Predigt zum ersten Herrentag nach Pfingsten / Aller Heiligen (Hebr. 11:33-12:2; Mt. 10:32-33,37-38; 19:27-30) (30.06.2024)
Liebe Brüder und Schwestern,
seit dem 4. Jahrhundert wird in der Kirche des Ostens (im Oströmischen Reich) das Fest aller Heiligen begangen. Erstmals erwähnt wird diese Kirchenfeier vom heiligen Kirchenvater Johannes Chrysostomos (+407), dem Erzbischof der Kaiserstadt Konstantinopel. Zu seiner Zeit wurde dieser Gedenktag allen Märtyrern gewidmet, die während der Kirchenverfolgungen ihr Leben für Christus hingegeben hatten (vgl. Offb. 5:8). Der Zeitpunkt für die gemeinsame Feier aller Heiligen war anfänglich lokal unterschiedlich ausgelegt, doch sowohl das Typikon des Studion-Klosters (Kirchenordnung von Konstantinopel, das vornehmlich in den Kirchen der griechischen Tradition verwendet wird) als auch das des Hl. Sabbas-Klosters (Kirchenordnung von Jerusalem, die heute u.a. in der Russischen Kirche in Gebrauch ist) legten das feierliche Gedenken aller Heiligen auf den ersten Herrentag nach Pfingsten, womit unterstrichen werden sollte, dass alle Heilige zu allen Zeiten und an allen Orten, ob bekannte oder unbekannte, ihre Gott gefälligen Werke durch die Gnade des Heiligen Geistes vollbracht haben.
Die uns am heutigen Festtag angebotene Lesung aus dem Evangelium ist in ihrer Art eine Roadmap zur Erlangung der Heiligkeit in Christus. Es gibt eine Bedingung, unter der wir von Christus als Seine Nachfolger angenommen werden: die Bereitschaft, das Kreuz auf uns zu nehmen und für Christus in dieser Welt zu leiden. Zu Beginn Seiner irdischen Mission berief der Herr die Apostel zu Seiner Nachfolge unter der Bedingung, dass sie alles, was ihnen in dieser Welt etwas bedeutet, um Seinetwillen aufzugeben bereit sind. Heute geht der Herr noch einen Schritt weiter: wir müssen den Glauben an unseren Erlöser über alles stellen. Das beinhaltet auch unsere Beziehungen zu den Menschen, die uns in diesem Leben am liebsten sind. Kinder sollen gewiss ihre Eltern lieben, und Eltern ihre Kinder etc. Wenn wir einander aber mehr lieben als unseren Herrn Jesus Christus, sind wir Seiner nicht wert. Er hat Sich für uns hingegeben, hat Sich entäußert, nahm alle Ungerechtigkeit, alles Leid der Welt auf Sich, um uns zu erretten. Wie der Hass zu anderen Menschen, insbesondere zu unseren Hausangehörigen, uns von der Gemeinschaft Christi trennt, so entfernt uns die fleischliche (natürliche) Liebe zu denselben Menschen ohne Christus von Ihm, sagt Erzpriester Alexander Schargunov (St. Petersburg). Dies bedeutet, dass wenn wir vor die Wahl gestellt werden, uns zwischen unseren liebsten Menschen und Christus zu entscheiden, wir unseren Herrn vorziehen und gegebenenfalls unsere Angehörigen verlassen müssen. Nur die Treue zu Christus rechtfertigt in letzter Konsequenz auch die Absage an hohe irdische Werte wie z.B. Loyalität gegenüber der weltlichen Obrigkeit. Ein anschauliches Muster für die aufopferungsvolle aber doch nicht absolute Obrigkeitshörigkeit sehe ich im Verhalten eines transsylvanischen Bauern aus dem 18. Jahrhundert, der von Erzherzogin Maria Theresia (1717-1780) einst bei ihrem Besuch der „Hinterwäldler-Provinz“ (so heißt übersetzt das von „orthodoxen Heiden“ bewohnte Gebiet im Südosten der einstmaligen Donaumonarchie) gefragt wurde, ob er denn schon dem „falschen“ Glauben abgeschworen und den „wahren“ angenommen habe. Seine Antwort lautete: „Wenn meine Kaiserin meinen Hof und mein Land von mir haben will, gebe ich es ihr; wenn sie meine Söhne für den Krieg von mir nehmen will, gebe ich sie ihr; aber meine Seele gebe ich ihr nicht!“
Die wichtigste Bedingung für die Nachfolge Christi ist also die Bereitschaft, auf alles um Christi Willen zu verzichten.
Gott will, so denke ich, dass es uns auch schon in diesem Leben gut geht und es uns an nichts mangelt. Doch leider geben wir uns viel zu oft nicht mit dem zufrieden, was uns der Herr an zeitlichen Gütern gewährt. Das liegt zumeist daran, dass wir die verkehrten Prioritäten setzen und uns der Gefahren nur unzureichend bewusst sind, die aus materiellem Überfluss entstehen können (s. 1 Tim. 6:6-10; Hebr. 13:5; vgl. Ps. 61:11).
Der Apostel Petrus fragt im Namen aller Jünger, was denn mit ihnen sein werde, die doch alles für ihren Meister aufgegeben hätten. Dieses „alles“ war ja, zumindest aus materieller Sicht, nicht furchtbar viel. Doch hätten sie mutmaßlich auch dann die gleiche Entscheidung getroffen, wenn sie über großen Reichtum verfügt hätten. Und deshalb nimmt Christus sie mit Liebe an, wie Er alle liebevoll annimmt, die zu Ihm aus reinem Herzen kommen. Die Apostel waren von Anfang der irdischen Mission an bis zur größten Drangsal beim Herrn (auch wenn sie zwischenzeitlich schwach waren). Dafür liebt sie der Herr. Ihre anfänglich geäußerte Treue zum Herrn bewiesen sie nach Seiner Auffahrt in den Himmel und nach dem Ausgießen des Heiligen Geistes durch das Erdulden von vielerlei Mühsal, Leid, Entbehrungen und Gefahren (s. 1 Kor. 4:9-13). Sie waren bei der Gründung der Kirche dabei – welch eine Gnade das war! Doch die größte Gnade für sie war es, für den Namen Christi Schmach zu erleiden (s. Apg. 5:41; vgl. 1 Petr. 4:13) und sogar den Tod zu kosten (s. Phil. 1:21). Für diejenigen, welche die Gnade Christi nicht kennen, ist der Tod das Furchtbarste, was es geben kann, für sie aber, die Christus lieben, ist er die größte Gabe schlechthin, weil er den Übergang in das selige, vollkommene Leben mit Christus darstellt (s. Joh. 5:24). Darin liegt der Sinn des Lebens und das ist der Weg, der zur Heiligkeit führt. Über dieses Leben in der Ewigkeit wird letztlich die Liebe entscheiden, die wir unserem Herrn Jesus Christus entgegengebracht haben. Jetzt müssen wir „in unsere Zukunft investieren“ (s. 2 Kor. 9:6). Amen.