Predigt am 2.10.2022
Liebe Brüder und Schwestern,
heute haben wir die Liturgie nach dem Fest der Kreuzerhöhung zelebriert, und unsere Kirche bietet uns zu diesem Anlass wieder über das Kreuz nachzusinnen. Beim Fest der Kreuzerhöhung haben wir dem historischen Triumph der Auffindung und darauffolgenden Verehrung des Kreuzes mehr Aufmerksamkeit geschenkt, heute aber müssen wir uns um seine praktische Anwendung bemühen.
Christus sprach an seine Zuhörer: “Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Das kling für uns, Menschen der Moderne nicht selbstverständlich, denn wir stellen uns Gott etwas anders vor. Wir wollen ja keine Probleme im Leben haben und solche Gedanken verstehen wir als einen Angriff auf unsere private Sphäre, in der nur wir die Gesetzgeber sind. Für uns ist der Glaube eher mit Empfang, aber keineswegs mit Opfer verbunden. Christus macht mit seiner Ansprache diesen ehrgeizigen Gedanken zunichte, indem er über die Selbstverleugnung und das Kreuztragen spricht.
Unter dem Kreuz des heutigen Evangeliums sind die mit unserem Leben einhergehenden Unannehmlichkeiten gemeint. Hierzu zahlen Einsamkeit, Krankheiten, Tod und Verluste, die man heutzutage sehr ungern über sich ergehen lässt. Und all diese Dinge müssen wir dem Text zufolge schultern. Das ist unser Kreuz. Was wollte der Herr damit sagen? Er wollte uns vermitteln, dass wir unser Kreuz nicht absetzen und dessen Schwere anderen nicht aufbürden. Und als sein Versprechen hinterließ er uns eins: „Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden.“ Das Schlüsselwort ist hier „das Ende“. Mit dem vernichtet Jesus jedesmal unsere sündenhaften Gedanken bezüglich des vorübergehenden Leidens, und zugleich ermutigt uns weiter nach unserer Erlösung zu streben. Ja, wir müssen leiden und dies bis ans Ende tragen. Dafür brauchen wir unser Kreuz nicht nur als eine Überlastung, sonder auch als einen Stützgriff, als ein Zeugnis des Sieges! Und wie Johannes Chrysostomos in seinem Kommentar auf Buch Hiob schrieb, habe Hiob seine Stärke im Kampf gegen den Teufel in seinem Leiden gefunden. So gewinnen auch wir diesen erbitterten Krieg gegen den Satan, indem wir geduldig unser Kreuz gen Himmel tragen.
Überdies lernen wir aus den heutigen seligen Worten Christi, dass jeder ein eigenes Kreuz hat. Das Evangelium will uns bezeugen, dass man sein Kreuz nicht mit anderen wechseln sowie das Kreuz der Anderen auf sich nehmen kann. Derselbe Chrysostomos schrieb in seinem Brief an Olympiade, dass die Kreuze der anderen Menschen immer schwieriger als unser seien. Man hört auch heute oft: Ich will wie der oder jener leben, ich möchte ein besseres Leben. Man bedenkt aber nie, dass dieses Kreuz für uns fast untragbar sein kann. Deswegen spricht der Herr: „nimm jeder SEIN Kreuz und folg mir bis ans Ende nach.“
Schließlich ist auch wichtig zu betonen, dass man infolge des geduldigen Kreuztragens Trost und Erleichterung in seinem Leiden finden kann. Hierzu ist ein aufklärendes Beispiel aus der Vita des Heiligen Athanasios, Abtes von Brest, anzuführen. Als er sich auf dem Weg nach Brest befand, traf er einen beinlosen Bettler, der ihn um Hilfe bat. Er wollte auch nach Brest, gab es aber niemanden, der ihn bis dahin tragen konnte. So nahm ihn Athanasios auf seine Schultern und trug in Richtung der Stadt. Nach einer Zeit wollte der Bettler abgesetzt werden, denn er merkte, dass das Joch für den betagten Athanasios kaum zu ertragen war. Dem zum Trotz erfüllte Athanasios seine Bitte und verspürte mit jedem Schritt zur Stadtgrenze, dass sein Reiter immer leichter wurde. Am Ende stellte er fest, dass keiner mehr auf seinen Schultern saß und hörte eine Stimme vom Himmel: „Du hast mich nicht im Stich gelassen, so lasse ich dich auch nicht.“ Das heißt, dass er Christus selbst auf seinen Schultern trug, und für dieses Tragen voller Geduld seinen gerechten Lohn erhielt.
Werden auch wir diesem Beispiel nachahmen und geduldig die Kreuze unserer Probleme tragen, denn Christus wartet auf uns am Ende unseres Weges, um uns diese abzunehmen und in sein Reich zu begleiten. Amen.