Predigt zum Hochfest des Entschlafens der Allerheiligsten Gottesgebärerin (Phil. 2:5-11; Lk. 10:38-42; 11:27-28) (28.08.2024)
Liebe Brüder und Schwestern,
wir feiern heute das größte Fest im Kirchenjahr zu Ehren der Gottesmutter. Wie bei allen Heiligen begehen wir auch bei der Mutter unseres Herrn den Gedenktag ihres irdischen Todes, weil sie alle an diesem Tag der ersehnten Begegnung mit unserem Herrn Jesus Christus gewürdigt wurden. Wer sich nämlich nach dieser Begegnung sehnt, wird den Tod als etwas überaus Willkommenes empfinden. Nicht so die anderen, denn „der Tod der Sünder wird elend sein“ (Ps. 33:22). Und nur diese zwei Möglichkeiten gibt es. Im Grunde geht es im irdischen Leben also darum, ob wir diesem furchtbaren Ende durch ein Leben in Christus entgehen können, und sei es auch, dass wir uns mit dem letzten Atemzug zu Ihm bekehren. Dann wird jegliches Leid dieser Welt zur Nebensächlichkeit, und das Sterben verliert seine Endgültigkeit (s. Phil. 1:21). So verwundert es dann auch nicht, dass das Entschlafen der „Gesegneten unter den Frauen“ (s. Lk. 1:42), welches den letzten großen Höhepunkt des Kirchenjahres bildet, eine sogar noch größere Bedeutung hat als das Geburtsfest der Theotokos – der erste Höhepunkt des Kirchenjahres. Die Geburt unserer geliebten Herrin „brachte Freude dem ganzen Erdkreis“, da aus Ihr „die Sonne der Gerechtigkeit, Christus, unser Gott“, erstrahlte. Durch Ihn wurde der über der Menschheit lastende Fluch zerstört und uns wurde der Segen Gottes zuteil (s. Troparion). Das Erdenleben der Allerheiligsten zeigt, dass diese Worte keine bloßen Metaphern sind, sondern die absolute geistliche Realität darstellen. Und der Abschied der Mutter des Herrn aus dieser Welt ist der beeindruckendste Beleg für diese unumstößliche Tatsache. Über Ihren Heimgang (wie sehr trifft dieses Wort hier zu!) wissen wir aus einer Überlieferung der Kirche zu Jerusalem (u.a. erwähnt vom hl. Juvenalios, dem Patriarchen von Jerusalem, 5. Jhd.). Demzufolge erschien die Allerheiligste nach Ihrem Begräbnis den Aposteln beim gemeinsamen Mahl und sprach: „Freut euch, denn Ich bin bei euch an allen Tagen!“ Hieraus schöpfen wir nun alle unsere Freude an diesem, auf den ersten Blick vielleicht traurigen, Tag. Allen verkopften Skeptikern und all denen, die verstockten Herzens sind, können wir auf die ungezählten Wundertaten der Allerheiligsten Gottesgebärerin hinweisen, die durch ebenso viele wundertätige Ikonen der Mutter Gottes ihren empirisch wahrnehmbaren Ausdruck erlangt haben.
Aus der Heiligen Schrift ist uns bekannt, dass unser Herr, so die einhellige Interpretation der heiligen Väter, die gesamte Menschheit in Person Seines Lieblingsjüngers in die Obhut Seiner Mutter gegeben hat (s. Joh. 19:26-27). Die Mutter unseres Herrn ist somit unsere Mutter, und wir sind Ihre Kinder! Und wie wendet man sich als Kind an seine Mutter?.. Richtig, voll Liebe und Zutrauen. Ein Kind weiß, dass die Mutter es lieb hat, und zweifelt nicht daran, dass die Mutter nur das Beste für das Kind will. Denn „wer das Königtum Gottes nicht so annimmt, wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen“ (Mk. 10:15; Lk. 18:17; vgl. Mt. 19:14). Seien wir also wie Kinder! Ihre Kinder!.. Und wenden wir uns an Christus so wie Sie es getan hat und immerzu noch tut!
Für uns Christen stellen Geburt, Leben und Tod eine Einheit dar. Sie sind untrennbar miteinander verbunden. Auf unsere Geburt haben wir keinen Einfluss. Unseren Tod können wir auch nicht selbst bestimmen – weder die Umstände noch den Ort noch den Zeitpunkt, sofern wir „unserer allheiligen, allreinen, über alles gesegneten und herrlichen Gebieterin, der Gottesgebärerin und Immerjungfrau Maria, samt aller Heiligen eingedenk, uns selbst und einander und unser ganzes Leben Christus Gott anbefehlen“. Den „Mittelteil“, das Leben selbst, können wir aber zu weiten Teilen selbst bestimmen. Dabei sind nicht die äußeren Umstände maßgebend, sondern unser Verhältnis zu unserem Herrn und Gebieter. Seine leibliche Mutter, die Ihn ja erzogen hatte und deren elterlichen Autorität Er Sich untergeordnet hatte (s. Lk. 2:51), erkannte Seine Autorität als Sohn Gottes an, sobald Er das vorgeschriebene Erwachsenenalter erreicht hatte. Dies geschah symbolisch während der Hochzeit zu Kana in Galiläa, als die Mutter des Herrn (wieder stellvertretend für uns alle – vgl. Lk. 1:38) als „gesetzlicher Vormund“ Ihre Zustimmung dazu gab, dass „Seine Stunde“ nun kommen konnte (s. Joh. 2:4). Wir sehen: damit Gott in uns oder durch uns wirken kann, bedarf es unserer Zustimmung. Welch eine Verantwortung für uns! Welch ein Vertrauen in uns! Und, vor allem, welch eine Demut Gottes uns gegenüber!!! Das kann doch gar nicht wahr sein! - ist man geneigt zu sagen. Doch! Und dieser Demut des Herrn sollen wir nachahmen, denn nur so können wir Seine Nachfolge antreten. Nicht von ungefähr bezieht die Kirche an diesen und anderen Festen zu Ehren der Gottesmutter die primär auf Christus bezogenen Worte aus dem Philipperbrief sekundär auf die über alle Maßen reine, sanftmütige und demütige Jungfrau Maria, die durch Ihren Gehorsam zur herausragendsten Nachfolgerin Christi wurde. Aus bestimmter Sicht kann man sagen, dass Sie „nicht daran festhielt, Mutter Gottes zu sein“, sondern „sich entäußerte und wie eine Sklavin wurde, den (übrigen) Menschen gleich“; denn „Ihr Leben war vollkommen das eines (gewöhnlichen) Menschen; Sie erniedrigte sich, und war gehorsam bis zum Tod (Ihres Sohnes), bis zu Seinem Tod am Kreuz“, den Sie mit erduldete (s. Lk. 2:35). „Darum hat Gott auch Sie über alles erhöht“ (vgl. Phil. 2:6-9). Sie zwar war auch nur aus „Fleisch und Blut“, aber uns allen unendlich weit voraus (vgl. Mt. 20:20-28; Mk. 10:35-45; Lk. 22:24-27). Deshalb verherrlichen wir Sie mehr als die Cherubim und verehren Sie unvergleichlich mehr als die Seraphim. Amen.