Predigt zum 6. Herrentag nach Pfingsten (Röm. 12:6-14; Mt. 9:1-8) (28.07.2024)
Liebe Brüder und Schwestern,
heute behandeln wir die Erzählung von der Heilung des Gelähmten von Kafarnaum, dieses Mal nach der Version des heiligen Evangelisten Matthäus (am zweiten Herrentag der Großen Fastenzeit wird jedes Jahr die Parallelstelle aus dem Markusevangelium vorgetragen). Der Herr zeigt Seinen Widersachern, dass Er über die göttliche Vollmacht verfügt, den Menschen ihre Sünden zu vergeben, und unterstreicht dies dadurch, dass Er den Gelähmten, dem Er zuvor die Vergebung der Sünden gewährt hatte, von dessen Gebrechen heilt. Der Herr macht in diesem Zusammenhang deutlich, dass die Krankheit der Seele – die Sünde in uns – unendlich schlimmer ist als jegliches körperliche Leiden. Und das sollte die Botschaft des heutigen Tages für uns alle sein. Wir sorgen uns nämlich um unser leibliches Wohlbefinden und das unserer Angehörigen, aber nicht so sehr oder gar nicht um den Zustand unserer Seelen vor Gott. Dabei wäre es für uns alle sehr lehrreich, wenn wir uns den bettlägrigen jungen Mann von Kafarnaum, den man auf einer Trage zum Herrn gebracht hatte, als bildhaftes Beispiel für unseren Seelenzustand veranschaulichen würden. Wenn wir nämlich tatsächlich erkennen, dass der darniederliegende Kranke unseren seelischen und geistlichen Zustand symbolisiert, werden wir alles daran setzen wollen, uns vom Arzt der Seelen und Leiber (s. Mt. 9:12; Mk. 2:17; Lk. 5:31), Jesus Christus, heilen zu lassen.
Wir erkennen im vorliegenden Fall zudem, dass unser liebender Herr barmherzig gegenüber uns Sündern ist. Es wird doch nirgendwo erwähnt, dass der Kranke selbst an den Herrn und Dessen wundertätige Heilkraft glaubte, geschweige denn, Ihn als Messias anerkannte. Es ist vielleicht sogar möglich, dass er gegen seinen Willen von den vier Freunden zum Herrn gebracht wurde, die, wie wir wissen, keinerlei Mühen scheuten und allen widrigen Umständen zum Trotz den Weg zu Füßen des Herrn fanden. Für deren Glauben werden ihm die Sünden vergeben (s. Mt. 9:2). Welch ein Trost für uns alle, die wir doch samt und sonders Verwandte, Freunde und Bekannte haben, welche nicht glauben oder fernab vom kirchlichen Leben ihren eigenen, selbstgewählten Weg gehen. Der Glaube solcher frommer Menschen kann also auch heilbringend für die verirrten sein. Darum betet die Kirche zum Triumph der Orthodoxie für alle Verirrten Schafe des Herrn, dafür betet jeder für seine kaltherzigen oder ungläubigen Angehörigen, dafür feiert die Kirche weltweit Tag für Tag die Göttliche Liturgie („Das Deine vom Deinigen Dir darbringend, gemäß allem und wegen allem“). Es ist wahrhaft ein Dienst von kosmischer Tragweite, der sich über alle Schöpfung Gottes erstreckt.
Unter den realen Bedingungen der postkommunistischen Religionsfreiheit kennen wir sehr viele Menschen, welche von sich behaupten, gläubig zu sein („Wir glauben im Herzen“), die aber nicht die geringste Ahnung von Glaubensinhalten besitzen und völlig außerhalb des kirchlichen Lebens stehen. Sie sind ja vollkommen gesund und bedürfen folglich keines Arztes. Das aber ist die schlimmste Verblendung, die man sich nur vorstellen kann. Die wirklich Gläubigen können (und sollen) solche Menschen nicht mit Gewalt in die Kirche schleppen, doch voller Demut können sie ihre Freunde und Angehörigen im Geiste zu Füßen unseres Herrn tragen. Er erwartet dies von uns und Er wird unseren Glauben, unsere Liebe durch Seine unermessliche Menschenliebe belohnen. „Dafür arbeiten und kämpfen wir, denn wir haben unsere Hoffnung auf den lebendigen Gott gesetzt, den Retter aller Menschen, besonders der Gläubigen“ (1 Tim. 4:10).
Wie aber ist es mit den nominell Gläubigen? Natürlich haben wir die Hoffnung, dass Gottes Gnade auch ihnen zuteil werden wird. Doch wollen wir weiter dafür „arbeiten und kämpfen“, dass sie einsehen mögen, welch ein Opfer Gott für sie und uns erbracht hat. Wenn sie nämlich erkennen, dass für Gott kein Opfer zu groß war, um uns zu erretten, dass Jesus Christus als König der Welt nicht in diese Welt gekommen ist, um zu leben und Sich dienen zu lassen, sondern umgekehrt, „um zu dienen und Sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (Mt. 20:28; Mk. 10:45; vgl. Lk. 22:27), dann werden sie gar nicht anders können, als dankbar in die Kirche zu kommen und an den lebenspendenden Mysterien teilzunehmen („Eucharistie“). Dann werden sie womöglich auch im Neuen Testament lesen, dass ein Leben nach dem Glauben unbedingt seine Früchte zeitigen wird: „Eure Liebe sei ohne Heuchelei. Verabscheut das Böse, haltet fest am Guten! Seid einander in brüderlicher Liebe zugetan. Übertrefft euch in gegenseitiger Achtung! Lasst nicht nach in eurem Eifer, lasst euch vom Geist entflammen und dient dem Herrn! Seid fröhlich in der Hoffnung, geduldig in der Bedrängnis, beharrlich im Gebet! Helft den Heiligen, wenn sie in Not sind; gewährt jederzeit Gastfreundschaft! Segnet eure Verfolger; segnet sie, verflucht sie nicht“ (Röm. 12:9-14). Wie wir auch anhand dieser Worte sehen, ist es in Gottes Augen nicht unerheblich, ob wir für unsere Verfolger beten oder nicht. Auch das macht Hoffnung in Bezug auf das ewige Schicksal unserer vom Glauben und der Kirche fernstehenden Angehörigen und Freunde. Jeder ist also aufgerufen, dem Herrn mit den ihm geschenkten Möglichkeiten zu dienen: „Wir haben unterschiedliche Gaben, je nach der uns verliehenen Gnade. Hat einer die Gabe prophetischer Rede, dann rede er in Übereinstimmung mit dem Glauben; hat einer die Gabe des Dienens, dann diene er. Wer zum Lehren berufen ist, der lehre; wer zum Trösten und Ermahnen berufen ist, der tröste und ermahne. Wer gibt, gebe ohne Hintergedanken; wer Vorsteher ist, setze sich eifrig ein; wer Barmherzigkeit übt, der tue es freudig“ (Röm. 12:6-8). Amen.