Des heiligen Antonius des Großen Weisungen über die menschlichen Sitten und den guten Lebenswandel
73. Diejenigen, die bei den Olympischen Spielen wettkämpfen, werden nicht dann gekrönt, wenn sie den Einen oder den Anderen oder den Dritten besiegen, sondern wenn sie alle besiegen, die mit ihnen in den Wettkampf eingetreten sind. So geziemt es auch jedem, der von Gott gekrönt werden will, seine Seele zu üben, daß sie klug und keusch werde, nicht nur in Bezug auf die körperlichen Leidenschaften, sondern auch dann, wenn sie versucht wird von Gewinnsucht, von dem Wunsch Fremdes zu rauben, vom Neid, von Genußsucht (-liebe), Eitelkeit, von Vorwürfen, von Todesgefahren und Ähnlichem.
74. Nicht um des menschlichen Lobes willen sollen wir uns des guten und gottliebenden Wandels befleißigen, sondern wegen der Rettung der Seele erwählen wir das tugendhafte Leben; denn der Tod erscheint täglich vor unseren Augen und alles Menschliche ist ungewiß.
75. Es steht in unserer Macht, besonnen, d. h. keusch zu leben; reich zu werden aber, steht nicht in unserer Macht; wie also? Muß man unsere Seele denn verurteilen für das Verlangen nach der kurzweiligen Phantasie des Reichtums, den zu besitzen wir nicht Macht haben? Aber wir begehren nur Reichtum? Oh, warum laufen wir unverständig und verkennen, daß vor allen Tugenden die Demut steht, so wie auch vor allen Leidenschaften die Wollust des Bauches und die Begierde des Materiellen steht.
76. Unablässig müssen sich die Einsichtigen daran erinnern, daß wir Menschen, indem wir kleine und kurzwährende Mühen in diesem Leben aushalten (ertragen), die größte Lust und ewige Wonne nach dem Tode genießen werden; denn derjenige, der mit den Leidenschaften ringt und von Gott gekrönt werden will, wird, wenn er fällt, nicht kleinmütig, hoffnungslos und verzweifelt und in dem Fall verharren, sondern sich erhebend wird er aufs Neue ringen und darauf sinnen, gekrönt zu werden.