Predigt zum Pfingstfest am 04. 06. 2023
Liebe Brüder und Schwestern,
heute begehen wir das Pfingstfest, das man als ein für die gesamte Kirche existenzstiftendes Ereignis deuten kann. Bis zum Zeitpunkt des Kommens vom Heiligen Geist waren die Apostel nur eine kleine Gruppe, die nach der Himmelfahrt ihres Lehrers in vielerlei Hinsicht verunsichert war. Manche traten schlichtweg aus der kleinen Gemeinde aus, bei den anderen schien der Glaube an die verheißene Errettung Israels unwiederbringlich abhanden gekommen zu sein. Die dritte und zudem kleinere Gruppe bewahrte ihre Zuversicht, dass die Herabkunft des Parakleten neue Kraft fürs Handeln um des Evangeliums willen mit sich bringen wird.
Allein diese Uneinigkeit unter den Jüngern Christi zeugt davon, wie verletzlich und unvollkommen der Mensch ohne die heilbringende Gnade Gottes sein kann. Die erwähnten Unsicherheiten und den daraus entstehenden Unglauben können wir gut mit unserer Realität vergleichen, in dem Sinne, dass man heute ebenso wie damals vor dem Abgrund eigener Probleme stehen kann und nicht mehr weiß, womit man da anfangen soll. Der Geist versammelte aber die zerstreuten Schafe Christi in Jerusalem und verstreute jede Angst. Der quälende Zweifel war durch das Wirken der unvorstellbaren Kraft nichtig, mit der jeder der im Gemach anwesenden Jünger begabt wurde.
Wir kennen aus der Apostelgeschichte, dass die Apostel alsbald nach dem Kommen des Geistes ihre Worte in diversen Sprachen ausdrückten, in den Sprachen, die sie weder konnten noch von ihrer Existenz Ahnung hatten. Diese erlangte Gabe wurde sofort eingesetzt: Die Apostel besprachen nicht die Details des Geschehenen, sondern verkündeten ihrem internationalen Publikum das Evangelium, sodass es für Verwirrung in der Volksmenge sorgte. Hinzuzufügen ist, dass diese Verkündiger keine scharfsinnigen Theologen waren, die in einer Philosophenschule zu Athen oder sonst wo ausgebildet worden wären. Die meisten von ihnen waren einfache Fischer, die ihr Unwissen mit „lebendigem Wasser“ und dem „Licht des Lebens“ überwanden. Dies geschah durch das Licht, das Christus selbst ist und durch das lebendige Wasser, das von Christus als der Heiligen Geist ausgelegt wurde.
Vielsagend ist für uns auch die weitere Entwicklung der Kirchengeschichte, als diese unvergleichbare Kraft des Geistes unzählige Männer und Frauen in die Gestalten umwandelte, die mit ihrem Wirken das intellektuell und kulturell geprägte imperium christianum schufen. Allein der Überhang an den Schriften unserer Kirchenväter bestätigt die Tatsache, dass man solche Produktivität und theologische Prägnanz nicht allein der intellektuellen Fähigkeit des jeweiligen Theologen verdanken kann. Im Gegenteil sehen wir in diesem unentwegten Fortschreiten unserer Kirche die Abbildung des Pfingstereignisses. Diese Formierung der Kirche ist ein andauernder Prozess und er setzt sich jeden Tag dort fort, wo sich die christlichen Gemeinden durch den Zuwachs an neuen Gläubigen bereichern. An diesem ständigen Wachstum erkennen wir, dass der Geist heute weiterhin sein Werk vollbringt, wie es vor mehr als 2000 Jahren geschah.
Über diese Fakten hinaus gibt uns Pfingsten Erkenntnis darüber, wie wir unser Unwissen im Glauben und auch sonstige Probleme durch die Gnade des Geistes überwinden können. Zuerst sollen wir jede Gemeinde durch das Prisma des Pfingstfestes sehen, und zwar nicht als eine schlichte Versammlung, sondern als ein Bestandteil der allgemeinen Kirche, deren Existenz nur in der Eucharistie legitimiert wird. Das Brechen des Brotes zeichnete auch die erste christliche Gemeinde aus. Das heißt, sooft wir die Liturgie in dieser Gemeinde abhalten, werden wir Zeugen und zugleich Teilnehmer an Pfingsten. Wenn der Heilige Geist auf Brot und Wein herabgerufen wird sowie diese in den Leib und das Blut Christi umwandelt, ist das eine Abbildung der ersten apostolischen Gemeinde. Heute wie auch damals wird man nach dem Empfang der Heiligen Gaben erneuert, und aus dessen Schoße können Ströme „des lebendigen Wassers“ fließen. In diesen Worten wird von Christus eine wichtige Aufgabe für jeden Christen formuliert, nämlich dass jeder von uns vermöge des Geistes zum Mittler des Lichtes werden soll. Wie wäre es heute möglich? Zum einen tut uns das Pfingstereignis kund, dass unser Dasein als das der Kirche nur dann besteht, wenn wir im Gebet und im Essen und Trinken aus dem einen Kelch vereint sind. Zum anderen ist es nötig, dass mehr Menschen ihren Weg gen Himmel allein durch Christus finden, und ihn nicht außerhalb der Kirche zu bahnen verstehen. Deshalb wünsche ich uns heute, dass die Kraft des Geistes, dieses unveränderbare Licht, das wir in der Liturgie erlangen, durch uns allen anderen Menschen leuchten und sie zu Christus geleiten möge! Amen.