Die Russische Auslandskirche in den Jahren des “Zweiten Bürgerkrieges”

Die Position der Russischen Auslandskirche in den Jahren des Zweiten Weltkrieges kann man nicht ohne Analyse der Gesinnung und Hoffnungen der gesamten russischen Emigration in jener Epoche verstehen1. Ebensowenig kann man diese Analyse vornehmen, ohne die politischen Veränderungen in Europa in den Krisenjahren 1930 in Betracht zu ziehen.
Damals, nach der Niederlage der Monarchien im Ersten Weltkrieg, gerieten die westlichen Demokratien ganz unerwartet in eine in Europa noch nie dagewesene ökonomische und spirituelle Krise.
Die Reaktion darauf kam nicht nur von links in Form von prokommunistischen Bewegungen und “Volksfronten”, sondern auch von rechts: Autoritäre nationalistische Regimes, die man oft (aber ungenau) unter dem allgemeinen Namen Faschismus zusammenfaßt. Ihre erfolgreichen sozialen und politischen Reformen, die von der katholischen Kirche unterstützt wurden, zogen die Aufmerksamkeit der Wirtschaftsfachleute der ganzen Welt auf sich. Im politischen Bereich äußerte sich dies im Zustandekommen des “Antikominternpaktes” (Berlin-Rom-Tokio, 1936-37), welcher – erstmals auf Regierungsebene! – offiziell den Kampf gegen den Kommunismus ankündigte.
Die Demokratien aber – erinnern wir uns daran – unterstützten die Bolschewiken in der Revolution, später verrieten sie die Weißen Armeen im Bürgerkrieg nach dem Prinzip: “Handel treiben kann man auch mit Menschenfressern” (berühmter Ausspruch von Lloyd-George). Beim Auftreten des Faschismus schlossen die Demokraten sogar eine offene politische Union mit den Kommunisten (antifaschistische “Volksfronten”, spanische “Interbrigaden” etc).
Nur auf diesem Hintergrund sind die Sympathien der russischen Emigration für den Faschismus zu verstehen (in erster Linie für den italienischen, der noch nicht in Rassismus entartet war) und ihre Hoffnungen auf die Hilfe des Antikomintern bei der Befreiung Rußlands – von wo sich die Berichte über die Bestialitäten der Kommunisten mehrten.
Nur unter Berücksichtigung dieses historischen Hintergrunds kann man die Position der Russischen Auslandskirche einschätzen. Dies zu tun, scheint angebracht, insofern ihre Gegner ständig – auch in der russischen Presse – dem Synod der Auslandskirche die “Kooperation mit Hitler” vorwerfen. Diese Vorwürfe sind um so seltsamer, da die Ankläger sogar den tragischen militärischen Versuch von General Vlasov und der ganzen Russischen Befreiungsbewegung zu akzeptieren bereit sind, aber der Kirche gegenüber, die schließlich diese viele Millionen zählende Herde geistlich nährte, wird irgendwie eine besondere Rechnung gestellt...
Vor allem muß man feststellen, daß die russische Emigration bereits in Vorahnung der herannahenden Kriegsereignisse einen Zusammenschluß anstrebte, was auch in den militärischen und politischen Organisationen spürbar war, und sogar in allen kirchlichen Jurisdiktionen. So schloßen sich der “Pariser” Metropolit Evlogij (der sich 1926 von der Auslandskirche lostrennte und zuerst zur Moskauer Kirchenverwaltung von Metropolit Sergij, dann zum Ökumenischen Patriarchat bekannte) kurzzeitig (1934-35) und die Amerikanische Metropolie über die ganze Kriegszeit hinweg (1935-46) mit der Auslandskirche zusammen. Damit war die Auslandskirche in dieser Periode praktisch einheitlich (die Gemeinden des Metropoliten Evlogij stellten nur etwa 6 % dar) und sie reflektierte die Gesinnung der überwältigenden Mehrheit der russischen politischen Emigration.
1938 auf dem 2. Gesamtkonzil der Auslandskirche in Sremski Karlovzy wurde (unter Teilnahme von Geistlichen und Laien) der Versuch unternommen, diesen Einigungsprozess durch die Schaffung eines besonderen Kirchlichen Volks-Zentrums der russischen Emigration unter der geistlichen Führung des Ersthierarchen zu fördern, aber ein Teil der Konzilteilnehmer konnte dennoch die Vorurteile gegen die “Politik” nicht überwinden. Als Ergebnis wurde nur die Resolution “Über die Erwünschtheit der Schaffung eines solchen Zentrums angenommen, ohne aber seine Kompetenz und seine äußeren Formen zu definieren”. Dennoch wurde die Entscheidung gefaßt, daß die Kirche “ihre fürsorgende Aufmerksamkeit auf die russischen nationalen Emigranten-Organisationen erstrecken und ihnen helfen möge, sich auf den Weg des wahren orthodoxen und echt russischen Weltverständnisses und gesellschaftlich-staatlichen Ideals zu begeben”2.
Diese Fürsorge betraf in erster Linie die Tatsache, daß praktisch alle der damals existierenden politischen Emigrantenorganisationen Sympathie für den Faschismus zeigten, wie für einen politischen Verbündeten - der aber nicht dem russisch orthodoxen Weltverständnis entsprach. Und eben dank dieser klaren Position der Russischen Auslandskirche bewahrten diese Emigrantenorganisationen (mit seltenen Ausnahmen) echte Kriterien zur Wertung des Faschismus: Beispiele hierfür lassen sich viele anführen3. Aber kommen wir nun zu den konkreten Anschuldigungen.
Als “kompromittierendste” Tatsache (mangels anderer) pflegen die Gegner der Auslandskirche den Brief (1938) des damaligen Oberhauptes der Auslandskirche, Metropolit Anastasij (Gribanovskij), an Hitler als Haupt der deutschen Regierung anzuführen, worin der Metropolit seine Dankbarkeit für den großzügigen Beitrag zum Bau der orthodoxen Kathedrale in Berlin ausdrückte. Aber man darf nicht vergessen, daß dies noch vor Beginn des Zweiten Weltkriegs war, daß die Regierung Hitlers gesetzlich gewählt worden war und von allen Staaten der Erde anerkannt wurde und daß es in solchen Fällen üblich war, offiziellen Dank zum Ausdruck zu bringen. Die lobenden Anreden in dem Brief (Hitler wurde als Führer “im weltweiten Kampf für Frieden und Gerechtigkeit” bezeichnet, für den “das russische Volk beständig Gebete zu Gott emporsendet”) muß man in dem oben beschriebenen historischen Kontext sehen. Darüber hinaus wurde “der Text dieses Briefes zuvor vom Gemeinderat der genannten Kirche verfaßt. Als der hochgeweihte Metropolit Anastasij den Brief sah, billigte er die ihm vorgelegte Fassung nicht und wollte sie ändern, aus der Anrede alles streichen, was keine direkte Beziehung zu dem Hauptanliegen hatte, nämlich Dankbarkeit dem Spender, der deutschen Regierung und ihrem Haupt, zu bekunden... Doch dies erwies sich als praktisch nicht durchführbar, weil das Schreiben in dieser Form bereits die offizielle Zensur passiert hatte”4.
Dazu müssen wir hinzufügen, daß kein einziger Bischof anderer Länder dieses Schreiben, das sich von selbst verstand, damals verurteilte. Noch mehr: Man kann ein Beispiel anführen, wie das Oberhaupt der liberalen “Pariser” Jurisdiktion, Metropolit Evlogij, in nicht weniger warmen Worten seine Loyalität dem Hitlerregime gegenüber zum Ausdruck brachte. Als die Deutschen seinen Gemeinden in Deutschland vorschlugen, sich mit der Russischen Auslandskirche zu vereinigen, schrieb Metropolit Evlogij in seinem Brief vom 4. Oktober 1937, der durch den deutschen Gesandten in Paris übergeben wurde, an den deutschen Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten (die Orthographie des Originals bleibt unberührt):
“Die deutsche Regierung hält es nicht für gelegen, zwei Jurisdiktionen der russischen orthodoxen Kirche in Deutschland beizubehalten, da, wie es die Erfahrung in Sache der Lutherischen Kirche zeigt, eine von den kämpfenden Kirchenbewegungen immer gegen die Regierung schreitet.
Ich gestatte mir ergebenst gegen den in dieser Weise formulierten Vorsatz, der der Wirklichkeit keineswegs entspricht, mit voller Entschiedenheit zu protestieren. Weder ich persönlich, noch meine Geistlichen, wie auch die Mitglieder der mir anvertrauten Gemeinden, haben jemals sich einer Unloyalität der Reichs-Regierung gegenüber verdächtig gemacht. Im Gegenteil, unsere Geistlichkeit hatte immer volle Verehrung und Ergebenheit der Regierung dieses Landes erwiesen, das uns, russischen Flüchtlingen, seine Gastfreundschaft geboten hat; in diesem Sinne der Achtung und Ergebenheit erzieht unsere Geistlichkeit auch ihre Gemeinden... Ich, wie auch meine gesamte Geistlichkeit, ... bewahren unsere Christliche Herde von allerlei falschen Lehren, der Freimaurerei, der Theosophie, dem Kommunismus und allen anderen Lehren, die der Lehre unserer Kirche widerig sind... Was unsere in Deutschland befindlichen Gemeinden anbetrifft, so werden hier in allen unseren Kirchen Gebete über die Regierung dieses Landes und über das Deutsche Volk abgehalten. Im Jahre 1936 auf der Eparchalen Versammlung der Vertreter der Geistlichkeit und Laien von 14 Ländern wurde der Deutschen Reichs-Regierung der Dank für die unseren Gemeinden erzeugte wohlwollende Gönnerschaft und Schutz ausgesagt...
Sollte schließlich die Deutsche Reichs-Regierung es wünschen, die russische orthodoxen Kirche zur Mitarbeit im Kampfe gegen die kommunistische gottesleugnerische Bewegung, wie auch andere Bewegungen, die gegen das Christentum arbeiten, heranzuziehen, ... so wird die Reichs-Regierung unsererseits vollen Einklang und Mitwirkung finden”5.
Diesen Brief schrieb Metropolit Evlogij im Zusammenhang mit der damals von der deutschen Justiz getroffenen Entscheidung über die Anerkennung der Deutschen Diözese der Russischen Auslandskirche als der einzigen juristischen Person und Besitzerin des gesamten vorrevolutionären Vermögens der Russischen Kirche auf dem Territorium Deutschlands. Aber wie man dem Brieftext des Metr. Evlogij entnehmen kann, war diese Entscheidung der Deutschen kein Ausdruck von Begünstigung der Gemeinden der Auslandskirche. Die deutsche Regierung war lediglich bestrebt, die Verwaltung aller Religionen zu “zentralisieren” und ging von folgendem aus: Die UdSSR hatte auf das im Ausland befindliche kirchliche Vermögen verzichtet (1935) und der “Pariser” Metropolit Evlogij, der sich von der Russischen Auslandskirche abgespalten hatte, wurde zu einer nicht-russischen Jurisdiktion und verlor das Recht auf diesen Besitz (nach dem Krieg wurde diese Entscheidung von den Gerichten der BRD überprüft, als gültig anerkannt und in Kraft belassen)6.
Daher ist es nicht gerecht, die Auslandskirche für den von der Gestapo auf die “Evlogischen” Gemeinden ausgeübten Druck verantwortlich zu machen. Die Auslandskirche verzichtete nicht nur darauf, die deutsche Staatsmacht zu benützen, um sich diese Gemeinden untertan zu machen, sondern sie tat alles in dieser Situation nur Möglichliche, um die Folgen des Hitlerischen Diktats zu mildern, und kam dabei Metropolit Evlogij beträchtlich entgegen. Zwischen dem Berliner Erzbischof Serafim und dem Prager Bischof Sergij (Vikar der Metropolie von Evlogij) wurde eine schriftliche Vereinbarung (21. Oktober/3. November 1939) darüber getroffen, daß den “Pariser” Gemeinden “ihre Selbständigkeit und ihr innerkirchliches Leben erhalten bleibt”, sowie “ihre Unterstellung unter den Bischof Sergius” und “jurisdiktionelle Beziehung... zu Metropolit Evlogij”; sie fallen nur rein juristisch gesehen und dem deutschen Gesetz entsprechend in den Bereich der deutschen Diözese des Erzbischofs Serafim, welcher daher Zugang zu ihrer Dokumentation und das Recht besitzen muß, im Notfalle die einen oder anderen Disziplinarmaßnahmen vorzuschlagen, insofern er vor dem deutschen Ministerium für kirchliche Angelegenheiten Verantwortung für diese Gemeinden trägt7.
In jenen Jahren waren die Beziehungen zwischen der Auslandskirche und der hitlerischen Staatsmacht ziemlich gespannt. Nach dem Zeugnis von K. Kromiadi, “taufte der Erzbischof von Berlin und Deutschland Tichon die an ihn herantretenden russischen Juden und stellte ihnen Taufscheine aus”, um sie zu schützen. “Leider half ihnen das nicht, und die Gestapo forderte vom Synod, daß Tichon aus Deutschland entfernt werde. Als Ergebnis wurde Erzbischof Tichon nach Sremski Karlovzy abberufen, während seine engsten Mitarbeiter Repressionen unterworfen wurden... V. Leva¡sov wurde ins Gefängnis gesperrt, Graf A. Voronzov-Da¡skov gewarnt, daß er des Landes verwiesen werde, falls er sich nicht beruhigt, und K.K., dem Vertreter der deutschen Diözese auf dem Auslandskonzil in Sremski Karlovzy, nahm die Gestapo die Dokumente ab mit dem Verbot das Land zu verlassen und der Drohung von Verhaftung”8, schreibt K. Kromiadi (wobei er sich selber mit Initialen nennt; anderen Zeugnissen zufolge hatten die Deutschen jedoch keine solche Forderung an den Synod gestellt, und Erzbischof Tichon wurde aus anderen Gründen aus Deutschland abberufen).
Der Nachfolger von Erzbischof Tichon als Bischof von Berlin und Deutschland (später Metropolit) wurde Serafim (Lade), ein gebürtiger Deutscher, der sich jedoch weigerte, aus der Subordination unter Metropolit Anastasij auszuscheiden (wie dies die Anhänger Hitlers wollten). Er hatte es auch nicht leicht im Umgang mit dem Ostministerium Rosenbergs, besonders während des Krieges, als die Hitlerleute versuchten, die Beziehungen der alten Emigration mit den “Ostarbeitern” und Gefangenen zu unterbinden, um das Entstehen eines national-politischen, von den Deutschen unabhängigen russischen Machfaktors zu vermeiden, welchen die Emigranten und ehemaligen sowjetischen Militärs herzustellen bestrebt waren.
Nur mit größter Mühe gelang es dem Metropoliten Serafim, für 15 Reisepriester die Erlaubnis zur Betreuung der Lager zu erhalten. Wie Metropolit Serafim bemerkte, wurde dies durch den Umstand begünstigt, daß man in “Regierungskreisen die Orthodoxie als ein ausländisches Glaubensbekenntnis betrachtete und, um die bulgarischen und rumänischen Verbündeten nicht zu beleidigen, ging man mit uns vorsichtiger um. Der Vertreter des Kirchenministeriums sagte uns oft: Euer Glück ist es, daß man eure Kirche für ein ausländisches Glaubensbekenntnis ansieht”9. Das ist auch ein Grund dafür, daß die Russische Auslandskirche damals nicht verboten wurde.
Aber nun kommen wir bereits zur Kriegszeit, für deren Verständnis man erneut eine kurze Beschreibung des historischen Hintergrundes vornehmen muß: Warum ein nicht geringer Teil der Emigration trotz der Reibungen mit dem Hitlerregime seine Hoffnungen um die Befreiung Rußlands auf Deutschland setzte.
In den Jahren des zweiten Weltkrieges waren die Beziehungen der Russischen Auslandskirche zu dem Hitlerregime ebenso gespannt, wie bei dem größten Teil der russischen nationalen Emigration. Das war nicht erstaunlich, wenn man bedenkt, daß die Hitler-Ideologie Slawen als “Untermenschen” betrachtete. Daher gab es in den Jahren jenes Krieges in der russischen Emigration keine echten “Defätisten” (zu vergleichen etwa mit der Position des Defätisten und Internationalisten Lenin im Ersten Weltkrieg). Die entstandene neue Form von “Defätismus” war nur die Wahl des geringeren Übels in der damaligen Situation und nährte sich am Patriotismus; nur war er aktiver darin, sich die nun entstandene Situation zur Befreiung der Heimat von dem antinationalen kommunistischen Regime zunutze zu machen. Das Hitlerregime zeigte zu Beginn des Krieges noch nicht sein wahres Gesicht, die deutsche Gesellschaft war heterogen, die Deutschen führten interessante soziale Reformen durch, verteilten antikommunistische Versprechungen – all das nährte die Hoffnung auf eben jenen “Kreuzzug” Europas gegen den Kommunismus, zu dem I. Bunin 1924 in der berühmten Rede über die russische Emigration aufgerufen hatte und zu dem sich die Russische Allgemeine Militär-Union (ROVS) vorbereitete.
Solche Hoffnungen fand man auch in allen kirchlichen Jurisdiktionen, was sich im Augenblick des Überfalls Deutschlands auf die Sowjetunion zeigte. Die Gegner der Auslandskirche verweisen in diesem Zusammenhang gewöhnlich nur auf die Erklärung des sich in Paris aufhaltenden Metropoliten Serafim (Lukjanov, der nach dem Kriege Bischof des Moskauer Patriarchats wurde): “Es möge der Allmächtige den großen Führer des Deutschen Volkes, der das Schwert gegen die Feinde Gottes erhob, segnen.... Es mögen vom Antlitz der Erde der Freimaurerstern, Sichel und Hammer verschwinden”10. Auch der damals zur “eulogianischen” Jurisdiktion gehörende Archimandrit Ioann @Sachovskoj (der spätere Erzbischof von San Francisco der Amerikanischen Kirche) hieß den Kriegsbegnn gegen die UdSSR willkommen: “Die blutige Operation des Sturzes der Dritten Internationationale wird einem geschickten, in seiner Kunst erfahrenen deutschen Chirurgen anvertraut”11. Metropolit Evlogij selber bot dem Hitler-Deutschland seine Dienste im antikommunistischen Kampf an, wie aus seinem oben zitierten Brief an den Reichsminister ersichtlich ist...
Die antirussischen Stellen in “Mein Kampf”, vor denen General Denikin (der Gegner der Union mit Deutschland) gewarnt hatte, wurden von den meisten nicht ernst genommen: Dieses Buch wurde 1924/25 von dem damals noch wenig bekannten “Abenteurer” geschrieben, und man hoffte, daß der Autor im Amt des Regierungschefs klüger würde. Andererseits gab es genug dieser Russophobie in den 1939-1940 Jahren (nach dem Abschluß des Molotov-Ribbentrop-Paktes) auch von seiten der Demokratien. Derselbe Denikin schrieb: “Ein Teil der französischen Presse, die zu recht die Bolschewiken schmäht, wirft in beleidigender Weise das alte Rußland und das russische Volk mit ihnen in einen Topf”12. Darüber schrieb auch das Nachrichtenorgan der Exil-Armee “@Casovoi”: “In Bezug auf den deutsch-russischen Militärpakt bringt es ein Teil der Presse fertig, Rußland zu kränken..., indem sie es mit den Bolschewiken gleichsetzt”. “Dieselben, die sich zur Zeit der berüchtigten Verhandlungen mit den Bolschewiken vor Lob fast überstürzten, die über die ‘Demokratisierung’ und ‘hohe Kultur’ der sowjetischen Regierung jubelten, reden heute von russischen ‘asiatischen Horden’”13. Darüber hinaus vergaß die Emigration nie den Verrat der Entente an ihrem Bündnispartner Rußland und seinen Weißen Armeen; in den Kriegsjahren kam dazu das Bündnis der Demokratien mit Stalin...
Die Hauptsache aber: Nach dem Überfall der Deutschen auf die UdSSR ging es bereits nicht mehr darum, wer “besser” ist, die Nazis oder die Demokraten, sondern darum, ob man sich in die Ereignissen auf russischem Boden einmischen und versuchen solle, sie sich zunutze zu machen, um seinem Volk zu helfen, oder ob man sich aus diesen Ereignisse heraushalten solle. Daher hielten viele “rechte” Emigranten Deutschland für das geringere Übel, nicht so sehr, weil sie an den von Hitler erklärten “Kreuzzug” glaubten, sondern weil sie hofften, selber den Krieg mit Hilfe der Unterstüztung des russischen Volkes in solch einen Kreuzzug zu verwandeln. Daher war auch die Teilnahme der Russen am antihitlerischen “Widerstand” auf dem Territorium Deutschlands - vom moralischen Standpunkt aus heldenhaft und gerechtfertigt - vom politischen Standpunkt aus eher eine Ausnahme (für die Beteiligung an der antihitlerischen Gruppe “Weiße Rose” wurde ein Mitglied der Münchener Gemeinde der Auslandskirche A. Schmorell hingerichtet14).
Gründe, daß man auf solch einen Ausgang der Ereignisse in Rußland hoffte, gab es viele: In den ersten Kriegsmonaten waren die sowjetischen Soldaten nicht sehr erpicht darauf, für das Stalin-Regime zu sterben (fast 4 Millionen ergaben sich in Gefangenschaft), während das Volk, das die Deutschen aus dem letzten Krieg in Erinnerung hatte, die “Befreier” mit Salz und Brot (d.h. mit offenen Armen) begrüßte. Nach zwei Jahrzehnten des Terrors war die Stimmung in der Sowjetunion derart, daß, wenn auf den von Deutschen besetzten Gebieten eine unabhängige Russische Regierung gegründet und eine Befreiungsarmee aufgestellt worden wären, es keiner Kämpfe mit den sowjetischen Truppen bedurft hätte – allein die moralische Wirkung hätte genügt.
Daher entwickelte sich nicht nur in der Emigration, sondern auch bei vielen sowjetischen Heerführern die Idee eines bewaffneten Kampfes um die Befreiung Rußlands von dem Stalin-Regime, und viele waren überzeugt, daß sie vom Volk unterstützt werden. Der wissenschaftliche Direktor des jetzigen deutschen Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, I. Hoffmann, beweist auf Grundlage von Dokumenten, daß bereits 1941 die in Gefangenschaft geratenen sowjetischen Divisions-, Korps- und Armee-Kommandeure eine solche Meinung zum Ausdruck brachten: die Generäle F.A. Er¡sakov, S. Ogurcov, Snegov, P. Abranidze, Bessonov, Kirpi¡cnikov, L.E. Zakutny, F.I. Truchin, I.A. Blagove¡s¡censkij, Jegorov, Kulikov, Tka¡cenko, Zybin, Ch.H. Alaverdov, M.I. Potapov, M.F. Lukin.1942-43 drückten neben A.A. Vlasov, G.N. @Zilenkov, V.F. Maly¡skin, eine derartige Bereitschaft auch die Generäle M.M. @Sapovalov, I.P. Krupennikov, Ju. A. Muzy¡cenko, P.G. Ponedelin, die Obersten V.I. Bojarskij, K.L. Sorokin u.a. aus15.
Sie alle hielten den Kampf als eine revolutionäre Befreiungskampagne für möglich und stellten die Gründung einer unabhängigen russischen Regierung mit dem Status eines Verbündeten Deutschlands zur Bedingung. Diese Idee fand in deutschen Militärkreisen ein positives Echo. Man darf nicht vergessen, daß die deutsche Gesellschaft im Unterschied zu der sowjetischen noch nicht völlig totalitär geworden war; zwischen den Militärinstanzen und der Nazi-Partei gab es zu jener Zeit ernste Meinungsverschiedenheiten. Die antislawische Rassenpolitik Hitlers hielten viele Vertreter der obersten Militärschicht für unheilvoll für Deutschland – W. von Brauchitsch, F. von Bock, Wagner, Dersdorf, R. Gehlen, W. Canaris, G. Lindemann, Graf von Schenkendorf, G. von Küchler, von Tresko, von Renne, W. von Freitag-Loringhofen, C. Graf von Stauffenberg, u.a. – weswegen viele von ihnen von Hitler von ihren Stellen entlassen wurden. In aristokratischen Kreisen erhielt sich die Sympathie für Rußland im Geiste der alten bismarckschen Politik; dazu trug auch das 1938 in der Schweiz erschienene Buch des deutschen, mit einer russischen Emigrantin verheirateten Philosophen W. Schubart “Europa und die Seele des Ostens” bei. Für die traditionell konservativen deutschen Christen war Hitler beinahe ein Heide... Die oppositionelleren Kreise, denen sich auch Diplomaten anschlossen (der ehemalige Gesandte in Moskau W. Graf von der Schulenburg), Bankiere und Unternehmer (in Deutschland war die Privatinitiative nicht verboten), welche die Hoffnung verloren hatten, auf den Führer Einfluß zu nehmen, verübten am 20. Juli 1944 ein Attentat auf ihn (das scheiterte; Hunderte von Menschen wurden hingerichtet). Sie wollten den Krieg an der Westfront abbrechen und hofften zusammen mit den Anglo-Amerikanern alle Kräfte gegen Stalin zu vereinigen...
Genau mit solchen Deutschen suchten sowohl die Emigranten als auch General A.A. Vlasov die Zusammenarbeit, in der Meinung, es sei besser einen gewissen Kompromis zu schließen, und ein von den Kommunisten befreites Rußland werde sich gewiß nicht von Fremden versklaven lassen. Aber Hitler, ebenso wie seine nächste Parteiumgebung (Rosenberg), wiesen den Vorschlag über das Bündnis mit den Russen zurück. Zwar wurden in den deutschen Truppen kleine freiwillige russische Einheiten von insgesamt einer Million Soldaten zugelassen, doch nannte man sie nur rein propagandistisch “Russische Befreiungsarme (ROA), denn sie unterstand dem deutschen Kommando. Das Ziel Hitlers war ja, die slawischen “Untermenschen” zu Sklaven zu machen, und Rußland in eine Kolonie zu verwandeln. Die Willkür, mit der man die Bevölkerung der besetzten Gebiete behandelte, und der unmenschliche Umgang mit den Kriegsgefangenen konnten nicht verborgen werden. Eben dadurch gab Hitler dem Krieg – aus der Sicht der sowjetischen Seite – den Charakter eines Vaterländischen Krieges, und auf Seiten der Verteidiger des Stalinschen Regimes zeigte sich auch eine wichtige Wahrheit heraus: Sie verteidigten ihr Heimatland. Ihr Heldentum und ihre Opfer werden für immer in der russischen (und nicht nur der sowjetischen) Geschichte verzeichnet bleiben.
Eben darauf setzte Stalin, der zur ideologischen Verteidigung der Heimat die am Leben gebliebenen Bischöfe heranzog und 1943 sogar das Patriarchat wiederherstellte. Kann man aber die Emigranten-Bischöfe deshalb der “Hitler-Dienste” beschuldigen, weil sie solch eine Prozedur der Ernennung des Patriarchen nicht als kanonisch anerkannten?... Deshalb, weil sie nicht an den Patriotismus der kommunistischen Macht, die noch vor kurzem in satanischer Weise die Russische Kirche verfolgt hatte, glaubten?
Die Auslandskirche hatte keinen Zugang zu den Landsleuten in der Heimat. Dennoch konnte sie die Millionen von Russen, die sich auf der anderen Seite der Frontlinie befanden, nicht der Willkür des Schicksals überlassen. Sie konnte ihren Hoffnungen und Anstrengungen, ihrer Wahl des geringeren Übels gegenüber nicht gleichgültig bleiben.
Vor allem versuchte sie, die sowjetischen Gefangenen zu retten, von denen sich Stalin als von “Verrätern der Heimat” logesagt hatte. Die UdSSR weigerte sich, die internationale Konvention über die humane Behandlung der Kriegsgefangenen zu unterschreiben und überließ es Hitler, sie auf einer legalen Basis verhungern zu lassen. Zu der Zeit, als die Gefangenen der westlichen Armeen sich in erträglichen Bedingungen, unter der Obhut des Internationalen Roten Kreuzes befanden, starben die russischen Kriegsgefangenen den Hungertod. Gegen Sommer 1942 waren ihrer etwa zwei Millionen umgekommen; erst danach, dank der Proteste von Admiral Canaris, Feldmarschall von Bock und anderer Heerführer begann man, die russischen Gefangenen besser zu ernähren und sie als Arbeiter einzusetzen.
Zur Hilfe für die Gefangenen ließen sich Emigranten von Kriegsbeginn an in den entsprechenden deutschen Institutionen einstellen. K. Kromiadi, der in einer der Verteilungskommissionen arbeitete, beschreibt, wie diese Angelegenheit “die ganze russische Emigration auf die Beine brachte. Das Problem der Hilfe für die Kriegsgefangenen wurde in Emigrantenkreisen die allerbrennendste Frage; Priester riefen von der Kanzel aus ihre Herde zur Hilfe für die Brüder, die in der Versklavung zugrunde gehen, auf, und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens schufen Komitees zur Sammlung von Spenden; dieses Werk wurde bis zum Kriegsende fortgesetzt... Um die Lager der Kriegsgefangenen befanden sich Männer und Frauen tagelang, um einen Moment abzupassen, in dem sie den Gefangenen das Mitgebrachte zustecken konnten”16.
Auf die besetzten sowjetischen Gebieten war den Emigranten der Zugang verboten, denn “sie machen mit der Bevölkerung gemeinsame Sache im antideutschen Interesse” (so hieß es in dem entsprechenden Zirkular). Doch dem Wiederaufleben des religiösen Lebens dort widersetzten sich die Deutschen nicht. Rosenberg war der Ansicht, daß das Christentum die Slawen unterwürfiger mache, aber dabei stachelte er antirussische separatistische Gefühle auf und setzte auf die künstliche Schaffung von unabhängigen Belorussischen und Ukrainischen Kirchen (übrigens mit geringem Erfolg; die meisten dieser belorussischen und ukrainischen autonomen Bischöfe schlossen sich, nachdem sie emigriert waren, der Russischen Auslandskirche an). Und obwohl die Deutschen der Russischen Auslandskirche verboten, ihrem Volk auf den besetzten Territorien zu helfen, versuchte sie, soweit möglich, dies illegal zu tun – vor allem durch religiöse Literatur und Antimensien für Tausende von eröffneten Kirchen und zahlreichen Klöstern. Das in der Slowakei ansässige Kloster des hl. Hiob von Po¡caev druckte Evangelien in beträchtlichen Auflagen (100.000 Stück), Gebetsbücher (60.000) und andere Literatur für die illegale Verschickung nach Rußland (u.a. auch durch slovakische Soldaten)17.
In dieser Hinsicht hatte der orthodoxe Emigrantenklerus aus Polen und den Baltischen Staaten, der bis zum Krieg der Auslandskirche nicht angehörte, weit bessere Chancen für eine “Zusammenarbeit mit Hitler”, d.h. für die Hilfe seinem Volke. Um das religiöse Leben auf den Okkupationsterritorien wiederherzustellen, machte sich als einer der ersten Archimandrit Filofej (Narko) aus Warschau dorthin auf, der Bischof von Mogilev wurde; gegen Ende der Besatzung stand er der Kirche von Belorußland vor (später in der Emigration wurde er Erzbischof von Berlin und Deutschland). Und auf Initiative des Metropoliten von Wilna und Litauen Sergij (Voskresenskij) kam in die Gegend von Pskov eine ganze Mission von 15 Priestern – dieses Gebiet unterschied sich günstig von den anderen, denn den ganzen Krieg über stand es nicht unter der Nachtruppverwaltung, sondern unter dem Frontkommando, das sich nicht mit der Durchführung der Rosenbergschen Richtlinien in Bevölkerungssachen abgab. (Möglicherweise wurde Metropolit Sergij gerade wegen dieser Aktivitäten im April 1944 ermordet – man weiß nicht, ob von Hitlerleuten oder sowjetischen Agenten in deutscher Uniform).
Fortsetzung folgt

1 Siehe: Nazarov M. Missija russkoj Emigracii. Moskva. 1994. Bd. I, Kap. 10.
2 Dejanija Vtorogo Vsezarube¡znogo Sobora Russkoj Pravoslavnoj Cerkvi. Belgrad. 1939, S. 18-19, 160-169, 252-253.
3 Siehe: Nazarov M. Kru¡senie kumirov: Demokratija i Faschism // “Moskva”. 1994. No. 1.
4 Ot kanceljarii Archierejskogo Sinoda // Pravoslavnaja Rus'. Jordanville. 1947. No. 12, S. 1-3.
5 Eulogios, Metropolit. Seiner Exzellenz dem Reichs- und Preussischen Minister für kirchliche Angelegenheiten. Paris, den 4. Oktober 1937 (Brief No. 1266, in deutscher Sprache, 7 maschinengeschriebene Seiten, befindet sich im Archiv des Deutschen Außenministeriums. Eine Kopie davon wurde von V.N. Vischnevskij erhalten, der deutsche Text wird in der Orthographie des Originals wiedergegeben).
6 Seide G. Verantwortung in der Diaspora. München. 1989. S. 125.
7 Vereinbarung zwischen Erzbischof Seraphim, Berlin, und Bischof Sergius, Prag, zur Beseitigung des Schismas in der Russisch-Orthodoxen Auslandskirche // Kyrios. Königsberg. 1940/41. Heft 3/4. S. 304-305.
8 Kromiadi K. Za zemlju, za volju... San-Francisco. 1980. S. 23-24.
9 Rasporja¡zenija Vysokopreosvja¡s¡cennej¡sego Serafima mitropolita Berlinskogo i Germanskogo i Sredne-Evropejskogo mitropoli¡cjego okruga. München. 1946. Aug. S. 2,4.
10 Zit. nach: Dalin D., Dvinov B., Mel'gunov S. u.a. Rossija i emigracija. Pari¡z. 1947. S. 50.
11 Ioann (@Sachovskoj), Archim. Blizok ¡cas // Novoe Slovo. Berlin. 1941. 29. Juni.
12 Denikin A. Pis'ma 1939-1946 gg. // Grani. Frankfurt a.M. 1988. No. 149. S. 137.
13 Orechov V. Kommunizm umret! Rossija ve¡cna! // @Casovoj. 1939. No. 244, 5. Okt. S. 1.
14 Siehe: "Bote" der Deutschen Diözese. München. 1993. No. 1.
15 Hoffmann, J. Die Geschichte der Vlasov Armee. Freiburg. 1984. Zit. nach russ. Ausgabe: Hoffmann, J. Istorija Vlasovskoj armii. Pari¡z. 1990. S. 117-119.
16 Kromiadi K. Za zemlju, za volju.... S. 46.
17 Pravoslavnaja Russkaja Zarube¡znaja Cerkov'. Montreal. (1960-er J.). S. 16-17.