Predigt zum 35. Herrentag nach Pfingsten / Aller Heiligen Neuen Märtyrer und Bekenner der Russischen Kirche (1 Tim. 1:15-17; Lk. 18:35-43) (04.02.2024)
Liebe Brüder und Schwestern,
als Mitglieder der Russischen Kirche feiern wir alle, unabhängig von der individuellen ethnischen Zugehörigkeit, das Gedächtnis der Märtyrer und Bekenner unserer Kirche, welche in der Zeit der bolschewistischen Unterdrückung des Glaubens (1917-1991) ihre Treue zu unserem Herrn durch ihr Leben und ihren Tod (s. Hebr. 13:7) unter Beweis gestellt haben. Dieser Festtag wird in der Emigration bereits seit 1982 begangen, nachdem das Bischofskonzil der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland die Kanonisierung der neuen Märtyrer und Bekenner von Russland in den Grenzen von 1917 in einer ersten Stufe vorgenommen hatte. Das Konzil in New York legte 1981 den zeitlich nächstgelegenen Herrentag zum Gedenktag des bischöflichen Protomärtyrers Vladimir (Bogojavlensky), des Metropoliten von Kiew und Galitsch (+25.01./07.02.1918) fest, der bezeichnenderweise allen drei historischen Kapitalen der Rus´ bzw. Russlands – Kiew, Moskau und St. Petersburg – als Oberhirte vorgestanden hatte. Das Bischofskonzil der Russischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats begann 1992 mit einer ersten Stufe der Heiligsprechung der neuen Leidensdulder; eine zweite, welche auch die Zarenfamilie mit ihrem Gefolge kanonisierte, folgte beim Jubiläumskonzil im Jahre 2000. Seit der Wiedervereinigung der Russischen Mutterkirche mit ihrem Auslandsteil im Jahre 2007 gelten die jeweils als Heilige verherrlichten Personen zusammen mit den nicht unter kommunistischer Herrschaft Entschlafenen, wie z.B. dem heiligen Ioann (Maximowitsch, +1966) von Shanghai, Brüssel und San Francisco, mutuell als anerkannt.
Wenn man will, kann man feine Unterscheidungen treffen: Märtyrer sind Heilige, die direkt wegen ihres Glaubens umgebracht worden sind; Bekenner sind solche Personen, die während ihres Lebens für ihren Glauben Drangsal erduldet haben, aber nicht direkt an den Folgen dieser Misshandlungen gestorben sind; Leidensdulder, schließlich, sind Menschen, welche heiligmäßig gelebt haben und auch eines gewaltsamen Todes gestorben sind, der aber nicht im direkten Zusammenhang mit dem Glauben stand, wie z.B. im Falle des heiligen Ioann (Pommer, +1934), der als Erzbischof von Riga und Lettland in Personalunion mit dem Mandat als Deputierter des lettischen Sejms aus politischen Gründen vom NKWD ermordet worden war. Im geistlichen Sinne sind sie jedoch alle unsere Vorbilder, die alles für den Glauben hingegeben haben. Im Grunde unterscheiden sie sich durch nichts von den übrigen Heiligen in andern Ländern und zu anderen Epochen, denn jeder Heilige allgemein hat zeit seines Lebens sein Herzblut für Christus vergossen, ob er oder sie nun umgeben von äußerlicher Pracht in einem prunkvollen Palast gelebt oder ein asketisches Dasein in der Wüste verbracht haben mag. Auf sie alle treffen die Worte der heutigen Lesung zu, die der heilige Apostel explizit auf sich bezieht, implizit aber alle Heiligen überhaupt meint, indem er seinem Ziehsohn schreibt. Aus diesen Zeilen wird ersichtlich, dass das Leiden der Heiligen in der Nachfolge Christi für das Seelenheil sehr vieler Menschen nach ihnen unabkömmlich ist: „Das Wort ist glaubwürdig und wert, dass man es beherzigt: Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um die Sünder zu retten. Von ihnen bin ich der erste. Aber ich habe Erbarmen gefunden, damit Christus Jesus an mir als erstem Seine ganze Langmut beweisen konnte, zum Vorbild für alle, die in Zukunft an Ihn glauben, um das ewige Leben zu erlangen. Dem König der Ewigkeit, dem unvergänglichen, unsichtbaren, einzigen Gott, sei Ehre und Herrlichkeit in alle Ewigkeit. Amen“ (1 Tim. 1:15-17). GOTT wird in Seinen Heiligen verherrlicht (s. Ps. 67:35). Und ER verherrlicht SIE dafür. Und das ist auch der Weg, den jeder Christusliebende gehen soll. Wer Christus wirklich liebt und wirklich an Ihn glaubt, der weiß, dass bei allem Leid, aller Mühsal und Gefahr bei uns die Haare auf dem Kopf gezählt sind (s. Mt. 10:30; Lk. 12:7). Das ist es, was wir von den Heiligen lernen müssen. Doch dazu müssen wir unseren Geist jetzt festigen durch ein Leben nach den Geboten Christi und durch die Teilnahme an den Mysterien der Kirche. Wer zur Zeit des äußerlichen Wohlergehens die ihm in der Taufe aus Wasser und Geist (s. Joh. 3:5) zuteilgewordene Gnade Gottes verschmäht, kann nicht erwarten, dass in der Zeit der Glaubensprüfung der Heilige Geist durch ihn sprechen wird (s. Mk. 13:11; vgl. Lk. 21:15). Doch der Herr „gibt den Geist unbegrenzt“ (Joh. 3:34). Selbst die im Glauben Schwachen oder Christus gegenüber Widerspenstigen können Erbarmen bei Gott finden, wenn sie sich Ihm zuwenden, wie es Saulus aus Tarsus einst tat und danach Folgendes zu Papyrus brachte: „Ich danke Dem, Der mir Kraft gegeben hat: Christus Jesus, unserem Herrn. Er hat mich treu gehalten und in Seinen Dienst genommen, obwohl ich Ihn früher lästerte, verfolgte und verhöhnte. Aber ich habe Erbarmen gefunden, denn ich wusste in meinem Unglauben nicht, was ich tat. So übergroß war die Gnade unseres Herrn, die mir in Christus Jesus den Glauben und die Liebe schenkte“ (1 Tim. 1:12-14). Es gehrt also um Glaube und Liebe. Während der Liturgie der vorgeweihten Gaben singen wir jedes Mal: „Mit Glauben und Liebe treten wir herzu, damit wir zu Teilhabern des ewigen Lebens werden“. Das sind die beiden Kriterien, welche in der Kirche Christi als einzige absolute Gültigkeit besitzen. In allen sonstigen Dingen kann der menschlichen Unvollkommenheit und Schwäche verzeihende Milde eingeräumt werden. Doch Glaube und Liebe, die stärker sind als der Tod, bilden für uns alle die Zugangsberechtigung zum ewigen Leben mit Christus und allen Seinen Heiligen. Amen.