Predigt zum Hochfest der Allerheiligsten Dreiheit (Pfingsten) (Apg. 2:1-11; Joh. 7:37-52; 8:12) (23.06.2024)
Liebe Brüder und Schwestern,
wir feiern heute Pfingsten, eines der drei größten Feste im Kirchenjahr. Wir wissen: Weihnachten offenbart das Mysterium der Menschwerdung Gottes auf Erden; Ostern ist die Manifestation des Triumphs des Lebens über den Tod. Und Pfingsten? Es ist im Kontext der Heilsgeschichte die Niedersendung des Heiligen Geistes auf die erste christliche Gemeinde, also das Gründungsfest der Kirche. Der Heilige Geist war ja schon bei der Entstehung der Welt ursächlich (s. Gen. 1:2), Er wirkte zudem durch die Propheten des Alten Bundes. Geburt und Auferstehung Christi hätte es ohne den Heiligen Geist nicht gegeben (s. Mt. 1:18-20; Lk. 1:35 und Röm. 1:4; 8:11), ohne Ihn wären die alttestamentlichen Schriften ja gar nicht entstanden. Dasselbe Wirken erkennen wir im Neuen Bund (s. Lk. 1:35,42,67). Im Neuen Testament erschien der Heilige Geist überdies in Gestalt einer Taube bei der Taufe Christi im Jordan (s. Mt. 3:16; Mk. 1:10; Lk. 3:22), zeigte Sich symbolisch in einer Wolke während der Verklärung Christi auf dem Berg Thabor (s. Mt. 17:5; Mk. 9:7; Lk. 9:34). Dieses Gesicht beobachteten die Jünger Christi auch auf dem Ölberg im Moment der Aufnahme Christi in den Himmel (s. Apg. 1:9). Es gab also schon vorher Manifestationen des Heiligen Geistes in der Welt, dazu auserwählte Männer und Frauen mit prophetischen Gaben. Doch am Pfingsttag, als Er in feurigen Zungen auf die Gemeinde herabkam (s. Apg. 2:3), empfingen alle den Heiligen Geist (s. 2:4), und tun es bis heute im Mysterium der heiligen Myronsalbung. Wir alle sind, so Protopresbyter Nikolai Afanasjew (+1966), die „Kirche des Heiligen Geistes“.
Überhaupt ist der Heilige Geist das Fundament der ganzen kirchlichen Theologie, d.h. der Lehre der heiligen Väter, die ja, im Gegensatz zu den Häresien, auf der Heiligen Schrift gegründet ist: „Keine Weissagung der Schrift darf eigenmächtig ausgelegt werden; denn niemals wurde eine Weissagung ausgesprochen, weil ein Mensch es wollte, sondern vom Heiligen Geist getrieben haben Menschen im Auftrag Gottes geredet“ (2 Petr. 1:21; vgl. Dtn. 13:1-3; 18:21-22; Jer. 23:9-32; 28:15; Offb. 2:20).
Das muss jedem Christen bewusst sein. Denn wenn es irgendwo mal wieder heißt: „Wir (gemeint sind Juden, Christen und Muslime) glauben ja alle an ein und denselben Gott“, müssen wir imstande sein, dem entschieden widersprechen zu können (s. 1 Petr. 3:15; vgl. Mt. 10:18-20). Andernfalls verleugnen wir unseren Glauben aus Kleinmütigkeit, Ignoranz oder Gleichgültigkeit – und damit verleugnen wir den Herrn (s. Mk. 8:38; Lk. 9:26).
Die besagten nicht-christlichen monotheistischen Religionen streiten ab, dass Gott in der Dreiheit existiert und hierdurch die vollkommene Einheit darstellt. Sie sehen in unserem Bekenntnis der Dreiheit Gottes (s. Gen. 18:1-3) die Anbetung dreier Götter. Was entgegnen wir ihnen? Wenden wir uns zunächst dem Schöpfungsbericht zu: „Gott schuf den Menschen als Sein Abbild; als Abbild Gottes schuf Er ihn. Als Mann und Frau schuf Er sie“ (Gen. 1:27). Wenn also die Schöpfung (der Mensch) das Abbild seines Schöpfers in sich trägt, dann bedeutet das im logischen Umkehrschluss, dass auch Gott (gewiss in absolut disproportionaler Analogie) „so wie der Mensch ist“. Diese Ebenbildlichkeit bezieht sich natürlich vornehmlich auf die Seele des Menschen, denn der (in diesem Äon zumindest) verderbliche Leib dient nur als Hülle für die unsterbliche Seele. Die Seele des Menschen bildet aber eine Dreiheit aus Verstand, Gedanken und Geist. Konkretisieren wir das:
1) Als vernunftbegabte Wesen verfügen wir über einen eigenen Verstand. Ohne ihn wären wir nicht das, was wir sind, sondern wären dann der vernunftlosen Schöpfung gleichgestellt. Dann wären wir auch nicht imstande, Gott zu lieben (s. Dtn. 6:5; Mt. 22:37; Mk. 12:30; Lk. 10:27; vgl. Jes 29:13; Mt. 15:8 u.v.m.).
2) Besagte Ratio ist ausschließlich dazu da, Gedanken hervorzubringen, die in Worte gefasst werden. Deshalb sprechen wir im Falle des Menschen auch von der sprachbegabten Schöpfung (russ./kirchenslaw. cловесная тварь, was genau mit wort-begabte Schöpfung übersetzt wird), die im Gegensatz zur sprachlosen Schöpfung (also wortlosen, sprach-unbegabten Geschöpfen, russ./kirchenslaw. бессловесная тварь) steht. Die Gedanken des Menschen werden aber in Worte (gr. logoi) gefasst (die „Sprache“ der Tiere ist hiermit nicht zu vergleichen: diese drücken lediglich Instinkte in Laute und Gesten aus, zu vernünftigen Gedanken sind sie aber nicht fähig). Die Gedanken (Worte) geben Aufschluss darüber, was im Herzen des Menschen ist (s. Lk. 6:45; vgl. Spr. 4:23; Jak. 1:14-15; Röm. 8:5-6; 12:2; 2 Kor. 10:5; Eph. 4:22-24; Phil. 4:8; Hebr. 4:12 u.v.m.)
3) Vom Geist des Menschen hängt schließlich ab, ob die im Herzen entstehenden und mündlich formulierten Gedanken (Worte) gut oder böse sind (s. Mt. 15:19; vgl. Hiob 6:4; 15:13; Ps. 31:2; 50:12,19; 75:13; 141:3; 142:4,7; Spr. 15:4,13; 16:19; 17:22; 25:28; 29:23 u.v.m.).
Wenn also der Mensch mit seiner Seele, bestehend aus Verstand, Gedanken und Geist, einer ist, dann ist doch umso mehr Gott – Vater, Sohn und Heiliger Geist – ein. Wie der Verstand die Quelle für die Gedanken und den Geist des Menschen ist (s. Mt. 6:22; Lk. 11:34), ist der Vater zeitloser Ursprung für den Logos und den Heiligen Geist. Dies sind keine Spitzfindigkeiten, sondern die Wahrheit, welche für unser Heil unerlässlich ist (s. Joh. 8:32; 1 Joh. 2:27). Deshalb ist der Empfang des Heiligen Geistes notwendig für unser Heil (s. 1 Joh. 2:27). Doch der Vater wird im Sohn offenbart (s. Mt. 11:27; Joh. 1:18; 5:19-20). „Durch Ihn haben wir (…) Zugang zum Vater“ (Eph. 2:18). Amen.