen Seele noch mehr an. Und wenn der Mensch unaufhörlich dem Evangelium gemäß lebt, dann wird sein ganzes Wesen vom Licht Christi angezündet, und dieses leuchtet und glänzt, glitzert durch alle seine Gedanken, durch alle seine Werke, durch alle seine Worte. Dieses an sich göttliche Licht weist immer auf Gott, zeigt Gott, führt zu Gott als seinem Quell und Urquell. Deshalb preisen die Menschen auch Gott. Jegliches wahrhafte Gut ist himmlischen, göttlichen Ursprungs, und aus ihm leuchtet stets etwas Himmlisches und Göttliches hervor. Ein Mensch, der dem Evangelium nach gut ist, ist immer irgendwie licht, immer aufrecht: Aus ihm tritt immer etwas Gütiges zutage, etwas Himmlisches, etwas Göttliches, etwas von Christus Geliebtes und Gütiges. Er leuchtet und wämt und erwärmt. In der Natur des Lichtes ist es zu leuchten, zu beleuchten, zu erleuchten. So leuchtet auch ein Christ allein dadurch, daß er Christusträger ist, er leuchtet, verdrängt das Dunkel aus der Seele seiner Nächsten und wird tatsächlich zum Licht der Welt, welches den Menschen den Ausweg aus dem Dunkel dieser Welt in das Licht der ewigen göttlichen Wahrheit und Gerechtigkeit, Liebe und Güte, Weisheit und Schönheit zeigt.
Es ist Pflicht der Christen, ununterbrochene irdische Pflicht, daß sie durch ihre, dem Evangelium entsprechenden Tugenden, durch ihre dem Evangelium entsprechenden Werke allen in der Welt leuchten, in diesem Hause Gottes, und daß sie die Menschen zu Gott führen. Jegliche, dem Evangelium entsprechende Tugend, jegliches dem Evangelium entsprechendes Werk glänzt und leuchtet durch das Licht Christi. Und die Christen, wann leuchten sie? Sie leuchten, wenn sie sich in irgendeiner evangelischen Tugend üben: dem Gebet, dem Fasten, der Liebe, der Demut, der Duldsamkeit, der Sanftmut, der Nächstenliebe, der Barmherzigkeit. Mit Hilfe dieser Tugenden leuchten die Christen allen Wesen in allen Welten. Und jede von diesen Tugenden entspringt aus der Sonne aller Tugenden, dem Herrn Jesus; und jede von ihnen führt und lenkt zu Ihm. Das Gebet, führt es etwa nicht zu Ihm? Und die Liebe, die Demut, das Fasten, die Güte, die Barmherzigkeit – führen sie nicht geradewegs zu Ihm, dem einzigen wahrhaften Licht in allen Welten? Das Licht ist dadurch Licht, daß es leuchtet. Die Christen sind dadurch Christen, daß sie der Welt leuchten, daß sie die Erleuchtung der Welt darstellen. Mit ihrer Hilfe und durch sie wird die Welt von jeglichem Dunkel gerettet und tritt in das Licht ein, das kein Ende hat. Aber in ihrer Demut sind die Christen sich immer bewußt, daß dies nicht ihr Licht ist, sondern das Licht Christi und deshalb wünschen sie auch, daß alle ihre lichten Werke von den Menschen Gott zugeschrieben werden, und daß die Menschen ihren himmlischen Vater preisen. Denn so, wie für die Erde die Quelle jeglichen Lichtes am Himmel ist, so ist auch für die menschliche Seele die Quelle jeglichen Lichtes in Gott.
In seinem Kommentar auf diese Worte des Heilandes sagt der Hl. Chrysostomos, so als ob er gleichsam hörte, daß Christus auch dies sagt: Ich habe das Licht angezündet, aber daß es weiter brennt, das soll eure Sorge sein; und das nicht nur um unseretwegen, sondern auch um jener willen, die dieses Licht nutzen sollen und die zur Wahrheit geführt werden sollen. Keine Verleumdung wird euer Licht verdunkeln können, wenn ihr so lebt, wie ihr sollt, wenn ihr so lebt, wie es Menschen ansteht, die das ganze Weltall umkehren sollen. Zeigt also ein Leben, das der Gnade würdig ist, auf daß eure Predigt von eurem guten Leben begleitet werde. Wenn ihr so lebt, wie es sich gehört, werdet ihr nicht nur das ganze Weltall umkehren, sondern ihr werdet auch dazu beitragen, daß Gott gepriesen wird; so wie ihr, wenn ihr das Gegenteil tut, Menschen ins Verderben führen werdet und Anlaß geben werdet, daß der Name Gottes geschmäht wird... Euer Licht soll leuchten, d.h. eure Tugend soll groß sein und das Feuer reich und das Licht unsagbar. Wenn eure Tugend so sein wird, dann wird es unmöglich sein, sie zu verbergen, wenn sich derjenige, der sie besitzt, auch jegliche Mühe gibt, sie zu verbergen. Lebt tadellos, und niemand wird einen gerechtfertigten Grund haben, euch zu verleumden. Möge der Verleumder auch eine Unzahl sein, dennoch wird niemand euren Ruhm verfinstern können. Es ist gut gesagt: Licht. Denn nichts macht den Menschen so berühmt wie der Glanz der Tugend, mag der Mensch sich auch mühen, sie mit allen Kräften zu verheimlichen.4

Christus und das Alttestamentliche Gesetz
(5,17-20)

Der gottmenschliche Gesetzgeber verkündet die Frohe Botschaft: Denkt nicht, daß ich gekommen sei, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen. Ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen. – Von dem Wunsch getragen, das Verhältnis zwischen den neuen gottmenschlichen Gesetzen und dem alttestamentlichen Gesetz aufzuzeigen, besänftigt der Herr zunächst die Juden durch diese Frohbotschaft. Unter den Worten “Gesetz oder Propheten” ist die gesamte alltestamentliche Offenbarung zu verstehen, welche in den heiligen Büchern enthalten ist. Obwohl Er selbst die Verkörperung des Neuen Testamentes ist, verletzt der Herr Christus nichts im gottgegebenen Gesetz, sondern Er erfüllt es. Als Beweis dafür mögen Seine Worte an den Hl. Johannes den Vorläufer dienen: “Denn es gebührt uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen” (Mt. 3,15); und Seine an die Juden gerichtete Frage: “Wer unter euch überführt mich einer Sünde? (Jh. 8,46). Diese Wahrheit bezeugt von Ihm auch der Prophet Jesaias, der über Ihn sagt, daß Er keine Sünde tat (Jes 53,9).
Ohne Zweifel erfüllte der Herr Christus das Alte Gesetz und die Propheten in erster Linie dadurch, daß Er alles erfüllte, was die Propheten von Ihm sprachen. Daher sagen die heiligen Evangelisten häufig: “Damit erfüllet werde, was der Prophet sprach...”. Er erfüllte alle Vorschriften und Gebote des Gesetzes: “Denn er tat keine Sünde, und kein Trug war in seinem Munde” (Jes. 53,9; 1 Petr. 2,22). Der Gottmensch Christus ist die Verkörperung und Verwirklichung des Gesetzes und der Propheten. In Ihm erreichte das Gesetz seine Vollkommenheit und seinen endgültigen und vollkommenen Sinn. Im Neuen Testament erreicht das Alte Testament seine Vollkommenheit, es wird zu seinem Bestandteil, und seine besondere Rolle wird beendet.

Mit dem Gottmenschen, unserem Herrn Jesus Christus und seinem Neuen Testament tritt das Alte Testament in ewige Dauer ein, erhält seine unsterbliche Vollkommenheit, seine gottmenschliche Ewigkeit. Davon zeugt der Retter selbst, indem Er verkündet: Wahrlich ich sage euch: Bis der Himmel und die Erde vergehen, wird nicht ein einziges Jota oder Strichlein vom Gesetz vergehen, bis alles geschehen ist (v. 18). Der Sinn von Himmel und Erde und all dessen, was in ihnen und auf ihnen ist, liegt darin, das gesamte Gesetz zu erfüllen. Die Erfüllung des Neuen Gesetzes ist gleichzeitig auch die Erfüllung des Alten Gesetzes. Die Erfüllung im Geist und im Wesen, z.B.: Wer seinem Bruder nicht zürnt, der erfüllt nicht nur das neue Gebot, er erfüllt vollkommen auch das alte Gebot “Du sollst nicht töten”,  wer nicht zürnt, der wird auch in keinem Fall töten.

Unsterblich ist die frohe Botschaft des Gottmenschen und das Gebot: Wer nun eines dieser kleinsten Gebote auflöst und die Menschen so lehrt, wird der Kleinste heißen im Reich der Himmel. Wer sie aber tut und lehrt, der wird groß heißen im Reich der Himmel (v. 19.) – Nach dem Hl. Chrysostomos und dem sel. Theophylakt4 bezeichnet der Herr als kleinste Gebote nicht die Gebote des alttestamentlichen Gesetzes, sondern seine neutestamentlichen Gebote. Er nennt sie so aus seiner Demut heraus, denn Er spricht sehr oft bescheiden von sich selbst, als auch von seinem Gesetz. Der Herr versteht unter den geringsten Geboten sowohl die neutestamentlichen, als auch die altestamentlichen Gebote, insofern diese letzteren in die gottmenschliche Heilsökonomie der Rettung eingehen, die ihre ewige Bedeutung aus der ganzen organischen Einheit mit der neutestamentlichen Lehre erhalten. Das zeigen die Verse 17, 18 und 20. Unsterblich ist die Wahrheit des gütigen Heilands: Wer eines der geringsten Gebote verletzt, verkehrt und verletzt, und so die Menschen lehrt, der wird der allergeringste im Himmelreich genannt werden. In diesem Fall bedeuten die Worte im Himmelreich das Letzte Gericht, die allgemeine Auferstehung der Toten, nicht aber das, daß ein solcher Übertreter auf der geringsten Stufe der Seligkeit im Himmelreich stehen wird5. Der Hl. Chrysostomos verkündet die gottmenschliche Wahrheit, indem er sagt: Wenn du die Worte hörst:  Der Geringste im Himmelreich, so verstehe darunter nicht etwas anderes, als die Hölle und die Qual. Als Reich bezeichnet Christus nicht nur den Genuß an den künftigen Gütern, sondern auch die Zeit der Auferstehung und die zweite Wiederkehr Christi. Denn welchen Sinn hätte es, daß derjenige, der seinem Bruder sagt “Du Tor” und eines der Gebote übertritt, der Hölle mit ihrem Feuer verfallen sein wird (v. 22) , und daß derjenige, der das ganze Gesetz übertritt, und andere dazu anleitet, ins Himmelreich gelangt? Christus hat also nicht dies gesagt, sondern daß der Übertreter des Gesetzes in jener Zeit der geringste sein wird, d.h. verworfen, der letzte; der letzte aber wird dann zweifellos in die Hölle geworfen werden6. Andererseits: Wer das Gebot erfüllt und andere dasselbe lehrt, der wird im Himmelreich groß genannt werden. Der Herr sagt zuerst:  Führe aus, und danach:  Lehre; denn wie könnte ich jemanden einen Weg entlang führen, den ich selbst nicht beschritten hätte? Außerdem, wenn ich die Gebote erfülle, aber andere nicht in ihnen unterweise, so werde ich keinerlei Belohnung dafür erhalten, umso mehr werde ich mich schuldig machen, wenn ich aus Neid oder Faulheit andere nicht belehre7. Wer das Gestzt erfüllt und andere dazu anhält und anleitet, der wird eine große Belohnung im Himmel erhalten, denn er wird im Himmelreich groß genannt werden.

Der Heiland frohbotschaftet: Ich sage euch, wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr nicht in das Reich der Himmel kommen  (5,20). – Hier bedeutet das Wort  Gerechtigkeit  die Tugend überhaupt, die Gesamtheit alelr Tugenden8. Die Schriftgelehrten waren gelehrte Menschen; sie beschäftigen sich besonders mit der Erforschung der Heiligen Schrift. Da sie das Gesetz erforschten, wurden sie “Gesetzeslehrer” genannt. Doch ihre Gerechtigkeit und überhaupt jegliche alttestamentliche Gerechtigkeit war nicht ausreichend für die Rettung. Denn wäre sie ausreichend gewesen, wäre der Herr nicht im Leib gekommen, wäre der Gottmensch und die gottesmenschliche Heilsordnung nicht notwendig gewesen. Die alttestamentliche Gerechtigkeit führt nicht in das Himmelreich und zwar nicht deshalb, weil sie schlecht wäre, sondern weil sie unvollkommen ist und weil sie notwendigerweise durch die gottmenschliche Gerechtigkeit Christi ergänzt und vervollkommnet werden muß9. Allein im Herrn Christus, welcher “die Gerechtigkeit Gottes” ist, liegt die Rettung des Menschengeschlechtes von der Sünde, dem Tod und dem Teufel, und die Vergöttlichung mit dem ewigen Leben und allen gottmenschlichen Seligkeiten und Reichtümern.    
1 Chrysostomos aao.
2 Sel. Theophylakt ibid. ad loc
3 Zigaben aao. cap. V, v. 15; col. 201 B.
4 Sermo 15,8; c. 233, S. 160-161
4Ibid. bei beiden ad loc
5 Sel. Theophylakt in Matthaei, cap. V, v. 19; PG 123, 193 A
6 Sermo 16,4; PG t.57, col. 243
7 Sel. Theophylakt ibid. S. 193 B
8 Hl. Chrysostomos ibid. S. 244, Sel. Theophylakt ibid. ad loc
9 Hl. Chrysostomos ibidem

 

Bote 1995-3
Kommentar zum Hl. Evangelium nach Matthäus

Das Gebot: Du sollst nicht töten
(5,21-26)
In unserem irdischen Leben, wo Tod und Sünde herrschen und durch sie der Teufel, gibt es keine wahren Frohbotschaften. Die wahre frohe Botschaft kann nur der Besieger des Todes sein. Und das ist der Gottmensch, der Herr Christus, welcher durch Seine Auferstehung den Tod besiegt und uns das ewige Leben geschenkt hat. Und daneben gab Er uns das Gesetz und die Frohbotschaft des ewigen Lebens. Und dies ist Sein gottmenschliches Evangelium, die gottmenschliche Frohbotschaft, welche heißt und ist – “ewiges Evangelium” (Off. 14,6) und für alle Zeiten und für alle Ewigkeit gilt. Das Alte Testament jedoch, und die alttestamentlichen Gebote sind lediglich Führer zu diesem, Führer zu Christus – paidagwgoV eiV Criston (Gal 3,24). Das ewige Evangelium des Heilands erklärt und verwirklicht und vermenschlicht die alttestamentliche Offenbarung und all ihre göttlichen Werte. Durch seine Ewigkeit und durch seine Gottmenschlichkeit umfängt das Neue Testament das Alte Testament und macht es unsterblich.
Der einzige Frohbotschafter des Menschengeschlechtes, der Herr Christus, verkündet: Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist: “Du sollst nicht töten”, wer aber tötet, soll dem Gericht verfallen sein. Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder ohne Grund zürnt, soll dem Gericht verfallen sein. Wer aber zu seinem Bruder sagt: “Du Nichtsnutz”, soll dem Hohen Rat verfallen sein. Wer aber sagt: “Du Tor”, soll der Hölle mit ihrem Feuer verfallen sein (5,21-22) – Offensichtlich fügt der Herr allmählich dem Alten Gesetz das Neue hinzu, ergänzt das Alte durch das Neue. Durch Moses ist den Alten gesagt: “Du sollst nicht töten!” (2. Moses 20,13). Doch das, was den Alten gesagt ist, muß verjüngt werden, erneuert werden, ihm müssen Lebenskräfte, lebenspendende Kräfte verliehen werden, es muß auf eine höhere Stufe der Vollkommenheit erhoben werden. Das alte Gesetz ist Schatten, Urbild, Prophezeiung, Einführung in das neue Gesetz, in den sündlosen Leib des Gottmenschen Christus, in dem die Gnade und die Wahrheit verkörpert ist (Jh. 1, 17). Nach dem Gesetz Moses wird ein mutwilliger Mörder einem besonderen Gericht überantwortet (4. Mos. 35,24). Der Herr aber schlägt tiefer, senkt seine Axt an die Wurzel des Bösen, an die Ursache des Mordes selbst: den Zorn. Die alttestamentlichen Propheten, Patriarchen, Gerechten sagten gewöhnlich: “So spricht der Herr”. Der Herr Christus aber spricht mit Macht als Sohn des Himmlischen Vaters, und Seine Worte sind Worte des einziggeborenen Sohnes: “Alles was mein ist, das ist dein, und was dein ist, das ist mein” (Jh. 17, 10). Durch Seine Worte: “Ich aber sage euch”, widersetzt sich der Herr Christus nicht, widerspricht nicht dem alten Gesetz, sondern betont besonders Seine Rolle des Neutestamentlichen Gesetzgebers, welcher das alte Gesetz durch das Neue vervollkommnet. Gott verbietet durch Moses den Mord, der Herr Christus aber verbietet nicht nur den Mord, sondern verbietet selbst den Anlaß und die Ursache des Mordes: den Zorn. Das Gebot: Zürne nicht! – bekräftigt und vervollkommnet das Gebot: Töte nicht! Das erste ist die Ergänzung des zweiten, und deshalb wichtiger als jenes. Wer sich dem Zorn nicht anheimgibt, der wird sich auch ebenso vom Mord enthalten; wer seinen Zorn eindämmt, der wird zweifellos auch Gewalt über seine Hände haben. Der Zorn ist die Wurzel des Totschlages. Deshalb wird derjenige, der die Wurzel ausreißt, ohne Zweifel auch die Zweige entfernen, oder besser – er wird sie nicht einmal entstehen lassen (Hl. Chrysostomos ibid. col. 245-6). Die Worte des Heilands: “ohne Grund” zeigen, daß der Herr nicht jeglichen Zorn verwirft, sondern lediglich den unzeitgemäßen, denn zeitgemäßer Zorn ist nützlich. Er tritt auf, wenn wir uns aus Nächstenliebe oder Liebe über jene erzürnen, die entgegen den Geboten Gottes leben; wenn wir uns gegen jene, die ein böses Leben führen, nicht aus Rachegefühlen heraus erzürnen, sondern um ihres Vorteils willen. Der Hl. Chryostomos sagt, daß der Herr durch diese Seine Worte den Zorn nicht gänzlich verwirft: Zunächst deshalb, weil der Mensch nicht vollkommen von dieser Leidenschaft frei sein kann; er kann sie bewahren und eingrenzen, aber er ist nicht imstande, sie vollkommen auszumerzen; zweitens deshalb, weil die Leidenschaft des Zorns auch nützlich sein kann, wenn wir sie nur zu rechter Zeit benutzen. Der Zorn des Apostels Paulus auf die Korinther rief ungeheuer viel Gutes hervor; ebenso wirkte auch sein Zorn auf die Galater. Aber die Frage ist: Wann ist der Zorn zeitgemäß? Dann, wenn wir nicht aus Rache zürnen und nicht um unserer selber willen, sondern um der Beschränkung der Widerspenstigen willen und um der Hinwendung der Gleichgültigen auf den richtigen Weg willen. Wenn wir aus Rache zürnen, was der Apostel Paulus verbietet (Röm. 2,19); wenn wir um Geld zürnen, was derselbe Apostel nicht zuläßt (1. Kor. 6,7). “Wer vergeblich seinem Bruder zürnt, der wird dem Gericht überantwortet; wenn aber jemand wegen der Erbauung seines Bruders und aus geistlichem Eifer heraus zürnt, der wird nicht verurteilt werden. Denn Paulus sagt zornige Worte dem Zauberer Elim und dem Hohenpriester, nicht etwa ohne Grund, sondern aus Eifer”1.
Die Worte des Heilands:”gegen deinen Bruder” bedeuten: gegen jeglichen Menschen, wen auch immer, denn alle Menschen sind Kinder des Einen Himmlischen Vaters, und dadurch untereinander Brüder (Hebr. 2,11). Die Worte: “dem Gericht schuldig” bedeuten die Verantwortung und die Schuld vor dem Gericht des Gottmenschen Christus, dem geistlichen und ewigen Gericht, das nicht nur für Totschlag verurteilt, sondern genauso für zornige Gefühle, zornige Gedanken und Worte. Sagt er aber seinem Bruder “Narr”, so wird er vor dem Synedrion schuldig sein – dem höchsten jüdischen Gericht in Jerusalem. Der Herr erwähnt das Synedrion, damit man nicht denkt, daß Er in allen Dingen Neues und Fremdes lehrt2.
Das Wort “Narr” ist ein chaldäisches Wort, welches die Juden zur Zeit Christi als Schimpfwort benutzten. Es bedeutet: ein leerer, nichtiger Mensch. Der menschenliebende Herr verurteilt die Verwendung dieses Wortes, da für Ihn und Seine Nachfolger selbst der größte Sünder das gottähnliche Antlitz der Seele nicht verloren hat, damit man einen solchen Ausdruck auf ihn anwenden könnte: Dummkopf. Damit fordert der menschenliebende Herr von seinen Leuten ein menschenliebendes Verhältnis gegenüber jedem Menschen und die Achtung jeder menschlichen Persönlichkeit. Deshalb überantwortet Er jeden Menschen, der seinem Bruder zürnt und der seinen Zorn durch das Wort Narr ausdrückt, dem Gericht.
Es ist eine gottmenschliche Wahrheit: Wer seinem Bruder sagt: du Narr, der wird der Gehenna des Feuers schuldig sein (Vers. 22). In anderen Worten: wer in seinem Zorn irgendeinen Menschen, der nach dem Ebenbild der Dreieinigen Gottheit geschaffen ist, derart erniedrigt, daß er ihn als Narren bezeichnet, der wirft sich selbst ins Höllenfeuer. Vielen erscheint dieses Gebot des Heilands als streng und grausam; und es könnte dies tatsächlich sein, wenn dieses Wort nicht die völlige Negierung der gottähnlichen Seele in diesem Menschen bedeutete, auf den es gerichtet ist. Der Hl. Chrysostomos sagt: wenn du deinen Bruder dessen beraubst, wodurch wir uns von den Tieren unterscheiden und was uns in erster Linie zu Menschen macht, d.h. des Verstandes, so beraubst du ihn damit jeglicher Erhabenheit3. Viele sagen und meinen, daß dieses Urteil schwer und streng sei. Doch dies ist nicht so. Denn wie ist derjenige nicht der Hölle würdig, der seinen Bruder des Verstandes und Geistes beraubt, d.h. dessen, wodurch wir uns von den Tieren unterscheiden? Wer beleidigt und erniedrigt, der zerstört die Liebe; und mit der Zerstörung der Liebe werden auch alle Tugenden zunichte gemacht, so wie sie erhalten werden, wenn sie zugegen ist. Wer also die Liebe bricht und alle Tugenden vernichtet, der ist deshalb auch der Hölle würdig4.
    Fortsetzung folgt

Bote 1995-4
Kommentar zum Hl. Evangelium nach Matthäus

5,21-22
Wir zürnen nicht aus Rache und nicht um unserer selber willen, sondern um der Beschränkung der Widerspenstigen willen und um der Hinwendung der Gleichgültigen auf den richtigen Weg willen. Wenn wir aus Rache zürnen, was der Apostel Paulus verbietet (Röm. 2,19); wenn wir um Geld zürnen, was derselbe Apostel nicht zuläßt (1. Kor. 6,7). “Wer vergeblich seinem Bruder zürnt, der wird dem Gericht überantwortet; wenn aber jemand wegen der Erbauung seines Bruders und aus geistlichem Eifer heraus zürnt, der wird nicht verurteilt werden. Denn Paulus sagt zornige Worte dem Zauberer Elim und dem Hohenpriester, nicht etwa ohne Grund, sondern aus Eifer”1.
Die Worte des Heilands:”gegen deinen Bruder” bedeuten: gegen jeglichen Menschen, wen auch immer, denn alle Menschen sind Kinder des Einen Himmlischen Vaters, und dadurch untereinander Brüder (Hebr. 2,11). Die Worte “dem Gericht schuldig” bedeuten die Verantwortung und die Schuld vor dem Gericht des Gottmenschen Christus, dem geistlichen und ewigen Gericht, das nicht nur für Totschlag verurteilt, sondern genauso für zornige Gefühle, zornige Gedanken und Worte. Sagt er aber seinem Bruder „Raka“ so wird er vor dem Synedrion schuldig sein – dem höchsten jüdischen Gericht in Jersualem. Der Herr erwähnt das Synedrion, damit man nicht denkt, daß Er in allen Dingen Neues und Fremdes lehrt2.
Das Wort “Raka“ ist ein chaldäisches Wort, welches die Juden zur Zeit Christi als Schimpfwort benutzten. Es bedeutet: ein leerer, nichtiger Mensch. Der menschenliebende Herr verurteilt die Verwendung dieses Wortes, da für Ihn und Seine Nachfolger selbst der größte Sünder das gottähnliche Antlitz der Seele nicht verloren hat, damit man einen solchen Ausdruck auf ihn anwenden könnte: Dummkopf. Damit fordert der menschenliebende Herr von seinen Leuten ein menschenliebendes Verhältnis gegenüber jedem Menschen und die Achtung jeder menschlichen Persönlichkeit. Deshalb überantwortet Er jeden Menschen, der seinem Bruder zürnt und der seinen Zorn durch das Wort “Raka“  ausdrückt, dem Gericht.
Es ist eine gottmenschliche Wahrheit: wer seinem Bruder sagt: du Dummkopf, der wird der Gehenna des Feuers schuldig sein (Vers. 22). In anderen Worten: wer in seinem Zorn irgendeinen Menschen, der nach dem Ebenbild der Dreieinigen Gottheit geschaffen ist, derart erniedrigt, daß er ihn als Dummkopf bezeichnet, der wirft sich selbst ins Höllenfeuer. Vielen erscheint dieses Gebot des Heilands als streng und grausam; und es könnte dies tatsächlich sein, wenn dieses Wort nicht die völlige Negierung der gottähnlichen Seele in diesem Menschen bedeutete, auf den es gerichtet ist. Der Hl. Chrysostomos sagt: wenn du deinen Bruder dessen beraubst, wodurch wir uns von den Tieren unterscheiden und was uns in erster Linie zu Menschen macht, d.h. des Verstandes, so beraubst du ihn damit jeglichen

Der Zorn hat verschiedene Stufen, aber selbst der allergeringste Zorn und die allergeringste Beleidigung, die einem Bruder zugefügt wird, macht uns der Gemeinschaft mit Gott unwürdig. Der Heiland frohbotschaftet: “Deshalb, also, wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und wirst allda eingedenk, daß dein Bruder etwas wider dich habe, so laß allda vor dem Altar deine Gabe und gehe zuvor hin und versöhne dich mit deinem Bruder und alsdann komm und opfere deine Gabe. Sei willfährig deinem Widersacher bald, solange du noch mit ihm auf dem Wege bist, auf daß dich der Widersacher nicht überantworte dem Richter und der Richter dem Diener und werdest in den Kerker geworfen.” – Oh, Güte! Oh, unsagbare Menschenliebe, ruft der Hl. Chrysostomos bei der Erklärung dieser Worte des Heilands aus. Der Herr gebietet, die Verehrung Ihm gegenüber um der Nächstenliebe willen einzustellen. Möge der Dienst an Mir aufhören, sagt Er, damit deine Liebe erhalten bleibt, denn auch das ist ein Opfer für Gott – die Aussöhnung mit dem Bruder. Deshalb sagt Er nicht: sühne dich aus, nachdem du die Gabe gebracht hast, sondern Er schickt zur Aussöhnung mit dem Bruder, wenn die Gabe vor dem Opfertisch liegt und die Darbringung des Opfers schon begonnen hat. Mit diesem Befehl verfolgt der Herr ein zweifaches Ziel. Zunächst will Er zeigen, daß Er die Liebe für das größte Opfer hält, daß die Liebe zu Gott ohne Nächstenliebe unmöglich ist; zweitens will Er betonen, daß die Aussöhnung mit dem Bruder, d.h. mit jedem beliebigen Menschen, vollkommen unumgänglich ist und daß der Altar des Herrn weder Gebete noch Gaben annimmt, wenn der Darbringende etwas gegen jemanden hat, oder jemand etwas gegen ihn hat. Christus lehrte nicht: Versöhne dich, wenn du sehr betrübt bist, sondern tue dies auch dann, wenn jemand etwas gegen dich hat. Und Er fügte nicht hinzu: sei es nun gerechtfertigt oder ungerecht, sondern einfach: wenn er etwas gegen dich hat5.
Das Wort “mit...” bedeutet einen Menschen, der beleidigt wurde; der Weg zum Richter – die Zeit des menschlichen Lebens auf der Erde; der Richter ist der Herr Gott, und der Diener – der Engel (vgl. Mt. 3, 19–41; 24, 31); das Gefängnis – der Ort der ewigen Qual (vgl. 1. Petr. 3,19; 1. Petr. 2,4.9; Jud. 6; Apog. 20, 7). Mit Seiner Lehre vom Zorn beweist der Herr eines: Der Zorn führt nicht nur zum Mord, sondern auch in die Hölle. Andernfalls bleibt unsere Seele in Todesgefahr. Verurteilt wird nicht nur derjenige, der tötet, sondern auch der, der das Gebot Christi von der Sanftmut, von der Liebe verletzt und nicht Buße tut. Die Sünden des Zornes und der Erregbarkeit – diese Mörder unserer Seele – müssen wir noch während unseres Lebens auf der Erde durch Selbstzüchtigung in Reue abtragen, solange unser Weg zum ewigen Leben noch nicht durchschritten ist, solange wir noch nicht vor Gott als unserem Richter stehen.

Das Gebot: du sollst nicht ehebrechen
5,27-32
Unter allen Geschöpfen ist der Mensch eines der kompliziertesten: er ist aus Materie und Geist gewebt; dabei ist beides unendlich geheimnisvoll und rätselhaft. Beides übersteigt die Grenzen des Sichtbaren und Unsichtbaren, übersteigt sie in solchem Maße, daß ihr ganzes Geheimnis im unbegrenzten Gott und Herrn liegt, diesem heiligsten und allerheiligsten Geheimnis jenseits aller Geheimnisse. In allem ist der Mensch gleichzeitig ein sichtbares und unsichtbares Wesen. Und so sind auch alle Äußerungen seines Körpers und seiner Seele beschaffen: Unsichtbar im Sichtbaren und Sichtbar im Unsichtbaren.

Ihr habt gehört, daß gesagt ist: “Du sollst nicht ehebrechen”. Ich aber sage euch: Wer eine Frau ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen. Nach der Lehre des Alten Testaments ist der Ehebruch eine Sünde, und zwar in stärkerem Maße eine körperliche Sünde als eine geistliche. Diese Sünde wird durch das Siebente Gebot des alttestamentlichen Gesetzes verboten: “Du sollst nicht ehebrechen!” (Ex. 20, 14). Ehebruch ist nur dann Ehebruch, wenn daran der Körper teilnimmt, wenn er physisch in Erscheinung tritt. Doch der Herr Jesus Christus schürft tiefer, wenn Er lehrt, daß Ehebruch nicht nur dies ist, sondern ebenso jeder sinnliche und lüsterne Blick, jegliche unzüchtige Neigung des Geistes. Deshalb verkündet Er eine neue Wahrheit: “Aber Ich sage euch: Wer eine Frau ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen”(V. 28). Wurzel und Ursache der Unzucht liegen im Geist; die körperliche Unzucht ist lediglich die Materialisierung der geistlichen und geistige Unzucht. Ein Blick auf eine Frau mit der Absicht der Befriedigung der Fleischeslust ist an sich Ehebruch im Herzen. Nach dem alttestamentlichen Gesetz ist die Sünde das Begehen des Ehebruchs selbst; nach der Lehre Christi aber liegt eine Sünde auch dann vor, wenn der Ehebruch im Herzen begangen wird, welches das Zentrum der geistlich-materiellen Bestandteile der menschlichen Natur darstellt. Wenn Christus bereits einen unzüchtigen, wollüstigen, sinnlichen Blick als Sünde bezeichnet, verletzt er dadurch nicht das alttestamentliche Gebot, sondern ergänzt es so, wie Er auch das alttestamentliche Gebot “du sollst nicht töten” durch das Gebot über den Zorn ergänzte. Wer das Gebot Christi erfüllt, übertritt keineswegs das alttestamentliche Gebot. Der Heiland spricht von der Sünde des Menschen, aber es ist selbstverständlich, daß dies auch die Frauen betrifft, denn Er weiß, daß Mann und Frau ein Wesen sind, und deswegen unterscheidet Er nirgends das Geschlecht”6.

Der Heiland verkündet: “Wenn dir aber dein rechtes Auge Ärgernis schafft, so reiß es aus und wirf’s von dir. Es ist dir besser, daß eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde. Wenn dir deine rechte Hand Ärgernis schafft, so haue sie ab und wirf sie von dir. Es ist dir besser, daß eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde.” – In der Tat macht die Seele das Auge zum Auge; sie ist ihr wichtiger Inhalt; es lebt durch sie, lebt und bewegt sich durch sie. Das Auge ist lediglich eine Waffe der Seele, ein Organ der Seele; das Auge schaut durch die Seele, und die Hand wird durch die Seele gelenkt; so auch die übrigen Teile des Körpers. Wenn das Auge eine Frau mit Lustgefühlen betrachtet, dann schaut tatsächlich aus ihm die Seele wollüstig. Die gesamte Tätigkeit des Auges hängt von den Eigenarten der Seele ab. Der Hl. Chrysostomos christologisiert: Der Herr gibt dieses Gebot und verurteilt damit nirgends den Körper, sondern klagt überall den verdorbenen Willen an. Nicht dein Auge schaut, sondern der Geist und das Herz7.
“Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen gehen böse Gedanken hervor: Unzucht, Dieberei, Mord, Ehebruch, Habsucht, Bosheit, List, Schwelgerei, Mißgunst, Lästerung, Hoffart, Unvernunft” (Mk. 7, 21-23). Eine böse Seele macht das Auge böse, schlecht, wollüstig. In einem wollüstigen Auge wohnt ein wollüstiger Geist, ein wollüstiges Gefühl. Daher bedeutet auch das Gebot und die Frohbotschaft Christi: “Reiß es aus und wirf es von dir” nicht: reiß das körperliche Auge aus, sondern reiß den begierigen Gedanken, das begierige Gefühl aus, das dein Auge zu einer Waffe der Fleischeslust macht; reiß sie aus und werfe sie fort, damit sie nicht wiederkehrt und dein Auge besetzt. Wenn der Mensch sein wollüstiges geistiges Auge nicht ausreißt, kommt er in Gefahr, daß sich diese Begierde über den ganzen Körper ausbreitet, ihn beherrscht und ihn zu einem gehorsamen Sklaven macht. Ein in Begierde getauchter Körper, ein von der Wollust geknechteter Körper, ein von der Sünde gelenkter Körper wird letzten Endes in die Hölle hinabgezerrt. Aber nicht nur der Körper, sondern genauso auch die Seele, denn der Körper ist ohne die Seele tot: Eine von dem Körper geknechtete Seele führt auch den Körper in die Sklaverei der Sünde. Die Worte des Heilands “der ganze Körper” bedeuten den ganzen Menschen; sowohl Körper als auch Seele; alle Glieder der Seele und des Körpers werden zu ewigen Qualen verdammt. Denn sowohl die Seele als auch der Körper sind zur Unsterblichkeit und zum ewigen Leben geschaffen; weder Leib noch Seele sind für die Unzucht, sondern für den Herrn; genauso sind weder das Auge noch die Hand für die Unzucht geschaffen, sondern für den Herrn (vgl. 1. Kor. 6, 13-18). Wie die Seele, so auch der Körper, wie das Auge, so auch die Hand müssen der Sünde sterben und dem Herrn leben, für das ewige Leben lebendig werden.

Der menschenliebende Heiland verkündet: “Es ist auch gesagt: Wer sich von seiner Frau scheidet, der soll ihr geben einen Scheidebrief. Ich aber sage euch: Wer sich von seiner Frau scheidet, es sei denn wegen Ehebruchs, der macht, daß sie die Ehe bricht; und wer eine Geschiedene freit, der bricht die Ehe.”
In seinem Gesetz befiehlt Mose: Wenn jemand seine Frau haßt, so soll er sich von ihr trennen, damit nichts Schlimmeres passiert, denn wer seine Frau haßt, kann sie aus Haß umbringen. Wenn der Mann seine Frau entließ, mußte er ihr ein Entlassungsschreiben geben8. Eine solche Lage der Frau war sehr schwer. Der Heiland sagt an anderer Stelle, daß ein solches Gesetz der Juden wegen der Härte ihrer Herzen gegeben war (Mt. 19, 8; Mk. 10, 2-12). Unser Herr Jesus Christus stellt die von Gott gegebene Wichtigkeit ud Heiligkeit der Ehe wieder her. Und wenn Er die Worte aus dem Alten Gesetz anführt, zeigt Er dadurch, daß Er nichts Entgegengesetztes lehrt, sondern etwas, was in Übereinstimmung damit steht, daß Er die alte Lehre stärkt, berichtigt, ergänzt, aber nicht zerstört9.
Der Ehebruch ist eine Sache, die die heilige Einheit der Ehe zerstört und damit die von Gott gegebene Einheit zwischen Mann und Frau vernichtet. Deshalb ist nach der Lehre des Herrn der Ehebruch der einzige rechtmäßige Grund für eine Ehescheidung. Wenn sich ein Mensch von seiner Frau oder eine Frau von ihrem Mann aus irgendwelchen anderen Gründen scheiden läßt, so gibt dies der geschiedenen Seite Anlaß, Ehebruch zu begehen. “Der Herr verletzt nicht das Gesetz Mose, sondern berichtigt es, indem Er dem Mann untersagt, seine Frau grundlos zu hassen. Wenn er sie aus dem rechten Grund entläßt, d.h. wegen Ehebruchs, dann unterliegt er nicht dem Gericht; wenn er sie jedoch nicht wegen Ehebruchs entläßt, dann unterliegt er dem Gericht, denn er gibt ihr dadurch den Anstoß zum Ehebruch. Aber auch derjenige, der sie annimmt, ist ein Ehebrecher, denn wenn er sie nicht annähme, kehrte sie vielleicht zu ihrem vorherigen Mann zurück und unterwürfe sich ihm”10.

 

Bote 1995-5
Kommentar zum Hl. Evangelium nach Matthäus

Das Gebot: Du sollst keinen Eid brechen
5, 33-37
Obwohl der Mensch seiner Seele nach unendlich ist, ist er doch seinem Denken, seinem Fühlen nach mit sich unzufrieden, strebt immer nach etwas jenseits seiner selbst, besonders zu einem Wesen, das ihm als All-Wesen erscheint. Unzufrieden an sich und mit sich, müht er sich stets darum, sich über sich selbst hinaus zu verlängern, sich auszubreiten, sich nach oben und unten zu vertiefen, wie in die Breite, so auch in die Höhe und Tiefe. In diesem Streben über sich hinaus ist dem Menschen der Schwur eigen. Er zeugt von dem Streben des Menschen zu dem Allwesen. Besonders ist dies in dem Gottmenschen Jesus Christus zu erkennen. In Ihm ist der Mensch in vollkommenster und gründlichster Weise von Gott umgeben und verlängert, wobei seine Endlosigkeiten in die gottmenschlichen Endlosigkeiten verlängert sind. Alles Menschliche wird nur in dem Gottmenschen vergottmenschlicht, erhält nur in Ihm seine unsterbliche Vollkommenheit.
Ganz im Menschen und ganz um des Menschen willen führt der Gottmensch Christus den Menschen durch alle gottmenschlichen Wege zu Gott, wobei er ihm Unsterblichkeit und ewiges Leben sichert. So auch durch Sein Gebot vom Schwur. Er wiederholt nicht wörtlich das alttestamentliche Gebot, sondern drückt seinen seelenrettenden Inhalt kurz aus: “Du sollst keinen falschen Eid tun und sollst Gott deinen Eid halten.” Dieses Gebot steht im 3. Buch Mose (Leviticus) 19, 12 u. 5. Mose (Deut.) 23, 21-23. Es verbietet nicht jeglichen Eid überhaupt, sondern den falschen. Die Worte Christi bringen das gleiche zum Ausdruck wie die Worte des alttestamentlichen Gesetzes: “Leiste keinen Meineid; und wenn du nicht falsch schwörst, dann erfülle vor Gott deinen Schwur.” Was heißt es: “Erfülle vor Gott deine Schwüre”? – Das bedeutet: Wenn du schwörst, bist du verpflichtet, die Wahrheit zu sagen1.
“Ich aber sage euch, daß ihr überhaupt nicht schwören sollt, weder bei dem Himmel, denn er ist Gottes Thron”.Im Laufe der Zeit entwickelten die Juden den Brauch, den Schwur in Gottes Namen zu umgehen, und beim Himmel, der Erde, Jerusalem, dem Tempel zu schwören. Und sie erlaubten es sich, den Schwur zu brechen, denn mit einem solchen Schwur verletzten sie im wörtlichen Sinn nicht das Gesetz. Aber unser Herr Jesus Christus fordert von Seinen Nachfolgern mehr als die Gerechtigkeit der Pharisäer. Der Mensch der neutestamentlichen Tugenden ist demütig, zerknirscht, reumütig, sanftmütig, gütig, gerecht, barmherzig, einfühlsam, reinen Herzens, friedlich, friedenstiftend, langmütig, und flößt ein solches Vertrauen ein, daß er seine Worte nicht durch Schwüre bekräftigen muß; sein “ja” oder “nein” wird mehr Vertrauen hervorrufen als der Schwur sündiger Menschen. Durch Sein Gebot “schwöre überhaupt nicht” übertritt der Herr Christus nicht das Gebot vom Sinai: “Du sollst nicht des Herrn, deines Gottes Namen eitel nennen!” (Ex. 20,7), sondern Er bekräftigt es, ergänzt und führt es zur Vollkommenheit.
 Die Worte des Heilands “schwöre überhaupt nicht” riefen viele Erklärungen hervor. Der Heilige Apostel Jakobus schreibt: “Vor allem aber, meine Brüder, schwört nicht, weder bei dem Himmel noch bei der Erde noch mit einem anderen Eid (Jak. 5, 12). Der Heilige Apostel Paulus ruft mehrfach Gott zum Zeugen an (Röm. 1, 9; 2. Kor. 1, 23; Phil. 1, 8). Der Heilige Justin der Philosoph, sagt bei der Darlegung der Lehre Christi in seiner ersten Apologie: Darüber, daß man keinen Schwur aussprechen, sondern nur die Wahrheit sprechen soll, gebot der Herr so: Schwöre überhaupt nicht, sondern eure Rede sei “ja, ja” “nein, nein”, und was darüber hinausgeht, das ist vom Bösen2. Der Hl. Basilius der Große schreibt: Der Schwur ist überhaupt verboten. Umso mehr unterliegt ein Schwur, der in einer bösen Sache gegeben wurde, der Verurteilung3.
Der Hl. Johannes Chrysostomos wendet sich gegen die Gewohnheit der Antiochener zu schwören und frohbotschaftet: Wahrlich, schwer ist diese Sünde, sogar äußerst schwer: Sie ist gerade deswegen so schwer, weil sie leicht scheint; und ich fürchte sie eben darum, weil keiner sie fürchtet... Aber jener da, sagst du, ist ein guter Mensch, ein Priester, er lebt keusch und in Ehren, und er schwört doch? Sprich mir nicht von diesem Guten, Keuschen, Gottesfürchtigen, diesem Priester; möge dieser Petrus oder Paulus oder ein vom Himmel herabgestiegener Engel sein, ich schaue da nicht auf den Rang einer Person, denn ich halte das Gebot über den Schwur nicht für ein knechtisches, sondern für ein königliches; und wenn man eine königliche Verordnung liest, dann muß jede Würde der Knechte verblassen. Wenn du zu behaupten wagst, daß Christus zu schwören befahl, oder daß Christus dies nicht bestrafe, so beweise es und ich beuge mich. Wenn Er jedoch dies mit solchem Nachdruck verbietet und Ihm diese Sache so wichtig ist, daß Er den Schwörenden mit dem Bösen gleichsetzt, – Was darüber ist, d.h. über das Ja und das Nein, das ist vom Übel (Mt. 5,37), warum dann redest du mir von denem und jenem?... Ich befahl, spricht Er, und so sollte man gehorchen und nicht auf irgend jemand verweisen und über fremde Sünden mutmaßen. Wenn der große David in schwere Sünde fiel, so sage mir: Ist es vielleicht deshalb für uns ungefährlich zu sündigen? (Katechese 1)
Aber wie ist es, fragst du, wenn jemand den Schwur verlangt und gar dazu zwingt? Möge die Furcht vor Gott stärker als jede Nötigung sein! Wenn du solche Einwände vorbringst, dann wirst du auch nicht ein Gebot halten. Dann wirst du über die Frau sagen: Was ist schon, wenn sie unbändig und verschwenderisch ist? Du wirst von dem wollüstigen Blick sagen: Darf ich denn nicht einmal hinschauen? Ebenso kannst du über den Zorn auf den Bruder sagen: Was ist dabei, wenn ich aufbrausend bin und meine Zungen nicht halten kann? Auf diese Weise wird es dir leicht sein, alle oben genannten Gebote mit Füßen zu treten... Nun, was das nun untersuchte Gebot betrifft, so wird vielleicht für dich gar keine Situation eintreten, daß du schwören mußt. Wer die Lehre über die Seligpreisungen hörte und so lebt, wie Christus es befahl, den wird jeder als der Achtung und Ehre würdig halten und niemand wird ihm zum Schwur nötigen.4 Der Selige Theophylakt scheibt mit göttlicher Weisheit: Der Schwur, außer “Ja” und “Nein” ist überflüssig und eine teuflische Sache. Aber du fragst: War denn etwa das Gesetz Mose, welches den Eid befahl, übel? Wisse, daß in jenen Zeiten der Schwur nichts Böses war; aber nach Christus ist er etwas Übles – ebenso wie die Beschneidung und überhaupt alles Jüdische5. Euthymios Zigaben schreibt: Der Heiland sagt: Euer zustimmendes Wort, wenn ihr etwas bejaht, sei “ja”, und wenn ihr etwas verneint “nein”. Und anstelle des Schwurs sollt ihr nur diese Worte zur Bejahung benutzen; nichts als “ja” sollt ihr benutzen6.
“Noch bei der Erde, denn sie ist seiner Füße Schemel; noch bei Jerusalem, denn sie ist des großen Königs Stadt. Auch sollst du nicht bei deinem Haupt schwören; denn du vermagst nicht ein einziges Haar weiß oder schwarz zu machen. Der Herr gebietet um unserer Rettung willen: “Schwöret überhaupt nicht, denn auch der Himmel und die Erde und Jerusalem gehören Gott. Wer bei ihnen schwört, der schwört mittelbar bei seinem Schöpfer “Auch sollst du nicht bei deinem Haupte schwören” – Der Mensch gehört sich nicht selbst, denn er ist nicht von selbst entstanden und hat sich nicht selbst die Seele und den Leib gegeben. Tatsächlich, genau genommen, hat er überhaupt nichts eigenes: selbst seinen Kopf kann er nicht sein eigen nennen, sondern er ist von Gott; wenn er behauptet, daß er ihm gehört, so möge er das beweisen, indem er schwarze Haare in weiße verwandelt.
Der Retter verkündet: “Doch euer Wort sei “ja, ja”, “nein, nein”; und was darüber hinausgeht ist vom Bösen” (™k to¨ ponhro¨ ™st³n). – Der Herr verbietet verschiedene Schwurformeln, welche die Juden gebrauchten und mißbrauchten. Er läßt nur zwei Formen zu: “ja” und “nein”. Doch die Orthodoxie zeigt, wie einstmals Gott der Herr durch den Propheten Moses Mitgefühl mit den menschlichen Schwächen und läßt in besondern Fällen den Schwur zu. Der neutestamentliche Mensch trägt noch die Schwächen des alttestamentlichen Menschen in sich.
Doch wenn das persönliche und das gesellschaftliche Leben des neutestamentlichen Menschen aus christusförmigen Tugenden gewirkt sein wird: aus Liebe, Gebet, Fasten, Gottesliebe, Sanftmut, Güte, Langmut, Barmherzigkeit, dann werden schon keine Schwüre mehr gebraucht werden, sondern zur Bejahung wird das Wort ”Ja” ausreichen, und zur Verneinung das Wort “Nein”.

Das Gebot: Auge um Auge
5, 38–42
Gott ist im Menschen und der Mensch in Gott – das ist das ganze Neue Testament. Das ist auch die ganze gottmenschliche Persönlichkeit des Herrn Jesus Christus. Das ist auch die ganze gottmenschliche Heilsökonomie unserer Rettung: Gott wird Mensch, damit der Mensch im gottmenschlichen Leib der Kirche Gott der Gnade nach werden kann, und zwar mit Hilfe der heiligen gottmenschlichen Gebote: der heiligen gottmenschlichen Sakramente und der heiligen gottmenschlichen Tugenden. Eben dies ist das Ziel der gesamten alttestamentlichen Christologie, der gesamten alttestamentlichen Heilsökonomie der Rettung: sich im Neuen Gottmenschlichen Testament zu bewahrheiten und auf diese Weise die Vollkommenheit zu erlangen und die eigene ewige Jugend – die gottmenschliche Ewigkeit.
Ganz Fleischwerdung und Personifizierung Gottes im Menschen, verkündet unser Herr Jesus Christus “Ihr habt gehört, daß da gesagt ist: “Auge um Auge, Zahn um Zahn”. Ich aber sage euch, daß ihr nicht widerstreben sollt dem Übel; sondern, wenn dir jemand einen Streich gibt auf deine rechte Backe, dem biete die andere auch dar. Und wenn jemand mit dir rechten will und deinen Rock nehmen, dem laß auch den Mantel. Und wenn dich jemand nötigt eine Meile, so geh mit ihm zwei. Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht von dem, der dir abborgen will”.
Durch die neutestamentlichen Gebote ergänzt der Herr, vervollständigt Er auf gottmenschliche Weise und vervollständigt die alttestamentlichen Gebote, um die organische Einheit der einen mit den anderen zu zeigen und damit zu beweisen, daß der Gesetzgeber Ein und Derselbe ist. Das alttestamentliche Gebot: Auge um Auge, Zahn um Zahn, Arm um Arm, Bein um Bein, Seele um Seele (Ex. 2, 2; Lev. 24, 20; Deut. 19, 21) war den alttestamentlichen Juden wegen der Härte ihres Herzens gegeben, wegen der Grobheit und Verwilderung ihrer Seele. Der Hl. Johannes Chrysostomos schreibt gottweise: Der Urheber des Gesetzes befiehlt: “Auge um Auge”, nicht dafür, daß wir einander die Augen ausreißen sollen, sondern damit wir unsere Hände davon abhalten, anderen Böses zuzufügen, denn ein Verbot, daß mit der Androhung einer Strafe verbunden ist, schränkt die Ausführung böser Ansinnen ein7.
Mensch geworden, bezähmt unser sanftmütiger Herr Jesus Christus durch Seine verwandelnde Menschenliebe die durch die Sünder verwilderte menschliche Natur, macht sie gutmütig und befreit sie von der Rachsucht. Ganz menschgewordene und personifizierte Sanftmut, Güte, Liebe und vollkommene Vergebung, ist Er das vollkommene Muster und Ideal des neutestamentlichen Menschen. In Seiner unendlichen Menschenliebe erfüllt Er jeden Menschen, der mit ganzem Herzen an Ihn glaubt, mit Seiner gottmenschlichen Sanftmut, Liebe, Barmherzigkeit, vollkommenen Vergebung und den übrigen gottmenschlichen Tugenden, macht ihn Sich ähnlich, gleich, denn Er wurde den Menschen gleich, damit die Menschen Ihm gleich werden. Gott wurde Mensch, um die Menschen zu vergottmenschlichen. Solchen neutestamentlichen christusförmigen Menschen gibt der Herr eben das Gebot: “Widerstrebt dem Übel nicht!”(5,39)
Der Herr sagt damit gleichsam: ihr Arme an Geist, ihr Sanftmütige, ihr Hungrige und nach Wahrheit Dürstende, ihr Barmherzige, ihr reinen Herzens, ihr Verbannte um der Wahrheit willen – widersetzt euch dem Bösen nicht so wie sich die alttestamentlichen Menschen der Härte ihres Herzens wegen widersetzten, sondern stellt dem Bösen das Gute entgegen, dem Zorn die Sanftmut, der Grobheit Güte, dem Haß die Liebe, der Rachsucht die Vergebung, dem Laster die Tugend. Das Böse wird nicht durch das Böse geheilt. Wenn ihr so denkt, werdet ihr einem Menschen ähneln, der das Feuer mit Feuer löscht, die Finsternis mit Finsternis zerstört. Das Böse bringt niemals Gutes hervor, denn das Böse kann niemals als Mittel zur Erlangung des Guten dienen. Das Böse hat seine eigenen Mittel, seine Wege: böse Mittel und böse Wege; das Gute dagegen hat seine guten Mittel und guten Wege. Auch das geringste Böse ist in seiner Wurzel vom Bösen, vom Teufel, aber auch das geringste Gute ist vom Guten, von Gott. Die teuflische Medizin ist menschentötend: die Sünde durch die Sünde heilen, das Böse durch das Böse, Beleidigung durch Beleidigung, Ungerechtigkeit durch Ungerechtigkeit, Laster durch Laster. Heilbringend sind die gottmenschliche Frohbotschaft und das Gebot: vergeltet niemandem Böses mit Bösem; übt keine Rache; laß nicht zu, daß das Böse überhand nimmt, sondern besiegt das Böse durch das Gute; achtet darauf, daß niemand dem anderen Böses mit Bösen heimzahlt, sondern haltet euch immer an das Gute, sowohl untereinander wie auch gegenüber allen anderen (Röm. 1, 17. 19. 21; 1. Thess. 5, 15-16; vgl. 1. Petr. 3, 9).
In seinem Kommentar zu dieser Frohbotschaft des Heilands sagt der Hl. Johannes Chrysostomos: Der Herr sprach zu Anfang: Wer seinem Bruder zürnt und zu ihm sagt: Du gottloser Narr! der ist des höllischen Feuers schuldig. Hier wird jedoch noch höhere Weisheit gefordert, die dem Gekränkten nicht nur zu schweigen, sondern dem Beleidiger auch die andere Wange zu bieten befiehl, um ihn auf diese Weise noch mehr durch Großmütigkeit zu überwältigen. Und das spricht Er nicht nur darum, um ein Gebot zu geben, wir sollen Kränkungen ertragen, sondern um uns auch in allen anderen Fällen die Sanftmut zu lehren8.
Mit einer solchen Frohbotschaft hat der Herr den Nutzen des Beleidigers wie des Beleidigten im Auge. Wenn der Beleidigte seine Seele mit Sanftmut und den Tugenden, die der Herr gibt, gewappnet hat, dann wird er auch die Beleidigung nicht für eine Beleidigung halten, sondern für eine Aufforderung dazu, seine christlichen Waffen zu benutzen. Der Beleidiger aber wird beschämt und wird ihn nicht nur nicht auf die zweite Wange schlagen, sondern wird sich auch für den ersten Schlag verurteilen. Denn nichts besänftigt in solchem Maße wie sanftmütiges Ertragen seitens des Beleidigten. Sich dem Bösen mit Bösem zu widersetzen, der Beleidigung durch Beleidigung, ist um ein vielfaches einfacher, als sich dem Bösen durch das Gute zu widersetzen und der Beleidigung durch Vergebung und durch christusartige Liebe. Denn das letztere verlangt unermeßlich größere Selbstüberwindung und eine ganze Schar mutiger heiliger Tugenden: Man braucht eine christusartige, christusbesitzende Seele, die ständig in Christus lebt, und Er in ihr, die alles durch Ihn und in Ihm aufnimmt; die das ganze Leben von Seinem Standpunkt aus betrachtet und alles mit Seinem Maß mißt.

Der wunderbare Heiland verkündet eine völlig neue Frohbotschaft: “Und wenn jemand mit dir rechten will und deinen Rock nehmen, dem laß auch den Mantel”. Der Hl. Chrysostomos erklärt mit von Gott beflügelten Worten diese gottmenschliche Verkündigung folgendermaßen: Der Heiland wünscht, daß wir solche Güte nicht nur an den Tag legen, nicht nur, wenn wir geschlagen werden, sondern auch wenn man uns den Besitz nimmt. Daher schreibt Er uns wieder so eine hohe Verhaltensregel vor. Wie Er dort befieht durch Geduld zu siegen, so auch hier durch Abgeben, und zwar mehr als der Habsüchtige erwartet. Übrigens gibt Er nicht nur diese letzte Regel, sondern versieht sie noch mit Vorbehalten. Er sagte nicht: Gib dem Bittenden deinen Rock, sondern - dem, der mit dir rechten will, d.h. der dich vor Gericht bringen und einen Rechtsstreit mit dir führen will. Und ähnlich, wie Er nach den Geboten – den Bruder nicht einen Narr zu nennen und nicht eitel ihm zu zürnen – in Seiner Predigt noch mehr forderte, da Er befahl, auch die rechte Wange zu bieten, so dehnt Er jetzt nach dem schon genannten Befehl, sich mit dem Gegner zu versöhnen, Seine Forderung noch weiter aus, und schreibt vor, dem Gegner nicht nur das zu geben, was dieser nehmen will, sondern dazu ihm noch Wohltätigkeit zu erweisen. Was denn? Soll ich vielleicht nackt gehen? Wären wir nicht nackt, wenn wir wortgetreu diese Gebote erfüllten; im Gegenteil, wir wären noch viel besser gekleidet als alle anderen: Erstens, weil keiner über einen Menschen herfällt, der solch eine Geisteshaltung hat, und zweitens, wenn sich auch ein so Grausamer und Unbarmherziger finden sollte, der sich dazu erdreisten würde, dann würden sich zweifellos noch mehr Menschen finden, die so weise wären, den Beraubten nicht nur mit Kleidern zu bedecken, sondern, wenn es möglich wäre, sogar mit ihrem eigenen Fleisch.
Und wenn jemand trotzdem um solcher Weisheitsliebe willen noch nackt gehen würde, dann wäre dies auch keine Schande. Adam war nackt im Paradies und schämte sich nicht (Gen. 2,25). Und Jesaia, der nackt und ohne Schuhe ging, war berühmter als alle Juden (Is. 20,3). Joseph leuchtete besonders (an Tugend), als er er die Kleider hinter sich ließ. Es ist keineswegs übel, sich so zu entblößen, aber es ist schändlich und lächerlich, sich so zu kleiden, wie wir uns heute kleiden, d.h. in kostbare Gewänder. Deshalb verherrlichte Gott jene, aber uns verurteilt Er sowohl durch die Propheten als auch durch die Apostel. So wollen wir also die Weisungen des Herrn nicht für unmöglich erachten. Sie sind nützlich und höchst einfach auszuführen, wenn wir nur wachsam bleiben. Sie sind so rettungsbringend, daß sie nicht nur uns, sondern auch den uns Umgebenden großen Gewinn bringen9.
Dem durch Tod und Sündenliebe gelähmten Menschengeschlecht verkündet der Heiland: “Und wenn dich jemand nötigt, eine Meile, so gehe mit ihm zwei.”Dazu ruft der Hl. Chrysostomos aus: Siehst du, zu welcher Höhe der Weisheisliebe dich der Erlöser emporhebt? Er sagt, daß wenn du deinem Feind auch das Ober- und das Untergewand abgegeben hast, du dich ihm nicht widersetzen sollst, wenn er auch noch deinen entblösten Leib Leiden und Qualen unterwerfen sollte. Er möchte, daß alles gemeinsam sei – Leib und Vermögen und daß wir mit ihrer Hilfe sowohl den Armen, als auch jenen, die uns kränken, dienen. Letzteres ist eine Pflicht der Männlichkeit, ersteres der Nächstenliebe10.
Die aus christusförmigen Tugenden gewobene Seele fürchtet nicht nur keine Leiden, sondern liebt sie und strebt nach ihnen. Der Körper, in dem eine solche Seele wohnt, erträgt Beanspruchung und Mühe, die ihm aufgezwängt werden, mit Güte und Sanftmut. Nach dem Hl. Chrysostomos: Jemand zwingen, bedeutet, ihn ungerechterweise zu ziehen, ohne jede Ursache und unter Kränkung. Aber du sei auch dazu bereit; sei bereit, sogar noch mehr zu erdulden, als dieser dir antun will11.
Die heilbringende Verkündigung lautet: “Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht von dem, der dir abborgen will.” Sei der Bittsteller nun ein Freund oder Feind, ein Gläubiger oder Ungläubiger, gib ihm alles, was du von Gott empfangen hast, alles, was gottförmig ist, von Gott gegeben, dem Seelenheil zuträglich. Möge das Elend eines jeden Menschen dein Elend sein; erlebe seine Qualen als deine eigenen, und der Herr wird dich immer lehren, was du geben sollst; wieviel, wie und wann du geben sollst. Das wichtigste ist, daß der Herr in dir ist, und dann wirst du mit Leichtigkeit Seine Gebote erfüllen und Seine Werke tun.     Fortsetzung folgt

9 sermo 18, 2–3; c. 267.
10  ibid. S. 268
11 ibid. ad loc
1 Chrysostomos, a.a.O., S. 260
2 Apologie I, 16, 5
3 Asketische Rede, P. gr. t. 31, col. 880–1
4 sermo 17, 5; c. 260–261
5 Theophylakt ad. loc.
6  Comment. in Matth. cap. V, vers. 36.
7 ibid S. 266
8  ibid. S. 266

 

Kommentar zum Hl. Evangelium nach Matthäus
Über die Liebe zu den Feinden, 5, 43–48

Der Mensch ist ein gottebenbildliches und daher gottähnliches Wesen, denn er ist nach dem Vorbild des Dreisonnigen Gottes und Herrn geschaffen. Und der Mensch wird zum wirklichen Menschen, wenn er sowohl in seinem Wesen als auch in seinem Leben Gott ähnlich wird. Als Abbild Gottes, als lebendige Ikone Gottes stellt der Mensch in der sichtbaren Natur ein übernatürliches Wesen dar, ein göttlich übernatürliches. Und wenn unser Herr und Gott Jesus Christus Mensch wird, kommt Er auf die Erde unter die Menschen wie “unter die Seinen” (Joh. 1, 11). Und wenn Er den Menschen Sein gottmenschliches Evangelium predigt, so predigt Er ihnen als gottähnlichen, Christus ebenbildlichen Wesen das, was für sie natürlich ist, für sie logisch, für sie realisierbar ist. Und keinesfalls und in keiner Weise das, was für sie unnatürlich ist. Tatsächlich entspricht das gesamte Evangelium des Gottmenschen Christus dem gottmenschlichen Bestand des menschlichen Wesens, denn der Mensch ist als potentieller Gottmensch geschaffen. Und nur, wenn er im Evangelium des Gottmenschen lebt, erlangt der Mensch das Ziel seines von Gott geschaffenen gottähnlichen Wesens. Und der Mensch lebt durch das Evangelium des Gottmenschen Christus, wenn er in Seinem gottmenschlichen Leib – der Kirche – lebt, als “Teilhaber” an Seinem Leibe (Eph. 3, 6). In der Kirche aber wird der Mensch zum Teilhaber am Leibe, und lebt als Teilhaber nur mit Hilfe der gottmenschlichen Tugenden.
5, 43 Gott wurde um unseretwillen, um der Menschen willen, Mensch – Gottmensch, und indem Er dadurch Gott und alles Göttliche zu dem unseren machte, verkündet Er in Seinem Evangelium: Ihr  habt gehört, daß gesagt ist: “Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.” (V. 43). Die erste Hälfte dieser Frohbotschaft, dieses Gebotes, steht bei dem Hl. Propheten Moses (Ex. 19, 18). Bei den Juden bedeutete das Wort “Nächster” lediglich einen Menschen desselben Volkes: Für den Juden ist nur ein Jude ein Nächster; die übrigen Menschen sind für ihn Entfernte; die Grenzen der Liebe machten an den Grenzen des Volkstums halt, die Ausschließlichkleit der ethnischen Liebe ging so weit, daß man alle Nichtjuden für Feinde hielt.
Die zweite Hälfte: “hasse deinen Feind” steht nicht im alttestamentlichen Gesetz. Sie wurde von selbsternannten Gesetzesgebern geschaffen. Doch der “Einzige Menschenliebende”, unser allbarmherziger Herr, streicht die Gebote der selbsternannten Gesetzgeber durch, erstreckt den Begriff des “Nächsten” auf alle Menschen und gibt das gottmenschliche Gebot der Liebe, indem Er frohbotschaftet:
5,44  Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen (V. 44).
Wenn ihr dies tut und so lebt, werdet ihr zu neutestamentlichen Menschen, zu christusförmigen Menschen, denn gottmenschliche Liebe ist das Wesen und Zeichen des neutestamentlichen Menschen (vgl. Joh. 13, 34–35; 14, 24). Das Neue Testament ist neu eben durch diese gottmenschliche Liebe zu den Feinden. “Gott ist Liebe” (1. Joh. 4, 16). Weil Gott Liebe ist, wurde Er Mensch, um uns von der Sünde, dem Tod und dem Teufel zu retten und uns zu “Göttern der Gnade nach” zu machen durch die heiligen gottmenschlichen Sakramente und die heiligen gottmenschlichen Tugenden. So wie die Liebe Gott zum Menschen machte, so macht sie auch den Menschen zu Gott. Und wie sollte sie es verfehlen, aus dem Feind einen Freund zu machen!
Seine Feinde zu lieben, ist die heilige Pflicht jedes Nachfolgers Christi. Wer diese Liebe nicht hat, der gehört nicht zu Christus, denn Christus ist dadurch Christus, ist dadurch Heiland, daß Er Seine Feinde liebt. Ja, Seine Feinde! Die Menschen aber, alle Menschen, sind durch ihre Sünden Feinde Gottes, denn die Sünde – das ist Feindschaft gegenüber Gott (Röm. 8,7). Und in Seiner Liebe zu den Menschen, diesen freiwilligen “Sklaven der Sünde” (Röm. 6, 17. 20; vgl. Gal. 3, 22) und damit Seinen Feinden, wurde Er zum Menschen und vollbringt als Gottmensch die Rettung der Welt. Deshalb kann man nicht Nachfolger Christi unseres Herrn sein, ohne seine Feinde zu lieben. Unser Herr Christus liebte und liebt Seine Feinde, damit auch Seine Nachfolger ihre Feinde lieben. Er hatte nichts, was Er nicht wünschte, daß auch wir es hätten; Er tat nichts, wovon Er nicht wünschte, daß auch wir es täten. Daraus entspringt die klare und unmittelbare Frohbotschaft und das Gebot an alle Christen: Ihr sollt Nachahmer Gottes sein (Eph. 5, 1) – Gottes im Körper, Gottes, der Mensch wurde, um uns Menschen zu zeigen und Kraft zu verleihen, ein Leben zu führen, indem wir uns ein Beispiel an Ihm nehmen.
Und die Vorbilder dafür und die Zeugen davon sind alle Heiligen Gottes, alle Christusförmigen, Christusträger. Sie alle liebten und lieben ihre Feinde, denn man kann nicht Christus angehören und seine Feinde nicht lieben, nicht das tun, was Er tat, nicht auf Ihn und Seine Heiligen Nachfolger schauen (vgl. 1. Thes. 1, 6; Phil. 1, 27; Kol. 1, 10; 1. Petr. 2, 21; 2. Petr. 1, 3-9).
Christus lieben, kann jeder Mensch, der Christus in sich trägt, der durch Christus und in Christus lebt, der die Welt durch Christus aufnimmt, der Christus als Mittler zwischen sich und der Welt, zwischen sich und seinen Feinden hat. Wer Christus-Gott in seiner Seele hat, segnet die, die ihn verfluchen und erfüllt so das gottmenschliche Gebot des Heilands: Segnet die euch fluchen (V. 44). Wer den menschenliebenden Herrn in seinem Herzen hat und sich freiwillig zum Werkzeug Gottes macht, der tut freudig denen Gutes, die ihn hassen, und erfüllt mit Leichtigkeit das lichte und heilbringende Gebot des Herrn: Tut wohl denen, die euch hassen (V. 44).
Alles, was ein christusliebender Mensch tut, tut er durch den Herrn Jesus Christus und im Herrn Christus; und es gibt nichts Gutes, das er nicht tun könnte, aber nicht aus eigener Macht, sondern durch Christus. Tatsächlich ist unser Herr Jesus Christus ein unermüdlicher Diener an uns Menschen. Er dient sehr jedem Menschen: reinigt ihn von der Sünde, erleuchtet ihm den Geist und das Herz und die Seele, heiligt, verchristet, vergottet, veralltugendlicht, dient ihm auf allen Wegen aller gefährlichen asketischen Taten, und führt ihn so in Sein seliges ewiges Reich.
Wer durch die heiligen Sakramente und die heiligen Tugenden unseren Herrn Jesus Christus zur Seele seiner Seele gemacht hat, zum Herzen seines Herzens, zum Verstand seines Verstandes, zum Gewissen seines Gewissens, zum Willen seines Willens, der bittet mit Liebe  für die, so ihn beleidigen und verfolgen (V. 44). Das Gebet ist die allbesiegende christliche Waffe, mit der der wahre Christ kämpft und seine sichtbaren und unsichtbaren Feinde und Verfolger, die mit ihm Krieg führen, besiegt. So wie das Wachs in der Nähe des Feuers schmilzt, so fliehen vor dem christusliebenden und zu Christus strebenden Gebet alle unserer Rettung feindlichen Kräfte und werden vertrieben. Allseitig bezeugt ist die Wahrheit des Evangeliums: Ein Christ ist ein unbesiegbarer Sieger, wenn er für seine Verleumder und Verfolger betet; ihn kann niemand besiegen, denn er hat die Höhe der Tugenden erreicht. Nur die gottmenschliche Liebe betet für die Feinde und Verfolger, wobei der Mensch sich eucharistisch gnadenmäßig und blutsmäßig mit dem allvollkommenen Herrn Christus vereinigt. Wer solche Liebe besitzt, der besitzt “alle Vollkommenheiten” (Kol. 3, 14): Er bindet alles, was in allen Welten Gottes vollkommen ist. Durch Seine heilbringenden Frohbotschaften und Gebote führt uns der Herr von anfänglichen Tugenden zu höheren und endet mit der allerhöchsten: der gottmenschlichen Liebe im Gebet. Der Heilige Chrysostomus frohbotschaftet: Alle Seine Gebote schmückt der Herr mit einem wunderschönen Kranz, indem Er sagt:  “bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen” (V. 44); und auf diese Weise führt Er Seine Schüler auf den höchsten Gipfel der Philosophie, auf den allerhöchsten Gipfel der gottmenschlichen Weisheit und Heiligkeit. So wie das Ertragen von Schlägen eine größere asketische Übung ist, als sanftmütig zu sein, das Hemd und das Kleid zu geben, weitaus wichtiger ist als barmherzig zu sein, Beleidigungen zu ertragen eine größere Tugend ist als rechtschaffen zu sein, sich schlagen zu lassen und sich nicht zu widersetzen, eine größere Tuged ist als ein Friedenstifter zu sein, in der Zeit der Verfolgung die Verfolger zu segnen höher steht als verfolgt zu werden. So führt uns der Herr allmählich in den Himmel1.
5, 45 In allen gottmenschlichen Tugenden muß man das Vorbild in Jesus Christus, unserem Herrn und Gott Selbst suchen, und durch Ihn auch in Gott Vater Selbst. Wofür? Der Heiland sagt: ... auf daß ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel: Denn er läßt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte (Vers 45). Durch verschiedene gottmenschliche Tugenden führt unser Herr Christus die menschliche Seele ihrem himmlischen Ziel und ihrer Bestimmung zu: der Gottebenbildlichkeit, Gottähnlichkeit. Jede dieser Tugenden stellt eine asketische Tat dar, alle aber zusammen stellen sie den gottmenschlichen Zyklus der Askese dar: eine entsteht aus der anderen, die eine ruft die andere hervor. Die Armut im Geiste, die Demut, ruft die Tränen über sich selbst hervor; das Weinen über sich selbst ruft Sanftmütigkeit hervor; Sanftmut ruft Hunger und Durst nach Gerechtigkeit hervor; Hunger und Durst nach Gerechtigkeit rufen Barmherzigkeit hervor; Barmherzigkeit ruft Reinheit des Herzens hervor; Reinheit des Herzens ruft Frieden und Friedenstiften hervor; Friedenstiften – das freudige Ertragen von Verfolgungen um der Wahrheit willen; das freudige Ertragen von Verfolgungen um der Wahrheit willen ruft selige Zornlosigkeit hervor; selige Zornlosigkeit – Furchtlosigkeit; Furchtlosgkeit – völlige Ergebenheit gegenüber Gott; Ergebenheit gegenüber Gott – Nichterwiderung des Bösen durch Böses, Nichterwiderung des Bösen durch Böses ruft die Liebe zu den Feinden hervor. Die Liebe zu den Feinden – das ist die abschließende Tugend, die Krone aller Tugenden. Sie macht den Menschen zum Gottessohn, so wie sie den Einziggeborenen Sohn Gottes zum Menschensohn machte2. Durch sie wird der Mensch an Kindes Statt von Gott angenommen durch gottmenschliche Adoption, und sie macht ihn zum Erben aller göttlichen Reichtümer. Wer diese Liebe besitzt, wird Gott nahe, Gott ähnlich. Ohne sie kann man die abschließende Vollkommenheit der menschlichen Persönlichkeit, ihren ewigen Sinn und ihr ewiges Ziel nicht erreichen. Diese Tugend setzt Gott als ganz unumgängliche Bedingung zum Erreichen der gottmenschlichen Gottessohnschaft, Gottähnlichkeit, Gottebenbildlichkeit. Die oberste gottmenschliche Frohbotschaft und höchstes Gebot ist: Liebet eure Feinde…,  auf daß ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel: Denn er läßt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte (V. 44–45).
Der Hl. Chrysostomus sagt in der Weisheit Gottes: Auch Gott also haßt diejenigen, die Ihn beschimpfen, nicht bloß nicht, sondern spendet ihnen Wohltaten. Und dennoch ist der Fall nicht allein wegen der Größe der Wohltat, sondern auch wegen der hervorragenden Würde Gottes ein ganz ungleicher. Du wirst verachtet von deinem Mitknecht, Er aber von seinem Knecht, dem Er unzählige Wohltaten erwiesen hat; du spendest ihm bloß Worte, wenn du für ihn betest, Er aber vollbringt überaus große und bewunderungswürdige Werke, indem Er die Sonne leuchten läßt und jedes Jahr Regen gibt. Dennoch gestatte ich dir, Gott, soweit es Menschen möglich ist, gleich zu sein. Darum hasse den nicht, der dir Böses zufügt, denn er verschafft dir große Güter und bereitet dir viel Ehre: verfluche nicht den, der dich kränkt, sonst hast du das Leid zu tragen und verlierst den Nutzen, erleidest den Schaden und kommst doch um den Lohn. Nun aber ist das die äußerste Torheit, das Härtere ausstehen und das weniger Harte nicht ertragen zu wollen! “Doch wie ist das möglich?” fragst du. Du siehst Gott Mensch werden, sich so tief herablassen und so vieles um deinetwillen leiden: und du fragst und zweifelst noch, ob es möglich sei, dem Mitknecht Beleidigungen zu vergeben? Hörst du Ihn nicht am Kreuze sagen: Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun (Lk. 23,34), hörst du nicht Paulus sagen: ... daß derjenige, der emporgestiegen ist und zur Rechten Gottes sitzt, für uns Fürbitte leistet? (Röm. 8,34). Siehst du nicht, wie Er auch nach Seiner Kreuzigung und selbst nach Seiner Himmelfahrt, den Juden, die Ihn getötet hatten, Apostel schickte, die ihnen unzählig viel Gutes bringen sollten, während sie von ihnen unzählig viel Böses erleiden sollten? Allein dir ist großes Unrecht angetan worden? Hast du denn so viel leiden müssen, wie dein Herr, der gebunden, geschlagen, gegeißelt, von Knechten angespieen ward und nach unzähligen Wohltaten, die Er gespendet hatte, den Tod und zwar den allerschimpflichsten Tod erlitt? Hat man dir aber großes Unrecht zugefügt, so tue gerade deshalb am allermeisten Gutes, damit du dir eine um so herrlichere Krone bereitest und deinen Bruder von seiner schrecklichsten Krankheit befreiest.3
Wenn der Mensch seine Feinde liebt, so ist dies ein Zeichen dafür, daß er ein Gottessohn ist, daß er seine Seele in die Seele des Einziggeborenen Sohnes Gottes eingegliedert hat, und sein Herz in Sein Herz, und sein Leben in Sein Leben; es ist ein Zeichen dafür, daß er Gott schon zum Vater hat, daß er von Gott geboren ist, daß er durch Gott lebt, daß er die Eigenschaften seines himmlischen Vaters besitzt, daß er die ganze Welt durch das Auge Gottes betrachtet, alle Menschen, alle Geschöpfe, alle Freunde und Feinde. Er durchläuft den Himmel seines Lebens wie die Sonne; mit seiner Liebe beträufelt er sowohl Freunde als auch Feinde. Wie die Sonne, wenn sie täglich geboren wird, nicht fragt, wer würdig ist, wer gerecht, wer rein, wer sündlos, um ihn heute zu wärmen, sondern alle wärmt, die Gerechten ebenso wie die Ungerechten, die weniger Sündigen ebenso wie die sehr Sündigen,  so liebt der Mensch, der die Ewige Sonne – den Herrn Jesus Christus – in seinem Herzen trägt, nicht nur die Guten und Gerechten, Reinen und Tugendhaften, sondern auch die Ungerechten und Bösen, die Unreinen und Sündigen, sowohl Freunde als auch Feinde.     Fortsetzung folgt

1 sermo 18, 6; S. 272.
2 Hl. Maxim d. Bekenner,  P.gr. t. 90,1390 u.a. insbes. “Kapitel über die Liebe”
3 sermo 18, 4; S. 269–270)

 

Bote 1996-1
Kommentar zum Hl. Evangelium nach Matthäus

5, 46 Die gottmenschliche Liebe der Feinde macht den Christen zum Christen, macht ihn Gott ähnlich, unterscheidet ihn von den Nichtchristen, denn der alle Wahrheit übersteigende Mund der Wahrheit sprach diese gottmenschliche Wahrheit aus: Denn wenn ihr liebet, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner?(Vers 46). Selbst die allersündigsten, in höchstem Maße von Haß erfüllten Menschen lieben diejenigen, die sie lieben. Zum Beispiel: die Zöllner. Wegen der Ungerechtigkeit und Hartherzigkeit beim Eintreiben der Steuern waren sie allen verhaßt und galten als die schlechteste Art von Menschen. Ja selbst sie lieben diejenigen, die sie lieben. Solche Liebe ist selbst der niedrigsten Menschensorte zu eigen. Die Christen aber besitzen größere, höhere, gottmenschliche, göttliche Liebe. Ein Christ, der seine Feinde nicht liebt, ist kein Christ, sondern ein Heide. Der über aller Wahrheit stehende Herr bringt die Frohbotschaft:

5, 47 Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Sonderliches? Tun nicht dasselbe auch die Heiden?  (Vers 47).  Die Liebe aber den Feinden gegenüber, das ist das “höher”, welches die Christen von den Nichtchristen trennt. Diese Besonderheit, dies ist die besondere Eigenschatf der Christen. Wer diese Eigenheit besitzt, der empfängt einen großen, unbeschreiblichen Lohn: Er wird Gott ähnlich, wird dem himmlischen Vater zum Sohn; und als Sohn Gottes erhält er alles, was der Vater besitzt. Wer aber diese Eigenschaft nicht besitzt, wer nicht über diese einzigartige christliche Eigenschaft verfügt, über diese Seele und dieses Wesen aller christlichen und gottmenschlichen Eigenschaften, welchen Lohn kann er erwarten? Der Lohn wird für die Tat verteilt, der größte für die größte Tat. Aber der Lohn wird nicht für Gefühle und Werke gewährt, die der menschlichen Natur angeboren sind, wie zum Beispiel die Liebe gegenüber denen, die uns lieben. Das Leben des Christen ist eine lebendige Kette von gottmenschlichen Taten der Askese, welche die Seele des Christen immer mehr christusförmig werden lassen, gottähnlich.

5, 48 Das Ziel des Christen ist nicht darin beschlossen, daß er so vollkommen wie die Engel und Erzengel wird, wie die Cherubim oder Seraphim, sondern unvergleichlich mehr, unvergleichlich höher.  Sein Ziel ist  vollkommen zu werden, gleichwie unser Vater im Himmel vollkommen ist (Vers 48). Nach der Frohbotschaft und dem Gebot des allmächtigen und überaus menschenliebenden Herrn und Gottes Jesus Christus  Seid vollkommen, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist(Vers 48)4
Niemals hat irgend jemand solche Vollkommenheit von den Menschen gefordert, doch der Herr fordert sie und das zu Recht. Denn Er hat alle Mittel zum Erreichen dieser Vollkommenheit gegeben: der Gottähnlichkeit, Gottebenbildlichkeit =  Vergottmenschlichung = Vergottung = Verdreieinigung. Er hat sie gegeben in der Kirche, Seinem Gottmenschlichen Leib. Und der Mensch, der als Teilhaber am Gottmenschlichen Leib Christi in der Kirche lebt, vervollkommnet sich mit Hilfe der heiligen Mysterien und der heiligen Tugenden unendlich in der Christusebenbildlichkeit, der Gottebenbildlichkeit, der Dreieinigkeitsabbildlichkeit. Ohne Zweifel ist der Vervollkommnung des Menschen keine Grenze gesetzt. Seine Grenze ist die gottmenschliche Unendlichkeit, sein Ende – die gottmenschliche Unbegrenztheit. Die unaufhörliche gottmenschliche Vervollkommnung  ist die heilige Pflicht jedes Christen; er darf sich niemals sagen: Ich bin vollkommen, habe meine Vervollkommnung erreicht. Das Christentum ist ein unaufhörlicher gottmenschlicher asketischer Kampf, gottmenschliches Leben, das den Menschen immer gottähnlicher macht, immer christusförmiger, immer gottmenschlicher: Es macht ihn zur Wohnstätte der Heiligen Dreieinigkeit, und die Heilige Dreieinigkeit zur Wohnstätte des Menschen. Es ist klar, daß in der Kirche alle und alles vom Vater durch den Sohn im Heiligen Geist geschieht (vgl. Joh. 14, 23; 17, 21)5z

4 Nach  dem Sel. Theophylakt “liegt die Vollkommenheit darin beschlossen, alle zu lieben” (ibid.  cap. 5, vers. 48; col. 201 B). – Zigaben frohbotschaftet: “Vollkommen sind diejenigen, die ihre Feinde lieben” (ibid.  ad loc., col. 228 C).
5 So lehren die Heiligen Väter: der Hl. Athanasius der Große u.a.