Anfänge des Kiewer Höhlenkloster

1. Anfänge des berühmten Kiewer Höhlenkloster.

Im 11. Jahrhundert vollzog sich inmitten der russischen Lande, in Kiew, ein göttliches Wunder - es wurde die Grundlage zu dem späteren berühmten Kiewer Höhlenkloster gelegt. Der hl. Chronist Nestor, von Gott dazu ausersehen, über die hl. Kloster zu berichten, sagt aus, "der Herr habe in dieser Kloster Menschen gesandt, die in russischen Lande wie Himmelsleuchte strahlten. Was an dieser Bekundung von Gottes Ruhm und Macht so einmalig war, ist, daß nicht ein einziger Heiliger, sondern eine ganze Mönchsgemeinschaft - eine kleine Apostelkirche - entsand worden war, um die Wahrheit zu bezeugen. Das hervorstehende Wesensmerkmal einer solchen Gemeinschaft ist es, daß sie genauso wie die Sonne rings um sich herum ein Licht des Trostes und der Liebe verbreitet. Die Kiewer, und nach ihnen auch die ganzen Russischen Lande, könnten nachempfinden, wie glückspendend jene brüderliche Liebe war, welche die Klosterbrüder füreinander hegten. Der Susdaler Bischof Simon, ein ehemaliger Mönch dieses Klosters, bezeugt, welch ein Glück es war, dieser Gemeinschaft anzugehören: "Ich sündiger Bischof habe eine Kathedrale in Wladimir - eine Zierde für die ganze Stadt - und noch eine andere, eine Kirche in Susdal, die ich selbst erbaut habe; wie viele Städte und Dörfer haben sie, und über alledem waltet unsere Wenigkeit; aber bei Gott: all diesen Ruhm und diese Macht würde ich hergeben, müßte ich als eine Weidenrute hinter dem Tor des Höhlenklosters stecken oder dort als Unrat herumliegen, den die Menschen mit Füßen treten, oder aber ein armer Krüppel sein, der am Klostertor um Almosen bittet." Das sind natürlich keine leeren Worte, sondern das ist ein Jammergeschrei eines Herzens, das vor Sehnsucht nach der Glückseligkeit vergeht, mit der das Leben der Klostergemeinschaft angefüllt war. Wer das Kloster verließ, der ging nach den W orten von Bischof Simon dieses Glückes verlustig: ein einsamer Heiliger - ist ein Märtyrer, ein Heiliger unter Heiligen - und ist glücklich wie ein König.
 
Der ehrwürdige Nestor der Chronikschreiber weist wiederholt darauf hin, daß der Herr Selbst das Höhlenkloster begründet habe. Um diesen Gedanken noch mehr herauszustreichen, schreibt er: "Andere Klöster werden von Fürsten, reichen oder gottesfürchtigen Leuten gegründet". In diese Klöster kommen die Menschen auf Einladung der Gründer oder veranlaßt durch irgendwelche fromme oder anderweitige Gefühle und Erwägungen. Um aufzuzeigen, wie sich die vom Heiligen Geist geleiteten Menschen durch Gottes Willen zusammenfinden, spricht der ehrwürdige Nestor: "Gott hatte den Abt des Klosters auf Athos, wo der heilige Antonius zunächst gedient hatte, geheißen, Antonius nach Rußland zu lassen". Und dann, nach dem Antonius nach Athos zurückgekehrt war, weil in Kiew innere Fehden ausgebrochen waren (Swjatopolk tötete den hl. Fürsten Boris), befahl der Herr abermals, Antonius nach Rußland zu schicken, denn dort werde er gebraucht. Als dann der hl. Antonius in Kiew ein Kloster nach dem anderen aufgesucht, sich jedoch in keinem einzigen niedergelassen hatte, deutet das der ehrwürdige Nestor folgender maßen: "Er sollte sich in einer Höhle niederlassen, denn so war es Gott gefällig". Und über den hl. Feodossius hat Nestor ausgesagt: "Kein einziges Kloster in Kiew hatte ihn aufgenommen, und der Herr führte ihn zu einer Stelle, wie es ihm bereits im Mutterleib von Gott vorausbestimmt war, nämlich zu der Höhle des hl. Antonius".
 
Bezeichnend ist das Gespräch, das die beiden von Gott Auserwählten miteinander führten. Als der ehrwürdige Feodossius den ehrwürdigen Antonius um Aufnahme bat, begann ihm dieser zu schildern, wie schwer doch das Leben in der Höhle sei. Feodossius hingegen gab darauf zur Antwort: "Du weißt, der Herr Selbst hat mich zu dir hergeführt". Und Antonius - vom Heiligen Geist beseelt - nahm ihn sofort auf, denn er hatte in dem Bruder einen von Gott Auserwählten erkannt.
 
Nur wem wirklich der Heilige Geist innewohnte, konnte sich zu der geheimnisvollen Einkleidung von Pimen dem Schmerzensreichen durch Engel so verhalten, wie es der Abt des Höhlenklosters und die Brüder getan haben. Eines Tages hatte ein Elternpaar sein von Kindheit an kränkelnden Sohn in das Kloster gebracht, in der Hoffnung, er werde dort genesen. Und auch der Sohn selbst hatte von jung an Mönch werden wollen. Des Nachts schliefen die Eltern mit ihren Dienern neben dem Sohn in einem ihnen zugewiesenen Raum. Plötzlich kommen Engel in der Gestalt des Klosterabtes und der Brüder herein, treten auf den Kranken zu und fragen: "Möchtest du, daß wir dich als Mönch einkleiden?" Und der Kranke, der die ganze Zeit lang dafür gebetet hatte, willigt voller Freude ein. Da begannen sie ihm Fragen zu stellen, ganz wie es das Ritual erfordert. Danach hüllten sie ihn in ein langes Gewand ein, setzten ihm die Mönchskappe auf und gaben ihm den Namen Pimen. Sie prophezeiten ihm, er werde bis zu seinem Tode krank bleiben und erst kurz davor genesen. Sie küßten ihn und gingen wieder fort. Die Klosterbrüder aber hatten Geräusche vernommen und meinten, der Kranke hätte das Zeitliche gesegnet. Als sie zu ihm hinkamen, da fanden sie ihn in einem Mönchsgewand und hocherfreut vor. Er versicherte, der Abt und noch andere hätten ihn geschoren; die Haare hätten sie mitgenommen und seien in die Kirche gegangen. Und die Haare wurden auch tatsächlich in der verschlossenen Kirche auf dem Grabe des hl. Feodossius entdeckt. Da erkannten alle, - heißt es im Heiligenbuch, - daß die Mönchsweibe auf Gottes Geheiß von Engeln vollzogen worden war, und sie wurde von dem Abt und den Klosterbrüdern auch als wahrhaftig anerkannt. Sie akzeptierten auch den ihm von den Engeln gegebenen Namen - Pimen. So konnten nur Menschen handeln, die im Geiste leben und von dem Heiligen Geist die entsprechende Zusicherung erhalten hatten.
 
Die des Heiligen Geistes teilhaftig geworden sind, kennen Gottes Willen und führen ihn aus. So antwortet der heilige Nikon dem Fürsten, der dem Höhlenkloster gram ist, weil es seinen Vertrauten, Jefrem, und Warlaam, den Sohn eines Bojaren, zu Mönchen geweiht hat, kühn und entschieden: "Ich habe mit Gottes Segen und auf Geheiß unseres Herrn Jesus Christus, der sie zu dieser Großtat aufforderte, ins Kloster aufgenommen." Das Zeugnis des hl. Nikon von dem Geheiß Christi offenbart eine bemerkenswerte Eigenschaft der Klostergemeinschaft: sie ist von dem Heiligen Geist beseelt und ordnet sich unmittelbar Christus - dem Oberhaupt der Kirche - unter. Einer solchen Gemeinschaft können irdische Willkürlichkeiten nichts anhaben. Sie ist auch innerlich frei - ein jeder Mönch verrichtet seine Großtat, wie sie ihm der hl. Geist geboten hat. Zu gleicher Zeit sind alle Heiligen in großer Liebe zueinander vereint. Jeder Bruder liebt den anderen und empfindet für ihn als Träger einer besonderen Gnade Christi Hochachtung. Gibt es in einer solchen Gemeinschaft auch Schwache, so rettet sie die Liebe. Von dem Klosterabt, dem hl. Feodossius, kann man sagen, daß er den Brüdern in allem Freiheit gelassen hat; man braucht nur zu sagen, weshalb ihn die Brüder gewählt hatten: "Aufgrund seiner Sanftmut und Demut erachtete er sich geringer als alle anderen und hat allen gedient"". Er war nicht so sehr ein gutherziger Gebieter als vielmehr die Inkarnation guter Taten. Mußte im Kloster irgendeine dringende Arbeit verrichtet werden, so ging der Abt Feodossius den Brüdern stets mit gutem Beispiel voran.
 
Anhand des Lebenswandels des hl. Nikita ist zu erkennen, wie in der Gemeinschaft die Freiheit des Bruders geachtet wurde und wie die Brüder zugleich mit ihrer Liebe jemanden retteten, war er infolge dieser Freiheit geistlich vom rechten Wege abgekommen. Der hl. Nikita, noch jung, wollte ein Einsiedlerleben führen. Der damalige Abt Nikon riet ihm weder zu noch ab. Niemand verwehrte Nikita seinen Wunsch. Erst als zutage trat, welche schlimmen Früchte dieses Einsiedlerleben getragen hatte: Nikita hatte gänzlich das Neue Testament vergessen und kannte sich nur im Alten Testament aus, er hatte fälschliche Visionen (ein "Engel" betete an seiner Stelle, während er selbst nur Bücher las), er weissagte den Leuten, die zu ihm kamen und erlangte großen Ruhm,- da behütete ihn die Liebe der Brüder vor scheinbarer Heiligkeit, was nicht gewaltsam, sondern auf wunderbare Weise geschah. Die Brüder kamen einfach zu ihm hin, um gemeinsam mit ihm zu beten, und der Böse ließ von ihm ab. Danach hatte Nikita schon nichts mehr aus dem Alten Testament im Gedächtnis und versicherte sogar, er habe es nie gekannt. Zu sich gekommen, sah Nikita seinen schweren Irrtum ein, bereute sein eigenwilliges Dienen und begann ein neues Leben in Christus. Eine volle Freiheit ist selbstverständlich nur dort möglich, wo die brüderliche Liebe vor einem falschen Weg bewahrt - und eine solche Stätte ist gerade das Höhlenkloster gewesen.
 
Der geistige Weg eines getreuen Dieners offenbart sich nur durch Gottes Willen. Bei vielen ist der Weg jedoch weiterhin unbekannt. Was könnte man über die geheime Gebetsverrichtung sagen? Oder von einem Klosterbruder, der nicht nur dem Wort, sondern auch seinem Lebenswandel nach ein Heiliger ist, demjenigen geistig überlegen, dem er doch zu Gehorsam verpflichtet ist? Nur durch die Göttliche Vorsehung ist zu erkennen, welche Göttliche Kraft ihm innewohnt. So wurde über Isaaki folgendes berichtet: einmal sagte der Koch in der Küche, wo Isaaki diente, zu diesem im Spaß: "Isaaki, sieh doch, da spaziert auf dem Hof ein lebendiger Rabe herum. Geh' hin, und fange ihn mal ein". Isaaki ging hinaus und kehrte auf der Stelle mit dem lebendigen Raben im Arm zurück.
 
In dem Bericht über die Chrisamgeruch verbreitenden Häupter lesen wir: in den Höhlen gibt es Chrisamgeruch verbreitende Häupter unbekannt von wem, aber daß sie Gottesheiligen gehören, ist daran zu erkennen, daß sie auf unbegreifliche W eise Balsam ausströmen. Dieses besitzt die Göttliche Gabe, alle zu heilen, die gläubig herkommen und sich damit salben. So ungewiß es ist, wem diese Häupter gehören, läßt sich auch nicht sagen, wie viele Heilige es in den Höhlen gegeben hat. Nicht nur ihr Dasein, selbst ihre Namen sind verborgen geblieben. Und der Erzähler fügt bei der Vollendung des Heiligenbuches des Kiewer Höhlenklosters vielsagend hinzu: "Wir hoffen, Jener, der gesagt hat: Ich bin der helle Morgenstern (Offbg. 22, 16), wird die Sterne des Höhlenklosters nicht ewig verborgen halten, sondern einst Licht in das Dunkel bringen und allen davon künden, wie ihr Schicksal verlaufen ist".

2. Sinn und Zweck der Großtat der heiligen des Höhlenklosters.

Der Herr rief die Heiligen zu sich und erlegte ihnen einen bestimmten Dienst auf - so hieß es: "Antonius solle sich in einer Höhle niederlassen". So offenbart sich der Sinn der ursprünglichen Großtat der Heiligen des Höhlenklosters.
 
Zu allen Zeiten hat es die wahrhaftige Christuskirche bei ihrem Dienen in der Welt schwer gehabt. Oftmals wurde der christliche Glaube nur dogmatisch aufgefaßt, wohingegen Güte und Liebe nicht vorhanden waren. Aber ohne sie ist die christliche Wahrheit immer verunstaltet. Die Herzensgüte, wie sie den Slawen eigen ist, war ein großes Gut, wodurch sie der besonderen Gnade Gottes teilhaftig wurden. Aber die in der Menschheit unaufhörlich wirkenden gefallenen Engel und der ganze Aufbau des Erdenreiches mußten auch das russische Volk zu ungebührlichem. Tun verleiten. Die brüderliche Christenliebe nahm ab.
 
Damit in der Rus auch weiterhin Güte und Liebe herrschten, mußte man allen Verlockungen und Ausschweifungen der Welt entsagen. Einer solchen Verzichtleistung sind selbst die Rechtschaffenen nur mit Gottes großer Hilfe gewachsen. Und so wählt der Herr aus den Mitgliedern der Russischen Kirche die Geduldigsten und Frömmsten aus, gewährt. Er ihnen Seinen Schutz und Seinen Beistand und entsendet Er sie in die Tiefe der Erde. Sie werden die übermäßig schwere Bürde ihrer Nächsten mittragen und ihnen somit im Widerstreit mit dem Fürsten dieser Welt behilflich sein.
 
Im Jahre 1028 ließ sich der hl. Antonius in der Kiewer Höhle nieder. Sie hatte Metropolit Ilarion, als er noch Geistlicher in Berestowo war, ausgegraben, und er ist der erste Glaubenseiferer der heiligen Höhlengemeinschaft gewesen. 1032 kam auch der hl. Feodossius dorthin, aber der hl. Nikon lebte damals schon mit Antonius zusammen. "In der Höhle gab es drei große Leuchten, die durch Beten und Fasten die Finsternis des Bösen vertrieben, das waren der ehrwürdige Antonius, der selige Feodossius und der große Nikon", - bezeugt der ehrwürdige Nestor der Chronikschreiber. Aber ihr Licht drang damals nicht aus dem tiefen Gewölbe heraus - es war unsichtbar. Aber gerade dort wurde in der liebreichen Gegenwart des gekreuzigten Christus die eherne Feste der vollkommenen Christuskirche errichtet. Das dauerte beinahe zwanzig Jahre. In dieser Zeit kam aus Polen Moissei Ugrin, der Bruder des ermordeten Waffenträgers des hl. Fürsten Boris, zu ihnen hin; er hatte in seinem Leben vieles durchgemacht. Erst am Ende der Regierungszeit von Jaroslaw (er starb 1054) wurde durch Gottes Willen etwas über die Asketen bekannt, und zu ihnen führte der Heilige Geist dann auch noch andere von Christus Auserwählte hin. So scharten sich um den ehrwürdigen Antonius zwölf Brüder, sie legten eine weiträumige Höhle an und richteten in ihr eine Kirche und Mönchszellen ein. Und nun war die Zeit gekommen, in Gottes Licht hinauszutreten. Im Jahre 1056 ließ der erste Abt, Warlaam, außerhalb der Höhle eine kleine Kirche erbauen. Zur gleichen Stunde wurde verkündet, wie die Höhlengemeinschaft nach Gottes Willen beschaffen sein soll. Der hl. Antonius sagte: "Liebe Brüder, Gott hat uns versammelt, möge der Segen des Herrn und der Allerheiligsten Gottesgebärerin mit euch sein, lebt nun allein, ich aber werde weiterhin abgeschieden leben". Und der hl. Antonius schloß sich in einer Zelle ein, um jeglichen Widerspruchs zu entgehen. Bald darauf begann er eine neue Höhle zu graben, die sich unter dem später errichteten Höhlenkloster befindet - sie ist sozusagen sein unsichtbares, geistliches Fundament. Hatte sich der hl. Antonius aber, indem er sich zurückzog, dadurch von allen anderen getrennt? Nein, keinesfalls. Er führte das unterirdische, qualvoll schwere Leben der Gemeinschaft lediglich weiter. Die Brüder hingegen sollten bald danach an die Erdoberfläche zurückkehren und auf einer Anhöhe ein Kloster errichten. Das geschah 1062 nach einer Beratung des ehrwürdigen Feodossius (des zweiten Abtes nach Warlaam) und des ehrwürdigen Antonius, da die Anzahl der Mönche bis auf einhundert an gewachsen war. Der hl. Antonius hatte voller Freude seine Zustimmung gegeben. Und des weiteren ist Antonius im ganzen Klosterleben immer unsichtbar zugegen (manchmal auch sichtbar: er pflegt den kranken Isaaki). Als kurz vor seinem eigenen und vor Feodossius' Tod ( 1072 - 73) beschlossen wurde, eine große Kirche zu errichten, da fleht er Gott an, Er möge eine geeignete Stelle zeigen. Aber ebenso, wie der ehrwürdige Antonius weiterhin am irdischen Leben teilnimmt, so beteiligen sich auch viele Brüder am unterirdischen Dasein. Auch Feodossius selbst entfernt sich zeitweilig in das unterirdische Gewölbe und hält sich dort auch stets während der Großen Fasten auf. Nach ihm sind die Nahen Höhlen und nach Antonius die Fernen Höhlen benannt.
 
Die Gemeinschaft teilt sich sozusagen in das unterirdische Gewölbe und das irdische Kloster, die eine Hälfte ist in das Dunkel der Höhle getaucht, die andere aber tut der Welt ihr irdisches Leben kund. Die Welt zehrt an den Kräften der Kirche, sie muß unaufhörlich gegen deren Finsternis ankämpfen, aber aus dem unterirdischen Gewölbe strömt ihr neue Energie zu. Die beiden Stützen der Gemeinschaft - der ehrwürdige Antonius und der ehrwürdige Feodossius - sind unzertrennlich: der eine leitet die unterirdische Gemeinde und der andere - das sichtbare Kloster. Aber beide und auch alle Brüder sind geistig hier wie dort gegenwärtig.
 
Daher hat das russische Volk die Erinnerung an das Kiewer Höhlenkloster als an eine hochbedeutsame Zeit des Volkslebens zwar bewahrt, aber niemand weiß wirklich, was sich dort zugetragen hat, oder er täuscht sich, wenn er Unwesentliches für das Wichtigste hält. Daß dem so ist, bezeugt auch das Heiligenbuch des Höhlenklosters. Sein erster Teil besteht aus Aufzeichnungen des ehrwürdigen Nestor, denn er hat das Heilige Leben im Kloster selbst miterlebt. Der zweite Teil wurde von Archimandrit Polikarp verfaßt. Er hat die Heiligenviten nach den Worten von Bischof Simon zusammengestellt, der das selige Leben im Kloster von eigener Erfahrung her kannte. Und zwischen "Nestors Zeugnis von den heiligen ersten Mönchen des Höhlenklosters, deren Leben er im ersten Teil beschrieben hat" (so ist dieses Kapitel des Heiligenbuches betitelt) und "dem Schreiben unseres Vaters Polikarp an den seligen Akindin, den Abt des Höhlenklosters; über dessen Heiligen" (so heißt das Kapitel, mit dem Polikarps Aufzeichnungen enden) ist geistig ein himmelweiter Unterschied zu sehen. Nestor spricht nur von der Liebe (von Wundern spricht er wenig) - die Liebe legt er dem Leben im Höhlenkloster zugrunde; Polikarp hingegen verliert kein einziges Wort über die Liebe, ihn setzen nur die Wunder - die "erhabenen Dinge", wie er sich ausdrückt, und die asketischen Großtaten in Erstaunen. Für Nestor ist die Erinnerung lieb und hold (dieser Ausdruck stammt von ihm), für Polikarp hingegen - schrecklich: "Ich habe mit dir darüber voller Angst und Verwirrung gesprochen". Wunder und strenge Askese ohne Besinnung auf die Liebe sind furchterregend".

3. Die Bedeutung des russischen Mönchtums für gesellschaftlichen Leben Altrußlands.

Im Lobeswort auf den hl. Feodosius können wir lesen: "Freue dich über die Aufklärung der Russischen Lande, die von Osten hergekommen ist und uns alle durch gute Taten erleuchtet hat". Aber weshalb ist nur von Feodosius die Rede und nicht von der ganzen heiligen Gemeinde? Weil der heilige Feodosius der Stützpfeiler am goldenen Himmel des Höhlenklosters war. Dieser Himmel, mit sichtbaren, wenig und überhaupt nicht sichtbaren Sternen bedeckt, atmete und lebte in Christlicher Liebe. Gott hatte Feodosius zu Seinem für alle sichtbaren Licht auserkoren. Das geistige Licht, das mit Gottes Willen viele über dem Höhlenkloster erblickten, wurde stets mit dem Namen des ehrwürdigen Feodosius in Verbindung gebracht. Aber auch viele Klosterbrüder haben wundersame Taten vollbracht, aber das geschah sozusagen im geheimen, blieb innerhalb der Mauern. Wie hatte doch der Arzt Agapit gesagt, als der todkranke Wladimir Monomach nach ihm gesandt hatte: "Soll ich für ihn hinausgehen und auch für alle anderen, so kann ich dies nicht tun, verzeiht es mir" und er übersandte dem Fürsten lediglich ein Heilkraut. Feodosius hingegen erschien überall: sowohl bei den Fürsten als auch unter den armen Leuten, und er ging sogar in eine jüdische Siedlung, um "mit den Juden über den Glauben zu streiten".
 
Eine kurze Mitteilung Nestors gibt darüber Aufschluß, wie Feodosius in Kiew gewirkt hat. Auf der Baustelle einer Kirche, wo Feodosius gewöhnlich wie jeder Mönch arbeitete, trat eines Tages eine arme Frau an ihn heran und bat ihn, er möge sie doch von einem ungerechten Gerichtsentscheid freisprechen. "Du erlöst viele von Kummer und Leid, - sagte sie, - so errette auch mich". Feodosius begab sich sofort zum Richter, überführte ihn, und der Frau wurde die Strafe erlassen. Im Byzantinischen Reich hatten sich die Mönche in der frühchristlichen Periode in Gerichts- und Verwaltungssachen eingemischt und somit einen ruhigen und ungestörten Vollzug der Gerichts- und Verwaltungspraktiken behindert. Zu der Zeit, da die Rus sich zum Christentum bekehrte, wurde in Byzanz mit Missetätern recht unbarmherzig um gegangen. Und diesen Geist wollte man in Rußland auch den Fürsten und dem Volk einimpfen. Aber das Kiewer Höhlenkloster durch Gottes Gnade entstanden, setzte alles daran, damit der Unbarmherzigkeit die Liebe entgegengesetzt werde. Entsinnen wir uns daran, wieviele Bischöfe aus dem Höhlenkloster gekommen sind - der hl. Simon nannte fünfzig an der Zahl – und wie diese überall dessen Geist verbreiteten, und erinnern wir uns an eine Stelle in einer damaligen Chronik, wo es heißt: "Dieser Bischof war ein Grieche und daher voller Arglist", so wird uns klar, auf wessen Seiten die Sympathien der Russischen Lande gewesen sind. Die Frau hatte zu Feodosius gesagt: "Du errettest viele". Und gedenken wir auch, wie gutherzig Feodosius war: ihm kamen beim Anblick der auf dem Klosterfeld gefesselten Diebe die Tränen. Diesem Umstand ist es wohl auch zu verdanken, daß alle höchsten Würdenträger von Kiew Feodosius außerordentliche Hochachtung entgegenbrachten: das wissen wir auch aufgrund folgender Begebenheit: eines Tages kehrte Feodossius mit einem Gefährt von dem Fürsten Isjaslaw zurück, und alle Bojaren, die ihm unterwegs begegneten, stiegen von ihren Pferden ab, um sich vor dem Abt zu verneigen (eine Ehrenbezeigung wie für einen Fürsten); erinnern wir uns an die Worte von Nestor dem Chronikschreiber, daß der Fürst Isjaslaw dem ehrwürdigen Feodossius sehr zugetan war und in allem auf ihn hörte, daß Feodosius ungehindert in alle Versammlungen der Richter ging, um diese gnädig zu stimmen, so können wir uns ein Bild davon machen, wie es mit den Verwaltungs- und Gerichtspraktiken im Kiewer Fürstentum aussah - sie wurden von dem Abt des Klosters fortwährend gemildert und korrigiert, und hinter ihm standen eine ganze Gemeinde der Liebe und Christus Selbst "Viele kamen damals zu dem ehrwürdigen Feodosius,- steht in der Chronik geschrieben,- um ihm ihre Sünden zu beichten, und er spendete ihnen großen geistigen Trost Aber ganz besonders hatte Feodosius Fürst Isjaslaw lieb, der nach seinem Vater, Jaroslaw, den Kiewer Thron bestiegen hatte (1054). Das Verhältnis zwischen dem Fürsten und dem Abt war einfach rührend. Isjaslaw schien ohne Feodosius nicht leben zu können. Er ließ ihn andauernd zu sich kommen und suchte ihn auch selbst auf, doch nie ritt er in das Kloster hoch zu Roß hinein, obzwar sich das für einen Fürsten durchaus geziemte; immer stieg er vorher ab und ließ auch sein Gefolge draußen. Selbst die kärgliche Klostermahlzeit mundete Isjaslaw weit besser als die kostbaren, auserlesenen Speisen zu Hofe, was er auch Feodossius sagte. "Das kommt daher, - erwiderte Feodossius, - weil unsere Kost beim Zubereiten immer gesegnet wird und zwischen denjenigen, die sie zubereiten, stets Liebe und Eintracht herrschen. Deine Diener aber scheinen sich oftmals zu zanken, und die Älteren kränken und schlagen sicherlich die Jüngeren".
 
Nicht minder als Isjaslaw war auch dessen Bruder Swjatoslaw, der zweite Sohn von Jaroslaw I., dem heiligen Feodosius herzlich zugetan. Er hatte nach Isjaslaws Verbannung den Kiewer Thron bestiegen und bis zu seinem Tode (1072-1076) geherrscht. Feodosius nahm Swjatoslaw die Verbannung von Isjaslaw sehr übel und prangerte ihn deswegen vor den Bojaren und dem Volke an, so daß Swjatoslaw zeitweise mächtig in Zorn geriet. Trotzdem unternahm er nichts gegen Feodosius, denn er verehrte ihn als einen gerechten und heiligen Mann. Aber kaum war Feodossius etwas sanfter gestimmt, da war Swjatoslaw, wie es bei dem ehrwürdigen Nestor geschrieben steht, hocherfreut und ließ den Ehrwürdigen fragen, ob er nicht zu ihm ins Kloster kommen dürfe (ein Kiewer Fürst bittet um Erlaubnis!). Als ihm Feodosius dazu seinen Segen erteilte, da kam Swjatoslaw mit vielen Bojaren, küßte Feodossius und sagte: ,Vater, vorher wagte ich nicht, zu dir zu kommen, denn ich dachte, du seiest mir sehr gram und läßt mich nicht in dein Kloster hinein". Und der Ehrwürdige erwiderte ihm: "Was bedeutet schon unser Zorn gegen dich allmächtigen Fürsten? Aber wir müssen die Wahrheit aufdecken, damit die Seele gerettet werde, ihr aber müsset darauf hören". Seit dieser Zeit kam der ehrwürdige Feodosius ständig zu dem Fürsten, und dieser kam ihm jedes Mal entgegen und führte ihn mit großer Freude in sein Haus hinein. Und auf der Stelle hörten im Schloß Musik und Tanz auf, wenn es zu dieser Zeit gerade irgendwelche Belustigungen gab. Gott der Herr ließ es Swjatoslaw auch wissen, als die letzte Stunde des heiligen Feodosius gekommen war: in diesem Augenblick stieg über dem Kloster eine Feuersäule zum Himmel empor.
 
Trotz aller Liebe und Verehrung, die Swjatoslaw für Feodosius empfand, vermochte der Heilige dennoch ihn nicht zu bewegen, seinem Bruder Isjaslaw den Thron zurückzugeben. Worin bestand hier nun die geheime Göttliche Vorsehung? Obwohl die Dinge und die zwischenmenschlichen Beziehungen auf Erden ziemlich verworren sind, so geschieht doch alles mit dem Willen Gottes. Vielleicht war es Swjatoslaw gerade beschieden, am Ende seines Lebens den Kiewer Thron zu besteigen und mit dem heiligen Feodosius Umgang zu pflegen. Und vielleicht war es andersherum für Isjaslaw nützlich, das Kreuz auf sich zu nehmen und zeitweilig Kummer und Leid zu erdulden. Beachtenswert ist, wie sich der Heilige zu dem Fürsten als Herrscher verhalten hat. Ein christlicher Herrscher trägt vor Gott eine große Verantwortung. Daher ist jeder kluge Fürst oder Zar immer bestrebt, gute Berater zu haben. Und dazu ersahen sie sich vor allem Heilige, also vom Heiligen Geist geleitete Menschen, aus, die in allen Dingen auf den rechten Weg hinlenken können. Gottlos und schmachvoll ist es aber, wenn ein Heiliger, der einen Fürsten der Unwahrheit überführt hat, fortgejagt oder gar in den Kerker geworfen wird.
 
Das gegenseitige Verhältnis zwischen dem hl. Feodosius und den Fürsten seiner Zeit beruhte auf der christlichen Glaubenslehre. Wir haben gehört, wie der Heilige fest und bestimmt zu Swjatoslaw gesagt hatte: "Wir haben zu tadeln und die Wahrheit aufzudecken, damit die Seele gerettet werde, ihr aber müsset darauf hören". Zuvor hatte er Swjatoslaw in einem Schreiben einen Kain genannt: "Das Blut deines Bruders schreit zu Gott", - hatte er darin gesagt,- eine sehr schlimme Anschuldigung, bedenkt man, daß der Bruder ja nicht getötet, sondern nur verbannt worden war. Wegen dieses Schreibens war Swjatoslaw dem Ehrwürdigen mächtig böse und wollte ihn sogar verbannen, wagte es aber nicht, heißt es in der Chronik, denn er hielt Feodosius für einen heiligen Mann. Damals waren das für die Russische Kirche große Zeiten, denn die Heiligen fürchteten sich nicht, die Herrscher zu tadeln, diese aber taten den vom Herrn gesandten Menschen nichts zuleide, denn sie waren in ihren Herzen wirklich sehr gottesfürchtig.
 
Wie der ehrwürdige Feodosius der Stützpfeiler der Klostergemeinschaft war, so brachte Wladimir Monomach den allgemeinen Geist des damaligen Rußlands bestens zum Ausdruck. Er war allgemein sehr beliebt, in ihm erblickte man einen Streiter für die Wahrheit, daher war man sehr froh, ihn selbst (und später auch seine Söhne) auf dem Kiewer Thron zu sehen. Die Belehrungen, die Wladimir Monomach seinen Kindern erteilte, sind seine Lebensbeichte, und sie wurden damals für alle lese- und schreibekundigen Menschen zu einer Richtschnur. ,,O meine Kinder! Rühmt Gott! Liebt die Menschen! Seid stets barmherzig und empfangt einen jeden Menschen voller Liebe... teilt alles, was ihr habt, freigebig aus. Nimmt man euch etwas fort, so rächt euch nicht, werdet ihr gescholten, so betet!... Tötet weder einen Rechtschaffenen noch einen Schuldigen: das Leben eines Christen ist vor unserem Herrn heilig". Das ist eine Beichte Monomachs und keine Predigt, denn er selbst hat alles mit beiden Händen ausgeteilt und ist anderen gegenüber immer nachgiebig gewesen. Seine geistige Entwicklung hatte Wladimir in großen Maße dem Kiewer Höhlenkloster zu verdanken, denn zweimal errettete es ihn vom Tode und hat ihm auch gezeigt, worauf es im Leben vor allem ankommt. Und das war so.
 
Wladimir Monomach, sein Bruder Rostislaw und der Kiewer Fürst (zu jener Zeit war es Swjatopolk, Isjaslaws Sohn) mußten 1093 an der Stugna von den Polowzern eine Niederlage hinnehmen. Bei der Überquerung des Flusses ging Rostislaw vor den Augen seines Bruders in den Fluten unter. Zuvor hatte sich folgendes ereignet. Gregor der Wundertäter war eines Tages aus dem Höhlenkloster zum Dnepr hinabgestiegen, um Wasser zu schöpfen. Gerade um diese Zeit kam hier Rostislaw mit seiner Drushina vorbei. Er wollte sich im Höhlenkloster den Segen erbitten, führte er doch mit seinem Bruder Wladimir Monomach gegen die Polowzer Krieg. Rostislaws Diener begannen, Gregor zu verspotten. Der Mönch aber, der ihr baldiges Ende voraussah, sagte zu ihnen: "O meine Kinder! Wenn ihr ein Gebet braucht, weshalb tut ihr dann Böses und erzürnt Gott?! Ihr werdet bald vor den Richterstuhl des Allmächtigen hintreten, denn ihr werdet zusammen mit eurem Fürsten im Fluß ertrinken". Rostislaw - ein sehr guter Schwimmer - faßte die Worte des Heiligen als eine Verhöhnung auf, ergrimmte mächtig und befahl, Gregor zu binden und in den Fluß zu werfen. Er selbst aber ging nicht ins Kloster, wie er es eigentlich tun wollte, und empfing keinen Segen. Sein Bruder Wladimir aber ließ sich im Kloster segnen, und so kam es, daß der Fromme gerettet wurde, der Böse aber ertrank...
 
Im Höhlenkloster lebte und diente der Arzt Agapit. Einmal lag Wladimir Monomach schwerkrank danieder und schickte nach Agapit, denn schon die berühmtesten Ärzte wußten ihm nicht mehr zu helfen. Aber Agapit verließ niemals das Kloster und tat es auch dieses Mal nicht, obzwar ihn der Fürst selbst zu sich gerufen hatte. Er gab dessen Diener lediglich etwas gesottenes Gemüse von seinem Tisch (so heilte er gewöhnlich die Kranken). Wieder gesund, übersandte Wladimir dem Agapit durch einen Bojaren kostbare Geschenke. Aber Agapit nahm das Gold nicht an und ließ dem Fürsten ausrichten: "Ich behandle und heile kostenlos, denn die Kranken haben ihre Genesung nicht mir, sondern Christus zu verdanken. Vor dem Tode hat ihn Christus Selbst bewahrt, denn er lebt unter uns. Sage deinem Fürsten, er solle etwas von seiner Habe an die Armen austeilen". Und Fürst Wladimir,- heißt es in der Chronik, - begann seinen Besitz an die Armen auszuteilen. So hatte Agapit, indem er Wladimir vor dem Tode errettete, diesen zu großer Barmherzigkeit angeregt. Das bestätigt Monomach auch selbst, denn er beginnt die Belehrung an seine Kinder mit folgenden Worten: "Fürchtet Gott, und spendet reichlich Almosen, denn darin liegt die Wurzel alles Guten".
 
Hatte die heilige Klostergemeinschaft bei Wladimir Monomach die ihm ohnehin schon innewohnende Herzensgüte noch mehr verstärkt, so vollbrachte sie in Bezug auf einen anderen Kiewer Fürsten, gemeint ist Swjatopolk (1093-1113), ein wahres Wunder, denn sie wandelte ihn völlig um: Einst böse und grausam, wurde er nun gutherzig. Gerade dieses Wunder zeugt davon, daß in der Rus gute Zeiten angebrochen waren, und den Grundstein dazu hatte das Höhlenkloster gelegt, weil es die Russischen Lande geweiht hatte. Wie vollzog sich dieses Wunder?
 
Die Güte, die das Höhlenkloster über die Rus ausstrahlte, fand vorübergehend ein jähes Ende, und damit hatte es folgende Bewandtnis: Wladimir Monomach, den das Volk nach dem Tode seines Vaters, Wsewolod, (1093) auf dem Kiewer Thron sehen wollte, verzichtete auf diesen zugunsten seines Vetters Swjatopolk, eines Sohnes von Isjaslaw, weil es diesem nach dem Majoratsrecht zukam. Von diesem Swjatopolk bezeugt die Geschichte folgendes: "Dem Charakter nach waren die Söhne von Isjaslaw und Wsewolod grundverschieden: Swjatopolk war grausam und über alle Maßen ehr- und herrschsüchtig". Somit mußte die Rus zwanzig Jahre lang eine grausame Herrschaft erdulden (Wladimir bestieg den Thron erst 1113 nach Swjatopolks Tod). Aber die heilige Klostergemeinschaft wandelt das Leben in Kiew auf wunderbare weise um, und Swjatopolk wird ein anderer. Im Heiligenbuch des Kiewer Höhlenklosters wird diese Zeit folgendermaßen geschildert.
 
In dieser schweren und kummervollen Zeit kam in das Kloster ein Mann, Prochor genannt. Eine Besonderheit seines asketischen Lebenswandels war es, daß er kein gewöhnliches Brot aß, sondern Meldekraut sammelte und sich daraus sein Brot machte. Über Kiew war infolge einer Mißernte und fehlender Vorsorge von Seiten des Fürsten eine Hungersnot hereingebrochen. Aber gerade in diesem Jahr wuchs die Melde massenweise, und Prochor gehorchte der Göttlichen Eingebung und sammelte das Kraut fleißig ein. Zuerst bot Prochor sein Brot den Mönchen an und dann auch den Stadtbewohnern. Hungrig, wie sie waren, schmeckte ihnen dieses Brot viel besser als gewöhnliches Weizenbrot. Aber eines Tages nahm sich ein Mönch bei Prochor ungefragt Brot. Es war aber ganz schwarz und völlig ungenießbar. Der Mönch beichtete dem Abt sein Vergehen. Dieser aber glaubte ihm nicht und wollte sich selbst vergewissern, wie es sich mit dem wunderbaren Brot verhielt. Er sandte zwei Mönche zu Prochor hin: der eine sollte um Brot bitten, der andere aber heimlich welches fortnehmen. Und das ungefragt genommene Brot war auch tatsächlich schwarz und bitter wie Erde. Die ganze Stadt kam zu Prochor hin, und er gab allen von seinem Brot zu essen. Das war sein erstes Wunder...
 
Nach einer gewissen Zeit begann es an Salz zu mangeln - die Folge eines Krieges - und das Volk war sehr betrübt. Da sammelte Prochor aus allen Zellen viel Asche ein und teilte sie den Bedürftigen als pures Salz aus. Und das Volk strömte massenweise zum Kloster, um sich von dort Salz zu holen. Niemand ging mehr auf den Markt, denn die Händler hatten die Salzpreise übermäßig hinaufgeschraubt. Da beklagten sie sich bei Swjatopolk, daß sie durch das Höhlenkloster große Einbußen erleiden. Dem Fürsten kam die Idee, sich selbst an dem Klostersalz zu bereichern. Er schickte zum Kloster mehrere Wagentrosse hin. Sie sollten das ganze Salz herbeischaffen, damit man es am Fürstenhof verkaufe. Als die Leute aber von dem Salz kosteten, da war es pure Asche. Inzwischen wollten die Leute weiterhin von Prochor Salz bekommen. Er erzählte ihnen, was geschehen war, tröstete sie aber zugleich, indem er zu ihnen sagte: wenn der Fürst die Asche fortwerfen läßt, so seid nicht faul und sammelt sie ein. Und so geschah es denn auch: Swjatopolk war über das Klostersalz mächtig enttäuscht und befahl, man sollte es des Nachts heimlich von seinem Hof wegschaffen. Und die Asche wurde wieder zu Salz, und das Volk sammelte es voller Freude ein...
 
Als der Fürst das erfuhr, da erschrak er sehr und begann sich zu erkundigen, wer dieser Prochor denn sei. Als man ihm von dessen Wundern berichtete, die sich nicht nur mit dem Salz, sondern auch mit dem Brot aus Meldekraut zugetragen hatten, da schämte sich Swjatopolk seines Tuns, begab sich in das Höhlenkloster und bat den Abt Ioann um Verzeihung. Früher war er dem Abt feindlich gesinnt, denn dieser hatte den Fürsten wegen seiner unersättlichen Habgier und der dem Volke zugefügten Kränkungen heftig getadelt (einmal ließ er ihn sogar verbannen, holte ihn dann aber auf Bitte von Wladimir Monomach zurück). Dann ging er auch zu Prochor hin, bat ihn um Vergebung und versprach, künftig niemandem mehr etwas zuleide zu tun.
 
Außerdem sagte er: "Sollte ich vor dir sterben, so senke mich eigenhändig ins Grab, so beweist du, daß du mir nicht mehr gram bist. Scheidest du aber vor mir aus der Welt, so werde ich dich auf meinen Armen in die Höhle tragen, damit mir der Herr meine große Sünde vor dir vergebe". Prochor lebte noch ein paar Jahre und wurde dann krank. Da schickte er nach Swjatopolk, der sich gerade auf einem Feldzug gegen die Polowzer befand, und bat, er möge kommen und sein Versprechen erfüllen. Kaum hatte Swjatopolk diese Nachricht erfahren, da machte er sich eiligst nach Kiew auf. Vor seinem Tode ermahnte der Selige den Fürsten, zu seinen Nächsten immer mildtätig zu sein und Buße zu tun. Dann erteilte er ihm seinen Segen, nahm Abschied von ihm, streckte die Hände zum Himmel empor und empfahl seine Seele Gott. Der Fürst trug ihn zusammen mit Mönchen in die Höhle, legte ihn in den Sarg und kehrte dann zu seinem Heer zurück. Die russischen Krieger errangen einen glänzenden Sieg. Diesen Sieg hatte Gott den Russischen Landen geschenkt, wie es der hl. Prochor dem Fürsten prophezeit hatte. Von da an kam Swjatopolk, bevor er zu einem Feldzug aufbrach, immer in das Höhlenkloster, um den Segen zu empfangen. "Fürst Swjatopolk kündete ganz offen von den Wundern und Zeichen des hl. Prochor", und Gott war ihm, nachdem er ihn zuvor oftmals gestraft hatte, nun gnädig gesinnt.
 
Vergleichen wir die Lebensbeschreibung des hl. Prochor mit den Viten der anderen heiligen Väter des Höhlenklosters, so bemerken wir gleich von Anfang an einen Unterschied: "Als Swjatopolk Fürst war, da kam in das Höhlenkloster ein gewisser" usw. Der Heilige wurde sozusagen speziell zu diesem Fürsten entsandt, damit er geistig gesunde. So sind seine Wundertaten auch eine allgemeine Hilfe für die Bedürftigen, für den Fürsten aber eine Belehrung...
 
So erlangten die Mönche des Höhlenklosters, indem sie die Sinnenlust geißelten und mit ihren Tränen die versteinerten Herzen erweichten, die Christliche Wahrheit und gaben diese an das russische Volk weiter. Liebe, Wundertaten und die Allmacht des Herrn - sie waren es, welche die Herzen der Kiewer zu der heiligen Gemeinschaft des Höhlenklosters hinzogen, wo sie geistigen Trost und Erbauung fanden. Der Chronist Nestor, beseelt von dem Geist des Höhlenklosters, bezeugt das Kloster basiere "auf Tränen auf Fasten und auf Beten". Und Wladimir Monomach, dieser große Herrscher der Russischen Lande, entziffert den Sinn dieser Formel wie folgt: "Durch drei gute Taten wird ein Feind bezwungen: durch Buße, durch Tränen (d. h. innerliche Rührung) und durch Almosen... durch ein solch geringes Werk erlangt man die Gnade des Herrn" oder um mit dem ehrwürdigen Seraphim von Sarow, einem Heiligen späterer Zeiten, zu sprechen, wird man des Heiligen Geistes teilhaftig. Wladimir Monomach ist niemals von seinem Glauben abgewichen, denn er trug ihn in seinem Herzen. Jenes Volk aber, das diesen Glauben als den seinigen anerkannte und in der Seele mit Wladimir Monomach mitfühlte, durfte sich die Heilige Rus nennen. Und das russische Volk war, wenn es das alte Kiew weiterhin liebte und verehrte, dessen stets eingedenk.

4. Gott hilft den Schwachen. Dienste des Klosters für Menschen.

In dem gesegneten Leben des Kiewer Höhlenklosters war ständig der große Beistand des Herrn zu spüren, und davon zeugen auch die zahlreichen Wunder. Große Wunder ereigneten sich sozusagen in völligem Widerspruch mit den Naturgesetzen.
 
So war zu der Zeit, da der ehrwürdige Feodosius (gest. 1073) Klosterabt war, einmal das ganze Mehl im Kloster ausgegangen - war nur noch eine Handvoll Kleie übriggeblieben. Als der Bäcker aber den heiligen Abt davon benachrichtigte, da war dieser keineswegs bestürzt, sondern antwortete ihm nur: "Der Herr vermag aus wenigem viel zu machen; gehe hin und siehe nach, ob sich Gott nicht auch dieses mal gnädig zeigt". Das tat der Bäcker denn auch, und siehe da, die Kiste war bis oben hin voll, und das Mehl rieselte sogar noch über den Rand hinaus.
 
Umgekehrt wurde aber der geringste Zweifel, daß Gottes wunderbare Hilfe nicht auf sich warten läßt, auf der Stelle bestraft. So war eines Tages kein Olivenöl für den Abendgottesdienst da; die Brüder baten, man möge ihnen erlauben, aus Samen Öl auszupressen, und der heilige Feodosius erteilte ihnen dazu seinen Segen. Aber kurz vor dem Gottesdienst wollten sich die Brüder trotzdem noch einmal vergewissern, ob in dem Gefäß auch wirklich Öl drinnen sei,- und da erblickten sie eine Ratte, die auf unerklärliche Weise in das dicht verschlossene Gefäß hineingeraten und dort ersoffen war. Der heilige Feodossius aber meinte, der Herr habe die Mönche wegen ihres Kleinmutes gestraft, und nun müßten sie Buße tun und auf Gottes Hilfe harren. Und diese kam auch wirklich: direkt vor Beginn des Abendgottesdienstes langte am Klostertor ein großer Troß mit Olivenöl an, das Fürst Wsewolod Jaroslawitsch (gest. 1093) aus Tschernigow gesandt hatte. Dieses wunderbare Leben ist von unserer Wirklichkeit so weit entfernt, so daß diese Zeit unwiederbringlich entschwunden scheint. Aber "Jesus Christus ist gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit" (Hebräer 13, 8), und die Taten der Ehrwürdigen wurden, wie es in der Chronik des Höhlenklosters heißt, auf gezeichnet, "auf daß sie auch den Nachkommen zum Nutzen gereichen", denn auch schon eine Rückerinnerung an jenes segensreiche Leben wirkt recht erbaulich.
 
Lesen wir das Heiligenbuch des Höhlenklosters, wo verschiedene Zeitepochen aus dessen Leben geschildert werden, aufmerksam durch, so begegnen uns ganze Perioden eines geistigen Aufschwungs oder aber des geistigen Verfalls. Und die Chronik dieser Zeiten (angefangen von der zweiten Hälfte des 12. Jh.) lehrt uns, wie die Menschen im Ringen mit ihren eigenen Leidenschaften von Kräften kommen und wie die Kraft Gottes sie wieder stärkt. Hier drei Beispiele aus einem Bericht des Susdaler Bischofs Simon (gest. um 1226), die vom Ende des 12. Jahrhunderts stammen (Heiligenbuch des Höhlenklosters, Worte 19, 21, 22).

5. Über den ehrwürdigen Afanasi (Gedenktage - 28. September und 2. Dezember)

Im Höhlenkloster war ein Mönch - der ehrwürdige Afanasi - gestorben. Man hatte ihn gewaschen und in Leichentücher gehüllt, aber niemand wollte ihn beerdigen, denn "er war sehr arm... Den Reichen möchte jeder dienstbar sein, im Leben wie im Tode, um etwas zu erben". Und da kam "jemand" zu dem Abt und sagte ihm: "Der Tote liegt schon zwei Tage da und ist immer noch nicht bestattet, du aber bist wohlgemut". Da schämte sich der Abt sehr und ging andern Morgens mit allen Brüdern in die Zelle des Entschlafenen, sie fanden ihn jedoch zu ihrem großen Schrecken lebendig und - weinend - vor. Nachdem sie sich wieder etwas gefaßt hatten, fragten sie ihn, wie er denn wieder lebendig geworden sei und was er im Totenreich gesehen habe. Er aber erwiderte ihnen: "Rettet euch",- und fügte noch hinzu: "Wenn ich es euch auch erzählte, so würdet ihr mir es sowieso nicht glauben". Die Brüder schworen ihm jedoch, sie werden es tun. Da sagte er: "Hört in allem auf den Abt, tut immerfort Buße, betet zu unserem Herrn Jesus Christus und zu Seiner Allreinen Mutter und auch zu den ehrwürdigen Vätern Antonius und Feodosius, auf daß ihr euer Leben hier beschließen könnt und zusammen mit den heiligen Vätern begraben werdet. Diese drei Dinge müßt ihr vor allem beachten". Danach zog er sich in eine Höhle zurück, versperrte deren Eingang und hat noch zwölf Jahre gelebt. In dieser Zeit hat er mit keinem mehr ein Wort gesprochen. Aber vor seinem Tode rief er wieder alle Klosterbrüder zu sich, ermahnte sie nochmals an Buße und Gehorsam und fügte hinzu: "Selig ist, wer hier (im Höhlenkloster) zur letzten Ruhe gebettet wird".
 
Somit hat der ehrwürdige Afanasi also die Brüder daran ermahnt, welche Gebote ein Mönch vor allem zu befolgen hat, das sind: Gehorsam, Buße und unaufhörliches Beten. Diese Gebote hatte man also im Höhlenkloster mißachtet, und der Heilige wurde von Gott wiedererweckt und lebte dann noch zwölf Jahre, um den Brüdern eine lebendige Mahnung zu sein.
 
Die heiligen Begründer des Kiewer Höhlenklosters hielten für dessen Bewohner Unablässig Fürsprache, und daher flehte der ehrwürdige Afanasi die Brüder an, das heilige Kloster um nichts in der Welt zu verlassen.

6. Über den ehrwürdigen Erasm (Gedenktage - 24. Februar und 28. September)

Der Mönch Erasm war sehr reich und gab seinen ganzen Besitz für die Ausschmückung der Mariä - Entschlafenskirche her. Als er dann aber völlig verarmt war, da begannen ihn alle zu meiden (im Kloster nahm die Liebe ab). Und da kam Erasm der Gedanke: "Hätte ich dieses Geld doch lieber nach und nach an die Armen ausgeteilt, dann würden sie jetzt für mich beten." In der Chronik kann man nachlesen: "Und da ihm der Böse diese Gedanken eingeflüstert hatte, begann er einen sorglosen und ungebührlichen Lebenswandel zu führen. Schließlich wurde Erasm ernstlich krank. Am achten Tag, da er schon dem Tode nahe war, kamen alle Brüder zu ihm hin. Und plötzlich kam Erasm wieder zu sich und verkündete den Mönchen, ihm seien der hl. Antonius und der hl. Feodosius erschienen und hätten zu ihm gesagt: "Wir haben zu Gott gefleht, und der Herr hat dir Zeit zur Buße gegeben". Und da erschien die Allreine Gottesgebärerin, sie trug Ihren Sohn auf den Händen, und mit Ihr waren noch Heilige. Und sie sprach zu Erasm: "Dafür, daß du Meine Kirche mit Heiligenbildern geschmückt und ihr alle Ehrerbietung bezeigt hast, werde ich dich, im Reiche Meines Sohnes verherrlichen, die Armen aber sind immer neben euch. Nur mußt du, wenn du von deiner Krankheit genesen bist, Buße tun und die Gestalt eines Engels annehmen, denn am dritten Tag komme ich und werde dich, der du rein bist und die Pracht Meines Hauses liebgewonnen hast, zu Mir holen (Wort 21). Danach beichtete Erasm vor allen seine Sünden, nahm die Askese auf sich und hauchte am dritten Tag seine Seele aus.
 
So lassen es also die große Gnade Gottes und die Gebete der heiligen Klosterbegründer nicht zu, daß ein Mensch endgültig fällt. Mit ihrer Hilfe wird er schließlich ein guter Mensch, der Gott und die Menschen liebhat.

7. Über den ehrwürdigen Aref (Gedenktage - 28. September und 24. Oktober)

Im Höhlenkloster lebte einst ein Mönch namens Aref. Der hatte in seiner Zelle große Reichtümer, und die waren ihm so teuer, daß er den Armen keinen einzigen Heller und nicht einmal ein Stück Brot geben wollte. Ja, vor lauter Geiz wäre er selbst beinahe Hungers gestorben. (Zu Lebzeiten des hl. Feodosius wäre das unmöglich gewesen, denn damals waren die Mönche überaus bescheiden). Eines Nachts schlichen sich jedoch Diebe in die Zelle ein und nahmen alle seine Schätze mit sich fort. Aref aber begann die anderen Brüder des Diebstahls zu verdächtigen und quälte sie mit seinen Vorwürfen. Der Susdaler Bischof Simon bezeugte: "Wir flehten ihn alle an, er solle seine Nachforschungen doch endlich einstellen, aber davon wollte er nichts hören, sondern kränkte alle weiterhin mit seinen rohen Worten". Schließlich wurde er vor lauter Ärger ganz krank, "aber auch dann murrte und lästerte er noch weiter" (Wort 22). Plötzlich ging in Aref aber eine Wandlung vor, und er begann zu Gott zu flehen: "Herr, erbarme Dich meiner! O Herr, ich habe mich schwer versündigt, nimm alles hin, und ich will nimmermehr klagen". Und er erzählte den Brüdern, daß er durch Gottes Gnade eine Vision hatte: ihm seien Engel erschienen, von der anderen Seite aber ganze Heere von Teufeln herangebraust. Diese wollten sich bereits seine Seele holen, die Engel aber hätten Ihm verkündigt, wenn jemand für etwas gewaltsam Genommenes Gott danke, so werde ihm das als eine große Gnade angerechnet. Daraufhin tat Aref Buße und wandelte sich völlig um. Alle Brüder waren heilfroh, denn sie glaubten daran, daß ihm wirklich Engel erschienen seien, denn ansonsten hätte er nicht auf gehört mit dem Murren. Alle diese Berichte beziehen sich auf das Ende des 12. Jahrhunderts, da die ganze Rus von Zwistigkeiten zerfleischt wurde. Diese moralische Schwäche hatte auch das Höhlenkloster erfaßt, und die Mönche konnten sich ihrer nicht erwehren. Aber Gott der Herr stand ihnen auch weiterhin bei und half ihnen, ihre ureigenste Mission - den Menschen die Göttliche Wahrheit zu bezeugen - zu erfüllen.
 
Diesen drei Schilderungen im Heiligenbuch des Höhlenklosters sei noch eine Erzählung hinzugefügt, die sich schon auf unser Jahrhundert bezieht und von der Überlieferung treulich bewahrt wird. Das trug sich 1919 zu, da der Bürgerkrieg im Gange war und die weißen Truppen aus Kiew abzogen. Es hatte bereits eine "Kampagne zur Freilegung heiliger Reliquien" begonnen. Als der Kiewer Metropolit Antoni (Chrapowizki) im Begriff war, die Stadt zu verlassen, da wollte er alle Reliquien der Glaubensstreiter des Höhlenklosters aus Rußland herausführen. Und nun war der Klosterhof bereits mit Fuhrwerken vollgestellt und standen auch Eisenbahnwagen schon bereit: man wollte die Reliquien in den Süden bringen und von dort aus außer Landes schaffen. Metropolit Antoni wollte die Reliquien selbst tragen. Als er sich aber über den nächststehenden Sarg niederbeugte - in ihm lag der hl. Fürst Feodor Ostroshski (gest. 1438) - da schlug aus dem Sarg auf einmal eine Flamme empor, die dem Metropoliten den Bart und das Omophorium versengte (dieses Omophorium wird auch heute noch in Paris in einer orthodoxen Kirche aufbewahrt). Antoni war sehr bestürzt und hielt in seinem Tun inne, weil er dies als eine offenkundige Weisung Gottes deutete. Die Kirchenüberlieferung hat seine Worte bewahrt: "Diese Glaubensstreiter stehen für Rußland ein, ganz gleich, was mit ihm auch immer geschehen mag".

8. "Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht ergriffen" (Joh. 1, 5).

Am 28. September (11. Oktober) gedenkt die Russische Orthodoxe Kirche der Ehrwürdigen Väter des Kiewer Höhlenklosters, die in den Nahen Höhlen bestattet sind. An diesem Tag bringen die Mönche des Kiewer Höhlenklosters, die gläubigen Menschen von Kiew und Wallfahrer aus anderen Landesgegenden den Reliquien der in den Höhlen ruhenden heiligen Gottesstreiter ihre Huldigung dar. Am 16. Juni 1988 ist das Mönchsleben in den Fernen Höhlen des Kiewer Klosters wiedererstanden. In dieser Zeit haben wir erneut offenkundige Zeichen der Göttlichen Gnade für dieses wunderbare Kloster erblickt; vor unseren Augen geschahen und geschehen Ereignisse, die noch in den Annalen des Kiewer Höhlenklosters vermerkt werden müssen.
 
Zweieinhalb Monate nach der Wiedererstehung des Mönchlebens in den Fernen Höhlen (14./27. August 1988), dem Vorfeiertag von Mariä Entschlafen und dem Gedenktag des ehrwürdigen Feodosius, begannen die berühmten Häupter in den Höhlen wiederum Chrisamgeruch zu verbreiten. In den vergangenen Jahrzehnten waren sie trocken gewesen, nun aber entströmt ihnen erneut heiliges Chrisam, und zwar so reichlich, daß in der ersten Liturgie jenes denkwürdigen Tages, um halb vier Uhr früh, alle Betenden mit heiligem Balsam gesalbt werden konnten. Die Kunde von diesem Wunder verbreitete sich rasch, und die Menschen begannen voller Freude und Ehrfurcht nach Kiew zu ziehen. Dank ihrem festen Glauben und den Gebeten der heiligen Väter des Höhlenklosters wurden die Gesalbten von verschiedenen Krankheiten geheilt und geistig gestärkt.
 
Weit wunderbarer ist jedoch, daß sich bereits in den 70er Jahren, da die Menschen an eine Wiedereröffnung des Kiewer Höhlenklosters nicht einmal zu denken wagten, geistige Wiedergeburten vollzogen hatten. Die Menschen vertrauten fest auf die Gebete der Ehrwürdigen und bekundeten den Wunsch, ihr ganzes Leben lang Gott zu dienen. Einige von ihnen wurden in die Brüdergemeinschaft des Kiewer Höhlenklosters aufgenommen. Und in eben jenen Höhlen, die sie früher als sogenannte Exkursionsteilnehmer besucht hatten, werden sie nun als Mönche eingekleidet und legen sie ihre Gelübde ab.
 
Wir möchten an die große Göttliche Verheißung erinnern, die den ileiligen Begründern des Kiewer Höhlenklosters zuteil geworden war, und zwar dem ehrwürdigen Antonius und dem ehrwürdigen Feodosius; der hl. Antonius hat hierüber wie folgt berichtet: "Ich habe zu meinem Herrn und zu Seiner Allreinen Mutter gebetet, und daher wird niemand in diesem Kloster zu Qualen verurteilt sein. Der Herr sprach zu mir, und ich habe Seine Stimme vernommen: "Ich aber habe Abraham gesagt: Ich will diese Stadt nicht verderben um der zwanzig Gerechten willen (1. Mose 18, 31), umsomehr werde ich deinetwillen und deretwillen, die bei dir sind, einen Sünder begnadigen und erretten: wenn ihn hier der Tod ereilt - so wird er gerettet werden". (Heiligenbuch des Höhlenklosters, Wort 15).
Jahr:
1990
Herausgegeben:
Orthodoxes Leseheft 1990 7