"Pamjat'" und die Russische Kirche
"Pamjat'" und die Russische Kirche
Die Neomärtyrer Rußlands vergossen ihr Blut, erduldeten Foltern, Qualen und Verhöhnungen, und zeugen jetzt mit ihrem Tod von der Kraft des Glaubens an Christus. Durch ihr Martyrium zeigten sie, daß die Russische Kirche, die 200 Jahre ohne ihr Haupt - den Patriarchen - überlebte, durch die Petrinische Reform nicht entkräftet worden war. Dieser erste Imperator wollte der Wahrheit der Orthodoxie, die sich so vollgültig in Hierarchen wie dem Metropoliten Philipp zeigte, nicht offen be-gegnen und folgte daher westlichem Vorbild, bestrebt, die Kirche ihrer Leitung zu berauben und in ein gehorsames Anhängsel des von ihm konzipierten Staatsgefüges zu verwandeln. Aber die Heilige Kirche bewahrte ihr Antlitz, ihre innere Freiheit und Kraft. Die innere Dynamik des kirchlichen Lebens entfaltete sich im Laufe des 19. Jahrhunderts in einer allmählichen und konsequenten Befreiung unserer Theologie vom Ballast unorthodoxer Einflüsse. Sie zeigte sich auch in dem Streben nach der Wiederherstellung des Patriarchenamts, das sich in den Aussagen kirchlich aktiver Menschen am Ende des 19. Jahrhunderts wiederspiegelt. Sie offenbarte sich schließlich in der sicheren Ruhe und Festigkeit, mit der die Heiligen Neomärtyrer den Leiden begegneten - angefangen mit der blutigen leninschen Revolution, und bis in unsere Tage.
Das Blut der Märtyrer heiligte die Russische Erde. Die antichristlichen Kräfte der bolschewistischen Machthaber der letzten 70 Jahre hatten das Ziel, jeden Glauben an den lebendigen Gott auszurotten. Dieses Ziel hat sich auch unter dem gegenwärtigen Sklavenhalter nicht geändert, ungeachtet all seiner lauten Worte über Umgestaltung und Offenheit. Das Blut der Märtyrer aber stärkte das gläubige Volk in den Zeiten grausamster Verfolgungen. Die Kirche ging nicht unter, sondern nahm zu an Kraft, ungeachtet und wider die schändliche Loyalitätserklärung an die antichristliche Macht, die vom Metropoliten Sergius unterzeichnet worden war. Die Kirche wuchs heran und nahm zu an Festigkeit in den Konzentrationslagern und Gefängnissen, und in den Herzen des treuen Volkes, das allen Versuchungen des "Erneuerer-tums" und der Anpassungen des Moskauer Patriarchats widerstand. Das wirkte sich aus in dem Moment, als der fremdvölkische Gotteslästerer, der die Macht über das Russische Volk an sich gerissen hatte, unter dem Druck tierischer Angst vor dem äußeren Feind begriff - vielleicht kraft seiner abgebrochenen Seminaristenausbildung? - daß nur die Mobilisierung des gläubigen Geistes Rußland befreien kann von den anderen Fremden, die es überfallen hatten. Nach dem Tode dieses Tyrannen begann das Volk freier zu atmen, seinen Glauben freier zu bekunden, oder sich wenigstens religiösem Suchen zu widmen. Und obwohl die Machthabenden ihre Einstellung gegenüber dem Glauben nicht geändert hatten, begann das Volk wagemutiger hervorzutreten. In das geistige und psychologische Vakuum, das durch die Regierung der Kommunisten geschaffen worden war, bei gleichzeitiger völliger Erniedrigung der Orthodoxie durch das Verhalten des sklavisch hörigen Moskauer Patriarchats, konnten fremde Kräfte hineinstoßen - Baptisten, Adventisten, Zeugen Jehovas u.a.... im Schoße der Kirche selbst aber nisteten sich verschiedene Abweichungen von der Reinheit der apostolischen Lehre ein.
In dieser Periode des Gärens nun erschien plötzlich in allen großen Städten des Landes eine Massenorganisation. Sie nennt sich "Pamjat´" in Moskau und Nowosibirsk, "Vaterland" in Swerdlowsk, "Rettung" - in der Stadt am Newa-Fluß. Bei aller Verschiedenheit der Bezeichnungen ist die Sache, die sie alle einte, der Patriotismus, die Liebe und der Respekt für die eigene Vergangenheit, welche zerstört oder von der internationalistischen Sowjetmacht mit Mißachtung der Verwahrlosung preisgegeben wurde. Auf den ersten Blick erstaunt die riesige Mitgliederzahl dieser Gesellschaften - zehntausende von Mitgliedern sollen sie haben. Aber vielleicht erscheint dies weniger erstaunlich, wenn man bedenkt, daß dies überhaupt die erste und einzige massenhafte gesellschaftliche Organisation seit siebzig Jahren ist, die nicht von der KP abhängt.
Welche Ziele haben die Anhänger dieser Vereinigung? In erster Linie entlarven sie die Zerstörer der kulturellen Werte der russischen Vergangenheit, und fordern, daß man sie zur Verantwortung zieht. Die Zerstörungen begannen, bekanntlich, mit der Revolution und dauern an bis zum heutigen Tag. Aber sie verschweigen auch nicht, daß viele der für die Zerstörungen Verantwortlichen Nicht-Russen waren. Da Rußland ein orthodoxes Land war, waren auch die meisten seiner kulturellen Werte - kirchliche. Es ist natürlich, daß die Verehrer der Vergangenheit deren unwiederbringliche Zerstörung beklagen. Aber dadurch, daß diese Gesellschaften bei ihren Veranstaltungen, die viel Volk zusammenbringen, erwähnen, daß die Veranstaltung gerade auf den St.-Georgstag falle, oder, daß sie den Abend mit dem Anhören von Glockengeläut beginnen (wie die sowjetische Presse vermerkt), werden sie noch lange nicht kirchlich oder von gläubigen Menschen getragen. Der Wunsch, die Erlöserkirche in Moskau wiederherzustellen, läßt sich mit historischem Interesse erklären, mit Respekt vor der organischen Entwicklung der eigenen Kultur und der Abscheu vor deren grausamer Zerstörung. Dasselbe bezeugt der Wunsch, den Straßen- und Städtenamen Rußlands, die umbenannt worden waren - in der Hauptsache nach bolschewistischen Verbrechern, Organisatoren von Massenmorden, Folterern und Schändern dieser selbigen russischen Kultur - ihre alten Namen wiederzugeben.
Solche Bestrebungen sind für ein Volk, das seiner Geschichte beraubt wurde, völlig natürlich. Aber bei den Versammlungen der patriotischen Vereinigung "Pamjat'" werden auch grundfalsche Anschauungen geäußert, die der Orthodoxie und dem nationalen Geist fremd sind, was zur Abspaltung einer Reihe von Organisationen von der "Pamjat'" führte, so z.B. der "Rettung". Die Leiter von "Pamjat'" sind gar zu sehr von der "Entlarvung der freimaurerisch-zionistischen Verschwörung" eingenommen. Auf einer ihrer Versammlungen wurde aus den "Protokollen der Weisen von Zion" zitiert und beiläufig auf die bolschewistischen Führer hingewiesen, was zu Beifallstürmen führte. Diese Hingerissenheit erklärt sich durch das Überwiegen des nicht-russischen Elements unter den Führern der Revolution, aber dadurch läßt sich die Schuld für das Geschehene nicht vom russischen volk nehmen. Zugleich gibt es auch Auftritte bei den Sitzungen von "Pamjat'" gegen den Antisemitismus, aber diese Art von anti-freimaurerischer und anti-zionistischer Tendenz ist geeignet unter uninformierten Menschen dunkle Leidenschaften zu entfachen. Zum zweiten wird bei den Begeg-nungen der patriotischen Vereinigung die Forderung der Rückkehr zum "wahren" Marxismus-Leni-nismus aufgestellt, als ob dieser nicht von Grund auf mit dem Freimaurertum verbunden und nicht der Initiator für die Zerstörung der Grundlagen des russischen Lebens gewesen sei. Drittens wird den Mitgliedern der Gesellschaft vorgeschrieben, die "Glasnost'"- und "Perestrojka"-Politik zu unterstützen, wobei ihre Kritiker geradezu als Volksfeinde abgestempelt werden, während einzelne leitende Mitglieder der "Pamjat'" zur direkten Zusammenarbeit mit dem KGB aufrufen.
Wie ist die Koexistenz solch verschiedener, sich wechselseitig ausschließender Elemente in ein und derselben Bewegung zu erklären?
Zunächst ist dies damit zu erklären, daß die erste auf massenhafter Eigeninitiative begründete nationale Vereinigung, die in dem geistigen Vakuum entsteht, welches eine 7o-jährige Diktatur hinterlassen hat, in sich ganz natürlich - aber auch nur vorübergehend - die unterschiedlichsten und sogar einander widersprechende Elemente beherbergt. Weiterhin steht außer Zweifel, daß einige Mitglieder der "Pamjat'" und vergleichbarer Gesellschaften diese Ideen zum Schutz ihrer wirklichen Absichten benutzen. Und schließlich kann man mit Sicherheit behaupten, daß einzelne extreme Elemente von den Machthabern hierher geschickt wurden, um diese - im Kern völlig richtige - patriotische Bewegung zu diskreditieren. Außerdem bekommen die Machthaber auf diese Weise die eigenständig entstehenden Vereinigungen in ihre Hand, indem sie solche Widersprüche dort einpflanzen und entwickeln, die früher oder später zur Aufsplitterung führen müssen, zugleich aber liefern diese Gesellschaften ihnen - sozusagen "auf dem Wege dahin" - die benötigte Information über die verborgenen Sehnsüchte des Volkes. Diese Information können die Machthaber dann dazu benutzen, um im geeigneten Augenblick die Selbständigkeit dieser Massenbewegung außer Kraft zu setzen und sie zu eigenen politischen Zwecken zu mißbrauchen.
Vor unseren Augen also spielt sich hier ein mit vielen Gefahren befrachteter Kampf ab zwischen den eigenständigen massenhaften Bestrebungen des russischen Volkes und den Bestrebungen der Machthaber. Wider die "Pamjat'"-Bewegung ziehen natürlich in erster Linie jüdische Kreise ins Feld, in Rußland ebenso wie im Westen. Aber der ehemalige Vorsitzende des Moskauer Stadtsowjet, Jel´cyn, empfing eine Delegation der "Pamjat'" und diskutierte offen über eine ganze Reihe von Fragen, die jeden Russen bewegen. Man überläßt den patriotischen Vereinigungen Räumlichkeiten zur Durchführung ihrer Veranstaltungen, die von einer unerhörten Anzahl Sympathisierender besucht werden, die "Pamjat'" erhält sogar die Säle des Stadtsowjet und des ZK der Partei zur Verfügung gestellt. Das ist doch kein Zufall! Aber was verbirgt sich konkret dahinter? Schwer zu sagen. Wahrscheinlich können das sogar die Leiter der "Pamjat'", "Otecestvo", "Spasenije" u.s.w. selbst nicht recht beurteilen. Eines ist jedoch klar: das russische Volk hat sich weder von Gott, noch von seinen christlichen kulturellen Werten losgesagt. In dem - von dem unmenschlichen System des Kommunismus geschaffenen - geistigen Vakuum können seine Sehnsüchte und Hoffnungen recht unbestimmt und verschiedenartig erscheinen. Wichtig ist, daß es sie gibt. Diese Erwartungen zeugen von der Suche eines geistig beraubten und verwaisten Volkes. Sie können in die Sackgasse eines unreflektierten Anti-freimaurertums und Anti-zionismus geraten. Aber sie zeugen dennoch davon, daß die Gottlosen ihr Ziel der Ausrottung der Religion und der Schaffung eines neuen Menschen auf der Grundlage des Materialismus nicht erreicht haben. Das Blut der Neomärtyrer Rußlands verleiht einem jeden ehrlichen orthodoxen Menschen Kraft und ist ein Ruf, wenngleich für manche nur ein entfernter, die geistlichen Grundlagen wieder lebendig zu gestalten, und sei es vorerst nur in der Liebe und der Verehrung zum Althergebrachten und zu den kulturellen Werten.
Wie steht jedoch die Russische Kirche zu dieser Bewegung? Warum schweigt sie wieder und wieder? Ist ihre Stimme etwa wieder nur aus dem Ausland hörbar? Kann denn nur der freie Teil der Russischen Kirche direkt darüber sprechen, was in der Heimat vorgeht? In all diesen Monaten der Entwicklung der "Pamjat'"-Bewegung wurde nur eine einzige Aussage eines Hierarchen des Moskauer Patriarchats bekannt - eine Warnung, nicht nach den Schuldigen zu suchen, d.h. die Untaten der Sowjetmacht nicht zu entlarven.
Die Verantwortung für das Schicksal der patriotischen Initiativen liegt auf der Russischen Kirche. Sie kann nicht von dem Schicksal einer Bewegung unbekümmert bleiben, die schon jetzt für die Wiederherstellung der zerstörten Kirchen kämpft und darin mit den Interessen der Kirche übereinstimmt. Das Wort der Kirche ist nötig, um die Bewegung auf den richtigen Weg zu lenken. Dann wird es möglich sein, Extreme bezüglich des Freimaurertums und des Zionismus zu vermeiden. Dann wird es möglich sein den rechten Zugang zur Überwindung des Verfalls, der 70-jährigen Lähmung unserer Geschichte zu überwinden. Wahrscheinlich ist nicht jeder von den vielen Zehntausenden der Mitglieder von "Pamjat'" ein potentieller Gläubiger. Aber Ansätze des Glaubens gibt es zweifelsohne, reiche Ansätze!
Schmerzlich ist es, festzustellen, daß in der gegenwärtigen Periode die oberste Hierarchie des Moskauer Patriarchats die Entwicklung zur geistigen Freiheit eher bremst. Die Aussagen von Vertretern der Hierarchie, besonders im Ausland, zwingen zu dem Gedanken, daß sie verhärtete stalinistische Positionen aufrechterhalten. In seinem Sendschreiben zum 70-sten Jahrestag der Revolution bezeichnet der Patriarch Pimen das als "demokratischen Akt", mit dem "gesetzgeberisch die Prinzipien der Freiheit des Gewissens und die Unabhängigkeit der Kirche von den staatlichen Institutionen" festgelegt wurden, was in Wirklichkeit die Ermordung einer unzähligen Schar von Neomärtyrern und die Zerstörung zehntausender Kirchen war. In unseren Tagen, da selbst hochgestellte Führer der gottlosen Sowjetmacht zugeben, daß "Fehler zugelassen worden sind", wiederholt der Moskauer Patriarch die unveränderte Lüge darüber, daß "in den Nachkriegsjahren in gemeinsamen Anstrengungen der gesamten Gesellschaft, Schulter an Schulter, Gläubige und Ungläubige brüderlich sich mühten..." Solche Aussagen zeugen davon, daß ein so kranker Organismus wie das Moskauer Patriarchat nicht fähig ist, an den neuen freiheitlichen Strömungen, die im russischen Volk wachsen, aktiv teilzunehmen.
Aber die wahre Kirche lebt! Denn die Kirche ist der Leib Christi. Weder die antichristlichen Mächte, die sich seit 1917 und bis zum heutigen Tage über Rußland gelegt haben, noch die Lüge und das heuchlerische "Erneuerertum" und Anpasslertum konnten sie zerstören. Die Kirche steht fest auf den Gebeinen der Neomärtyrer. Durch ihre Gebete können "Pamjat'" und "Vaterland" und alle übrigen patriotischen Vereinigungen teilhaftig werden an der Rettung in Christus, dem Lebensspender, in der Orthodoxen Kirche, der Russischen Kirche, die nicht gebrochen werden kann - durch keinerlei "Verschwörungen", "historische Irrtümer" oder Verrat. Und die Mitglieder der "Pamjat'" sollten dessen eingedenk sein, daß die Rettung in Chris-tus allein liegt. Deshalb sind alle ihre Bestrebungen und Hoffnungen eitel, wenn sie nicht einfließen in das Leben der Russischen Orthodoxen Kirche, wenn sie nicht wenigstens mit ihren Grundlagen und Regeln übereinstimmen.
E.M.