Neomärtyrer und Bekenner Rußlands Erzpriester Ioann Vostorgov
Der Synodal-Missionar und Prediger, Mitglied der Missions- und Schulkommission beim Hl. Synod, Inspektor der kirchlichen Gemeindeschulen der Transuralischen Diözesen,Vater Erzpriester Ioann Vostorgov, wurde am 20. Januar 1864 in der Familie des Priesters des Dorfes Kirlil'skij in der Diözese Stavropol' geboren. Sein Vater stammte aus der Stadt Kralivny i, Gouvernement Tula. Hierher zog er aus Tula um. An seinen Vater, den er sehr früh verlor, erinnerte sich Erzpriester Ioann mit großer Liebe. Nach seinen Worten war es ein zu gütiger Mensch. Immer sanftmütig, schweigsam, war er bei seinen Gemeindegliedern beliebt, die die Familie des früh verstorbenen Geistlichen nicht an Armut leiden ließen. Sie überredeten die Priesterwitwe als Prosphorenbäckerin in der Gemeinde zu bleiben und halfen ihr, ihre drei Kinder großzuziehen. Die beiden Jungen absolvierten das Priesterseminar, und das Mädchen das Institut.
Nach Beendigung des Geistlichen Seminars in Stavropol' (im Kaukasus) strebte Ioann Vostorgov die Fortsetzung seines Bildungsweges an, doch das Leben verlangte seinen Zoll. Die greise Mutter bestand darauf, daß er Priester würde und möglichst schnell eine Pfarrstelle annähme, um die kleineren Geschwister zu unterstützen.
Doch dies ging nicht so schnell. Der Bischof wollte den 19-jährigen Jüngling nicht sofort zum Priester weihen und bot ihm deshalb eine Stelle als Psalmist an, bis er das volle Mannesalter erreichte.
Doch diese Stelle lag der Familie Vostorgov nicht, und Ioann fand eine Stelle als Russischlehrer für die jüngeren Klassen am Stavropoler Mädchengymnasium. Die Schwester wurde auf Staatskosten in das Institut aufgenommen, und der jüngere Bruder nahm eine Stelle als Psalmist in seinem Heimatdorf an und lebte bei der Mutter. Dies gab Ioann die Möglichkeit, seinen lange gehegten Traum zu verwirklichen; er bereitete sich auf das Examen zum Lehrer der russischen Sprache vor und erhielt dieses Amt beim Kreis. Doch er sollte nicht als Lehrer tätig werden. Der Bruder verstarb bald nach einem Unfall, und die Mutter forderte, daß Ioann das Lehren aufgab und Priester würde und auf Bitten der Gläubigen die Gemeinde des Vaters übernähme.
Der Wille der Mutter ging in Erfüllung. Am 20. Juli 1887, am Tag des Hl, Propheten Elias, wurde Vater Ioann zum Priester geweiht.
Doch der junge Priester blieb nicht lange in seinem Heimatdorf, denn schon bald wurde er von der Diözesanverwaltung als Religionslehrer an das Mädchengymnasium in Stavropol' empfohlen, darauf an das Mädchengymnasium in Tiflis versetzt und zum Diözesanmissionar des grusinischen Exarchates bestimmt.
Vater Ioann Vostorgov begnügte sich nicht mit seiner Tätigkeit und erlernte die Sprache der persischen syrochaldäischen Nestorianer, reiste nach Persien und begann die Arbeit an der Vereinigung der Syro-Chaldäer mit der Orthodoxie.
Einige Jahre arbeitete er hartnäckig, und schließlich äußern drei Bischöfe den Wunsch, in die Kirche aufgenommen zu werden: Mar-Ilija, Mar-Ioann und Mar-Marian werden orthodox. So wurde der Beginn der Mission unter den Syro-Chaldäern gelegt.
Der Exarch Grusiniens, Metropolit Vladimir, wurde auf den Bischofssitz des Metropoliten von Moskau versetzt und lud Vater Ioann zu sich nach Moskau als Diözesan-Missionar ein, doch der Hl. Synod ernannte ihn zum Synodal-Missionar und Prediger. In diesem Amt verblieb er bis zu seinem Märtyrertod.
Im vorrevolutionären Rußland verkörperte der Erzpriester Ioann Vostorgov den Typ des Priesters der vorpetrinischen Epoche, d.h. jener Zeit, als sowohl die Bischöfe als auch die Priester sich nicht auf den Gottesdienst beschänkten, sondern durch ihren begnadeten Einfluß alle Bereiche des Lebens der Familie, der Gesellschaft und des Staates umfaßten. Besonders tat er sich während der Revolution des Jahres 1905 hervor. In seiner Tätigkeit vollkommen gestützt von seinem kanonischen Oberhaupt, dem Moskauer Metropoliten Vladimir, nahm Erzpriester Ioann Vostorgov regen Anteil an den monarchistischen Vereinigungen. Deshalb war sein Name in linken Kreisen verhaßt, und gegen ihn wurde ständig das beliebte Mittel der Linken angewandt - die Verleumdung.
Einen ungeheuren Eindruck hinterlassen die Predigten von Vater Ioann zur Widerlegung der Ideen von Sektanten und Sozialisten.
Durch seine Aufrufe zur Befolgung der Lehre Christi und des gesunden Menschenverstandes gewann Vater Ioann Feinde unter allen Sektanten, Spaltern und Sozialisten aller Schattierungen und Ränge. Mit übelsten Schimpfnamen wurde dieser hervorragende Mensch mit seinem ungewöhnlichen Verstand, außerordentlichem Talent eines Predigers, Schriftstellers und Voraussehers der Zunkunft aus diesen Lagern belegt. Doch damit konnte man einen solchen furchtlosen Verfechter seiner Ideen wie Vater Ioann nicht besiegen. Er beschritt unablässig den geraden Weg. Überall erweckte sein Wort Seelen, führte es zur Klärung patriotischer Gefühle. Zum Pfingstfest 1911 sprach er in Irkutst, am gleichen Feiertag 1912 in Petropavlovsk auf Kamtschatka. Im Juli 1912 predigt er in Tobol'sk aus Anlaß des Eintreffens der wundertätigen Gottesmutterikone von Albazinsk, im Juli 1913 in Omsk. Die Regierung stellte die Kirche vor die schwierige Aufgabe der Betreuung der Umsiedler nach Sibirien und des Aufbaus des kirchlichen Lebens an den neuen Wohnorten. Es reichte nicht an Priestern. Im Laufe eines Jahres mußten soviele da sein wie benötigt wurden. Im Auftrag des Synods nahm sich Erzpriester Ioann Vostorgov dieser Aufgabe an.
Dieser Mensch außergewöhnlichen Verstandes und riesiger Energie bewältigte diese schwierige Aufgabe ausgezeichnet, indem er als Priesteramtskandidaten fähige Psalmisten und Dorfschullehrer aussuchte und in speziellen Seminarkursen ausbildete. Besonders beeindruckend waren die Erfolge bei der Ausbildung der Seminaristen in der Homiletik. Innerhalb eines Jahres wurden die Schüler nach seiner Methode der Kunst der Predigt vollständig mächtig. Die gemeinsam von seinen Schülern ausgearbeiteten Predigten wurden gedruckt und in den Kirchen verteilt.
Unermüdlich bereiste Vater Ioann die Städte und Dörfer des so weiten Rußlands. Überall Diskussionen, Predigten, Aufrufe. Während seines Aufenthaltes in Harbin 1910 gründete er die Bruderschaft zur Auferstehung Christi an der Hl.-Nikolaus-Kathedrale mit der Verpflichtung, sich um die Erhaltung der Gräber der in der Mandschurei gefallenen russischen Soldaten zu kümmern.
1911 gelang es ihm nach langjährigen Bemühungen der Palästina-Gesellschaft den Ankauf eines Grundstückes in Bari, dem Ort, an dem die Reliquien des Hl. Nikolaus von Myra in Lykien ruhen, zu verwirklichen und dort einen Klosterhof für russische Pilger zu gründen. Die Einrichtung eines Theologischen Instituts für Frauen im Jahre 1913 in Moskau ist das Werk seiner Initiative und Ausdauer.
Die Revolution, die Abdankung des Zaren waren schreckliche Schläge für Vater Ioann. Als Vorsteher der Maria-Schutz-Kirche, die unter dem Namen der Kirche des Hl. Basilius des Seligen (auf dem Roten Platz, Anm. d. Red.) bekannter ist, hatte er zu die-sem Zeitpunkt zum Mittelpunkt gesunder kirchlich-politischer Kräfte gemacht. Ganz Moskau wußte, daß man beim Besuch dieser Kirche geistliche Kraft schöpfte, da man hier Worte der Wahrheit vernahm. In deutlicher, unerschrockener, klarer Sprache nahm Vater Ioann zu den schrecklichen Gegenwartsfragen Stellung. Er klagte an, aber tröstete auch durch Aufrufe zum Glauben und Bekennen; er lehrte, wie man in solchen Zeiten leben mußte. Und man fühlte beim Verlassen der Kirche, wahrhaft "im Namen des Herrn", wie die Seele erneuert und gestärkt wur-de, und wie man nun zum weiteren Kampf mit dem gegen das Russische Reich aufziehenden Bösen vorbereitet war. Im Sommer 1917 gelang es Vater Ioann sogar, eine Wochenzeitung herauszugeben.
Die Machtergreifung durch die Bolschewisten schwächte seine gegen die Revolution gerichtete Tätigkeit nicht. Unveränderlich hielt er anklagende Predigten, obwohl er bestens wußte, daß sich in der überfüllten Kirche auch Tschekisten befinden. Sonntags hielt er jeweils um vier Uhr Bittgottesdienste auf dem Roten Platz, wieder sprach er vernichtende Worte über die Bolschewiken, was die an der Kreml'-Mauer laufenden Sicherheitsleute immer hörten. Er war sich völlig dessen bewußt, daß ihn der Märtyrertod erwartet.
Im Sommer 1918 wurde Erzpriester Ioann Vostorgov verhaftet. Damals fürchteten die Bolschewisten noch, jemanden, der solchen Einfluß beim Volk besaß, nur wegen seiner Predigten umzubringen, und suchten andere konterrevolutionäre Betätigungen. Einem sowjetischen Provokateur gelang es, von Vater Ioann das Einverständnis zum Verkauf des Moskauer Diözesanhauses zu erlangen, ob-wohl dieses bereits sozialisiert war. Vergeblich sammelten die ihn heiß liebenden Gläubigen zwanzigtausend Rubel zur Bezahlung eines Rechtsanwaltes, und Vater Ioann machte aus dem Gefängnis heraus vergeblich ausführliche schriftliche Angaben mit Beweisen über die polizeiliche Provokation. Zunächst saß er in der Lubjanka, dann wurde er in das Gefängnis an der Taganka verlegt. Die Gemeindemitglieder versorgten ihn ständig mit Lebensmitteln, obwohl es ihnen damals selbst an allem kargte. Ihm wurde erlaubt, in der Gefängniskirche zu zelebrieren, und viele gingen dorthin, um zu beten. Unmittelbar vor der Erschießung wurde er wieder in die Lubjanka gebracht, in das Hauptgebäude der Tscheka. Er war sich vollkommen dessen bewußt, daß der Tod nahe bevorstand.
Er nahm seinen Leidensgenossen die Beichte ab und bereitete sie auf das Erschießen vor. Der Tod ist die Prüfung unseres Glaubens, und der Tod des Erzpriesters Ioann Vostorgov zeugt von seinem mannhaften Bekennertum und der Festigkeit seines glaubenden Vertrauens, dem er sein ganzes Leben gedient hatte. Er starb den tapferen Tod eines christlichen Märtyrers.
Hier ist der Bericht über die Erschießung der russischen Minister, mit denen auch Vater Ioann Vostorgov erschossen wurde. "...Etwa vor einem halben Jahr traf ich eine Person, die das ganze Jahr 1918 im Moskauer Butyrka-Gefängnis gesessen hatte. Eine der schwersten Aufgaben für die Gefangenen war das Begraben der Erschossenen und das Ausgraben tiefer Gräben für die Beerdigung der Opfer der nächsten Erschießung. Diese Arbeit wurde Tag um Tag gemacht. Die Gefangenen wurden auf einem Lastwagen unter Aufsicht einer bewaffneten Wache auf ein Feld gefahren, manchmal auch auf den Friedhof von Vagan'ka. Der Aufseher maß einen breiten Graben von der Größe eines Menschen ab, dessen Länge von der Zahl der zu erwartenden Opfer bestimmt wurde. Man hob Gräber für etwa 20-30 Menschen aus, öffnete Gräben auch für Dutzende mehr. Die unfreiwilligen Arbeiter mußten die Erschossenen sehen, da diese oft bei ihrer Ankunft bereits von den Händen der Schlächter mit "Erde überdeckt" waren. Die Gefangenen brauchten dann nur die Gräben mit Erde auszufüllen und eine Umrandung aus Erde entlang des Grabens zu machen, der die neuen Opfer der Tscheka verschlungen hatte.
Mein Gesprächspartner hatte diesen Friedhofsdienst einige Monate lang durchgemacht. Mit ihren Bewachern waren die Gefangenen soweit zusammengewachsen, daß diese mit ihnen ihre Eindrücke über die vorgenommenen Unternehmen teilten. Einmal verkündeten die Bewacher nach Beendigung der Arbeiten an einem neuen Massengrab, daß am folgenden Morgen (23. August 1918) eine "wichtige Erschießung" von Pfaffen und Ministern bevorstehe. Am nächsten Tag wurde die Sache klar. Erschossen wurden: Bischof Efrem, Erzpriester Ioann Vostorgov, der katholische Priester Ljutostanskij mit seinem Bruder und der ehemalige Innenminister N.A. Maklakov, der Vorsitzende des Staatsrats I.G. Íçeglovitov, der ehem. Innenminis-ter A. N. Chvostov und der Senator S. P. Beleckij. Als sie ankamen, wurden sie an dem Grab entlang und mit dem Gesicht zu ihm aufgestellt... Auf Bitten von Vater Ioann Vostorgov gestatteten die Schlächter allen Verurteilten, zu beten und sich voneinander zu verabschieden. Alle ließen sich auf die Knie nieder und es ergoß sich ein heißes Gebet der Todeskandidaten, wonach alle den Segen des Bischofs Efrem und von Vater Ioann empfingen und sich dann voneinander verabschiedeten. Als erster trat mutig Erzpriester Ioann Vostorgov an das Grab, nachdem er noch einige Worte an alle Anwesenden gerichtet hatte, in denen er alle dazu aufrief im Glauben an die Barmherzigkeit Gottes und die baldige Wiedererstehung des Vaterlandes dieses letzte erlösende Opfer zu bringen. "Ich bin bereit" - schloß er, indem er sich an das Erschießungskommando wandte. Alle stellten sich an die ihnen zugewiesenen Plätze. Einer der Schlächter trat von hinten dicht an ihn heran, nahm seinen linken Arm, drehte ihn auf den Rücken, setzte den Revolver an seinen Hinterkopf und schoß ab, während er gleichzeitig Vater Ioann in das Grab stieß. Die übrigen Schlächter traten zu den anderen Opfern. Beleckij riß sich los und lief schnell 20-30 Schritte auf die Büsche zu, wurde aber von zwei Kugeln zu Boden gestreckt, herangeschleift und gänzlich erschossen und in das Grab geworfen.
Aus den Worten des Erschießungskommandos, die uns von dem Erzähler wiedergegeben wurden, zeigte sich, daß die Schlächter, die sich Bemerkungen zuriefen, während sie die Opfer notdürftig mit Erde bedeckten, tiefe Verwunderung über das Verhalten des Erzpriesters Ioann Vostorgov und von Nikolaj Alekseeviç Maklakov zum Ausdruck brachten, die sie durch ihre Kaltblütigkeit vor ihrem schrecklichen Schicksal erstaunten. Ivan Grigor'eviç Íçeg-lovitov konnte sich nach den Worten des Erzählers kaum bewegen, zeigte aber keinerlei Furcht."...
So bewies Vater Ioann durch seinen Tod den Idealen seine Treue, denen er in seinem Leben gedient hatte.
"Sein Gedächtnis geht nicht verloren, und sein Name wird leben in alle Geschlechtern, von seiner Weisheit werden die Nationen berichten, und seinen Ruhm die Kirche künden".
Er empfing den Märtyrertod und ging in das ewige Leben ein zu dem von ihm heiß verehrten Metropoliten Vladimir, der ebenfalls das Martyrium erlitten hatte.
An die Stelle seiner Ermordung, unweit des Massenfriedhofs, kamen später Gemeindemitglieder des Erzpriesters Ioann Vostorgov. Der Graben war ganz vom Blut der Opfer besudelt. Die Waisen legten Blumen nieder und gedachten dieses wahrhaft guten Hirten unter Tränen...