Allgemeines
Bote 1991-2
Osterbotschaft
Christus ist auferstanden!
Er ist wahrhaftig auferstanden!
Christus erstand von den Toten, nachdem Er durch den Tod vernichtet den Tod, und den in den Gräbern Weilenden das Leben geschenkt.
Die freudigen Worte des Auferstehungstropars, die die vollkommene Erneuerung unseres Lebens verkünden, fließen in diesem Jahr mit den Worten des Verkündigungstropars zusammen: Heute geschah die Grundlegung unseres Heils und die Erscheinung des Geheimnisses vor aller Zeit: der Gottessohn wurde zum Sohn der Jungfrau, und Gabriel verkündet die Gnade. So rufen auch wir der Gottesgebärerin zu:freue Dich, Gebenedeite, der Herr ist mit Dir. Diese beiden Troparien umschließen gleichsam den ganzen Kreis unserer Rettung, Alpha und Omega des Heilsplans Gottes über uns Sündern. Kann es überhaupt ein größeres Fest als Ostern geben? Ja, es scheint tatsächlich ein solches zu geben, nämlich das diesjährige KyriopasÝcha, bei dem das Fest der Verkündigung und das der Auferstehung zusammenfallen. Anfang und Ende in einem großen und seltenen Feiertag, den die meisten von uns nur einmal in ihrem Leben antreffen werden.
Das heilige Erbeben, das uns bei der Verkündigung der Auferstehung Christi erfüllt, fließt zusammen mit dem demütigen Erschauern, das die Allerheiligste Gottesgebärerin bei den ihr zunächst unverständlichen Worten des die Geburt verkündenden Engels erfaßte. Ihr Erschauern war erfüllt von jener Frömmigkeit und Ehrfurcht, welche der Hl. Prophet Habbakuk erst allmählich im Verlauf seines “Kampfes” mit Gott erlangte.
Nicht zufällig mahnt die Heilige Kirche in der vierten Ode beinahe jeden Kanons an diesen Propheten, dessen Zittern zu Anfang des dritten Kapitels seines alttestamentlichen Buches zum Ausdruck gelangt, das mit den gottesfürchtigen Worten beginnt: “Herr, ich habe Deine Kunde vernommen, ich fürchte mich; Herr, ich habe Deine Werke erkannt und bin von Schrecken ergriffen”. Der Hl. Prophet Habbakuk ging von den Schrecken des Krieges aus, die auch uns in unseren Tagen so vertraut sind. Wieder können in unseren Tagen die von Gott entfernten Nachfolger des Volkes, an das sich der Prophet wandte, und mit ihnen alle Menschen, die sich von Gott abgewandt haben, in Schrecken fragen: “Warum läßt Du mich Unheil sehen und schaust Mühsal an? Und Verwüstung und Gewalttat sind vor mir, und Streit entsteht, und Hader erhebt sich” (Hab. 1,3). Unsere Welt ist von Streit und Hader erfüllt, doch kaum jemand sucht ehrlich nach Mitteln zur Überwindung dieser Folgen unserer Sünden. Wer oder was hilft uns, diese alten und doch gleichzeitig völlig zeitgenössischen Krankheiten der Menschheit zu überwinden?
“Der Gottesseher Habbakuk zeige uns den lichtstrahlenden Engel” - singen wir im Auferstehungskanon. Dieser lichtstrahlende Engel erschien zuerst der Allerheiligsten Jungfrau, Die durch Ihre Gottesnähe Herz und Geist zum Verständnis jener göttlichen Worte bereitet hatte, die an den Propheten Habbakuk gerichtet waren: “eine aufgeblasene Seele wird keine Ruhe finden; der Gerechte aber wird durch seinen Glauben leben” (Hab. 2,4). Sie war wahrhaftig wie eine Neue Eva durch ihren Glauben nicht nur selbst lebendig, sondern gebar Neues Leben für das ganze Menschengeschlecht. Von der Erfüllung dieses Wunders verkündet der lichtstrahlende Engel den Frauen, die mit Glauben zum Grabe traten. In ihrer Nachfolge empfangen wir alle, die wir mit Glauben zum Quell der Gerechtigkeit treten, das Wahre Leben.Die menschliche Seele war vom Fall der Urmutter Eva bis zur Demut der Allerheiligsten Jungfrau Maria “aufgeblasen” und konnte daher “keine Ruhe finden”. Der menschliche Schoß war ein aufgeblasenes Grab, das Leben war Tod ohne Ruhe. Die heidnischen Chaldäer, das “grimmige und ungestüme Volk, das die Breiten der Erde durchzieht, um Wohnungen in Besitz zu nehmen, die ihm nicht gehören” (Hab. 1,6), war “furchtbar und schrecklich, sein Recht und seine Hoheit gingen von ihm aus” (Hab. 1,7), d.h. sie vergötterten ihre Kräfte - welche Parallele zu unseren Tagen! Doch der Herr duldet auf Dauer keine gottwidrigen Kräfte: “Denn der Stein wird schreien aus der Mauer, und der Sparren aus dem Holzwerk ihm antworten. Wehe dem, der Städte mit Blut baut, und Festungen auf Ungerechtigkeit gründet” (Hab. 2,11-12).
Doch schauen wir nicht nur auf die Chaldäer unserer Tage, sei es im Nahen Osten oder im weiterhin versklavten Rußland oder gar im Osten unseres Landes! Sind nicht auch die Städte unserer aufgeblasenen Herzen auf Blut gebaut, unsere vielfältigen inneren Festungen auf Ungerechtigkeit gegründet - Unwahrheit vor Gott oder den Menschen oder vor uns selbst?
Blut und Ungerechtigkeit - die materialistische und geistige Abkehr von Gott, die Entfernung vom reinen Glauben - siedeln in uns bestialische Angst an. Doch die Gnade, die in der Verkündigung erlangt wird, führt diesen in ein frommes Erbeben über. In der Verkündigung löst sich das Erbeben vor dem Engel in der Demut der Allerheiligsten Gottesgebärerin in stille Freude auf, Ihr jungfräulicher Schoß wird zum Quell des Lebens für alle, die mit Glauben und Liebe zum Geheimnis der Fleischwerdung des Wortes Gottes herbeitreten. Der Hl. Prophet Habbakuk sah dieses Geheimnis klar voraus. Deshalb rufen wir ihn auch im Osterkanon auf, mit uns auf der Gotteswarte zu stehen, um den lichtstrahlenden Engel zu schauen, der schon nicht mehr nur der Allerheiligsten Jungfrau von der künftigen Menschwerdung Gottes kündet, sondern auch uns von der erfolgten Auferstehung Christi, die uns von der Macht und dem Gericht des grimmigen und ungestümen Volkes unserer Sünden befreit hat: Auf der Gotteswarte stehe Habbakuk, der Gottesseher, mit uns. Und zeigen soll er den lichtstrahlenden Engel, der mit lauter Stimme spricht: Heil ward heute der Welt, da Christus erstand als Allgewaltiger.
Auf die Gotteswarte haben wir uns zu Beginn der Großen Fastenzeit gestellt. Durch die reuige Reinigung von Seele und Leib sind wir von der irdischen Schwere befreit und gleichsam engelgleich geworden und fähig, den lichtstrahlenden Engel zu sehen - so sind wir bereit, auch das strahlende Kreuz und die Lichte Auferstehung zu schauen.
Nehmen wir uns, liebe Brüder und Schwestern, die gottesfürchtigen Worte des Hl. Propheten Habbakuk zu Herzen, um uns auch gemeinsam mit ihm von der Kraft unserer Hoffnung zu überzeugen, von der unverbrüchlichen Hilfe Gottes und Seinem Sieg über alles Böse. Ungeheucheltes Fasten und des Zöllners Gebet - das sind die beiden wirksamsten Mittel in unserem Kampf mit den Geistern des Bösen dieses Weltalters, - über sie eignen wir uns das klare Wort an: heute erfolgte nicht nur die Grundlegung unseres Heils, sondern heute liegt genauso auch die Vollendung des Heils der Welt vor uns, da Christus erstand als Allgewaltiger. Verwenden wir diese beiden Mittel nicht nur in der Großen Fastenzeit, sondern verteilen wir sie gleichmäßig über das ganze Jahr, so verwandeln wir uns aus blinden Sündern zu Menschen, die sowohl den unverbrannten Dornbusch als auch das Lebenspendende Licht schauen, werden zu aufrichtigen Erben des apostolischen Glaubens, der Reinheit, der Freude, die uns verkündet wurde und die wir wiederholen: Christus ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!
Kyriopas'cha 1991
MARK,
Erzbischof von Berlin und Deutschland
Bote 1991-2
Aus dem Leben unserer Kirche
Am 10. Februar fand in Brüssel die Weihe des Archimandriten Valentin (Rusancov), des Vostehers der Kaiser-Konstantin-Gemeinde, der Freien Russischen Kirche in Suzdal’ zum Bischof von Suzdal’ statt. Auf Beschluß der Synode der Russichen Orthodoxen Kirche im Ausland wurde er zum Vikarbischof des Höchstgeweihten Lazar’ des Erzbischofs von Tambov und Mar‚ansk ernannt.
Bischof Valentin war bereits in den ersten Jahren seines monastischen Lebens aufs engste mit der Katakombenkirche verbunden. Später wurde er Mönchspriester im Moskauer Patriarchat und betreute verschiedene Gemeinden im Süden Rußlands und im Kaukasus. Die letzten 17 Jahre lenkte er die Geschicke der einzigen Gemeinde in Suzdal’. Zum Fest der Verkündigung der Allerheiligsten Gottesmutter, dem 25. März 1990 schloß er sich mit dem gesamten Klerus und seiner Gemeinde der Russichen Orthodoxen Kirche im Ausland an.
Die Gottesdienste in Brüssel am Samstag und Sonntag, den 9. und 10. Februar, zelebrierte der Höchstgeweihte Antonij, der Erzbischof von Genf und Westeuropa. Mit ihm zelebruerten der Höchstgeweihte Mark, Erzbischof von Berlin und Deutschland, Varnavva, Bischof von Cannes und Bischof Grigorij aus Amerika. Trotz der schweren Schneefälle und der dadurch hervorgerufenen Schwierigkeiten im Straßenverkehr waren Geistliche aus Frankreich, der Schweiz, Luxemburg und Deutschland zu der Weihe gekommen.
Die Bischofsweihe fand in der Gedächtniskirche statt, deren Vorsteher, Priester Nikolaj Semjonov, mit großer Umsicht alle Einzelheiten dieses kirchlichen Festes vorbereitet hatte.
Russische Jugendkonferenz
Vom 3. bis 10. August d. J. findet in Buenos-Aires in Argentinien der 7. Kongreß der russischen Auslandsjugend statt. Es ist dies das erste Mal, daß ein solcher Kongreß in Südamerika einberufen wird. Die weitzerstreute orthodoxe Jugend Südamerikas erhofft sich davon besondere geistliche Stärkung. Jugendliche aus den Gemeinden unserer Kirche in aller Welt werden zu diesem Kongreß erwartet. Wie im vergangenen Jahr in Kanada wird auch dieses Mal mit einer nicht geringer Zahl von Teilnehmer aus Rußland gerechnet. Der neue Bischof in Südamerika, Joann, hat sich besonders aktiv in die Vorbereitungen zu diesem Kongreß eingeschaltet.
Bote 1991-2
Aus anderen Kirchen
Ernennung eines neuen Exarchen für Albanien
Der Synod des Oekumenischen Patriarchats hat Bischof Anastasij (Jannoulatos) zum Exarchen für Albanien ernannt und ihm aufgetragen, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um den pastoralen und geistlichen Nöten der Orthodoxen Kirche in Albanien gerecht zu werden. Zweifellos sind diese Nöte nach 23 Jahren der Verfolgung, die die Gläubigen in Albnien erlebt haben, besonders groß. Da in Albanien kein einziger Bischof am Leben blieb, wurde Bischof Anastasij beauftragt, neue Priester zu weihen und den Kontakt mit den Geistlichen herzustellen, die noch am Leben sind, um die Gemeinden wieder aufzubauen.
Die erste Liturgie seit 1967 wurde am 16. Dezember in dem Ort Derevicani gefeiert.
Der neue Exarch lehrt als Professor an der theologischen Fakultät in Athen. Er ist ein aktiver Teilnehmer an der Missionstätigkeit der Orthodoxen Kirche in Afrika. Insbesondere ist er verantwortlich für die Diözese von Kenia und das Priesterseminar in Nairobi.
Belgrad: Inthronisation des Metropoliten von Montenegro
Während einer feierlichen Liturgie erhob der serbische Patriarch Paul am 30. Dezember 1990 S. E. Amfilohij, den Bischof von Banat, zum Metropoliten von Montenegro. Er tritt an die Stelle des aus Altergründen zurückgetretenen Metropoliten Daniel.
Metropolit Amfilojij (Radovic) wurde 1938 in Montenegro geboren und studierte an der theologischen Fakultät in Belgrad. Seine Studien führte er später in Bern und Paris fort, und sein Doktorat legte er in Athen ab. Er unterrichtete Altes Testament und Kathchetik an der Theologischen Fakultät der Serbischen Orthodoxen Kirche in Belgrad. Für sein geistliches Leben ist der Einfluß seines Lehrers, des Archimandriten Justin Popovic, von grundlegender Bedeutung. In unserer Diözese war Bischof Amfilohij verschiedentlich zu Gast - insbesondere hielt er Vorträge beim Seminar für Orthodoxe Liturgik und Spiritualität in Frankfurt. Der neue Metropolit von Montenegro ist ein hochbegabter geistlicher Führer, Prediger und Schriftsteller.
Bote 1991-3
Aus dem Leben der Diözese
Am Palmsonntag, dem Fest des Einzugs des Herrn in Jerusalem, wurde der langjährige Diakon der Kathedralkirche des Hl. Nikolaus in München, Vater Georgij Kobró während des Kleinen Einzug der Liturgie von Erzbischof Mark zum Protodiakon erhoben.Vater Georgij wurde am 8./21. September, dem Fest der Geburt der Allerheiligsten Gottesgebärerin, 1981 in München zum Diakon geweiht und versieht seitdem ununterbrochen seinen Dienst an der Münchner Kathedralkirche. Dabei begleitet er häufig auch seinen Bischof auf Reisen. Neben seinem unmittelbaren Dienst als Diakon unterstützt Vater Georgij auch seit Jahren in der Münchener Kirche den Bischof oder jeweiligen Priester dadurch, daß er die Predigten simultan ins Deutsche übersetzt. Dafür ist er ausgezeichnet geeignet, da er Dozent am Dolmetscher-Institut der Universität Mainz in Germersheim ist und nicht nur lehrt, sondern häufig auch auf Konferenzen als Simultandolmetscher tätig ist. Vor kurzer Zeit wurde Vater Georgij von der Universität Mainz zum Dr. phil. promoviert. Trotz seiner mannigfaltigen beruflichen Verpflichtungen bemüht sich Vater Georgij, keine Gottesdienste auszulassen. Nach der Weihe des Archidiakons Agapit zum Mönchspriester ist Vater Georgij Kobró der älteste Diakon in München. Der Rang eines Protodiakons steht ihm daher nicht nur aufgrund seiner Verdienste zu, sondern ist schon durch seine Stellung als ältester Diakon der Kathedralkirche bedingt. Der heute dreiundvierzigjährige Protodiakon ist verheiratet und hat vier Kinder.
Am zweiten Osterfeiertag, dem Lichten Montag, 1991 wurde der Morgengottesdienst und die Liturgie im Kloster des Heiligen Hiob von Poçaev in München als bischöflicher Gottesdienst gefeiert. Während der Liturgie weihte Erzbischof Mark seinen langjährigen Archidiakon, Vater Agapit, zum Mönchspriester. Vater Agapit ist heute das älteste Mitglied der Bruderschaft des Klosters in München. Er kam zusammen mit Bischof Mark 1980 aus Wiesbaden noch als Novize Alexander hierher. Er wurde im Kloster des Hl. Hiob zum Rasophoren und später zum Mönch geschoren. In der Kathedralkirche des Hl. Nikolaus in München wurde er 1983 zum Mönchsdiakon geweiht. Während der Feierlichkeiten aus Anlaß des tausendjährigen Jubiläums der Taufe Rußlands erhob Metropolit Vitalij auf Antrag von Bischof Mark Vater Agapit in New York zum Archidiakon.
Angesichts des Anwachsens der Bruderschaft des Klosters und des Anstiegs der Besucherzahlen besonders aus Rußland wurde im Laufe des letzten Jahres immer deutlicher, daß das Kloster nicht nur an Werktagen wie bisher, sondern ebenso an Sonn- und Feiertagen, an denen die Bruderschaft bisher in die Kathedralkirche fuhr, seine eigenen Gottesdienste braucht. Die Weihe von Vater Agapit zum Mönchspriester eröffnet nun endlich diese Möglichkeit eines vollkommen regelmäßigen und ununterbrochenen liturgischen Lebens im Kloster, beraubt jedoch gleichzeitig den leitenden Bischof eines erfahrenen Diakons. Hoffen wir, daß bald neue Kandidaten für den Diakonsdienst heranwachsen und die nötige Erfahrung sammeln.
Am Sonntag der Hll. Myronträgerinnen, den 8./21. April 1991, fand in der Kathedralkirche zur Erhöhung des Ehrbaren Kreuzes in Genf eine besondere Feierlichkeit statt: man beging das 50-jährige Priesterjubiläum des Hochgeweihten Antonij, des Erzbischofs von Genf und Westeuropa. Aus diesem Anlaß waren Erzbischof Mark von Berlin und Deutschland und Bischof Varnava von Cannes sowie zahlreiche Geistliche aus der gesamten Westeuropäischen Diözese nach Genf gekommen. Den Abendgottesdienst am Sonnabend zelebrierte der Erzpriester Paul Cvetkov mit anderen Priestern. Die Göttliche Liturgie am Festtag zelebrierten alle drei Bischöfe mit einer großen Schar von Priestern und Diakonen. Erzbischof Antonij hielt selbst die Predigt zum Feiertag. Danach gratulierte Erzbischof Mark dem Jubilar, der außer dem jetzigen 50-jährigen Priesterjubiläum im vergangenen Jahr das 80. Lebensjahr vollendet hatte. Erzbischof Mark hob in seiner Ansprache besonders hervor, daß der Hochgeweihte Jubilar allen, die mit ihm in Kontakt kamen und kommen, durch sein Leben stets ein leuchtendes Beispiel des Wesens der Heiligen Myronträgerinnen gibt, indem er immer geradewegs Christus nachfolgt und alle dazu aufruft, seiner eigenen Liebe zum Herrn nachzufolgen. Dabei hat er insbesondere unter der Jugend großen Erfolg, mit der er immer engstens verbunden ist. Nach der Liturgie gab die Genfer Gemeinde einen Empfang für ihren Bischof und die zahlreichen Gäste, die aus nah und fern angereist waren. Die Reden und Geschenke, die dem Erzbischof an diesem Tag dargebracht wurden, zeugen von der aufrichtigen Liebe der Gläubigen und Geistlichen der ganzen Diözese zu ihrem Oberhirten.
Vom 1. bis 7. Mai (n.St.) hielt sich Erzbischof Mark in London zum Besuch der Diözese von Großbritannien auf. Neben den Gottesdiensten, die auf diese Zeit entfielen, war der Oberhirte mit zahlreichen Besprechungen mit Geistlichen und Gläubigen der Diözese befaßt. Am Sonntag, den 5. Mai, hatte die Kirchenälteste eine große Zahl von Gemeindemitgliedern in ihr Haus eingeladen, um hier die Möglichkeit persönlicher Gespräche mit dem Erzbischof zu geben. Am Sonntag Abend lud der Erzbischof selbst die Jugend der Gemeinde in sein Haus in St. Dunstan’s Road ein. Es versammelten sich etwa dreißig junge Gemeindemitglieder, zu denen Seine Eminenz über den Begriff der “sobornost’” (Konziliarität) und deren Bedeutung für unser christliches Leben sprach und sich hernach zahlreichen Fragen stellte.
Mittelpunkt der Besprechungen des Erzbischofs waren seine Sitzungen mit dem Bauausschuß und dem Gemeinderat der Londoner Gemeinde. Die Gemeinde hatte im letzten Jahr ein Grundstück mit Haus gekauft, um dort ihre Kathedralkirche zu erbauen. Mit dem Kauf hat sie jedoch ihre flüssigen finanziellen Mittel erschöpft. Kürzlich wurde ein von einem Gemeindemitglied ererbtes Haus verkauft. Der Erlös, den die Gemeinde im Juni erwartet, soll der Renovierung des Hauses auf dem neuen Grundstrück in Harvard Road zugutekommen. Als erstes soll dort ein geräumiger Saal eingerichtet werden, der vorläufig als Kirche dienen kann. Auf diese Weise soll die jetzige schwierige Situation behoben werden, in der die Gemeinde ihre Gottesdienste in der Hauskirche der Bischofsresidenz in St. Dunstan’s Road durchführt, wo der Platz nicht ausreicht, um alle Gläubigen zu fassen. Daher stehen regelmäßig Menschen nicht nur in den Gängen und auf den Treppen des Hauses, sondern einfach auf der Straße. Alle leiden unter der großen Enge und verbrauchten und Luft, andere kommen deshalb nur selten zu den Gottesdiensten. In der Karwoche und zu Ostern wurden die Gottesdienste in einer gemieteten anglikanischen Kirche durchgeführt. Das soll nun zunächst durch einen Saal in dem neuen Haus gelindert werden. Wir hoffen, daß wir den Saal noch in diesem Herbst werden fertigstellen können. Danach wird es hoffentlich auch möglich sein, den Hauptpriester der Gemeinde, Erzpriester Johann Systschenko mit seiner Familie in dem Haus anzusiedeln und dieses zu einem Gemeindezentrum werden zu lassen.
Bei der Gemeinderatssitzung am 18. April 1. Mai d.J. nahm dieser einstimmig die Vorschläge des Bauausschusses für den Neubau einer Kathedralkirche an, der zuvor unter Vorsitz von Erzbischof Mark getagt hatte. Die Kirche soll im Pleskauer Stil erbaut werden und ca. 240 m2 umfassen, was etwas weniger ist als die frühere Kathedrale am Emperor’s Gate.
Die genauen Baupläne werden veröffentlicht, sobald sie mit den Architekten endgültig besprochen sind. Danach wird auch der von Fürst Dimitry Golitzyn geleitete Finanzierungsausschuß mit der intensiven Sammlung von Spenden für den Neubau beginnen.
Der Gemeinderat der Londoner Gemeinde befaßte sich auch mit der Frage der Veröffentlichung eines Gemeindebriefes. Bisher war in Einzelarbeit eines Gemeindemitglieds und praktisch auf seine Kosten eine englisch-sprachige Veröffentlichung “The Anchor” viermal im Jahr erschienen. Der Gemeinderat beschloß, dem Herausgeber, Nicholas Mabin, seinen tiefen Dank für diese großartige Arbeit auszusprechen. In Zukunft möchte die Gemeinde eine Veröffentlichung in russischer sowie in englischer Sprache parallel gestalten. Dazu wird zunächst ein Redaktionskomitee gesucht. Vorläufig sollen Nachrichten aus der Diözese von Großbritannien in der russischen Ausgabe des “Boten der Deutschen Diözese” abgedruckt werden, der dann nach England geschickt wird. Auf die Dauer ist dieses Verfahren jedoch wegen des Portos zu kostspielig.
Bote 1991-3
Kirche in Rußland
Die Gemeinden der freien Russischen Kirche
Das Leben der Emigration, und mit ihr der Russischen Auslandskirche hörte im Jahre 1988 in Rußland auf, ein tabuisiertes Thema zu sein. Die Sympathien zu den gläubigen Landsleuten in der Diaspora fingen an, deutlich zutage zu treten, zugleich damit aber auch die wirklichen Probleme innerhalb des Moskauer Patriarchats. Die Lügen der kommunistischen Propaganda verwehten wie Rauch. Die unerschütterliche Haltung der Russischen Kirche im Ausland wurde als kirchliches Zeugnis angenommen.
Nach den Feierlichkeiten anläßlich des 1000-jährigen Jubiläums der Taufe Rußlands begann dort in kirchlich interessierten Kreisen die Diskussion über die Möglichkeiten der Eröffnung eines “Klosterhofes”, einer offiziellen Vertretung oder von Gemeinden der Russischen Auslandskirche in Rußland. Immer öfter und inständiger erklang diese Frage in den Gesprächen mit Gläubigen und Priestern, die aus Rußland zu Besuch kamen, und Ende 1989 fand sie ihren Weg in die Presse.
Die Russische Auslandskirche konnte schon deshalb keinen “Klosterhof” in Rußland eröffnen, weil die Rußländische Kirche für sie nicht eine “andere Landeskirche” ist. Die Auslandskirche selbst ist weder autokephal noch autonom. Die administrative Unterordnung unter das neue kirchliche Zentrum in Moskau, das durch die Kräfte der gottfeindlichen Macht im Jahre 1927 im Zusammenhang mit der “Loyalitätserklärung” des Metropoliten Sergij (Stragorodskij) ins Leben gerufen worden war, war undenkbar und wurde verworfen. Aber eine solche Trennung von der unrechtmäßigen Verwaltung in Moskau bedeutete keine Trennung von der Russischen Kirche. Das Leben der Russischen Kirche gründete in den Bestimmungen des Allrussischen Kirchenkonzils von 1917-1918. Dieses hatte in freier Willensäußerung nach 217 Jahren den Patriarchen von ganz Rußland gewählt. Bald darauf legte das Konzil die Grundlage für die Verherrlichung der Neomärtyrer Rußlands (5/18. April 1918). Das unter dem Druck der Kommunisten neugeformte Moskauer Patriarchat, dagegen, verstieß vielfach wider die geheiligten Kanones der Kirche und die Bestimmungen dieses letzten freien Allrussischen Konzils. Die Hoffnungen, das Moskauer Patriarchat werde zum Geist dieses Konzils zurückkehren, endeten im Jahre 1990 mit einer bitteren Enttäuschung - sowohl in Rußland als auch im Ausland.
Aber all diese Jahre bestanden im Ausland und in Rußland, in den Katakomben, die Teile der Russischen Kirche, die nicht um vermeintlicher und scheinbarer Vorteile willen den Weg des Moskauer Patriarchats gegangen sind. Und immer blieb die Frage offen: wie wird die Rückkehr zum reinen kirchlichen Weg, die Vereinigung der auseinandergerissenen Teile der Russischen Kirche möglich werden?
Für das Moskauer Patriarchat sah die Lösung dieser Frage immer gleich aus - wie in den Stalinschen 30-er Jahren, so in den Chrustschow-Breschnew’schen 60-er oder den jetzigen 90-er Jahren. Unabhängig von der kirchlichen und historischen Wahrheit geht es da um die Unterwerfung unter das Moskauer Zentrum nach der Formel: Moskauer Patriarchat = Russische Kirche.
Wie schön wäre das wohl, wenn es so einfach ginge! Aber das Kreuz der Russischen Kirche wirkte sich ja nicht zuletzt in ihrer kirchlich-kanonischen Situation aus. Die Möglichkeit einer zentralen Kirchenverwaltung wurde durch den Eingriff des atheistischen Systems gelähmt, was zu bitteren inneren Folgen führte.
Den Standpunkt, der dem neuformierten Moskauer Patriarchat alle Hoheitsrechte über die Russische Kirche einräumt, teilten weder Metropolit Antonij (Chrapowickij), der als ältester russischer Hierarch nach dem Tode des Patriarchen Tichon den Vorsitz in dem aus 34 Bischöfen bestehenden auslandsrussischen Bischofskonzil innehatte, noch Metropolit Kyrill (Smirnov), der älteste Hierarch in Rußland , der von Patriarch Tichon als erster für das Amt des Patriarchatsverwesers bestimmt worden war. Metropolit Kyrill schrieb zu diesem Thema:
“... jene, die die Nachfolge der Verwaltung Sergijs nicht als rechtmäßig anerkennen, dürfen bis zum Gericht des Konzils mit denen, die sie anerkennen, parallel existieren” (Januar 1934, s. L. Regel’son, Tragedija Russkoj Cerkvi, Paris 1977, S. 495).
Hierbei gründerte Metropolit Kyrill seine Auffassung auf den Ukaz (Erlaß) der rechtmäßigen Kirchenverwaltung vom 7/20 November 1920, auf dessen Grundlage auch die Russische Auslandskirche existiert.
Auf denselben Patriarchenerlaß verwies auch Metropolit Iosif von Petrograd, der dem Metropoliten Sergij folgendes schrieb:
“Wenn kraft dieses Ukaz einige Bischöfe sich ihrer brüderlichen Leitung zugewandt hätten, ... dann wäre gegen eine solche freiwillige Vereinigung nichts einzuwenden. Wenn Sie ... mit den so vereinigten Hierarchen für Ihre Gruppe so etwas wie eine Synode eingerichtet hätten, dabei jedoch nicht den Anspruch stellten, daß Ihre Beschlüsse für die gesamte Russische Kirche bindend sein müßten, dann wäre gegen eine solche Einrichtung ebenfalls nichts einzuwenden. Dann bräuchten Sie auch Ihr Gewissen nicht durch vielzählige Indikte und Bannsprüche zu belasten ... Nur durch die Hinwendung zum Patriarchenerlaß vom 7/20 November 1920 ... können Sie der Russischen Kirche ihren kanonischen Wohlbestand wieder zurückgeben ... “ (15/28 Juli 1933, s. L. Regel’son, S. 491).
In Rußland gibt es nach wie vor Gläubige, die in der Tradition dieser Metropoliten leben. In der Traditionsfolge des Metropoliten Kyrill steht auch jetzt in Rußland Lazarus, Erzbischof von Tambov und Mor‚ansk. Wie bereits berichtet wurde, empfing er die Bischofsweihe in Rußland mit dem Segen der auslandsrussischen Hierarchen im Jahre 1982. Das war schon damals ein Ausdruck der lebendigen Verbindung der Teile der Russischen Kirche in der Heimat und im Ausland, die frei von kommunistischer Einmischung geblieben sind.
Das Moskauer Patriarchat rief, den eigenen Grundvoraussetzungen folgend, seit Stalins Zeiten die Russische Auslandskirche dazu auf, in “den rettenden Schoß der Mutterkirche” zurückzukehren. Der gleiche Aufruf erging auch 1987. In der Antwort der auslandsrussischen Bischofssynode vom 6/19. November 1987 hieß es dazu:
“Die Autoren des Sendschreibens rufen uns dorthin zurückzukehren, von wo wir niemals weggegangen sind. Niemals sahen wir uns selbst als außerhalb der Mutterkirche stehend an, sondern bewahrten die Einheit von Geist und Gebet mit den Märtyrern, denen, die für den Glauben litten, die in die Katakomben gegangen waren, mit allen wahren othodoxen Christen, mit der gesamten Fülle der Russischen Kirche, für die Zeit und Raum keine Geltung haben: ‘Der Geist weht, wo Er will’. Wir sagten uns, im Ausland lebend, nicht von dem russischen Namen los, suchten keine fremden Omophore, trugen Schimpf und Verachtung seitens falscher Brüder und derer, die nicht nur unsere Kirche, sondern auch unser Vaterland hassen. Und jetzt ruft man uns, zurückzukehren... aber wohin?”
Die Einheit der freien Russischen Kirche existierte also auch vorher. Dem Moskauer Patriarchat, dagegen sind bis heute die kirchlichen Kategorien von Freiheit und konziliarem Geistfremd.
Mit der Veränderung der äußeren Umstände und der inneren Atmosphäre in Rußland begannen die verhärteten Vorstellungen und Strukturen aufzubrechen. Es stellte sich Frage des Hervortretens der kirchlichen Strömungen, die ihre Existenz in den Katakomben fortgeführt hatten. Ähnlich stellte sich die Frage für diejenigen, die innerhalb des Moskauer Patriarchats nur mit größter Anstrengung die stickige Atmosphäre der Unterdrückung ertrugen. Es stellte sich die Frage nach dem Zusammenfluß der getrennten Strömungen der gesamtrussischen Kirche. In dieser großen Perspektive war die Frage nach “auslandsrussischen Gemeinden” in Rußland eine Einzelfrage, der jedoch zugleich eine große grundsätzliche Bedeutung zukam.
Als sich die Diskussion dieser Frage weiter zuspitzte, zog Metropolit Vitalij, der Ersthierarch der Russischen Kirche im Ausland, im Februar ein Fazit der grundsätzlichen Haltung des im Ausland befindlichen Teils der Russischen Kirche, als er in einem Interview für die russischsprachige Sendung der “Stimme Amerikas” (Voice of America) unterstrich: “Für uns ist nicht wichtig, dort über eigene Gemeinden zu verfügen, sondern daß das Moskauer Patriarchat seinen Kurs ändert, sich vom ‘Sergianismus’ lossagt...”. Der Metropolit meinte, daß dies zusammen mit der Anerkennung der Verherrlichung der Neomärtyrer durch den - wohlgemerkt: nicht nur im Ausland , sondern auch in Rußland befindlichen - freien Teil der Russischen Kirche jetzt der notwendigste Schritt sein müßte. “Das ist unsere Erwartung, nicht das Aufdrängen unserer Gemeinden. Und wenn das geschieht, dann wird das ein unglaublich großes Ereignis geistlicher Dimension sein. Das Moskauer Patriarchat wird dann wieder auf seinen rechtmäßigen Weg kommen. Dann wird keine Rede mehr sein von irgendwelchen Gemeinden, dann wird alles eins sein. Das ist es, was wir wollen, was wir anstreben, wofür wir beten” (Pravoslavnaja Rus’, Nr. 7/1990, S. 5).
In Rußland wurde zu dieser Zeit von vielen bereits die Verlogenheit des “Sergianismus” entlarvt, der nur eine Folge kirchenfeindlicher Gewalt ist. Auch die Verehrung der Neomärtyrer kam deutlich zum Vorschein. Ein neuer Weg öffnete sich für das Moskauer Patriarchat. Dort aber zog man es vor, einerseits den “Sergianismus” weiter zu verteidigen, und andererseits, was die Neomärtyrer betraf, diese Frage in jeder Weise zu bremsen und möglichst auseinanderzudividieren. Beides sind ja eng zusammengehörende Dinge. An eine aufrichtige Lösung der Probleme, die die Russische Kirche als lebendiges Ganzes betrafen, wollte man nicht denken. Die Lösung ist nur auf dem Wege der Freiheit und Wahrheit möglich. Die Frage insgesamt aber kam dem Moskauer Patriarchat nicht gelegen, und so beschloß die Spitze des Moskauer Patriarchats, wie es hernach sein neugewähltes Haupt Alexij II. deutlich zeigte, lieber den Aufruf des Metropoliten Vitalij so zu verfälschen, als habe die Synode der Auslandskirche sich von dem freien Teil der Kirche in Rußland losgesagt und beschlossen: “Die Russische Auslandskirche wird auf dem Territorium des Moskauer Patriarchats keine Gemeinden haben” (Zentrales Fernsehen, 23.06.90). Man zog es vor von “Einmischung” oder “Nichteinmischung in die Angelegenheiten des Moskauer Patriarchats” zu sprechen, gemäß der Grundformel: Moskauer Patriarchat = Russische Kirche.
Die Unrechtmäßigkeit dieser vereinfachenden Formel und deren Ausbreitung auf dem Territorium der Russischen Kirche mit Methoden - gelinde gesagt - unkirchlicher Nötigung, ist ausreichend bekannt. Es ist der Orthodoxen Kirche nicht würdig, sich an das zu klammern, was mit kirchenfeindlicher Gewaltanwendung erreicht wurde. Das, was die höheren Ränge des Moskauer Patriarchats unbedingt zu unterbinden und zu unterdrücken suchten, kam demgemäß zum Vorschein.
Die Priester und Gläubigen, die unter schweren Umständen für die Eröffnung von Kirchen kämpften (manchmal zwei Jahrzehnte lang), für die Weitung der kirchlichen Tätigkeit und Renaissance der Russischen Kirche, blieben gewöhnlich ohne Unterstützung seitens der Hierarchie des Moskauer Patriarchats. Klagen über innerkirchliche Mißbräuche blieben ohne Antwort. Mit der teilweisen Veränderung der äußeren Umstände kamen auch die Folgen zum Vorschein. Schließlich erschienen auch diejenigen, teilweise, an der Oberfläche die die Ausgangspositionen des Moskauer Patriarchats nicht annahmen.
In Petrograd wurde eine Gemeinde gegründet, die ihre Tradition auf den bekennenden Priester Michail Roœdestvenskij zurückführt, der noch von Metropolit Iosif von Petrograd geweiht worden war, Gefängnis, Verbannung und Verfolgungen erlitt, aber unbeirrt seinen Dienst tat, bis er 1988 starb, nicht ohne seinen verwaisten geistlichen Kindern zu prophezeien: “Gott wird euch einen Priester schicken”.
Im Februar 1989 begannen die Versuche, ein Kirchengebäude zur Nutzung zu erhalten. Sie stießen nur auf Absagen. Aber am 14. Dezember 1989 wurde die Registrierung und die erbetene Kirche zugestanden. Die Kirche der Gottesmutter von Kazan’ im ehem. Novodeviçij-Kloster in Petersburg hatte niemals dem Moskauer Patriarchat gehört, und die Gemeinde trat nicht als eine zum Moskauer Patriarchat zugehörige Gemeinde auf. Bald nach dem gescheiterten ersten Versuch, die Gemeinde durch die Vereinigung mit einem zweiten Kirchengründungskomitee zu vereinigen, stellte sich heraus, daß das Moskauer Patriarchat durch seinen Vertreter Erzpriester Pavel Krasnocvetov in Zusammenarbeit mit dem Stellv. Bevollmächtigten für Religionsangelegenheiten N.N. Kirov im Eilverfahren eine zweite Gemeinde geschaffen hatte, um den Bestand der Gründergemeinde zu unterlaufen. Aber das Problem erwies sich nach einem vernünftigen Gespräch mit den Menschen, die hier ausgenutzt werden sollten, als lösbar und die Gemeinde der freien Russischen Kirche konnte ihren Weg weitergehen. Sie erhielt schließlich die Registrierung auf der Ebene des Ministerrates der UdSSR und begann mit der Abstimmung der Pläne zur Übergabe der gesamten Kirche, denn im eigentlichen Kirchenraum befindet sich bis heute das wissenschaftliche Institut “Energomasch”.
Gleichzeitig hatten mehrere Priester aus Sibirien um Aufnahme in die Jurisdiktion der Russischen Auslandskirche gebeten.
Bereits 1987 wurde der Fall zweier Priester (V. Cvetkov und Priestermönch Leonid) in Frunze bekannt, die vor dem gläubigen Volk ein Reuebekenntnis abgelegt hatten und daraufhin ihre pastorale Tätigkeit verstärkten, u.a. begannen sie durch vollständiges Untertauchen zu taufen, wie es die Kanones der Orthodoxen Kirche fordern. All das führte jedoch lediglich zur Verfolgung durch die Kirchenoberen des Moskauer Patriarchats. Die Gläubigen setzten sich für ihre Priester ein, forderten die Aufhebung der ungerechtfertigten Zelebrationsverbote. Ganz ähnlich verhielt es sich in Sibirien.
Dann brodelte es in Suzdal, wo die Gläubigen die Absetzung ihrer Geistlichen nicht hinnahmen und gegen die verhängten Zelebrationsverbote Sturm liefen. Der Wechsel der Gläubigen von Suzdal in die Jurisdiktion der Russischen Auslandskirche (s. Bote 3/90) erregte wohl wegen der Bekanntheit des historischen Ortes die Aufmerksamkeit der Massenmedien in Rußland und im Ausland, war jedoch auf dem Hintergrund der sich entfaltenden Ereignisse keineswegs ein Einzelfall. Er war nur eine der Varianten in der Palette der Möglichkeiten, die sich im größeren Kontext der Probleme des Moskauer Patriarchats und, darüber hinaus, der gesamten Russischen Kirche abspielten.
Das Bischofskonzil der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland, das unter Teilnahme des aus Rußland angereisten Bischofs Lazarus von Tambov und Mor‚ansk tagte, begründete im Sendschreiben vom 3/16. Mai 1990 seine Entscheidung, bei den tiefgehenden Prozessen, die sich in Rußland entfalteten, nicht als unbeteiligte Beobachter danebenzustehen (s. Bote 3/90). Einerseits gab es ja die Gemeinschaft mit dem freien Teil der Kirche in Rußland selbst, von dem übrigens ein bedeutender Teil weiterhin in den Katakomben blieb, weil er kein Vertrauen in die äußeren politischen Veränderungen hatte (und es sieht so aus, daß man diesem Teil bald wird recht geben müssen). Aber ganz abgesehen davon zwang dazu auch die Unrechtmäßigkeit der Aktionen des Moskauer Patriarchats den Priestern gegenüber, die Mißachtung von derem pastoralem Gewissen und Verachtung für das gläubige Kirchenvolk. Wenn schon die korrekte Durchführung der Taufe dazu führen kann, daß ein Geistlicher versetzt wird oder sogar Zelebrationsverbot erhält, und wenn ein Bischof unverhohlen Denunziationen von einem Geistlichen fordert (vgl. A. Neœnyj, “Sud’ba patriarcha” in: Ogonjok Nr. 22/1990, S. 30-32)... worüber soll man denn dann noch reden?
Immerhin, infolge des Wechsels der einzigen Gemeinde von Ussurijsk zur freien Russischen Kirche (s. Bote 5/1990) wurde schließlich der berüchtigte Gavriil (Stebljuçenko) in den Ruhestand versetzt, der aus unerklärlichem Grunde 1989 zum Bischof geweiht worden war. Auch der Erzbischof Valentin (Mi‚çuk) von Vladimir und Suzdal’ wurde beseitigt. Es gibt Anzeichen, daß sich auch der Leningrader Metropolit Ioann (Snyçev) nicht lange halten wird. Das Erscheinen der parallelen Gemeinden oder der Möglichkeit, in die Freie Russische Orthodoxe Kirche überwechseln zu können, zwingt das Moskauer Patriarchat natürlich, sich der Situation anzupassen. Leider muß man feststellen, daß die Substanz sich nicht ändert, sondern schlauere und gewandtere Leute die Geschäfte übernehmen. Das Moskauer Patriarchat ist geneigt, nicht für die Verbesserung des eigenen inneren Zustandes, für die Reinheit und Wahrheit zu kämpfen, sondern für die Bewahrung seiner Stellung. Dennoch darf man hoffen, daß das Erscheinen der freien Russischen Kirche eine gewisse zügelnde Wirkung auf die negativen Kräfte im Moskauer Patriarchat haben und so den Geistlichen im Moskauer Patriarchat nutzen wird, die die wahren Probleme kennen und eine echte Renaissance der Russischen Kirche anstreben. Hier handelt es sich ja nicht um ein “Schisma”. Dieses Wort wird von der Hierarchie des Moskauer Patriarchats lediglich ausgespielt. Man spricht sogar davon, die Gemeinden der freien Russischen Kirche, müßten zum “Abwässergraben werden, wohin alle ungesunden Elemente abziehen werden”... aus dem Moskauer Patriarchat, versteht sich (“Zeitschrift des Moskauer Patriarchats”, Nr. 9/1990 S. 33).
Vater Michael Ardov, selbst ein Priester des Moskauer Patriarchats, sieht da manches anders, wie er in einem Interview mit der Moskauer Wochenzeitschrift “Stolica” klarmachte:
“Bei uns hört man heute empörte Stimmen, daß ‘die Karlowitzer unsere Gemeinden an sich reißen’ (die Bezeichnung ‘Karlowitzer’ ist ein Schimpfname für die Russische Auslandskirche, deren Synode sich zwischen den Weltkriegen auf Einladung des serbischen Patriarchen beim Patriarchensitz in Sremski-Karlovici befand. - Anm. d. Red.), daß sie auf das Territorium unseres Landes eindringen. Doch daran ist überhaupt nichts Erstaunliches oder Unerwartetes, denn eine der Hauptideen, die im Laufe langer Jahrzehnte für das Leben der Russischen Auslandskirche bestimmend war, war ja die Rückkehr in die Heimat! Welch Wunder, daß diese Idee sich bei der ersten Gelegenheit zu verwirklichen begann?.. Man muß hier anmerken, daß unter das Omophorion der Auslandskirche bereits jetzt sehr oft keineswegs die Schlechtesten unserer Kleriker überwechseln, die eine Hierarchie vorziehen, die wesentlich weniger in Politik verwickelt war und sich nicht durch Liebdienerei bei den gottlosen Machthabern kompromettiert hatte.
Diejenigen allerdings, die so besonders empört sind durch das ‘An-sich-Reißen unserer Gemeinden’, sollten sich an geschichtliche Fakten erinnern. Wer hat denn mit Hilfe der israelischen Regierung der Auslandskirche den wohl größten Teil ihres Besitzes im Heiligen Land weggenommen?.. Wer hat ihnen die Kathedrale in Berlin entrissen?.. Und vor wenigen Jahren erst wurde in der ‘Zeitschrift des Moskauer Patriarchats’ ein Brief des nunmehr verstorbenen Patriarchen Pimen publiziert, der von der Regierung der BRD fordert, das Eigentum der Auslandskirche auf deutschem Territorium zu konfiszieren...” (“Stolica”, 3/1991, S. 22).
Das gesamte Interview von Vater Michael Ardov, das von klarem und nüchterndem Denken zeugt, läßt Hoffnung aufkeimen. Lösungen für einzelne Problempunkte (die gibt es da auch) lassen sich geradezu mit den Händen greifen. Aber die von ihm so genannten “empörten Stimmen”, sind durchaus in der Lage, ihm heute für seine nüchterne Denkweise als einem “Verräter” den Garaus zu machen, denn sie denken ja in ganz anderen Kategorien...
Als im Juni 1990 die Bischöfe der freien Kirche Rußlands anläßlich der 1000-Jahrfeier der Taufe des Suzdaler Landes in Suzdal’ konzelebrierten (Bischof Mark von Berlin und Deutschland, Bischof Lazarus von Tambov und Mor‚ansk, Bischof Hilarion von Manhattan), brachte das Moskauer Patriarchat mit Autobussen Geistliche, den Chor und die eigenen Gläubigen, ja sogar die eigene Miliz, um eine Gegenveranstaltung zu halten, an der sich die Gläubigen der Stadt nicht beteiligten. Die Miliz sollte sie wohl vor Übergriffen seitens der Gläubigen Suzdals schützen. Aber es gab keinerlei Zusammenstöße oder gar Exzesse, die brauchte man auch nicht zu erwarten. Eine ganze Reihe der in den Bussen mitgekommenen Gläubigen des Moskauer Patriarchates zogen es allerdings vor, zum Gottesdienst der wirklichen Suzdaler Gemeinde zu kommen, die fest zu ihren Priestern hält. Aber der Erzbischof und jetzige Metropolit Kyrill (Gundjajev) im Ausland als Vorsitzender des kirchlichen Außenamtes des Moskauer Patriarchats sehr bekannt, äußerte hernach die Meinung, daß man das “Schisma” radikal ausmerzen müsse. Auf einer Pressekonferenz im Oktober 1990 sprach er dann von den vielfachen vergeblichen Versuchen des Patriarchates, die Auslandskirche der Versöhnung zuzuführen, leugnete jede Gewaltanwendung, obwohl sie schon begonnen hatte. Die Wahrheit darüber, was denn einer Versöhnung entgegensteht, darf man von dieser Seite nicht erwarten. Im Januar 1991 verkündete Metropolit Kyrill wieder öffentlich, die Auslandskirche verlange vom Moskauer Patriarchat (man höre und staune!) nicht weniger als: “sämtliche Beziehungen zu den Kirche im Westen abzubrechen und die Notwendigkeit anzuerkennen, den Staat monarchistisch zu ordnen” (“Prospekt mira”, Jugendzeitschrift, 5. Jan.1991). Diese Lügen sind aber bereits fester Bestandteil der Verleumdungskampagne, die das Moskauer Patrarchat entfesselt hat. Bleibt es bei Verleumdung allein?
Das Moskauer Patriarchat stellt den Anspruch, Rechtsnachfolger der vorrevolutionären Russischen Kirche zu sein. Dieses Verständnis wird aus politischen Gründen oder aus Unkenntnis allzuleicht angenommen. Einen solchen Standpunkt unterstützt der Vorsitzende des Leningrader Sowjets A. Sobçak, und von daher brachten die Interventionen des Leningrader Metropoliten Ioann (Snyçev) und des Oberhauptes des Moskauer Patriarchats Alexij II. die Petrograder Gemeinde der freien Russisch-Orthodoxen Kirche in Bedrängnis. Der Metropolit und der Rektor der Leningrader Geistlichen Akademie Erzpriester V. Sorokin traten gemeinsam im Fernsehen auf und scheuten sich nicht, die Fakten zu verdrehen. Der Versuch, dagegen, ein Auftreten seitens der Gemeinde vor der Öffentlichkeit zu organisieren, wurde kurzfristig durch eine Telefoninstruktion in die “Kommission für Glasnost” vereitelt - die zugesagte Räumlichkeit wurde sofort gestrichen. Über Priester Sergij Perekrestov und einen jeden, der seinen Segen annimmt, wurde der Bann verhängt. In den Weihnachtsfeiertagen wurde der Gemeinde der Strom abgeschaltet. Metropolit Ioann begrüßte diese “Initiative” (“Nevskoje vremja”, 15.01.91). Am 26. Januar ist in der gleichen Zeitung bereits davon die Reden, daß auf Initiative des Moskauer Patriarchats hin, die Kirche geschlossen werden könnte. In der Zeitung “Ças pik” vom 10.12.1990 (Tag der Menschenrechte!) sind solche Klänge zu hören: “Der politische Kampf gegen die UdSSR führte zum endgültigen Schisma ... die Auslandshierarchen forderten, daß man sie bei der Machtverteilung nicht übergeht ... der Handschuh, der aus New York geschleudert wurde, trifft auch unseren Präsidenten, der Kommunist ist ... Die Gemeinden lassen sich ohne Furcht registrieren und erklären dem Moskauer Patriarchat ihren Ungehorsam”. Solches erklingt in einem der beiden Zentren des Landes, wo, wie man meint, nicht die Kommunisten, sondern lautere Demokraten an der Macht sind, die die “Gewissensfreiheit” achten und verteidigen. Und die Zeitung, die das abdruckt, gehört dem Leningrader Journalistenverband. Aber die Empörung darüber, daß sich Menschen erlauben “ohne Furcht” zu handeln, erinnert an die Worte des Stellv. Bevollmächtigten des Gebietsexekutivkomitees in Orenburg (Sibirien): “sie kommen aus allen Spalten gekrochen, sie säen Wirrnis in den Köpfen der Bevölkerung”. In der Zwischenzeit aber bereitet das Moskauer Patriarchat das nunmehr vierte Gründungskomitee (die erforderliche “Zwanzigergruppe”) vor, um mit der Hilfe der Landsmannschaft der “Newa-Kosaken”, die am 27. Januar 1991 die Registrierung erhielten, endlich die Gemeinde der Kirche zu berauben.
In dem anderen Zentrum des Landes, in Moskau, wurde dem Vertreter der Freien Russischen Orthodoxen Kirche, dem Subdiakon A. Michal’çenkov offen erklärt: ihr könnt machen, was ihr wollt, in Moskau werdet ihr keine Kirche haben. Von wegen “Freiheit”, von wegen “Gewissen”... wenn das Patriarchat - das “Moskauer” ist, funktionieren Gesetze nicht. Die arme Russische Kirche! Sie ist seit vielen Jahrzehnten in den Händen derer, die es verstehen, zusammenzuarbeiten “mit wem es sich gehört”...
Die Gemeinde von Goloçelovo (Gebiet Moskau) versuchte mit ihrem Priester Viktor Usaçev, sich der Freien Russischen Kirche anzuschließen. Am 7. Oktober 1990 kamen während des Cherubim-Hymnus Unbekannte unter der Leitung von Bischof Grigorij von Moœajsk und Erzpriester A. Ganaba in die Kirche gestürmt. Einige kamen in den Chor, man packte den Chorleiter an den Händen, es gab einen Skandal. Immerhin, die Göttliche Liturgie wurde nicht unterbrochen, aber gleich nach ihrer Beendigung wurde Vater Viktor und seine Gläubigen aus der Kirche gejagt und eine zweite Liturgie zelebriert. Unter dem Druck des Moskauer Patriarchats mußte Vater Viktor den Ort Goloçelovo endgültig verlassen.
Noch Anfang des Jahres 1990 begann die Unterschriftensammlung unter dem an den Obersten Sowjet der UdSSR gerichteten Aufruf “Wir fordern die Eröffnung von zur Russischen Auslandskirche zugehörigen Gemeinden”, der eine Kritik des “Sergianismus” enthielt. Initiator des Aufrufs war der - damals dem Moskauer Patriarchat zugehörige - Erzpriester Aleksij Averianov. Am Sonntag, dem 24. Juni kam auf dem Moskauer Autobahnring nahe dem Dorf Beseda von der Autobahneinfahrt her ein Auto - Marke: “Lada” - auf den Wagen zu, in dem Vater Aleksij saß, und rammte ihn von der Seite her, mit dem offensichtlichen Ziel, den Wagen auf die andere Fahrbahn zu stoßen. Alle nachfolgenden Ereignisse, das Verhalten der Verkehrsmiliz und der Unfallbeteiligten weisen darauf hin, daß es sich um eine gezielte Aktion handelte (Details in der Pariser Zeitung “Russkaja mysl’”, 3.08.90, S. 9: “Probleme der ‘nicht Gefügigen’ in der Kirche und sonderbare Vorkommnisse mit ihnen”).
Am 4. Januar 1991 beschloß der jetzige Bischof von Vladimir und ehemalige Abt des Optina-Klosters Evlogij, gegen Vater Aleksij aktiv zu werden, der sich der Freien Russischen Kirche angeschlossen hat und die Gemeinden von Kozel’sk und Vali‚çevo versorgt. Er tat dies mit der Hilfe der Miliz und des KGB (Details in “Vestnik” 1/91). Am 14. Januar kam im Anschluß an diese Ereignisse eine dringende Einladung ins Stadtexekutivkomitee, und schon tags darauf wurden um 12 Uhr Mittags “Elektriker” bei Vater Aleksij vorstellig. Sie erklärten: “Da Sie nicht ins Exekutivkomitee kommen, haben wir Anweisung, in Ihrem Haus den Strom abzustellen...” - und schnitten die Kabel durch.
Am 13. März 1991 wurde mit dem Segen des Metropoliten von Kruticy Juvenalij eine Versammlung unter der Leitung des Erzpr. A. Ganaba durchgeführt mit dem Zweck, die Liquidierung der Gemeinde der Freien Russischen Kirche in Vali‚çevo einzuleiten. Am 17. März erschien ein Milizionär, der die Forderung des Staatsanwaltes zum Durchlesen aushändigte, in der eine schriftliche Erklärung über die Umstände der “ungesetzlichen Inbesitznahme der Kirche” zum 20. März verlangt wurde. An die Forderung des Staatsanwaltes war das von Metropolit Juvenalij ausgesprochene Zelebrationsverbot für Vater Aleksij angeheftet. Auf dem Hintergrund der geltenden gesetzlichen Bestimmungen und der “Trennung der Kirche vom Staat” ist die Verbindung zwischen dem Staatsanwalt und dem Zelebrationsverbot unverständlich. Die Gemeinde, die hinter ihrem Geistlichen steht, sandte einen entschiedenen Protest an das Oberhaupt des Moskauer Patriarchats Aleksij II.
Am 12. Oktober 1990 veranstaltete des Moskauer Patriarchat die Gründungsversammlung einer “Union Orthodoxer Bruderschaften” - unter der Leitung des kirchlichen Amtes für auswärtige Beziehungen. Von nun an wollen die Behörden (nach eigener Auskunft) nur noch solche Bruderschaften registrieren, die vom Moskauer Patriarchat empfohlen werden (telefonische Rückfrage genügt - hat ja alles mit dem “Gesetz über die Freiheit des Gewissens” ohnehin nichts zu tun). Der Gründungsversammlung wohnten auch Vertreter der “Bruderschaft des Hl. Hiob von Poçajev (in Moskau)” bei, die bereits früher registriert worden war (eine “ärgerliche Panne”?), die jedoch zur Freien Russischen Orthodoxen Kirche gehört und deshalb nicht in die Union eintrat, die vom Moskauer Patriarchat organisiert wird. Vier unbekannte Männer verprügelten den Vorsitzenden der Bruderschaft, Subdiakon A. Michalçenkov derart, daß er ins Krankenhaus gebracht wurde und nach Auskunft eines Freundes “nicht zu erkennen war”.
Sebastopol : Kirche des Heiligen Nikolaus. Der Priester Georgij Kochno wechselt in die Freie Orthodoxe Kirche. Die Verfolgung, die daraufhin Bischof Gleb von Simferopol veranstaltete, bewog den Abt Andronik, sich auch der Freien Russischen Kirche anzuschließen. Am 4. Oktober 1990 kam eine mit Bussen herbeigebrachte Menge von unbekannten Leuten und stürmte die Kirche, angeführt von Priestern des Moskauer Patriarchats. Die Kirche blieb drei Wochen lang vom Moskauer Patriarchat besetzt. Dann nahmen sie wieder die Mitglieder der Freien Russischen Kirche ein. Zu diesem Zeitpunkt ergriffen Milizionäre Vater Georgij und brachten ihn gewaltsam aus dem Bereich der “Grenzzone” (Betreten und Leben in Sebastopol ist nur mit Sondererlaubnis möglich). Als die Miliz Vater Georgij wegbrachte, versuchten seine treuen Gemeindemitglieder, ihrem Priester in Autos nachzufahren. Aber sie wurden von Streifenwagen gestoppt. Die Papiere wurden kontrolliert und die Führerscheine eingezogen. Tags darauf wurde die Kirche von Priestern des Moskauer Patriarchats mit Unterstützung der Miliz eingenommen.
Abt Innokentij in Ussurijsk (vgl. Bote 5/1990) wurde verleumdet, er habe “die Kirche an die Amerikaner verkauft”. Suzdal’ wurde von einer anonymen Flugblätteraktion heimgesucht. In den Flugblättern heißt es, Archimandrit Valentin habe sich “an die Amerikaner verkauft” und arbeite mit dem CIA zusammen. Ganz zu schweigen von den persönlichen Verleumdungen die hier verbreitet wurden, werden auch Gerüchte in der ganzen Diözese von Vladimir in Umlauf gebracht, in Suzdal’ seien die Priester “zumKatholizismus übergetreten”, die Kommunion werde in Form von “Oblaten” gereicht u.s.w.
“Amerikanischer Glaube”!.. Mit diesem Schreckgespenst versuchten am 29. März 1991 der Vors. des Rajonexekutivkomitees N.I. Makarov, der Stellv. Vors. R.M. Schipagov, Stellv. Bevollmächtigte N.I. Chruœenko gemeinsam mit dem Vertreter der Diözese von Orenburg des Moskauer Patriarchats, Priester Vladimir, den Gläubigen Angst einzujagen, wobei den im Klub versammelten Gläubigen in Anwesenheit ihres Priesters Anatolij Scharov verkündet wurde, er bedürfe einer “Neuweihe”. Seine gesamte Tätigkeit wurde als “illegal” dargestellt.
“Spionage” und “Diversion”, die gegen die UdSSR gerichtet sind (vgl. oben, laut Leningrader Zeitung “der politische Kampf gegen die UdSSR...”), das sind die Hauptargumente des Bevollmächtigten für Religionsfragen G.P. Dobrynin, der die Registrierung der dortigen Gemeinde verhindert und ihr das Leben in jeder erdenklichen Weise erschwert. Die Satzung der Freien Russischen Orthodoxen Kirche, so behauptet der Bevollmächtigte, “ist auf die Untergrabung der gesellschaftlichen Ordnung gerichtet”. (Zur Information: mit Gesetz vom 1. August 1990 existiert das Amt des Bevollmächtigten für Religionsfragen in der RSFSR nicht mehr. Es gibt sie also nicht - und gibt sie doch!) Die Verweigerung der Registrierung durch das Rajonsexekutivkomitee wurde folgendermaßen motiviert: “Man wird euch aus dem Ausland Spionageaufträge erteilen und euch dafür bezahlen” (20.12.1990). Die Gemeindegründer stehen unter schwerem Druck. Drohungen sind an der Tagesordnung.
Am 20. Februar 1991 verlangte der Vertreter der Diözese Krym, Abt Pantelejmon, der Priester Valerij Lapkovskij solle aus Kerç verbannt werden. Er verlangte in der Deputiertenversammlung, man solle ihm das Volksdeputiertenmandat entziehen. Die Sprüche von “Verrat” u.s.w. sind ja hinlänglich bekannt. Am 23. April wurde Vater Valerij in der eigenen Wohnung verprügelt, wobei Anatolij Bocenko, der sich gewaltsam Zutritt zur Wohnung verschafft hatte, Morddrohungen ausstieß für den Fall, daß Vater Valerij Kerç nicht sofort verläßt. Bocenko behauptete dabei, der Mord werde für ihn “sowieso keine Folgen haben”, wie man ihm beim KGB versprochen habe. Am gleichen Tag erschien in der Zeitung “Der Arbeiter von Kerç” ein Artikel des Bischofs Vasilij von Simfe
Bote 1991-3
Der KGB im Dienste des Moskauer Patriarchats
Am 31. Dezember des vergangenen Jahres 1990 kam ein Lastwagenkonvoi mit humanitären Hilfsgütern in Moskau an, der von Schülern der Edith-Stein-Schule in Darmstadt unter der Leitung von Christiane Schaumann und Elena Latte in Zusammenarbeit mit dem Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) und dem Kloster des Heiligen Hiob von Poçaev (Russische Orthodoxe Kirche im Ausland) organisiert wurde. Im Begleitschreiben, das vom Sekretär der Diözesanverwaltung der Deutschen Diözese, Priester Nikolai Artemoff unterzeichnet war, hieß es: “Dieser Lastwagentransport mit Hilfsgütern für Bedürftige ist zur verantwortlichen Verteilung durch Priester Aleksij Averianov... bestimmt. Die Güter werden nach Maßgabe der Geistlichen und ihrer Mitarbeiter verteilt”.
Am 2. Januar kamen die Hilfsgüter im Dorf Vali‚çevo bei Moskau in der dortigen Kirche des Entschlafens der Allerheiligsten Gottesgebärerin (die zur Jurisdiktion der Russischen Auslandskirche gehört) an und die deutshcen Wohltäter überreichten den Gemeindemitgliedern sowie den Dorfbewohnern die Weihnachtspakete.
Am nächsten Tag, dem 3. Januar, fuhr der Konvoi in die Stadt Kozelsk, wo ebenfalls eine orthodoxe Gemeinde lebt, die von Erzpriester Aleksij Averianov betreut wird. Am ersten Polizeiposten dorthin verbot der Offizier der Verkehrspolizei, den kürzesten Weg nach Kozelsk über Kaluga zu benutzen. Er verfügte die Route über das Städtchen Suchiniçi. Das war wesentlich weiter und außerdem war die Straße in einem derartigen Zustand, daß es nur dem hohen Professionalismus der deutschen Fahrer und mächtigen Schneeketten zu verdanken war, daß die 35 Kilometer Glatteis und Schneeverwehungen von Suchiniçi bis Kozelsk überhaupt überwunden werden konnten. Als der Konvoi um Mitternacht endlich in Kozelsk einfuhr, kam ihm Miliz entgegen, die, nach eigenen Worten, ausgerückt war, “um zwei umgekippte deutsche Lastwagen zu suchen”.
Am 4. Jaunuar morgens besuchten die deutschen Gäste den Kindergarten Nr. 2 in Kozelsk sowie die Schule mit Internat in der Siedlung Sosenskij, wo 150 Kinder unterrichtet werden. Als die Gäste in das Haus des Erzpriesters Aleksij zurückkehrten wurden sie bereits erwartet: der Hauptbevollmächtigte des KGB von Kozelsk, Major Aleksander Kravcov, der Chef der Verkehrspolizei, zwei Mitarbeiter sowie der Korrespondent der Ortszeitung Sergej Kuli‚. Die Besucher wurde vom Juristen des Optina-Klosters geleitet, der es wünschte unerkannt zu bleiben, zugleich aber mit eindringlichem Ton verkündete, daß er den ehemaligen Vorsteher des Klosters, den Archimandriten Jevlogij vertritt, den jetzigen Bischof von Vladimir und Suzdal, den Vorsitzenden des Komitees für Stavropigiale Klöster (d.h. Klöster, die dem Moskauer Patriarchat direkt unterstellt sind und nicht einer Diözese. - Anm. d. Red.) Nach kräftigen Schimpfworten versuchte der Jurist zu beweisen, daß die Ladung mit Hilfsgütern dem Kloster gehöre und die Mitarbeiter Vater Aleksijs sich deren Verteilung in der eigenen Gemeinde widerrechtlich angeeignet hätten. Der Major des KGB belehrte seinerseits die deutschen Wohltäter und ihre russischen Freunde: “Die Ladung darf an die Bevölkerung nur nach den Listen verteilt werden”, d.h. den Listen des Exekutivkomitees der Stadt und des KGB. Hier erhob der Major der Verkehrsmiliz Korolev seine Stimme und drohte allen deutschen Fahrern Bußgelder (in Valuta) an für die “ungesetzliche” Einreise nach Kozelsk (der eifrige Beamte vergaß, daß die Staatsgrenze der UdSSR in Brest verläuft). Der Mitarbeiter der Zeitung “Vpered” (Vorwärts) S. Kuli‚ wird in der Nr. 5 vom 10. Januar 1991 folgendes Fazit publizieren: “Kurz, nicht alle bekamen was. Offen gesagt, gelegentlich bekamen’s nicht die richtigen. Man hätte vorab sich zusammentelefonieren sollen und sich richtig absprechen”.
Der Jurist und der Major des KGB forderten: “die Verantwortlichen für die Weihnachtsaktion werden gebeten, uns ins städtische Exekutivkomitee zu folgen”. Die Lösung des Konflikts erfolgte jedoch auf unerwartete Weise; die ziemlich große Menge des Volks, die bisher das Geschehen schweigend verfolgt hatte, begann zu sprechen und forderte die örtlichen Vertreter der Macht auf: “Hört auf mit der Blamage”, “Verschwindet in eure Büros”!
Am 5. Januar setzte sich der Konvoi Richtung Moskau in Bewegung, aber, wie sich erwies, war die nächste Kreuzung blockiert durch einen Militärlastwagen mit dem bereits bekannten Major Korolev sowie dem namenlosen Oberleutnant der Miliz mit der Nummer KŒ 0216 und dem Sergeant KŒ 0187 in der Fahrerkabine. Das Kommando der “Operation” führte derselbe Major des KGB Kravcov, der eine Stunde lang ohne Angabe von Gründen den Konvoi am Verlassen von Kozelsk hinderte. Aber die Bewohner der Aljo‚in- und der Siegesstraße, die sich bereits mit den deutschen Fahrern angefreundet hatten, halfen dem Konvoi auch diesmal. Die Fahrzeugkolonne wurde schließlich durchgelassen... aber nur, um lästige Zeugen loszuwerden. Nahe des Städtchens Peremy‚l - wiederum ein Halt, wieder eine Provokation des KGB, Major Kravcov sowie der Chef der Zollbehörde von Kaluga und noch ein unbekannter Chef in einer schwarzen Lederjacke, der aufmerksam die Gesichter mustert, und ein Kameramann mit Videokamera. Der Zollbeamte bestätigt, daß die Papiere alle in Ordnung sind, aber... man müsse nach Kaluga fahren, damit alles gründlich untersucht werden kann. Aber die deutschen Wohltäter weigerten sich, irgendwohin zu fahren, denn ihre Mission war beendet: die Weihnachtspakete waren dort angelangt, wohin sie sollten - zu Kindern und älteren Menschen, sie selbst waren mit ihrer geleisteten Arbeit zufrieden, weil sie die aufrichtige Freude und Dankbarkeit der einfachen russischen Menschen an diesem fernen Ort gesehen hatten und waren nun auf dem Rückweg nach Deutschland.
Angesichts des Zusammenbruchs seiner Pläne änderte der Major des KGB plötzlich den Tonfall und erklärte, in diese “blöde Geschichte mit den Deutschen” habe ihn Vater Jevlogij Smirnov hineingezogen, der ihn gebeten habe, mit den “antisowjetischen Schismatikern” fertigzuwerden, d.h. mit den Vertretern der Freien Russischen Orthodoxen Kirche und ihren Freunden im Ausland.
Was kommt jetzt?
Wird das Moskauer Patriarchat, das mit Worten zu friedenstiftender Tätigkeit aufruft, was jedoch Taten betrifft - keinerlei Mittel im Kampf gegen die Gemeinden der Freien Russisch-Orthodoxen Kirche scheut, nun Einsicht zeigen?
Kozelsk-Moskau, den 5. März 1991
Erzpriester Aleksij Averianov
Bote 1991-4
Unser Bücherregal
Bücher aus der Klosterdruckerei des Hl. Hiob von Poçaev in München:
Unser Bücherregal
Bücher aus der Klosterdruckerei des Hl. Hiob von Poçaev in München:
Begegnung mit der Orthodoxie
Seit dem Jahre 1974 veranstaltet die Russische Orthodoxe Diözese des Orthodoxen Bischofs von Berlin und Deutschland zusammen mit der russischen Orthodoxen Gemeinde in Frankfurt das “Seminar für Orthodoxe Liturgie und Spiritualität”.
Das Seminar versteht sich als ökumenisches Angebot der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland und wendet sich an Interessierte aus allen Konfessionen, an Theologen, wie an Laien. Ziel des Seminars ist Verständnis für die Theologie, Liturgie und Spiritualität der Orthodoxen Kirche zu wecken.
Als Referenten beteiligen sich an das Seminar namhafte Theologen aus dem In- und Ausland. Seit 1986 veröffentlicht die Bruderschaft des russischen Klosters des Hl. Hiob von Poçaev in München die Vorträge dieser Seminare in der Reihe “Begegnung mit der Orthodoxie”. Damit wird an weiteren Kreis von Interessenten die Möglichkeit geboten, sich mit Wesen und Denken der Orthodoxen Kirche näher zu beschäftigen.
Bisher erschienen:
“Begegnung mit der Orthodoxie” Bd. 1 1986, 206 S. Neuauflage 1990
Enthält die Vorträge des Seminars des Jahres 1985:
Erzpriester Georgios Metallinos - Der Rettende Glaube; Prof. Dr. Johannes Panagopoulos - Begegnung mit der Orthodoxie; Protosingelos Athanasios - Liturgie und Mission; Protosingelos Athanasios - Liturgie in der Orthodoxen Kirche; Erzpriester Georgios Metallinos - Betrachtung des Menschen im Lichte der Auferstehung; Prof. Dr. Johannes Panagopoulos - Der Mensch als liturgisches Wesen; Dr. Gernot Seide - Die Klöster der Russischen Orthodoxen Kirche. Geschichte und Bedeutung; Erzpriester Ambrosius Backhaus - Ikone, Abbild und Erscheinung (Theologie und Neurophysiologie); Sorin Petcu - Die Ikonenverehrung im Lichte der Orthodoxen Theologie
Bd. 2: “Grenzen der christlichen Menschenlehre” 1987, 244 S.
Enthält die Vorträge der Jahre 1986 und 1975.
Erzpriester Georgios Metallinos - Die Grenzen der christlichen Menschenlehre im Rahmen der orthodoxen Spiritualität; ders. - Orthodoxie und gesellschaftspolitischer Dienst (Versuch eines einleitenden Zugangs); Priestermönch Irinäus - Das Geheimnis des ewigen Lebens und des ewigen Todes nach orthodoxer Auffassung; Prof. Dr. Johannes Panagopoulos - Der Mensch als Ikone Jesu Christi; ders. - Die liturgische Vollendung der Welt ; Erzpriester Ambrosius Backhaus - Heilung und Heil - die Krankenölung in der Orthodoxen Kirche; Sorin Petcu - Die sakramentale Dimension der Johanneischen Brotrede; Archimandrit Amfilohije - Orthodoxe Liturgie und Askese; Dr. Theodor Nikolaou - Die Ikonenverehrung als Beispiel ostkirchlicher Theologie und Frömmigkeit nach Johannes von Damaskus; Diakon Dr. Michael Arndt - Zum dogmatischen Verständnis der kirchlichen Gesänge der Karwoche; Erzpriester Ambrosius Backhaus - Karfreitag - Ostern: das Mysterium von Tod und Auferstehung
Bd. 3, 1988, 246 S. “Orthodoxe Erfahrung und Wahrheit der Kirche”.
Enthält die Vorträge des Seminars 1987 und 1976-77.
Prof. Dr. Johannes Panagopoulos - Die orthodoxe Erfahrung und Wahrheit der Kirche; Erzpriester Georgios Metallinos - “Im Lichte lasset uns Licht empfangen” (Eine exegetische Annäherung an die Verklärung auf der Basis der Hymnographie); Protosingelos Athanasios (Dr. Jevtic) - Christus - die Weisheit Gottes; Sorin Petcu - Die Liebe als Grundprinzip der Christuswelt; Erzpriester Ambrosius Backhaus - Das Evangelium vom Verstande - Einführung Mariens in den Tempel; Christa Schaffer - Der Marientod in der Legende und seine theologische Entfaltung bei den Vätern und in der Liturgie des Ostens.; Archimandrit Amfilohije (Dr. Radovic) - Die Heiligen Väter in der Orthodoxen Kirche; Priestermönch Mark (Dr. M. Arndt) - Die Eschatologische Dimension der Liturgie; Archimandrit Mark (Dr. M. Arndt) - Die Verehrung der Allerheiligsten Gottesmutter in der Orthodoxen Kirche; Dr. Alla Selawry - Mystik und Meditation in der Orthodoxie; Erzpriester Dr. A. Backhaus - Der selige Tod (Das Recht auf meinen Tod - der “leichte” Tod);
Bd. 4, 1989, 192 S. “Theosis - die Vergottung des Menschen”.
Enthält die Vorträge der Seminare 1988 und 1978.
Bischof Mark - Die Bedeutung der Orthodoxie für die russische Kultur; Erzpriester Georgios Metallinos - Jesus Christus “unser Friede”; Prof. Dr. Johannes Panagopoulos - Die Theotokos Maria in der orthodoxen Tradition; ders. - Der Tempel des Heiligen Geistes; Erzpriester Dr. Ambrosius Backhaus - Das Volk und der Einzelne in der Geschichte der Mission; Metropolit Irineos von Deutschland - Die Spiritualität der Orthodoxie; Erzpriester Dr. Georgios Metallinos - Kreuz-Sterben-Auferstehung; Priestermönch Irineos (Dr. Bulovic) - Die Vergottung des Menschen (Theosis); Erzpriester Dr. Georgios Metallinos - Gottesdienst und Askese; Archimandrit Mark - Zum dogmatischen Verständnis der Ikonen-, Reliquien und Heiligenverehrung; Viorel Mehedintu - Tradition und Geist
Bd. 5, 1990, 179 S., “Das Wesen der Liturgie”;
Enthält die Vorträge der Seminare 1989 und 1979.
Amfilohije (Dr. Radovic´), Bischof vom Banat - Das Wesen der Orthodoxen Liturgie; Prof. Dr. Johannes Panagopoulos - Der Anspruch und die Botschaft der Orthodoxie; Erzpriester Dr. Dr. Georgios Metallinos - Das Leben in der Pfarrgemeinde (Enoria) gestern und heute; Erzpriester Dr. Dr. Georgios Metallinos - Bezeugte Heiligkeit; Prof. Dr. Johannes Panagopoulos - Sinn und Theologie der kirchlichen Feste; Erzpriester Dr. Ambrosius Backhaus - Gehorsam - Bis zum Tod am Kreuz; Erzpriester Dr. Dr. Georgios Metallinos - Was ist Orthodoxie?; Prof. Dr. Theodor Nikolaou - Die Sakramentalmystik bei Nikolaos Kabasilas; Archimandrit Mark (Dr. Arndt) - Christliche Askese - Kampf zwischen Rettung und Sündefall; Emanuel Banu - Die Zeit als liturgischer Begriff
Orthodoxes Gebetbuch, 1989
Die Göttliche Liturgie des Hl. Johannes Chrysostomos - vollständiger Text mit Gebeten für Priester und Diakone, 1990
Der Abend- und Morgengottesdienst, Mitternachtsgottesdienst etc., 1990
Dr. Georg Seide - Monasteries and Convents of the Russian Orthodoxe Church Abroad, 1990
Orthodoxer Kirchenkalender
Das Kloster des Hl. Hiob von Pocaev gibt alljährlich einen orthodoxen Kirchenkalender in deutscher Sprache heraus. In zwei Rubriken des beweglichen und unbeweglichen Kalenders werden sämtliche Heilige der Orthodoxen Kirche, so wie die Festtage mit den entsprechenden Schriftlesungen und Hinweisen auf die Fastenregeln angegeben. Dadurch wird besonders den Gläubigen, die der jeweiligen liturgischen Sprache nicht mächtig sind, das Verständnis des Gottesdienstes erleichtert. Im Anhang des Kalenders werden die Anschriften der russischen Gemeinden und Geistlichen in der Bundesrepublik Deutschland aufgeführt. Ca. 90 Seiten. Preis ca. DM 12,-.
Postkarten verschiedener Formate - Oster- und Weihnachtskarten mit orthodoxen Motiven, Ansichtskarten Russischer Kirchen in Deutschland, Miniaturen des Klosters d.Hl.Hiob in München, Gethsemane in Jerusalem etc.
Bote 1991-4
Aus dem Leben der Diözese
Übergabe der Briefmarke. v. lks. Bundesministerin für Familie Hannelore Rönsch. Oberbürgermeister v. Wiesbaden Achim Exner und der Stellvertreter d. Bundesministers f. d. Postwesen
Am 4. Juni n.St. erfolgte im Rathaus der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden die feierliche Übergabe der neuen Briefmarke mit der teilweisen Abbildung der russischen orthodoxen Kirche der Hl. Elisabeth in Wiesbaden an Vertreter der Russischen Orthodoxen Diözese des Orthodoxen Bischofs von Berlin und Deutschland. In Anwesenheit der Frau Bundesministerin für Familie und Senioren, Frau Hannelore Rönsch, und des Oberbürgermeisters der Stadt Wiesbaden überreichte der Stellverteter des Bundesministers für das Postwesen dem Haupt unserer Diözese, S.E. Erzbischof Mark, das Album mit der neuen Briefmarke (Wert 1,70 DM) und einer Beschreibung des Sujets.
Am 2./15. Juni vollzog Erzbischof Mark die Neuweihe der Kirche der Hl. Märtyrerin Alexandra in Bad Ems aus Anlaß der Beendigung der langjährigen Restaurierungsarbeiten an diesem Gotteshaus. Mit derm Erzbischof konzelebrierte Vater Boœidar Patrnogic und Protodiakon Georg Kobro. Viktor Gerassimetz leitete den aus verschiedenen Gemeinden zusammengestellten Chor. Bei dem an die Liturgie und Prozession anschließenden Empfang im Kurhaus der Stadt Bad Ems dankte Erzbischof Mark den zahlreichen anwesenden Mitarbeitern des Denkmalschutzes und der Baubehörden, den Architekten und Geldgebern für ihre Hilfe bei der Restaurierung unserer Kirche und sprach seinen besonderen Dank an Herrn V.V. Lewin für dessen unermüdliche Tätigkeit im Schlußstadium der Arbeiten aus. Mit Freude wurde das Angebot von Vater Boœidar angenommen, von jetzt ab zweimal monatlich samstags und an fünften Sonntagen des Monats, wenn diese anfallen, in Bad Ems regelmäßig die Gottesdienste zu feiern. Auf diese Weise erhält das kirchliche Leben in diesem prachtvollen Gotteshaus neue Impulse.
In Regensburg empfing am 17./30. Juni die Gemeinde der Kirche zum Entschlafen der Allerheiligsten Gottesmutter ihren Oberhirten zu einem feierlichen bischöflichen Gottesdienst. Erzbischof Mark zelebirierte mit dem Gemeindevorsteher, Vater Vitalij Gawryliuk, und Protodiakon Georg Kobro aus München. Da Vladyka am Fest des Entschlafens der Allerheiligsten Gottesmutter immer in Berlin zelebriert, hatte die Regensburger Gemeinde schon lange keine bischöflichen Gottesdienste mehr zu ihrem Patronatsfest. Umso mehr freuten sich die Gläubigen über die Möglichkeit, im Gebet mit ihrem Oberhirten vereint zu sein und nach dem Gottesdienst den sonntäglichen Festtagstisch zu teilen.
Aus Anlaß des diesjährigen Bischofskonzils befand sich Erzbischof Mark vom 8. bis 23. Juli neuen Stils in Kanada. Das Konzil fand im Christi-Verklärungs-Skit in Mansonville, Québec, statt. Am Sonntag, den 1./14. Juli begingen die Teilnehmer des Konzils gemeinsam in einem feierlichen Gottesdienst in der St.-Nikolaus-Kathedrale in Montréal das 40-jährige Jubiläum des bischöflichen Dienstes des Ersthierarchen der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland, Metropolit Vitalij. Bei dem anschließenden Empfang im Saal der Kathedrale überreichte Erzbischof Mark im Namen der Deutschen Diözese und der Münchener Gemeinde dem Ersthierarchen ein Geschenk. Nach Beendigung des Bischofskonzils reiste Erzbischof Mark und Bischof Hilarion in das Städtchen Mayfield im Staat Pennsylvanien, wo die Gemeinde des Hl. Johannes des Täufers das hundertjährige Jubiläum ihres Bestehens beging. Die Feierlichkeiten begannen am Freitag, den 19. Juli abends mit dem Akathist an den Hl. Johannes den Täufer. Am Sonnabend vormittag zelebrierte Erzbischof Mark die Göttliche Liturgie in Konzelebration mit den Bischöfen Hilarion von Manhattan und Valentin von Suzdal’ sowie einer großen Zahl von Geistlichen aus verschiedenen Teilen der USA. Am Sonntag zelebrierte die Liturgie der Höchstgeweihte Laurus, Erzbischof von Syracus und Dreifaltigkeitskloster, zusammen mit denselben Bischöfen und in Anwesenheit von Bischof Gregor. Die Predigt hielt Erzbischof Mark in englischer Sprache. Er hielt auch den Festvortrag bei dem Empfang, den die Gemeinde für über 600 Gäste im größten Hotel der Gegend eingerichtet hatte. Hierbei sprach Erzbischof Mark hauptsächlich über die Geschichte der russischen orthodoxen Gemeinden in Amerika seit dem letzten Jahrhundert, als Gemeinden wie die in Mayfield noch zu den Uniaten gehörten, ihre Vereinigung mit der Orthodoxen Kirche, die erste Versammlung von Vertretern aller orthodoxen Gemeinden in Amerika unter der Leitung des damaligen Bischofs von Amerika und den Aleuten, Tichon, dem es später beschieden war, die Geschicke der Russischen Kirche als Patriarch zu leiten, bis er 1927 infolge der kommunistischen Drangsal starb, die wechselreiche Geschichte der Gemeinden in diesem Jahrhundert und schließlich vor allem über die derzeitige Lage der Kirche in Rußland und die Auswirkungen für unsere Gemeinden in aller Welt.
Erzbischof Mark, dem der Gemeindevorsteher, Vater John Sorochka, zum Dank eine Panagia überreichte, war mit dieser Gemeinde bereits früher verbunden, da er ihr in einem Prozeß um ihr Kirchengebäude geholfen und damals auch dort zelebriert hatte. Der Feiertag zeigte, in welchem Maße die Nachkommen der Einwanderer aus den Karparten, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts nach Amerika gelangten, ihren Glauben nicht nur festigen, sondern gar vertiefen konnten, obwohl sie inzwischen die Sprache der Vorväter fast völlig verlernt haben. Obwohl sie im täglichen Leben alle Englisch sprechen, ist ihre liturgische Sprache nach wie vor überwiegend das Kirchenslawische, und selbst in den kirchlichen Gesängen haben sie viele musikalische Eigenheiten ihrer Vorfahren bewahrt.
Bote 1991-4
Unsere Gemeinden in Rußland
St. Petersburg
Unsere Gemeinden in Rußland
St. Petersburg
Vom 5. bis 7. Juni fand in St. Petersburg eine Tagung der Geistlichen der Freien Russischen Kirche statt. Der Vorsitz führte S.E. LazarÝ, der Erzbischof von Tambov und Mor‚ansk, und S.E. Venjamin, der Bischof von GomelÝ. Zu der Tagung hatten sich 25 Geistliche sowie einige weitere Laien als Vertreter der Gemeinden versammelt. Auch war ein Vertreter unserer Deutschen Diözese anwesend - Vater Nikolai Artemoff, der sich in Angelegenheiten des unserer Diözese vom Synod übertragenen Geistlichen Seminars zum Fernstudium in Rußland aufhielt. Die aus allen Teilen Rußlands angereisten Priester berichteten den Tagungsteilnehmern von ihrer Tätigkeit und der Lage ihrer Gemeinden. Man besprach die Schwierigkeiten, die aus dem massiven Druck des Moskauer Patriarchats und der örtlichen Behörden erspringen und über die Perspektiven für die Zukunft. Es wurden Dokumente für das Bischofskonzil der Russischen Auslandskirche sowie für die Regierung Rußlands angefertigt. Auch wurde das Sendschreiben einer analogen Tagung der kanonischen Katakombenkirche verlesen, in welchem die gegenwärtige Lage der Kirche beschrieben wird. In der gegenwärtigen äußerst angespannten Situation empfanden die Teilnehmer diese Tagung, die freie geistliche Atmosphäre der brüderlichen Gemeinschaft wie einen Feiertag.
Bote 1991-4
Kirche in Rußland
“Der Weg zur Kirche”
Unheil, Ohnmacht, Grimm und Erbitterung - all dies verschmolz in den fünf Jahren der Perestrojka zu einem Ganzen. Wie ein Kartenhaus fiel der einst so mächtige Staat zusammen. Und viele verstanden, daß die Perestrojka als eine halbe Maßnahme (obwohl die Idee an und für sich ganz gut war) eine Struktur, der man niemals ein menschliches Gesicht verleihen kann, weder retten, noch umgestalten noch umkehren konnte.
Das Land, das gewöhnt war, Kopeken zu zählen und Milliarden zu verschleudern, befand sich am Rand des Abgrundes, denn die Kräfte, welche die ihres Glaubens verlustig gegangenen Menschen hätten zusammenhalten können, waren ausgetrocknet.
Das kommunistische Heidentum erwies sich als machtlos. Es halfen weder die Schriften der revolutionären Klassiker, noch die Aufrufe von den Tribünen, noch die toten, unter dem Glas der Mausoleen ruhenden, erbleichten Führer. Sie konnten keine Rettung bringen, denn der “neue” Glaube war eine unvorstellbare Spekulation über das allerheiligste menschliche Gefühl - das Streben nach der Wahrheit. Jetzt glaubt man lieber an “Pferdestärken”, an Landhäuser, an die Kraft starker Arme. Und es ist unmöglich, die Leere mit einem einsam verlorenen, goldenen Kreuz auf der Brust zu bedecken.
Die Wiedergeburt des Christentums ist unvermeidlich - mag es auch für viele vorerst bloß eine modische Attraktion darstellen, mag auch der Weg zur Kirche mit Gras überwachsen sein, aber dieser Weg ist dennoch dazu ausersehen, begangen zu werden.
“Unruhestifter”
Mit dem Eintreffen von Vater Georgij Kochno, des neuen Vorstehers der Kirche des Hl. Nikolaus, die sich am Stadtrand von Sevastopol befindet, kam das Leben der Gemeinde in Bewegung. Es entstand eine Sonntagsschule, samstags nach dem Abendgottesdienst wurde mit den Gläubigen das Evangelium gelesen, die Restaurierung der Kirche, die stillgestanden hatte, wurde wieder aufgenommen. Eine derartige Geschäftigkeit mußte jedoch die Aufmerksamkeit der an vorbehaltlosen Gehorsamen gewöhnten Funktionäre erregen. Die Mißbilligung verstärkte sich noch nach der öffentlichen Durch- führung einer Panichida für den Admiral P.S. Nachimov auf dem nach ihm benannten Platz, während der zum ersten Mal in der Stadt der Namen der durch die Hände der Bolschewiken gefallenen Krieger der Russischen Armee gedacht wurde. Solch eine “Eigenmächtigkeit” konnte nicht unbemerkt bleiben, und sogleich reagierte auch die örtliche kommunistische Presse.
Über dem neuen Vorsteher zogen sich die Wolken zusammen. Mit dem Amtsantritt von Bischof Gleb in der Eparchie Krim traten weitere Probleme auf. Die Hl. Nikolaus Kirche, die ein einzigartiges Denkmal für die russischen Krieger darstellt, befand sich in einem deprimierenden und vernachlässigten Zustand. Mit der Erlaubnis von Bischof Varlaam, dem Vorgänger Glebs, waren die entwürdigenden Bedingungen, unter denen von den Mitteln, die für die Wiederherstellung der Kirche bestimmt waren, der Gemeinde nicht einmal ein Drittel verblieb, etwas gemildert worden. Bischof Gleb forderte nun die Begleichung der dadurch entstandenen “Verschuldung”, was unvermeidlich die Verzögerung der Restaurierungsarbeiten bedeutet hätte. So entstand der Konflikt zwischen dem Vorsteher der Kirche und den Hierarchen des Moskauer Patriarchats.
Die Gemeinde setzte sich für ihren Priester ein. Aber Bischof Gleb stellte sich allen tränenreichen und kniefälligen Bitten gegenüber, Vater Georgij in seinem Amt zu belassen, taub. Es paßte ihm anscheinend die Situation eines häufigen Wechsels der Kirchenvorsteher ins Konzept, weil diese so völlig von seinem Willen abhängig waren.
Vergeblich waren die häufigen Vorsprachen der aktiven Gemeindeglieder in Simferopol. In der Antwort auf ihre Bitten klangen Beleidigung und Verdächtigung auf Unruhestiftung an. Fruchtlos waren auch die Appele an Metropolit Filaret in Kiew und Patriarch Alexej in Moskau. Nach der üblichen Praxis wurden die Klagen zur Klärung an Ort und Stelle zurückgesandt. Die Moskauer kirchlichen Amtsträger wollten nicht mit den “Unruhestiftern” sprechen, legten die Telefonhörer auf, und vermieden überhaupt Gespräche ganz und gar - ein Verhalten, das jedem Bittsteller auf dieser Erde nur allzu gut bekannt ist. Die Leute baten nur um ein Geringes, nämlich darum, daß ihnen ihr geliebter Priester gelassen würde, aber als Antwort bekamen sie nichts als die agressive Ablehnung ihrer Bitte.
Am 29. September trat etwas ein, was man von den demütigen Bittstellern niemals erwartet hatte: auf der Gemeindeversammlung wurde der Entschluß über den Übertritt zur Russisch Orthodoxen Kirche im Ausland gefaßt. Am 1. Oktober wurden die Dokumente über diese Entscheidung an alle zuständigen Instanzen geschickt: denn jeder Mensch hat das Recht auf freie Wahl, auf die Wahrung seiner Würde und auf eine leidliche Verteidigung vor der Beamtenwillkür, in welchem Gewand sie auch immer auftreten mag. Am 2. Oktober erfolgte die Antwort aus dem fernen Amerika, aber bis zum heutigen Tage noch nicht von den städtischen Behörden auf der anderen Seite der Erdkugel.
“Exodus”
Die Eparchie der Krim reagierte unverzüglich, wobei sie sich nicht einmal den Anschein von Gesetzlichkeit gab. Die Kirchentüren wurden aufgebrochen, eine neue Gemeinschaft wurde gebildet, ein neuer Gemeinderat aufgestellt. Die aktivsten Anhänger von Vater Georgij wurden aus der Kirche ausgestoßen. So verblieb die alte Gemeinschaft ohne Kirche. Es halfen weder Briefe, noch Bitten, noch Telegramme. Unvermeidlich mußte es zu einer Lösung des Konflikts kommen.
Am 29. Oktober 1990 zelebrierte Vater Georgij zum letzten Mal in der Hl. Nikolaus Kirche. Seine Gemeinde konnte nicht umhin, zu kommen und sie kam auch, aber es kamen nicht nur Gemeindeglieder: zur Aufrechterhaltung der “öffentlichen Ordnung” erschienen auch unverzüglich Vertreter der Staatsmacht. Unter dem Vorwand von Gesprächen über die Regulierung der strittigen Fragen fuhren Vater Georgij und Vater Vladimir (der neue Kirchenvorsteher) gemeinsam mit den Vertretern der ordnungshütenden Organe ab. Aber um Mitternacht wurde bekannt, daß als Ergebnis der “Verhandlungen” Vater Georgij über die Stadtgrenze hinausgefahren wurde, ihm sein Passierschein abgenommen wurde, ohne den er sich nicht in das in der Grenzregion gelegene Sevastopol begeben konnte.
Daraufhin wurden die Kirchentüren verriegelt, und elf Gemeindeglieder begannen in der Kirche zu übernachten; aus Protest gegen das Vorgehen der Miliz traten sie in den Hungerstreik. Diese stellte zur Vermeidung unvorhergesehener Vorfälle unverzüglich eine Wache an den Außentüren der Kirche auf. So begann der offene Widerstand. Am 27. Oktober schritten die Vertreter der Krimer Eparchie zur offenen Handlung. Sie scheuten sich dabei auch nicht vor Betrug: sie begannen Gläubige aus einer anderen Gemeinde herzulotsen; unterwegs sammelten sie eine Gruppe von “Babuschkas” (alte Frauen) auf, denen sie weisemachten, die Kirche sei von Katholiken besetzt worden. Später traf noch ein aus sieben Priestern bestehender “Stoßtrupp” aus Simferopol ein. Sie schritten nun zum Angriff.
Sie versuchten, mit Hilfe eines unterirdischen Ganges in die Kirche einzudringen, die Außentüren mit Hilfe eines Lastwagens zum Bersten zu bringen und über die Fenster einzusteigen. Als die belagerten Gemeindeglieder jedoch sahen, daß an dem Fensterbrett ein Geistlicher auftauchte, schafften sie sogleich eine Leiter herbei, damit dieser sich beim Herunterspringen nicht die Beine brechen sollte. Von außen waren die Priester eifrig mit Brecheisen und Äxten am Werk. Die durchs Fenster Eingedrungenen leisteten auch von innen kräftige Hilfe, und gegen Abend, nachdem die Außentür aufgebrochen und die innere geöffnet wurde, war die Hl. Nikolaus Kirche “erobert”. Mit Siegesschreien stürmten die erzürnten Leute hinein, auch die Vertreter der Staatsmacht, die an der “Erstürmung” lebhaften Anteil genommen hatten, scheuten sich nicht hineinzugehen.
Viel mußten die Verteidiger der Kirche, die demütig auf ihren Bänken saßen, erdulden. Man spuckte ihnen sogar ins Gesicht und schleuderte ihnen scharfe, gedankenlose Worte entgegen, so daß sich die Schreihälse, als ihr Zorn sich etwas gelegt hatte, fragen mußten, ob “ihr Verhalten denn überhaupt christlich” sei. Da die Anhänger des Bischofs anscheinend eine Pause eingelegt hatten, löste sie nun die Miliz ab. Ohne Rücksicht darauf zu nehmen, daß die Leute beteten, begannen sie, diese aus der Kirche herauszuziehen. Und weder das vorgerückte Alter vieler der Verteidiger der Kirche, noch ihr Gesundheitszustand (einer der Gläubigen wurde es übel, so daß man die “erste Hilfe” für sie rufen mußte) ließen sie zurückschrecken. Besonders viel abbekommen hat V.P. Íachmatova, die man daran hinderte, sich zu bekreuzigen, und indem man ihr die Hände auf dem Rücken festhielt, stieß man sie recht unsanft in ein Auto.
“Schert euch fort nach eurem Amerika!”
Das Verhör in der Miliz dauerte bis Mitternacht. Die Gemeindeglieder wurden der Eigenmächtigkeit für schuldig befunden und mit einer Strafe bis zu 30 Rubeln belegt, was im Vergleich mit der dürftigen Pension der alten Leutchen gar nicht so wenig ist. Unverzüglich folgten Untersuchungen und Vorladungen. Die Vorsitzende der Verwaltungskommission platzte vor Erregung und schrie: “Schert euch doch nach eurem Amerika!”. Denn dem sowjetischen Bürger obliegt es, ohne zu murren, die hiesige Ungesetzlichkeit zu ertragen, denn es ist eine Todsünde, den “Kehrricht aus der Hütte zu tragen” (aus der Schule zu plaudern). Nun führten die Wege der Gemeindeglieder aber nicht nach Amerika. Es ist schließlich nicht ihre Schuld, daß die wahre Kirche, die sich durch ihre73-jährigen Koexistenz mit den Bolschewiken beschmutzt hat, so fern ist. Es ist nicht ihre Schuld, daß es keinen Unterschied zwischen den an riesigen Tischen sitzenden, mit Ehrenzeichen behängten Parteifunktionären und der für ihre Bitten tauben kirchlichen Spitze gibt. Die mit den Moskauer Auguren im Bunde stehenden Behörden beruhigten sich nicht so schnell. Und noch lange fühlten die Leute, die den nicht leichten Weg der Wahrheit gewählt hatten, das wachsame Auge verschiedener Organe auf sich gerichtet. Sie werden jedoch die Schwierigkeiten überwinden, auch wenn ihnen noch viele bevorstehen. Denn sie sind stark im Glauben und in der Hoffnung. Und die Kirche wird ihnen gehören!
Die Gemeinschaft breitet sich aus. Mag es auch vorerst notwendig sein, die Gottesdienste in einer Wohnung zu zelebrieren, so kommen doch viele Leute hierher, bekannte und unbekannte, es werden Kinder getauft, Hochzeiten gefeiert, Tote bestattet. Das Leben geht weiter.
Unerforschlich sind die Wege des Herrn, denoch ist der Weg zur Kirche vielen vorgezeichnet; er ist ebenso unvermeidlich, wie Einsicht und Reinigung von der Lüge und der Depression der schweren Jahre. Er ist ebenso unvermeidlich wie der Widerstand, denn es werden jene, die zu befehlen gewohnt sind und weder Frieden noch Scham kennen, nicht abtreten oder Nachsicht üben. Nicht leicht ist der Weg zur Kirche, aber der Herr segnet diejenigen, die zu Ihm kommen.
M. Íerstov
Bote 1991-5
Sendschreiben des Bischofskonzils
der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland
Die Bischöfe der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland und ebenso der Freien Rußländischen Kirche wünschen allen Bischöfen, Priestern, Mönchen, Nonnen und Laien, die den Sieg der Wahrheit und Freiheit der Kirche erstreben, Festigung in diesem rettungbringenden Bestreben und Freude im Herrn.
Als Bischöfe der Freien Rußländischen Kirche bezeichnen wir uns, da wir in der Heimat schon gute Hirten und Gläubige gefunden haben. Noch vor zehn Jahren völlig unerwartete Ereignisse sind eingetreten und wir dürfen nicht beiseite stehen.
Laßt uns aufmerksam sein! Merkt auf, Bischöfe, merkt auf, Väter, Brüder und Schwestern, beachtet die Ansätze gesunder Prozesse, die sich in Zukunft in den Strom der geistlichen Wiedergeburt des orthodoxen Volkes ergießen können.
Doch vergessen wir auch nicht, wie tief viele verantwortliche Kirchenmänner vom Gift der Zersetzung angesteckt sind, welches 70 Jahre lang die Seelen unserer Brüder und Schwestern vergiftet hat. Dies soll ihnen nicht als Vorwurf entgegen gebracht werden.
Seien wir dessen eingedenk, daß die jetztigen Schwierigkeiten nicht zufällig sind, sondern als Folge unserer Abkehr von den Grundsätzen der Heiligen Rus´ anzusehen sind, welche in der Sünde des Zarenmordes gipfelte. Diese Schwierigkeiten können wir nur durch das Bewußtsein unserer Schuld und durch aufrechte und vollständige Buße überwinden.
Wenn die Folgen der Katastrophe von Tschernobyl noch auf Jahre hinaus das Leben der Kinder unseres Landes zerstören werden, so ist verständlich, daß die geistliche Katastrophe Rußlands uns auf lange Zeit begleiten wird.
Doch unser heilige Glaube gibt uns die feste Hoffnung auf die allmächtige Hilfe Gottes. “Alle Dinge sind möglich bei Gott” (Mk. 10, 27), die beim Menschen nicht möglich sind.
Die Voraussetzung für eine Genesung ist immer die richtige Diagnose der Krankheit. Wir können damit zufrieden sein, daß das Wesen des “Sergianertums” heute schon allgemein bekannt ist. Das “Sergianertum” ist kurz gesagt Liebedienerei vor den atheistischen Machthabern, die bis zur Zelebration von Totengedenken für die Verfolger der Kirche und des Glaubens reichte und bis zur Lüge in öffentlichen Erklärungen, denenzufolge in der Sowjetunion niemand um seines Glaubens willen verfolgt werde.
Heute werden solche Erklärungen schamhaft verschwiegen; und von einigen Bischöfen des vom “Sergianertum” vergifteten Patriarchats hört man bereits, daß eine öffentliche Buße seiner Hierarchen für alles, was im Laufe von 70 Jahren den atheistischen Machthabern zu Gefallen getan wurde, einsetzen kann.
Die Divergenz zwischen uns und dem 1927 aus dem Sauerteig des Erneuerertums entstandenen, von den Grundsätzen und Traditionen der Russischen Orthodoxen Kirche abgespaltenen Moskauer Patriarchat wurde durch die unkritische und theologisch unbegründete Verflechtung des Patriarchats in den Ökumenismus noch vertieft. Aus inzwischen veröffentlichten Archivmaterialien wissen wir heute, daß dies Anfang des 60-er Jahre auf Befehl der atheistischen Machthaber geschah.
Die Ereignisse der letzten Jahre und Monate zeigen, daß die Teilnahme des Patriarchats am Ökumenismus, die bis zu gemeinsamen Gebeten mit Heiden reicht, tatsächlich nicht einmal zur elementarsten Achtung der Orthodoxen Kirche geführt hat, insbesondere seitens der römischen Katholiken, mit denen das Moskauer Patriarchat die engsten Beziehungen unterhielt.
Wir behaupten, daß unkritische Begeisterung für den Ökumenismus zu keinen positiven Folgen führen kann. Unsere Beziehungen zu Andersgläubigen müssen auf den reinen Grundlagen der orthodoxen Lehre von der Kirche beruhen und das Zeugnis der Wahrheit zum Ziel haben.
Im Glauben an die Eine, Heilige, Katholische und Apostolische Kirche dürfen wir nicht von der Konziliarität im Glauben mit den heiligen Aposteln und allen Heiligen abweichen.
Im Jahre 1990 zwang uns die schwere Lage von Geistlichen und Gläubigen, die sich aus der Sowjetunion an uns wandten, sie in die kanonische Gemeinschaft aufzunehmen und sie somit von den kanonischen Unregelmäßigkeiten des Moskauer Patriarchats zu befreien.
Gleichzeitig beobachten wir, wie Tausende von Geistlichen und Gemeinden das Patriarchat verlassen und sich der Union mit Rom und der “ukrainischen Autokephalie” anschließen. Das Patriarchat beschuldigt uns lautstark des “Schismas”, während es sich um die Seelen der die Orthodoxe Kirche verlassenden Menschen kaum kümmert. Das Moskauer Patriarchat schuf ja selbst das Schisma in der Russischen Kirche durch seine Loyalität gegenüber dem “ersten gottlosen Staat der Welt”.
Dieses Schisma kann nur durch demütiges Gebet überwunden werden, durch Buße und brüderliche Liebe gegenüber allen, die in der schweren Zeit der Verfolgungen gefallen sind und sich in unserer Zeit verirrt haben. Es kann durch Meinungsaustausch und den Austausch von Erfahrungen überwunden werden, aber nicht am runden Tisch oder in Kommissionen auf höchster Ebene, wo jeder auf seiner Meinung bestehen wird. Vonnöten sind persönliche Gespräche frommer Kinder der Kirche - “dieser Geringen”, die verstehen, daß die Wiedergeburt des Glaubens und der Frömmigkeit in der Heimat, wovon viele jetzt sprechen und die viele wünschen, mit der geistlichen Erneuerung unser selbst beginnen muß, mit der Buße und Reinigung unser selbst von sündigem Makel und Selbstgerechtigkeit. “Die reinen Herzens sind, werden Gott schauen”, d. h. um Gott zu erkennen und in Ihm zu leben, ist es nötig, Gedanken, Gefühle und das Leben selbst zu reinigen.
Durch eine solche Selbstreinigung legen wir den Grund zu einem vorkonziliaren gegenseitigen Verständnis, zur Klärung von Fehlern, und Abweichungen von der Wahrheit. Nach einer solchen Vorbereitung wird ein Allrussisches Konzil möglich sein, welches - frei von jeglicher “Loyalität” und Einmischung fremder Kräfte und ihres Einflusses - in Einklang mit kirchlichen Grundlagen einzuberufen ist, um über die Geschichte unserer Kirche in den vergangenen Jahzehnten zu richten und ihre weiteren Geschicke vorzuzeichnen.
Wir rufen alle Kinder der Orthodoxen Kirche dazu auf, sich in diesen vorkonziliaren Prozeß im tiefen Bewußtsein ihrer Schwäche und Sündhaftigkeit und im Vertrauen auf das Erbarmen und die Hilfe Gottes einzureihen. “In unserer Erniedrigung gedachte unser der Herr” (Ps. 135, 23).
Vitalij, Metropolit von Ost-Amerika und New York, Ersthierarch d. Russischen Orthodoxen Kirche i. Ausland
Antonij, Erzbischof von Los Angeles und Südkalifornien
Antonij, Erzbischof von Genf und Westeuropa
Antonij, Erzbischof von Westamerika und San Francisco
Laurus, Erzbischof von Syracuse und Dreifaltigkeitskloster
Alipij, Erzbischof von Chicago und Detroit
Mark, Erzbischof von Berlin und Deutschland
Lazar´, Erzbischof von Tambov und Obojan´
Joann, Bischof von Buenos Aires, Argentinien und Paraguay
Benjamin, Bischof vom Schwarzmeer und Kuban´
Valentin, Bischof von Suzdal´ und Vladimir
Varnava, Bischof von Cannes
Hilarion, Bischof von Manhatten
Daniel, Bischof von Erie
Bischof Gregor
Bote 1991-5
Die Freiheit ist zum Streben nach Wahrheit gegeben
Die Ereignisse, die Rußland und in der Folge die ganze Welt am Tag der Verklärung des Herrn 1991, erschütterten, gibt erneut Anlaß, über das Schicksal des leidgeprüften Rußland und unserer Kirche nachzudenken. Quo vadis? Wohin bewegt sich Rußland weiter?
Antworten gibt es wahrhscheinlich viele - jede mit ihrer eigenen Tendenz. Und dennoch sehen wir, daß die Politiker heute eigentlich keine einzige wahre Antwort haben - alle stehen hilflos vor der gestellten Frage. So schwankt das große und weite Land mit seinen Völkern, setzt seine Hoffnungen auf verschiedene leere und flache Projekte, auf die Hilfe ausländischer Banken, wird durch die Suche nach vermeintlichen “Helfern der Putschisten” und neuen Feinden verführt, doch eine klare, eindeutige Linie der Entwicklung ist nicht zu erkennen. In einer solchen Lage gibt es keine Garantie gegen neue und wieder neue Umstürze, die nur weiter ins Verderben führen müssen. Offebar kann niemand unter den führenden Persönlichkeiten einen annehmbaren Weg empfehlen.
Sollte es etwa in einem solchen einstmals großen Volk keine Denker geben, die imstande wären, neue Wege für die Zukunft zu weisen? Hat etwa die Diktatur der kommunistischen Partei und der Sicherheitsorgane (die natürlich das System vor dem eigenen Volk sichern) alle gesunden geistigen und geistlichen Kräfte zerstört? An eine so finstere Antwort mag man nicht glauben. Worin liegt aber die Schwierigkeit?
Die Schwierigkeit liegt wohl darin, daß die geistige Knechtung nicht überwunden ist. Man meint wohl, sich von der Diktatur befreit zu haben. Aber die Freiheit wird ja nicht von etwas, sondern für etwas gegeben! Die Freiheit ist ein Geschenk Gottes. Man muß es verstehen, sie anzunehmen, sie recht zu nutzen.
Die Freiheit ist uns von Gott gegeben, damit wir sie zur Ehre Gottes nutzen, in Übereinstimmung mit Seinem Ratschluß. Nicht nur kirchlich gebundene Menschen sind berufen, das zu verstehen, nicht nur gläubige orthodoxe Christen, sondern alle Menschen ohne Ausnahme. Die heutigen Denker, Verantwortlichen, Machthaber mögen nicht an Gott glauben, mögen nicht zu Gliedern der Kirche werden, aber es ist an ihnen, sich dessen bewußt zu werden, daß man Ihn nicht umgehen, nicht verachten und mißachten kann. Sie sollten anerkennen, daß es Gott gibt und daß von Ihm alles ausgeht und zu Ihm alles zurückkehrt. Mögen sie für ihr persönliches Leben nicht alle notwendigen Konsequenzen aus dieser Wahrheit ziehen, aber sie können ihre Bedeutung für das Leben Rußlands, für dessen Berufung in der Geschichte nicht leugnen.
Hierin erkennen wir auch das wichtigste - geistliche - Hindernis für neue Ideen und Lösungen. Die Mehrzahl der jetztigen Politiker sind in der einen oder anderen Weise von dem überholten System, der Partokratie, erzogen. Für viele von ihnen ist selbst das Wort “Demokratie” nicht mehr als ein abstrakter Begriff, umso mehr das Verständnis Gottes, mit dem sie gestern noch gekämpft haben, als sie die Religion als “Opium fürs Volk” bezeichneten... Daran haben nicht nur die ehemaligen aktiven Prediger des Atheismus, Marxismus-Leninismus, teil, sondern genauso die jenigen, die diese Dinge als unvermeidliches Übel annahmen. All diese Menschen können sich nicht einfach “wenden”. Sie müssen ihre Haltung zum geistlichen Sinn des Lebens genauso wie zu den materiellen Relaitäten grundlegend überdenken. In ihrem Leben, d. h. in unser aller Leben, muß sich eine allseitige und tiefe Wende vollziehen.
Unabhängig von ihren eigenen Überzeugungen und Wünschen können die jetztiger Denker der Geschicke Rußlands nicht leugnen, daß die Russisch-Orthodoxe Kirche für die Mehrheit der Bewohner des Landes die Erzieherin und Trägerin aller geistlicher Werte war.
Wiederholt riefen die freien Bischöfe der Russischen Orthodoxen Kirche in den letzten Jahren zur Buße auf. Dabei nahmen wir niemals eine hochmütige Position ein, hielten wir uns selbst niemals für allwissend und alles bestimmend wie das mitunter im Zerrspiegel der sowjetischen Propaganda dargestellt wurde und von dorther selbst in die Köpfe von Menschen eindrang, die sonst keineswegs dazu neigen ihr Glauben zu schenken. Wir befinden uns zwar nicht in der ersten Generation im Ausland; wenige von uns haben Rußland gesehen. Doch Buße haben wir selbst all diese Jahre getan und hören auch jetzt nicht auf. Die Kraft der Buße, die von der Auslandskirche als dem freien Teil der Russischen Kirche gepredigt wurde und wird, war so groß, daß selbst Ausländer, die zu unserer Kirche stießen und die keinerlei persönliche Bindungen zu Rußland besaßen, diese Charakteristik unseres Lebens bedingungslos und organisch annahmen. Bis zum heutigen Tage tragen nicht nur die Mönche, sondern genauso der gesamte weltliche Klerus unserer Kirche gleich welcher Nationalität ausschließlich schwarze Kleidung als äußeres Zeichen unserer Buße und Trauer umd die geistliche Versklavung Rußlands. Charakteristisch für diesen Geist ist das Bußgebet, das am Tag der Ermordung der Zarenfamilie, am 4./17. Juli jeden Jahres, und bei anderen ähnlichen Anlässen gelesen wird. Eben dieses Gebet, das in dem Geist des Liedes der drei biblischen Jünglinge im Babylonischen Feuerofen nachempfunden ist, begann man vielerorts bei Gottesdiensten nach dem 6./19. August 1991 zu lesen:
“...Ja, wir haben gesündigt, haben Dein Gesetz übertreten durch Abfall von Dir; wir haben bis zum Äußersten gefrevelt und uns um Deine Gebote nicht gekümmert. Weder unser Gewissen noch unsere Taten haben wir nach dem gerichtet, was Du uns geboten, auf daß es uns wohlergehe. Und Du gabst uns preis den Händen gottloser Feinde und gehässiger Abtrünniger, ungerechter Menschen, den übelsten der ganzen Welt... wir sind kleiner geworden als alle anderen Völker und sind gedemütigt in der ganzen Welt wegen unserer Sünden...”
Wir alle haben als Kinder der Russischen Kirche an ihren Geschicken teil. Das Schicksal der Völker Rußlands ist untrennbar mit dem Weg der Kirche Christi verbunden. Wir tragen die Verantwortung für das, was zu den schrecklichen und verbrecherischen Ereignissen des Februar und Oktober 1917 führte. Folglich haben wir auch teil an allen Folgen dieser Ereignisse. Daher spiegelt das obengenannte Gebet den Geist der Buße wider, in welchem wir während aller Jahrzente unsere Vertreibung lebten, den Geist in dem wir auch heute leben. Absurd ist die von manchen geäußerte Behauptung, wir forderten angeblich buße vor uns persönlich. Eine solche Behauptung kann nur infolge völliger Unkenntnis des kirchlichen Lebens, d. h. des Sakraments der Buße und seines Geistes, auftauchen. Buße wird vor Gott getan. Ja die Tiefe des Sakramentes liegt auch darin, daß die Kirche als konziliarer gottmenschlicher Organismus der Leib Christi ist. Daher ist das reuige Beknnen der Wahrheit ein Dienst an Gott inmitten Seines Volkes, die Lüge vor dem Volk aber, die mit einer heimlichen “Buße vor Gott” bemäntelt wird, bedeutet in Wirklichkeit die Entfremdung vom Heiligtum der Kirche.
Zweifellos gibt es unter den heutigen führenden Persönlichkeiten in Politik und Kirche auch solche, die in den vergangenen Jahrzehnten selbst gelitten haben. Mehr noch hat das Volk gelitten. Wir hatten das Bild dieses vielleidenden Volkes stets vor Augen, und in unseren eigenen Reihen finden sich nicht wenige Geistliche und Gläubige, die den Völkermord der Kollektivisierung, die Hölle des GULags und den Terror der gottlosen Herrschaft am eigenen Leib erlebten. Wer uns zum Vorwurf macht, daß wir die materiellen Vorteile des Westens genossen, während das Volk in Rußland litt, sollte wissen, daß diejenigen, die Wesen und Sinn der Auslandskirche begriffen, bescheiden lebten und leben und nicht wünschten vom Leben der Länder aufgesogen zu werden, in denen sie Zuflucht fanden; ihre Gedanken waren stets darauf gerichtet, dem leidenden Volk Rußlands zu helfen, für das wir über 70 Jahre lang täglich unsere ärmlichen Gebete zu Gott richten.
Wenn wir meinen, daß nicht diejenigen die Reue brauchen, die die Sowjetmacht aktiv unterstützten, sondern ebenso auch alle, die ihr, und sei es auch nur durch ihr Schweigen, passiv entgegenkamen, so vergessen wir keineswegs, daß dies auch uns selbst betrifft. Auch in unserer Mitte lebten nicht alle jederzeit ausschließlich in Geist und Tat der Buße. Auch wir müssen vor der Heiligen Kirche, vor den Heiligen Neomärtyrern der Kirche Rußlands Buße tun. Wahrlich, wir selbst haben angesichts des Unverständnisses und der offenbaren Gleichgültigkeit des Westens gegenüber den Wunden Rußlands häufig verzagt. Mitunter haben wir die verfolgten Gläubigen, die in Konzentrationslagern Eingeschlossenen nicht entschlossen genug verteidigt, besonders dann, wenn falsche Zeugen entschieden und listig jegliche Verfolgung der Kirche in der Sowjetunion im Abrede stellten.
Die große Kraft der tausendjährigen Rus’ liegt im Geiste der Buße vor der Wahrheit beschlossen. Und darin liegt unsere ganze Hoffnung. Jetzt muß deutlich ausgesprochen werden, daß die Buße Rußlands nicht allein auf kirchliche Kreise oder das gläubige Volk beschränkt werden kann. Sie muß allgemein sein und alle erfassen - wie in Rußland, so auch im Ausland. Nur auf einer solchen Grundlage können wir hoffen, daß der Herr uns allen zeigen wird, wie wir die Schwierigkeiten überwinden können, die im Moment keine Lösung finden. Die Buße führt uns zu wahrer Freiheit, zur Freiheit von allem Sündigen. Der Eckstein unseres Lebens ist Jesus Christus und jedes Gebäude, das ohne dieses Fundament gebaut wird, steht auf Sand. In dieser neugewonnenen Freiheit wird, mit Gottes Hilfe auch unsere gesamte Russische Orthodoxe Kirche ihre Einheit auf dem unwankelbaren Stein der Wahrheit finden, welcher Jesus Christus ist. Amen.
München im August 1991
MARK, Erzbischof von Berlin
und Deutschland
Bote 1991-5
Aus dem Leben der Diözese
Vom 28. bis zum 31. Juli (n. St.) fand im Kloster des Hl. Hiob von Poçaev ein Seminar unter Leitung von Johannes Panagopoulos, Professor der Universität von Athen, statt. Thema: “Erwerb des Hl. Geistes in der Tradition der Kirchenväter”. Teilnehmer waren die Geistlichen der Deutschen Diözese und einige interessierte Laien. Das Seminar fanden die Teilnehmer außerordentlich motivierend und sie sprachen sich für die Fortsetzung solcher Begegnungen aus.
Am 1. August fuhr Erzbischof Mark in das russische Pfadfinderlager im Bayerischen Wald. Nach dem Abend-und Morgengottesdienst nahm er fast allen Kindern und Leitern die Beichte ab. Am nächsten Tag zelebrierte er die göttliche Liturgie, bei der fast alle Lagerbewohner an der Kommunion teilnahmen. Nach dem Frühstück sprach Vladyka mit den Kindern über geistliche Themen und beantwortete zahlreiche Fragen aus dem Kirchenleben.
Am 3. und 4. August feierte Erzbischof Mark aus Anlaß des Patronatsfestes die Gottesdienste in der Kirche der Hl. Maria Magdalena in Darmstadt.
Am 6./19. August hielt Vladyka die göttliche Liturgie in der Christi-Verklärungskirche in Baden-Baden.
Am 9. und 10. September feierte das Kloster des Hl. Hiob von Poçaev das Fest seines Schutzpatrons.
Am 5./18. September fand in Wiesbaden das Pontifikalamt aus Anlaß des Patronatsfestes in der Kirche der Hl. Elisabeth statt.
Am 8./21. September zelebrierte Vladyka in Nürnberg zum Fest der Geburt der Gottesmutter. Nachdem der Gemeinde zur Geburt der Allerheiligsten Gottesgebärerin in Nürnberg unerwartet die kleine Kapelle im Hause des katholischen Erzbischöflichen Seminars St. Paul gekündigt worden war, mußte ein neues Domizil gefunden werden. Dem war nach intensiven Bemühungen Pfarrer Josef Wowniuks und des Gemeindeältesten Gregor Samorski, sowie weiterer Gemeindemitglieder und Freunde innerhalb kurzer Zeit Erfolg beschieden. Die evang.-luth. Gemeinde St. Bartholomäus stellte in ihrem Gemeindehaus unweit des Zentrums von Nürnberg einen Raum zur Verfügung. Am 8.9.91 konnte dort die erste Liturgie gefeiert werden. Bei dem Pontifikalamt zum Patronatsfest erhielt Vater Josef als Auszeichnung das Recht einen Nabedrennik zu tragen.
Am 22. September zeichnete Vladyka bei der Liturgie den Vorsteher der Kölner Hl. Panteleimon Gemeinde, Priester Boœidar Patrnogiç, mit dem Recht aus, ein goldenes Brustkreuz zu tragen. Vater Boœidar hat diese Auszeichnung durch seine unermüdliche pastorale Tätigkeit in den beiden Kölner Gemeinden und der Düsseldorfer und Dortmunder Gemeinde sowie die unlängst übernommene regelmäßige gottesdienstliche Betreuung der Kirche der Hl. Alexandra in Bad Ems verdient.
Am 14/27. September, nach der Liturgie zum Tag der Kreuzerhöhung, flog Erzbischof Mark zur pastoralen Visitation der ihm unterstehenden Gemeinden in England. Am Samstag, dem 15./28. September weihte er im Männerkloster in Brookwood den Subdiakon Peter Baulk zum Diakon, um die Missionstätigkeit in England zu stärken. Tags darauf, am Sonntag, dem 29., fand ein Pontifikalamt in der Allerheiligen-Kirche in London statt. Am Dienstag, dem 1. Oktober besuchte Vladyka in Begleitung von Archimandrit Alexis die Gemeinde des Hl. Nikolaus in Bradford, wo er einen Bittgottesdienst mit Akathist an die Allerheiligste Gottesgebärerin zelebrierte und mit den Gemeindemitgliedern von Bradford und Manchester ein umfangreiches Gespräch führte.
Am Mittwoch, dem 2. Oktober flog Erzbischof Mark nach Aberdeen in Schottland, um den Priester John Prior und seine Familie zu besuchen und die neuerstellte Ikonostase der kleinen örtlichen Gemeinde zu weihen. Nach dem Abendgottesdienst sprach Vladyka mit der versammelten Gemeinde. Die übrigen Tage seines Besuches in England waren Begegnungen mit den Vertretern der Baukommission gewidmet, die sich mit der Errichtung einer neuen Kathedralkirche in London beschäftigen. Außerdem besuchte er das Frauenkloster in London und widmete sich sonstigen pastoralen Fragen. Abends am 4. Oktober verließ Erzbischof Mark die Diözese von Großbritannien.
Frühmorgens am 7. Oktober fuhr S.E. Erzbischof Mark in Begleitung des Priesters Nikolai Artemoff zu einer dreitägigen wissenschaftlichen Konferenz nach Ferch bei Potsdam. Diese Begegnung zum Thema “Leitfiguren der Russischen Orthodoxen Kirche” war von der Deutschen Osteuropa-Gesellschaft organisiert und verlief unter Vorsitz von Prof. Wolfgang Kasack (Universität Köln). Vertreter wissenschaftlicher Institute aus Berlin, Köln, Mainz und Leipzig nahmen auf deutscher Seite teil, auf russischer Seite waren es der Priester des Moskauer Patriarchats Michail Ardov, der von Moskau aus in der Provinz pastoral tätig ist und außerdem durch seine Publizistik in Rußland bekannt ist, der Journalist und Schriftsteller Michail K. Posdnjaev, der kirchliche Publizist Viktor Antonov aus St. Petersburg sowie die genannten zwei Vertreter unserer Diözese. Erzbischof Mark hielt den Einführungsvortrag “Über die Person und Tätigkeit des Metropoliten von Moskau Philaret (Drozdov)”. Viktor Antonov folgte mit einem Vortrag über den Neomärtyrer Metropoliten Josif (Petrovych) von Petrograd, nach dem ein großer Zweig der Katakombenkirche benannt ist. Priester Michail Ardov widmete sich dem Thema “Starzen und Starzentum”, mit einer kritischen Sichtung der heutigen Situation. Michail Posdnajev wandte sich Pu‚kin und dem Thema des Narren in Christo zu. Rainer Gold von der Universität Mainz beeindruckte die Runde mit einem sehr interessanten, übrigens wie alle Beiträge in russischer Sprache gehaltenen Vortrag über die Person Pavel Florenskijs. Priester Nikolai Artemoff vertiefte das bereits angesprochene Thema des Starzentums mit einem Beitrag über die Heiligen Starzen des Optina-Klosters. Am runden Tisch wurden unter allgemeiner Beteiligung auch die Probleme der heutigen pastoralen Tätigkeit in Rußland und im Ausland diskutiert sowie die Hindernisse, die einer Vereinigung der drei Zweige der Russischen Kirche im Wege stehen. Die Konferenz erwies sich als außerordentlich fruchtbar.
Am Samstag, dem 12. Oktober fuhr Erzbischof Mark in Begleitung seines Protodiakons Georgij Kobro wieder nach Berlin, um dort den Sonntagsgottesdienst und die Gottesdienste zum Patronatsfest der dortigen - dem Schutzfest der Allerhl. Gottesgebärerin gewidmeten - Gemeinde zu halten.
Aus Berlin zurückgekehrt flog er am 15. Oktober nach New York zur zweiten Sitzungsperiode des Bischofskonzils (s. Sendschreiben des Bischofskonzils in der gleichen Nummer des “Boten”).
Bote 1991-5
Kirche in Rußland
Spätsommer 1991 in Rußland
Wie wir heute aus den geöffneten Archiven wissen, wurde nach einem von V. Lenin und L. Trockij im März 1922 ausgearbeiteten Plan eine kirchliche Revolution in Rußland durchgeführt, die in der Schaffung des Instituts “loyaler Geistlichkeit” bestand. Am 15. Mai 1922 schreibt Trockij darüber, wie man “den Geist der loyalen Geistlichkeit heben sollte”, wie das durchzusetzen ist, was er “die grundlegendste geistige Revolution im russischen Volk” nennt. Lenins handschriftlicher Kommentar: “recht so! 1000 Mal recht so!” (“Aus den Archiven der Partei” in: “Izvestija ZK KPSS” Nr. 4/1990, S. 190-193).
Diese erste Phase ist mit der “Loyalitätsdeklaration” (1927) des Metropoliten Sergij (Stragorodskij) und der dort beginnenden Verteidigung der Sowjetmacht - “unseres Sowjetstaates und unserer Regierung” - vor den “ausländischen Verleumdern” abgeschlossen. Hier steht die Wiege des Moskauer Patriarchats. Die Zwiespältigkeit dieses neugeborenen Organismus blühte auf im September 1943, als die “Trojka” der im Amt verbliebenen Bischöfe sich zum nächtlichen Gespräch mit Stalin traf und drei Tage später Metropolit Sergij zum Patriarchen eingesetzt wurde... Von diesem Moment an entfaltete sich das Moskauer Patriarchat, das sich mit allen möglichen Unwahrheiten das Leben des orthodoxen Volkes - der Russischen Kirche - unterwarf.
Der Weg des “Sergianismus” wurde im Oktober 1990 noch einmal bestätigt durch den “Aufruf des Bischofskonzils des Moskauer Patriarchats”, und immer wieder verteidigte das jetzige Haupt des Moskauer Patriarchats Alexij II. diesen Weg. Nach einem gezielt gekürzten Zitat aus der Deklaration sagte Alexij noch im Juli 1991 zu dem Thema: “Es ging nicht um den atheistischen Staat; es ging um die Heimat” (“Der Spiegel” Nr. 30/1991, S. 127 f), obwohl im Originaltext der Deklaration “staatsbürgerliche Heimat” steht, und insgesamt die Sowjetregierung 9 Mal, die Sowjetmacht 5 Mal, der Sowjetstaat 2 Mal genannt werden, sodaß das angeschlossene Wort “Heimat” dem totalitären Sprachductus einverleibt ist.
Der “Sergianismus” ist ein bis heute andauerndes Vergehen wider das konziliare Lebensprinzip der Orthodoxen Russischen Kirche, das Sobornost heißt, er ist die geistige Wirkkraft vieler krankhafter Entwicklungen des kirchlichen Lebens in unserer Heimat. Aber die Bewußtwerdung dieser Tatsache erfolgt durch das Leben selbst. Ein Element dieser Bewegung ist das offene Auftreten der Gemeinden der Freien Russischen Kirche. Alsbald aber zeigte sich auch, wer die Verfolger des freien kirchlichen Lebens heute sind. In diesem Zusammenhang berichteten wir im “Boten” bereits über das Zusammengehen der regimetreuen alten Kräfte des Patriarchats mit den Sowjetbehörden auf allen Ebenen (näheres im “Boten” Nr. 3/1991).
Bei seiner zweiten Reise nach Rußland war der Vertreter unserer Diözese, Priester Nikolai Artemoff, wieder in Moskau und St. Petersburg, nahm an Gottesdiensten teil, die von Erzbischof Lazar und Bischof Venjamin zelebriert wurden, und beim Gottesdienst in der Entschlafenskirche von Vali‚çevo bei den Priestern Alexij Averianov und Viktor Usaçov an dem Tag, als unsere Gemeinde die neuen Schlösser aufzusägen gezwungen war und die Siegel, die von den örtlichen Behörden angelegt wurden, wieder abriß. Nach dem Putsch wurden die Beschlüsse des zuständigen Gerichtes von Podolsk durch die höhere Gerichtsinstanz für das Moskauer Gebiet für ungesetzlich erklärt.
Bedeutet jedoch der neue Gerichtsbeschluß oder etwa die Registrierung der Moskauer Gemeinde der Kirche “Nikola v Pyœach” eine grundsätzliche Verbesserung der Situation? Die Justizverwaltung in St. Petersburg hat jetzt die Registrierung der Gemeinde der Hll. Neomärtyrer Rußlands, die von Priester Sergij Perekrestov geleitet wird, zurückgenommen. Die Sache zog sich acht Monate hin und wurde in den Tagen des Putsches entschieden: auf dem Beschluß steht das Datum 21. August. Aber der Bürgermeister A. Sobçak, der allerorten als “Demokrat” gefeiert wird und eine persönliche Freundschaft mit dem ehemaligen Leningrader Metropoliten Alexij pflegt, stützte sich eilends auf diesen Beschluß, um die vorangegangene positive Entscheidung des Stadtsowjets zur Übergabe der Kirche der Gottesmutter von Kazan’ an die Gemeinde von Vater Sergij rückgängig zu machen, und die Weisung zu unterschreiben, daß die Kirche dem Moskauer Patriarchat zu überantworten sei, was er seit langem anstrebte. Und obwohl die Experten aus der “Kommission für Menschenrechte” beim Lensowjet eine Empfehlung zugunsten unserer Gemeinde aussprachen, wurde sie vom Stadtsowjet am nächsten Tag verworfen. Die St. Petersburger Gemeinde also, die im April 1990 registriert worden war (s. “Bote” Nr. 1 und 3/1991), kann jetzt gezwungen sein, wieder in die Situation der Katakombenkirche zurückzukehren. In den vorangegangenen Monaten wurde die Klage bei Gericht mit der Begründung zurückgewiesen, eine Verweigerung der Registrierung liege nicht vor (was monatelang der Fall war, obwohl eine Entscheidung in Sachen einer Registrierung laut Gesetz innerhalb eines Monats zu fällen ist). Jetzt konnte die Gemeinde vor Gericht gehen. Die Gottesdienste in der Krypta der Kirche finden weiterhin regelmäßig statt, wie schon das ganze Jahr.
In der Mitte des Monats Oktober wurde aufgrund einer Information aus Suzdal’ ein Protest gegen die Entscheidung des Gebietssowjets von Vladimir eingereicht, sämtliche Kirchen des Vladimir-Gebietes dem Moskauer Patriarchat zu übergeben. Diese Entscheidung des Gebietssowjets von Vladimir kann bedeuten, daß, ungeachtet der gesetzlichen Registrierung der Diözesanverwaltung von Suzdal’ beim Justizministerium, die Kirchen von Suzdal’ den Gläubigen, die Jahrzehnte in ihnen beteten, weggenommen werden können.
Im Ort Rachmanovo des Gebietes Pavlov-Posad wurde gegen die Gemeinde des Abtes Arsenij (Kiselev) eine Hetzkampagne entfacht, die im mittlerweile wohlbekannten Grundtenor des Moskauer Patriarchats vorangetrieben wird: die “Amerikaner” und “Katholiken” seien eingedrungen. Auch die Flugblätter des Bischofs Evlogij von Vladimir müssen zur Kenntnis genommen werden, wo es schlicht heißt, die Russische Auslandskirche verfolge “Ziele, die direkt vom Teufel sind”. Im Sendschreiben des Bischofs Vasilij von Simferopol’ und der Krym, in dem dieser den Gläubigen die “Laisierung” der Priester Valerij Lapkovskij und Georgij Kochno (s. “Bote” Nr. 4/1991) mitteilt, ist auf wenigen Zeilen sieben Mal die Rede von der “Häresie” - der “tödlichen und verderblichen”, von der “häretischen Versammlung” und diesen Priestern persönlich als “Häretikern”... vom “finsteren Schlund der Hölle”, in den der Weg gepflastert ist “mit den frömmelnden, giftigen Aufrufen der Laien Valerij Lapkovskij, Georgij Kochno und ihrer häretischen Gemeinschaft”. Unter anderem gibt es auch einen solchen wundersamen Satz: “Daß diese Personen nach der Lehre der Heiligen Orthodoxen Kirche Häretiker sind, ruft keinen Zweifel hervor”. Wir waren schon immer der Auffassung, daß die Worte “Häresie” und “Häretiker” keine Schimpfworte sein können, sondern theologische Begriffe sind. Charakteristischerweise steht hier jedoch kein Wort darüber, worin denn diese “Häresie” besteht, die direkt in die Hölle führt. Alles in allem - eine traurige Situation.
Im Vergleich mit dieser und ähnlicher Desinformation, die das Bild einer dämonischen “Sekte” schafft, ist die Behauptung, die Russische Orthodoxe Kirche im Ausland bestehe aus Extremisten, mit denen überhaupt nicht zu reden sei, relativ leichtes Kaliber. Dafür ist sie weiter verbreitet.
Im Juni 1991 machte der Volksdeputierte und Vorsitzende der Kommission für Gewissensfreiheit beim Moskauer Stadtsowjet, Valerij Bor‚çev, den wir noch aus unserer Zusammenarbeit mit dem “Helsinki-Komitee zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen” in den 70-80-er Jahren kennen, den Vorschlag, eine Konferenz zu kirchlichen Fragen abzuhalten.
Die Konferenz fand am 16. August im Großen Weißen Saal des Mossowjet statt, d.h. vor der Eröffnung des “Kongresses der Kompatrioten”, an dem die Russische Auslandskirche bewußt nicht teilnahm. Das Thema der Konferenz war: “Die Deklaration des Metropoliten Sergij und ihre Folgen für die Russische Kirche”. Seitens des Moskauer Patriarchats nahmen der Abt Ioann (Ekonomcev), der allernächste Mitarbeiter des Oberhaupts des Moskauer Patriarchats Alexij des II. und zugleich der Vorsitzende der Abteilung des MP für religiöse Bildung und Katechisierung, teil, weiterhin der Priester Gleb Jakunin, als Volksdeputierter und Stellv. Vorsitzender des Komitees für Gewissensfreiheit beim Obersten Sowjet der RSFSR, der Abt Kirill (Sacharov) als Vorsitzender der Union Orthodoxer Bruderschaften, die Priester und Abgeordneten des Mossowjet Alexander Borisov und Vasilij Fonçenkov, sowie die Priester Michail Ardov, Artemij Vladimirov, Arkadij Satov. Die Russische Auslandskirche war mit Erzpriester Viktor Potapov (Washington), Priester Nikolai Artemoff (München) und Erzdiakon German Ivanov-Trinadzaty (Lyon) vertreten. Weitere Abgeordnete im Laienstand und Interessierte waren dabei. Insgesamt hatten sich etwa 100 Personen versammelt.
Als wichtig kann an dieser Konferenz die Tatsache gelten, daß der “Sergianismus” ernsthaft diskutiert und als eine echte Irrlehre entlarvt wurde, für die in der Kirche kein Platz ist, da hier die Worte des Apostels Paulus “es gibt keine Gewalt, die nicht von Gott ist... Darum ist es geboten, sich zu unterwerfen... um des Gewissens willen” (Röm 13, 1-5) falsch ausgelegt werden. Diese Fehlinterpretation steht der Heiligen Schrift und der Lehre der Heiligen Väter in unerträglicher Weise entgegen. Durch diese Feststellung wurde auch konkret das Bischofskonzil des Moskauer Patriarchats von 1990 insgesamt bezichtigt, weil es durch einen offiziellen “Aufruf” im Jahre 1990 diese Verzerrung der Heiligen Schrift ausdrücklich noch einmal bestätigte, um den “Sergianismus” zu verteidigen. Interessant ist, daß die Priester des Patriarchats gegen diese Darlegung nichts einwandten und den “Sergianismus” nicht verteidigten. Erstaunen rief jedoch die Tatsache hervor, daß alle Geistlichen des Patriarchats sich von ihren Bischöfen distanzierten, wobei nur das Oberhaupt des Patriarchats Alexij II. ausgenommen wurde. Vater Ioann (Ekonomcev) sagte: “... als Person gibt es ihn nicht mehr, ich habe vielmehr den Eindruck, daß er sich in ein Werkzeug des Heiligen Geistes verwandelt hat”. Leider war es nötig, auf einige faktische Aussagen des mutmaßlichen “Instrumentes des Heiligen Geistes” aufmerksam zu machen und darauf hinzuweisen, daß der Heilige Geist notwendigerweise als Geist der Wahrheit definiert wird.
Es ist deutlich geworden, daß selbst so hochgestellte Geistliche des Moskauer Patriarchats sonst auf niemanden ihre Hoffnung setzen. “Es ist ja allen bekannt, - sagte Vater Ioann (Ekonomcev), - wie der Episkopat des Moskauer Patriarchats aufgestellt wurde. Aber woher sollen wir denn würdige Hierarchen bekommen? Nach 10-20 Jahren täglicher Arbeit bei der Jugenderziehung wird unsere Kirche sich erneuern und wiedergeboren werden”. Vater Ioann zog sogar das Ökumenische Konzil vom Jahre 787 als ein Beispiel heran, das mit der Verurteilung der Häresie der Ikonoklasten abschloß.
Es schien, als merkten die Priester des Moskauer Patriarchats gar nicht wie tragisch das Zeugnis ist, das sie hier abgaben. Sie sprachen aus ihrem Verständnis der Orthodoxie heraus und zeigten ihren eigenen Zugang zu den praktischen kirchlichen Fragen. Aber der Abgrund zwischen Episkopat und Geistlichkeit, wie er hierbei wieder einmal deutlich wurde, ist für die Orthodoxe Kirche gänzlich undenkbar und unannehmbar. So wurde bei dieser Begegnung noch ein riesiges ekklesiologisches Problem des kirchlichen Lebens offenbar, das zwischen der Russischen Auslandskirche und dem Moskauer Patriarchat liegt.
Priester Michail Ardov forderte in einem glänzenden Plädoyer nicht nur eine Absage vom “Sergianismus”, sondern auch vom “Ökumenismus”, der “Friedenstheologie” und der “Revolutionstheologie” sowie anderer “Häresien”, die das Moskauer Patriarchat in den vergangenen Jahrzehnten angesammelt hat, und stattete seinen Beitrag mit einer Reihe konkreter Zitate aus. Er forderte, daß ein Weißbuch unzulässiger Aussagen aus den letzten Jahrzehnten zusammengestellt würde, damit allen klar werde, was zu bereuen sei, und sprach sich dafür aus, daß ein offenes Reuebekenntnis abgelegt werden sollte.
Der Abt Kirill (Sacharov) erwähnte seinerseits die Notwendigkeit einer Rückkehr zu den “kanonischen Normen” und der Schaffung eines “kirchlich-geistlichen Gerichts”.
Derartige Aussagen von Priestern des Moskauer Patriarchats zeichnen ein Bild davon, wie die Problematik heute gesehen wird, andererseits fehlten auch Versuche nicht, sich aus der Fragestellung zu stehlen in einer Manier, die an alte Zeiten erinnerte: es wird ja bereits alles allmählich korrigiert, es ist auch schon viel besser geworden... Für diejenigen, die sich in den Gang des Gesprächs vertiefen möchten, ist die Publikation des Stenogramms vorgesehen.
Natürlich ging es bei dem Gespräch nicht nur um den “Sergianismus”, sondern auch um die heutige Situation, was der Russischen Auslandskirche die Möglichkeit bot, den eigenen Standpunkt darzulegen und die Desinformation zu entlarven.
Das Gespräch wurde damit beendet, daß einer der Vertreter der Russischen Auslandskirche das Bußgebet an die Neomärtyrer Rußlands las.
Drei Tage später zeigte sich, wie aktuell die Gespräche im Moskauer Stadtsowjet waren. Vater Nikolai Artemoff hatte von der prinzipiellen Notwendigkeit gesprochen, die Irrlehre des “Sergianismus” zu verurteilen, weil nicht jede Machtstruktur und nicht jeder Befehl als gottgegeben und ethisch bindend angesehen werden könnten, und weil diese Frage auch im Hinblick auf die Zukunft und das Kommen des Antichrist die Kirche betrifft. Dadurch, daß die “Sergianer” der Russischen Kirche eine Position aufzwängen, die nicht einmal den allgemein anerkannten juristischen Standpunkt im Nürnberger Prozess erreiche, brächten sie Schande über die Orthodoxie. Nach einem Exkurs über die Unfähigkeit die Grenzen zulässiger Kompromisse festzulegen, erklärte Vater Ioann (Ekonomcev), daß die früheren Fehler nicht wiederholt werden würden, das Moskauer Patriarchat werde nunmehr beim nächsten nicht auszuschließenden Schub des Totalitarismus bereit sein auf “Golgatha” zu gehen.
Und da, plötzlich - der Ausnahmezustand, die Ukaze des GKÇP... Die im Konferenzsaal aufgeworfene Frage wurde zu realer Geschichte.
Bis heute sind alle Versuche, mit der verschiedenen Reaktionen im Patriarchat klarzukommen, strittig und werden auch heiß diskutiert, während in den oberen Rängen des Patriarchats der unhörbare Krieg ausgebrochen ist. Eines jedoch steht fest: es ist nicht so leicht, sich von den Ketten des “Sergianismus” freizumachen, wie manche wohl dachten. Das ist ein Faktum, mit dem man nicht nur heute, sondern auch morgen zu rechnen haben wird.
Gleich nach den Ereignissen in Moskau begann dann die Ausbeutung des Putsches und die Mythologisierung. Lassen wir das auf sich beruhen. Das Leben geht weiter...
KGB und Kirche
In den ersten Tagen nach dem Putsch war im Zentralen Fernsehen (ZTV) im Zusammenhang mit der Umstrukturierung des KGB die Rede davon, daß ein gutes Drittel der Mitarbeiter des ZTV zugleich besoldete Mitarbeiter des KGB waren. Das Thema ließ in Bezug auf das Moskauer Patriarchat nicht lange auf sich warten. Wir waren nie darauf aus, dieses Thema zu benutzen, allein die Tatsache, daß es so etwas gibt ist für uns äußerst schmerzhaft, aber wir konnten natürlich auch nicht unsere Augen vor den Tatsachen verschließen. Jetzt bricht die Realität dieses üblen Kapitels auch noch über die Russische Kirche herein, mit neuer Kraft.
Wir wollen hier aus einem Artikel von Sergej Byçkov zitieren, der als Kirchenhistoriker zeichnet: Man muß annehmen, daß auch noch Prüfungen anderer Art die Kirche erwarten. Nach der Erfahrung der osteuropäischen Staaten wissen wir, daß beim Umbau der Staatssicherheitsorgane das Problem der geheimen Informanten auftaucht. Es ist für niemanden ein Geheimnis, daß die Organe des KGB ständig im kirchlichen Bereich Mitarbeiter anwarben und eigene in die Kirche einplanzten, deren viele heute hohe Posten einnnehmen. Aber, soweit mir bekannt ist, beabsichtigt nicht ein einziger von denen, die sich in dieser Weise beschmutzten, in den Ruhestand zu treten... (“Moskauer Nachrichten”, 22.09.91).
In der populärsten Wochenzeitung “Argumenty i Fakty” (Auflage über 33 Mio.) erschien folgende Mitteilung:
“Kurz vor seinem Tode hatte Vater Alexander Men’ Materialien in die Hand bekommen, die die höchsten Führungskräfte der Kirche, des Staat- und Parteiapparats und der Tschekisten (Stasiorgane) bloßstellen würden. Diese Dokumente befanden sich in der Aktentasche Mens, die nach dem Überfall zweier Unbekannter dessen Folgen tragisch waren, spurlos verschwunden ist” - das teilte der Redaktion von “AiF” ein ehemaliger Mitarbeiter der orthodoxen Abteilung des KGB (! - Anm. d. Ü.) mit, der bat ungenannt zu bleiben. Nach seinen Informationen ist der Tod von Vater Alexander, ebenso wie die nachfolgenden Morde an zwei Priestern, die Freunde Men’s waren, das Werk der Geheimdienste, die einen Auftrag interessierter Personen ausführten (“Argumenty i Fakty” Nr. 39, 1991).
Der Vorsitzende des Außenamtes des Moskauer Patriarchats, Metropolit Kirill (Gundjaev) wies vor dem Zentralausschuß des Ökumenischen Rates der Kirchen Behauptungen, das Außenamt sei mit Agenten des KGB druchsetzt, entschieden zurück, und wandte sich gegen derartige “Gerüchte”, die auf eine verantwortungslose Berichterstattung zurückgingen. Inzwischen ist aber auch noch das Gerücht in Umlauf gekommen, daß die Archive der Abteilung des KGB, die sich mit der Kirche beschäftigte, demnächst zur Verwahrung übergeben werden... an das Moskauer Patriarchat. Man darf annehmen, daß das unheilvolle Spiel zum Thema “KGB und Kirche” von verschiedenster Seite geführt werden wird. Offensichtlich werden die Metastasen der Krankheit, die von Lenin-Trockij-Stalin zur Zersetzung, Diskreditierung und Vernichtung der Russischen Kirche ins Leben gerufen wurde, die Kirche mit ihren giftigen Säften auch weiterhin quälen werden... Wie lange das dauern wird, hängt unter anderem auch von uns allen ab - von unserem Glauben und unseren Handlungen, denn es gibt nur einen Ausweg: die Wiederherstellung der Wahrheit und Konziliarität.
Kurz aus Rußland
Der Aufruf “Wort der freien Russischen Kirche” vom 20. August, der eine kirchliche Stellungnahme zu den Ereignissen enthält und in der Zeit des Putsches in Moskau verbreitet wurde, ist in einem gleichzeitigen Spezialflugblatt der Moskauer Wochenzeitschrift “Stolica” sowie in der russischen Ausgabe des “Boten” (=”Vestnik” Nr. 4/1991) abgedruckt. Einer der Bittgottesdienste an die Neomärtyrer und Bekenner Rußlands (s. Fotos) wurde im Fernsehen aufgezeichnet. Ausschnitte wurden in Rußland und im Ausland gesendet.
In Rußland erschienen vor und nach dem Putsch mehrere Interviews in Presse, Radio und Fernsehen mit dem Vertreter der Deutschen Diözese, Priester Nikolai Artemoff. Am 29. September 18:40-18:55 wurde im Zentralen Rußländischen Fernsehen eine Aufzeichnung gesendet, in der sich Vater Nikolai an das russische Volk wandte. Während des Bußgebets, das im letzten Teil seiner Ansprache enthalten war, erschienen auf dem Bildschirm - dem Inhalt des Gebetes angepaßt - verschiedene Partien der Ikone der Hl. Neomärtyrer Rußlands.
Bote 1991-5
“Lebt wohl, ihr Not- und Leidensjahre!”
“Leb wohl, du Himmelblau der Verklärung, du Gold des zweiten Erlöserfests... Lebt wohl, ihr Not- und Leidensjahre!...” Da sind sie, die geliebten Zeilen aus dem Gedichtszyklus von Pasternaks “August”, und darin die Bereitschaft zur Flucht aus Not und Leiden der Wirrsaljahre in den Tod. Da sind sie: das unbeschreibliche und unerschöpfliche Licht der Verklärung, die Vorausahnung von Golgatha und die Hoffnung auf die Auferstehung, auf die Güter des ewigen Lebens...
Am 19. August wurden in den Kirchen die Äpfel geweiht - “Apfelweih” des zweiten Erlöserfestes.Um die Kirchen zogen die Prozessionen, aber im Radio kündete jemand mit stählerner Kehle und gefühlloser Zunge den Untergang. Zunächst für die, die das Weiße Haus verteidigten, dann für die darin Versammelten, schließlich für alle, die ihr Los zu teilen sich anschickten. Der Patriarch von Moskau und der ganzen Rus’ Alexij II. aber hat ein seltenes Glück, vielleicht das einzigartigste und unwiederholbarste in seinem Leben. Am Tage des faschistischen Umsturzes, am Tage der Verklärung des Herrn zelebriert er die festliche Liturgie in der Entschlafenskathedrale im Kreml. Die zum Kongress der Kompatrioten angereisten Emigranten sind geradezu auserkoren, diese Freudenbotschaft in die ganze Welt hinauszutragen: Tag des faschistischen Umsturzes, der Patriarch und die Kirche aber sind - frei!
Der Patriarch hat eine Direktübertragung, ihm vertraut das GKÇP (Staatliches Ausnahmezustandskomitee - Anm. d. Ü.), das eine Sonderbestimmung für das Fernsehen herausgegeben hat, ihm vertraut auch Kravçenko (der Direktor des Zentralen Fernsehens - Anm. d.Ü.). Sobald der Gottesdienst beendet ist, wird der Patriarch das aussprechen, wovon die ganze Welt schreit. Sollte er aber keinen Mut finden, darüber zu sprechen, was in unserem Vaterland geschehen ist, dann wird er für dessen Erlösung beten. Und Rußland wird es hören.
Zur traditionellen Fürbitte um das Erbamen für “die Regierenden und das Heer” wurde an diesem Tag die Bitte für das Volk hinzugefügt. Aber für welche Regierenden und welches Heer beten die Teilnehmer des Gottesdienstes? Und erfahren denn davon die Millionen Fernsehzuschauer, die erwarten, die Wahrheit über das zu hören, was geschehen ist? Christus hatte seinen Jüngern gesagt: “Gehet hin und lehret”.
Nein, der Patriarch brauchte keine Direktübertragung, er sagte kein Wort über das, wovon am 19. August ganz Rußland schrie.
Der Patrairch sollte uns leid tun. Gott hat ihm die geistliche Kraft zum Bekenntnis, zum Zeugnis und zur Belehrung des Volkes nicht gegeben.
Jetzt spricht man viel über die, die geschwiegen haben. Das Schweigen der einen hält man für eine Sünde, für andere erscheint es als eine Heldentat.
Schwieg der Patriarch? Ja selbstverständlich, auch wenn am nächsten Tag nach der Bitte des Präsidenten Rußlands, ihn zu unterstützen, wie aus einem Füllhorn die Sendschreiben des Patriarchen zu rieseln begannen. An wen richtete er seine Worte in den Tagen des Umsturzes? In den von ihm unterzeichneten Texten war nicht ein einziger Aufruf, der an den Episkopat und die Geistlichkeit gerichtet gewesen wäre mit der Bitte, zu denen zu gehen, die für die Freiheit einstanden, mit Prozessionen hinzugehen, mit Fahnen und Ikonen dorthin zu gehen, wo die Panzer standen. In seinen Botschaften gab es keinen Segen, Bittgottesdienste dafür zu halten, daß die Armeeeinheiten gestoppt und Blutvergießen abgewendet werden möge. Vielleicht richtete der Patriarch seine Worte an den Präsidenten? Aber brauchte denn B.N. Jelzin, der alles beim Namen nannte, der entschieden und hart mit der Junta und dem Volk sprach, die verschwommenen Worte des Patriarchen darüber, daß “Millionen unserer Mitbürger in ihrem Gewissen verwirrt” seien, sie seien sich nämlich “unklar über die Umstände des Fernbleibens” von M.S. Gorbaçev “von der höchsten Macht im Lande”? Wie blaß und armselig sahen diese Zeilen neben der Vielzahl von Aufrufen und Erklärungen aus, die entschieden die Junta verurteilten!
Wahrscheinlich legte der Patriarch Zeugnis ab darüber, daß sein eigenes “Gewissen verwirrt” war. Es war ihm nicht gegeben, das Gewissen der Millionen seiner Mitbürger zu kennen.
Am Weißen Haus standen die künftigen neuen “Gewissensgefangenen”, für die das GKÇP 250.000 Handschellen vorbereitet hatte, zusätzlich zu denen, die in den Lagerhallen von Krjuçkov (Vorsitzender des KGB -Anm. d.Ü.) und Pugo (Innenminister - Anm. d.Ü.) auf sie warteten. Im übrigen hat ja der Patriarch selbst bereits früher mehrfach die Gründe des Kleinmuts erklärt, sowohl des eigenen wie dessen seiner bischöflichen Mitbrüder. Im Interview an die “Komsomolskaja Pravda” hatte er ja erklärt, daß man eben genötigt war, die Unwahrheit zu sagen, aber “wie soll man denn unter den Bedingungen des Totalitarismus überleben (H. v. m. - Z.K.), wenn keine Hoffnung auf seinen Zerfall besteht?” Keine Hoffnung.
Schwerlich wird man heute eine deutlichere Gegenüberstellung finden zwischen der “Überlebensreligion” des Patriarchen Alexij und den geistigen Bestrebungen des neuen Rußland, das sich zum Kampf mit dem Totalitarismus auf Leben und Tod entschloß.
Kurz vor dem Umsturz wurde auf Bestellung des Moskauer Patriarchats eine Sondernummer der Zeitung “Rossija” herausgegeben. Das Ziel der Ausgabe bestand darin, den Patriarchen vor der Demokratie, der Intelligenzija und der demokratischen Presse in Schutz zu nehmen, die nach den Worten des Pressesprechers des Patriarchen, Andrej Kurajev, “die kirchlichen Menschen nach rechts wegstößt”. Die Nummer ist angefüllt mit eigens ausgewählten Zitaten aus verschiedenen Artikeln des Patriarchen, die in der Tat helfen, das “politische Porträt” eines Mannes aus einer dahinschwindenden kirchlichen Epoche zu erkennen. Die Zitate, die so sorgsam vom Team des Patriarchen zusammengesucht wurden, um “seine Heiligkeit den Patriarchen” zu verherrlichen, gehören ebenso zu einer anderen Epoche, die nicht mehr zu reanimieren ist. Für das neue Rußland sind sie offensichtlich überflüssig.
Überflüssig sind die Beteuerungen des Patriarchen, daß “die patriotische Bewegung dem Schicksal des eigenen Landes nicht gleichgültig gegenübersteht”, daß sie vom “Geist des Dienens” erfüllt ist. Bekanntlich wurde der Putsch von den Ideologen der “patriotischen Bewegungen” vorbereitet, die auf den Seiten der gleichen Zeitungen erschienen, in denen die Artikel des Patriarchen gern abgedruckt wurden. Überflüssig sind für das neue Rußland die Überlegungen und Urteile des Diakons Andrej Kurajev, des Verteidigers der Ideologie des Patriarchen, darüber, daß die demokratische Intelligenzia “das Thema einer nationalen Wiedergeburt Rußlands für taktlos und tabuisiert” halte, und die “Komsomolskaja Pravda” sich angeblich “schämt, daß sie in russischer Sprache erscheint”. Der Übelgeruch der Unwahrheit ist in alledem.
Aber wir wollen den Patriarchen und seine Apologeten nicht verurteilen. Schließlich ist die Kirche und der Patriarch beileibe nicht ein- und dasselbe. Der Patriarch hat seinen Glauben, seine eigene Religion.
Diese Religion ist weit entfernt von der ethischen Kompromißlosigkeit des Evangeliums, die das Unvertrauen an Gott ebenso ausschließt wie das Streben nach eigener Selbsterhaltung um den Preis der Unwahrheit, oder die Absicht, den Ruhm dieser Welt zu ernten. Der Patriarch segnete die Sonderausgabe mit der Reklame für seine Person, aber das hätte er wohl besser sein gelassen: “was als hoch gilt bei den Menschen, ist ein Greuel vor Gott” (Lk 16, 15). Das sagte Christus den Pharisäern, die sich vor den Menschen als Gerechte darstellen wollten, aber dabei vergaßen, daß Gott die Herzen und Gedanken der Menschen kennt.
Die Religion des Patriarchen und seiner Mitkämpfer spricht mit dem Menschen und der Welt in einer anderen Sprache, einer Sprache, die im Inneren des Moskauer Patriarchats erstellt wurde, nachdem das Blut von Tausenden und Abertausenden von Neomärtyrern und Bekennern Rußland abgewaschen hatte.
Das Moskauer Patriarchat verwarf ihren Weg, und im Laufe langer Jahrzehnte haben ihre Patriarchen, Bischöfe, ihre Geistlichkeit falsches Zeugnis abgelegt, indem sie die ganze Welt versicherten, daß es in der UdSSR niemals Glaubensverfolgungen gegeben habe. Als aber nach sechs Jahren Perestrojka das Moskauer Patriarchat es wagte, über eine mögliche Verherrlichung der Neomärtyrer und Bekenner Rußlands zu sprechen, die vor einem Jahrzehnt durch die Russische Orthodoxe Kirche im Ausland heiliggesprochen wurden, da wandte sie sich an das KGB, um Bescheinigungen über die Unschuld der Heiligen zu erhalten.
Die “Überlebensreligion” hat das den totalitären Führern gefällige “geistliche Ministerium” geschaffen, welches sich zur Orthodoxen Kirche erklärte.
Die Ehre, diesem “Ministerium” vorzustehen, wurde einer bischöflichen Sekte nach Art der Erneuerer (d.h. einer, die durch und durch sowjetisiert ist) überlassen. Sie bestand immer aus Patriarchen und Bischöfen, die von der Partokratie durch die Empfehlung der Tscheka, des MGB, des KGB im Amt bestätigt wurden. Die “Symphonia” der Staatsreligion mit der Staatsmacht festigte sich in dem Maß wie das “geistliche Ministerium” durch sein Schweigen, sein falsches Zeugnis und seine Kompromisse die Verbrechen des Totalitarismus guthieß. Wahrscheinlich ist das der Grund, weshalb der Priester Gleb Jakunin vor kurzem in einem Interview für die “Stimme Amerikas” den seltsamen Wunsch äußerte, man solle vielleicht - angesichts der Tatsache, daß die Bischöfe des Moskauer Patriarchats nicht beabsichtigen, die Zusammenarbeit mit dem KGB zu bereuen - den Präsidenten Rußlands um einen Ukaz bitten, der es dem KGB verbieten würde, Bischöfe anzuwerben?!
Lächerlich? Beschämend. Ebenso beschämend ist es, das Eingeständnis des Erzbischofs Chrysostomos (von Litauen -Anm. d.Ü.) zu lesen, daß er achtzehn Jahre mit dem KGB zusammenarbeitete. Beschämend ist es, sich an das Telegramm zu erinnern, das am Todestag Andropovs an die Gemeinden versandt worden war und den Segen enthielt zur Abhaltung einer “Panichida für das entschlafene Oberhaupt unseres Staates Jurij Vladimiroviç Andropov. Gezeichnet: Metropolit Juvenalij”. So lautete die Bestimmung des Geheiligten Synods. Allzutief ist die Krankheit eingedrungen. Und Gott gewährt die Heilung nicht. Es ist erst ein Jahr her, daß der Patriarch Alexij, gerade inthronisiert, in einem Interview an die Zeitung “Pravda” seine Verbundenheit zur KPdSU zum Ausdruck brachte und mitteilte, er bete darum, daß die “gezielte Explosion gegen die Partei” von ihr abgewendet werden möge.
Gott hat dieses Gebet des Patriarchen nicht erhört.
Ja, sie waren getrennt, gespalten voneinander - die Aktivisten des Moskauer Patriarchats und das neue Rußland, das am Tage der Verklärung des Herrn emporstieg, um das Leiden zu empfangen. Das Episkopat hat den Ruf, zum Weißen Haus zu kommen, der aus dem Munde des Moskauer Priesters Valerij Suslin bei der Demonstration dieser ersten furchtbaren Nacht erscholl, nicht gehört. Er verkündete für Rußland die Verwandlung und wollte denen die Beichte abnehmen und das Abendmahl reichen, die sich zum Tode bereiteten. Dort, am Weißen Haus, hielten auch zwei Priester der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland - Vater Nikolai (Artemov) und Vater Viktor (Usaçov) [Anm. d. Red.: Vater Viktor ist ein Moskauer Priester der Freien Russischen Orthodoxen Kirche] - Bittgottesdienst an die Heiligen Neomärtyrer und Bekenner Rußlands.
Das war es. Ihrer waren äußerst wenige. Indes, am Weißen Haus wurde der Glaube geboren, der von den rußländischen Neomärtyrern im Gebet am Ende des Moleben erbeten wurde:
“Auf daß alle eins seien... auf daß es der Kirche nicht an guten Hirten ermangele, die fähig sind eine solch große Vielzahl von Menschen mit dem Licht des wahren Glaubens zu erleuchten, die den Glauben nicht kennen oder sich vom Glauben abgewandt haben...”
In der kühlen, regnerischen Nacht standen unsere Kinder, fest vereint. Sie standen auf Leben und Tod. Sie verteidigten uns, den Patriarchen, seine unerschrockenen bischöflichen Mitbrüder und Priester.
Es ist uns nicht gegeben, das geheimnisvolle Leben zu erkennen, das in den Tiefen des Seins eines jeden von denen verborgen war, die bereit waren, bis zum Ende auszuharren und die Freiheit zu verteidigen. Keineswegs nur die politische Freiheit und Demokratie.
Die Verteidiger des Weißen Hauses und die, die sich in ihm versammelt hatten, verteidigten die geistige Freiheit, das Gute und die Barmherzigkeit, die Vergebung und das Mitleid, sie verteidigten ihren Glauben, der im Begriff war geboren zu werden, vielleicht noch gar nicht bewußt war, sie verteidigten den Hunger nach der Wahrheit und die Hoffnung, zurückzukehren in die Familie der christlichen Völker.
Gott offenbarte ihnen Sein Wunder. Auch uns. Sollen jetzt ruhig noch hundert Versionen des “mißlungenen Putsches” erdacht, seine Ursachen und seine Natur erforscht werden. Wie dem auch immer sei, - diejenigen, die unmittelbar an jenen nächtlichen Ereignissen teilnahmen, bezeugen, daß sie die Geburt dieses Wunders schauten und mit Staunen lauschten, als sich die Geburt dieser gnadenvollen geistigen Kraft in ihnen selbst und in den Anderen vollzog. Sie geschah auf die Gebete derer, die unablässig all diese furchtbaren Tage in reumütigen Tränen Gott anflehten, Er möge den Sieg über die Henker schenken: “Das ist über uns gekommen - für Ungarn, für Prag, für Wilna, für Armenien, für Georgien, für unseren Konformismus! Vergib uns!”
Sind wir dieses Sieges würdig? Wird unser Glaube bestehen?
“Selig sind die da hungern und dürsten nach der Wahrheit, denn sie werden gesättigt sein” (Mt 5,6)... die da hungern nach der Wahrheit über Gott, über die Kirche, über die Welt und über sich selbst.
Das ist eines der Gebote der Seligkeit, die in der Bergpredigt von Christus an die Volksmenge verkündet worden war, die rund um Ihn war. Jenes Volk erwartete - genau wie das unsrige - Kraft von Gott zum Sieg über das Böse und den Tod, es wußte noch nicht, daß es der Durst nach Wahrheit ist, der Seligkeit schenkt. Es wußte nicht, daß dieser unbedingt von Christus gesättigt wird.
Sind wir satt geworden? Nein. Das ist nur der Anfang.
Den morgigen Tag gilt es noch zu erleben.
(Dieser Artikel von Zoja Krachmalnikova erschien in der Zeitung “Demokratiçeskaja Rossija” vom 5. September 1991.)
Bote 1991-6
Weihnachtsbotschaft
an die gottfürchtigen Gläubigen
der Russischen Orthodoxen Diözese
des Orthodoxen Bischofs von Berlin und Deutschland
In die Krippe der Wortlosen ließest Du Dich unseretwillen legen, langmütiger Heiland, als Du willentlich Kind wurdest. Die Hirten besangen Dich mit den Engeln und riefen: Ehre und Ruhm sei Christus unserem Gott, Der auf der Erde geboren wurde und das Wesen der Erdgeborenen vergöttlichte.
In der göttlichen Heilsordnung ist alles auf der Erfüllung des Willens Gottes begründet. Bereits die Allerheiligste Jungfrau rief bei der Heiligen Verkündigung auf die für Sie unerwarteten Worte des göttliche Boten aus: “Siehe, ich bin die Magd des Herrn; Mir geschehe wie Du gesagt hast” (Lk. 1, 38). Sie nahm das Wort auf und gebar den Logos, Welcher Fleisch ward und unter uns wohnte (Jo. 1, 14). Der Heilige Evangelist Lukas berichtet, daß sich der Engel nach der Antwort der Allerheiligsten Jungfrau entfernte. So gefiel es der Vorsehung, daß der Engel erst in dem Moment fortging, als sich der freie menschliche Wille - dieses deutlichste Zeichen des Abbildes und Gleichnisses Gottes im Menschen - mit dem Willen Gottes vereinte. Der Allmächtige Gott zwang die Allerheiligste Gottesgebärerin nicht zur Einwilligung mit dem vorewigen Ratschluß, Er verletzte nicht die von Ihm Selbst gegebene Freiheit, sondern erwartete das frei-willige Einverständnis.
Daß aus diesem Gott-menschlichen Ein-Verständnis geborene Wort Gottes nahm willentlich unseren menschlichen Leib an, um uns von der durch uns selbst geschaffenen Finsternis dieses Zeitalters zu befreien. Der Gottmensch hat Seinen Willen, und Er vereint diesen bewußt mit dem Willen des Vaters: “Denn ich kam vom Himmel herab, nicht um Meinen Willen zu tun, sondern den Willen des Vaters, Der Mich gesandt hat” (Joh. 6, 38). So lehrt uns der Herr bereits durch Seine Geburt, das gleiche zu tun: “Wenn jemand Seinen Willen tun will, der wird verstehen die Lehre, die von Gott ist” (Joh. 7, 17). Wie hoch der Herr diejenigen einschätzt, die den Willen Gottes tun, bezeugt Er Selbst: “Denn wer den Willen Gottes tut, der ist Mein Bruder und Meine Schwester und Meine Mutter” (Mk. 3, 35).
Den Willen Gottes tun kann nur derjeinige, der auf Gott vertraut, denn Gott Selbst hilft ihm dabei. Einstmals wandte sich der hl. Prophet Jeremias, auf den Ruinen Jerusalems und des Tempels stehend, dem außerwählten Volk zu: “Gütig ist der Herr denen, die auf Ihn hoffen” (Klagelieder Jeremias 3, 25). Das widerspenstige jüdische Volk mußte aus den Worten des Propheten erkennen, daß der Herr auch ihm gegenüber gütig wäre, wenn es Gott suchte: “Gütig ist Er der Seele, die Ihn sucht und schweigend auf die Rettung Gottes hofft” (26).
Die damaligen Bewohner der Heiligen Stadt wurden vom Unglück heimgesucht, weil sie Gott nicht suchten und nicht auf Ihn vertrauten. Ähnelt die Russische Kirche unserer Tage nicht dem heiligen Propheten Jeremias, steht nicht auch sie auf den Trümmern unzähliger Gotteshäuser, die zur Zeit der Abkehr zerstört und geschändet wurden, auf den Reliquien der Schar uns bekannter und unbekannter Märtyrer für den Glauben an Christus? Ihre körperlichen Tempel sind zerstört. Doch gemeinsam haben sie sich zu dem erhabenen Tempel des Ruhmes Gottes zusammengefügt - in der Schar der Heiligen Neomärtyrer Rußlands. Zerstört ist das Heilige Rußland auf Erden - errichtet der Kranz des himmlischen Ruhmes.
Die von ihnen und dem göttlichen Propheten ausstrahlende Hoffnung prangert nicht nur die Sünde an, sondern eröffnet auch den Ausblick auf die Zukunft: “Wohl dem Mann, der sein Joch in der Jugend auf sich nimmt” (27). Diese Worte des Propheten Jeremias sind unmittelbar an uns gerichtet und mit besonderer Eindringlichkeit an die junge Generation unserer Gläubigen: “Wohl dem Mann, der sein Joch in der Jugend auf sich nimmt”. Unser Joch - das ist die Verbindung unseres Willens mit dem Willen Gottes im Dienst an Ihm und in der eifrigen Erfüllung seiner Gebote, in der schweigenden Erwartung des Heils Gottes.
Der menschliche Wille ist nach der Lehre des Hl. Johannes Chrysostomos die Ursache alles Guten und alles Bösen. Doch der Wille, der dem Gottmenschen Christus untergeordnet ist, kann selbst die Natur besiegen. Deshalb brauchen auch wir nicht einmal angesichts allgemeiner Zerstörung zu verzweifeln. Unser Wille ist nicht durch die Fesseln der Unumgänglichkeit gebunden - er ist mit Freiheit begabt. Unseren Willen können wir frei mit dem Willen Gottes zusammenfließen lassen. Doch auf dem Weg zu diesem Ziel fällt es dem Menschen am schwersten, sich vom eigenen Willen loszusagen und sich dem Willen Gottes zu fügen. Selbst mit unserer geringen Erfahrung wissen wir alle, wie schwer es ist, sich wenigstens von seinem Besitz loszusagen. Doch der Hl. Johannes Klimakos sagt darüber unter Offenlegung des weiteren Weges: “Groß ist, wer aus Frömmigkeit seinen Besitz abgelegt hat; doch heilig ist, wer sich von seinem Willen lossagt. Der erste wird hundertfach an Besitz oder Gaben reich; der letztere erbt das ewige Leben” (Log. 17,9). Welch große Belohnung wird dem Menschen versprochen - mehr als Größe - Heiligkeit!
Damit das Fest der Geburt unseres Heilands Jesus Christus für uns alle seine wahre Bedeutung erhalte, laßt auch uns mit dem gottragenden Propheten und Psalmensänger rufen: “Lehre mich Deinen Willen zu tun, denn Du bist mein Gott” (Ps. 142, 10). Willentlich nahm Er unseren Leib an und war um unseretwillen Kind, willentlich aber litt Er auch am Kreuz. Mühen wir uns, Seinen heiligen Willen zu erkennen, um in seiner Nachfolge zum göttlichen Leben geboren zu werden, in Seiner Nachfolge auch in das ewige Leben einzugehen.
Die Ihn suchenden Seelen erfahren Güte. Von neuem erscheint der Herr Seinem Volk gütig. Jerusalem steht auf, der Tempel wird wieder errichtet. Die Worte des Propheten Jeremias sollten auch uns, die verstreuten Kinder der Russischen Kirche, mit Hoffnung erfüllen. Noch ist nicht alles verloren, nicht alles zerstört - suche nur den Herrn und tue Seinen Willen. Wo ist Er zu suchen? Suche Ihn zunächst und vor allem in deinem Herzen, denn Er Selbst sagte: “Ich will in ihnen wohnen und wandeln” (2 Kor. 6, 16). Suche Ihn nicht in lauten Versammlungen und in leeren Vergnügungen, sondern “hoffe schweigend auf die Rettung Gottes” - suche Ihn in den Sakramenten der Kirche, in Gebeten, in der täglichen Mühe christlichen Lebens.
Mit dem Stern von Bethlehem führt uns der Herr aus dem Dunkel unserer eingenen Herzen, aus der Finsternis unseres gesellschaftlichen Daseins, - zum Lichte des Lobpreises der Engel, auf die Höhe des erneuerten Jerusalems unseres freien Willens. Hier gibt uns unser Willen, der sich mit dem göttlichen vereint hat, ewig-neue Kräfte für die wahre Umwandlung unseres inneren und äußeren Lebens. Wenn wir zusammen mit den Engeln Gott in den Höhen preisen, dann wird auch auf der Erde unserer Herzen göttlicher Friede einziehen. Amen.
Zum Fest der Geburt unseres
Herrn Jesus Christus 1991
MARK,
Erzbischof von Berlin und Deutschland
Bote 1991-6
Aus dem Leben der Diözese
Unmittelbar nach seiner Rückkehr vom Bischofskonzil aus den USA reiste Erzbischof Mark am 25. Oktober 1991 nach Leipzig, um dort an einer Versammlung der Freunde des Gedenkens der Völkerschlacht teilzunehmen. Am Abend des 25. nahm er an einem Empfang teil, zu dem der Landrat, die Bürgermeister einiger Orte aus der Umgebung von Leipzig, Bundestagsabgeordnete und Vertreter verschiedener Traditionsgruppen aus Sachsen, Rußland, Österreich u.a. geladen waren. Mittelpunkt der Gespräche war das Projekt zum Bau einer russischen Siedlung auf dem Land, auf welchem die russischen Truppen das letzte Biwak vor der Schlacht gehalten hatten. Hier soll auch eine kleine russische Kirche entstehen. Das ganze soll zu einem kulturellen Zentrum der Begegnung zwischen Deutschen und Russen werden. Am folgenden Tag feierte Erzbischof Mark auf dem Biwakplatz ein Totengedenken (panichida) für die bei der Völkerschlacht gefallenen orthodoxen Gläubigen und weihte das Banner einer aus Rußland angereisten Gruppe in historischen Uniformen. Bei seiner Ansprache wies der Bischof auf die Schrecken des Krieges hin, die wir auch heute etwa in Jugoslawien beobachten, und betonte wie dankbar wir in Deutschland dafür sein müssen, daß sich die “Wende” 1989 ohne Blutvergießen vollzog.
p Am 4./17. November zelebrierte Erzbischof Mark die Gottesdienste in der Gemeinde des Hl. Großmärtyrers Demetrios in Köln und am 11./24. November in der Gemeinde des Hl. Panteleimon in Kassel. Hierbei zeichnete er HH. Priester Slavcho Panev für seine unermüdlichen Bemühungen um die Betreuung der Gläubigen in Kassel und Umgebung mit dem Recht zum Tragen des Nabedrennik aus.
Nach Dänemarks Hauptstadt Kopenhagen führte die nächste Reise unseres Oberhirten. Auf der Reise machte er am Abend des 6. Dezember in Hamburg Station, um dort mit Erzpriester Ambrosius Backhaus und Mitgliedern des Gemeinderates zusammenzutreffen. Am 7. und 8. Dezember zelebrierte er mit dem Geistlichen der Gemeinde des Heiligen Alexander Nevskij in Kopenhagen, HH. Priester Andrej Biron, und dem aus München mit angereisten Diakon Andrej Sikojev die Gottesdienste. Bei der Göttlichen Liturgie am Sonntag, den 8.12., zeichnete Erzbischof Mark Vater Andrej Biron mit dem Recht zum Tragen des Nabedrennik aus. Während seines Aufenthaltes in Kopenhagen hatte er reichlich Gelegenheit, um mit den Mitgliedern des Gemeinderates sowie anderen aktiven Gemeindemitgliedern zu sprechen und sich mit der Lage der Orthodoxie in Dänemark vertraut zu machen. Mit besonderer Freude konnte Erzbischof Mark von Vater Andrej Biron das von der Kopenhagener Gemeinde herausgegebene Buch “Gedanken zur Göttlichen Liturgie” von Nikolai Gogol’ entgegennehmen. Das Kopenhagener Gemeindemitglied Tomas Suenson, der die Ausgabe dieses Buches betreut hatte, wurde nach der Liturgie mit einer bischöflichen Urkunde ausgezeichnet. Das Buch ist geschmackvoll illustriert durch Aufnahmen, die in unserer Kirche in Kopenhagen gefertigt wurden. Neben der dänischen Ausgabe wurde dank der Unterstützung des Klosters des Hl. Hiob von Poçaev in München eine parallele russische Ausgabe dieses Buches ermöglicht.
Bote 1991-6
Zum Ableben des serbischen Patriarchen German
Nach zweijähriger Krankheit verschied am 14/27. August 1991 in Belgrad Seine Heiligkeit Patriarch German von Serbien.
Am 30. August wurde in der Patriarchatskathedrale in Belgrad der Totengottesdienst und die Totenliturgie zelebriert. Die sterblichen Überreste Seiner Heiligkeit wurden in der Kirche des hl. Apostel und Evangelisten Markus der Erde übergeben. Bis zum Totenamt zogen Tausende von Gläubigen an dem zuerst in der Patriarchenresidenz und dann in der Kathedrale aufgebahrten Sarg des Patriarchen vorüber, wodurch sie ihm ihre Dankbarkeit für seine dem Herrn und der Serbisch-Orthodoxen Kirche geleisteten Dienste zum Ausdruck brachten.
Patriarch German, im Laienstand Chranislav Dœoriç, wurde am Fest der Verklärung des Herrn im Jahre 1899 in dem Örtchen Io‚aniçka Banja geboren. Nach Absolvierung der Theologischen Fakultät in Belgrad trat er 1924 seinen Dienst in der Kirche in Çaçak an, wo er am Geistlichen Gericht und zugleich als Diakon des Bischofs Ephraim (Bojoviç) von Œiça tätig war. In der Folge war er Religionslehrer am städtischen Gymnasium. Von Ende 1927 bis 1938 war er nacheinander Seelsorger zweier Gemeinden in Südserbien. Im August 1938 wurde er Referent, und 1951 Hauptsekretär des Heiligsten Bischofssynods.
Nachdem er (als verwitweter Erzpriester) zum Bischof von Moraviç ernannt worden war, erhielt er am 7. Juli 1951 im Kloster von Studenitza die Mönchsweihe. Bis zu seiner Wahl zum Patriarchen am 13. September 1958 war er noch Bischof von Budim und von Œiça.
Während der Amtszeit von Patriarch German war die Serbisch-Orthodoxe Kirche und das ganze serbische Volk schweren Prüfungen von seiten der kommunistischen Machthaber unterworfen. So spaltete sich zum Beispiel ein Teil von der Serbisch-Orthodoxen Kirche ab und bezeichnete sich als Mazedonische Kirche. Auch in Amerika gab es eine Spaltung, deren Aufhebung der jetzige Patriarch Pavel nun mit Gottes Hilfe in Angriff nimmt. Da Seine Heiligkeit Patriarch German aus Gesundheitsgründen an der Bischofssynode 1990 nicht mehr teilnehmen konnte, wurde am 1. Dezember desselben Jahres ein neuer Patriarch - Pavel - gewählt.
Der entschlafene Patriach German brachte der Russischen Auslandskirche stets große Liebe entgegen. Mit seinem Segen konnten mehrere Geistliche unserer Kirche in den letzten Jahrzehnten an der Theologischen Fakultät der Serbisch-Orthodoxen Kirche in Belgrad studieren.
Bote 1991-6
Erzbischof Ioann (Maximovic)
Im Sommer dieses Jahres jährte sich der Todestag von Erzbischof Ioann (Maximoviç) zum 25. Mal. Aus diesem Anlaß fanden in San Francisco, wo dieser heiligmäßige Bischof unserer Kirche in der Krypta der Kathedrale begraben liegt, feierliche Gedenkgottesdienste statt, und es erschien eine Reihe von Veröffentlichungen über ihn. Wir drucken im Folgenden das vom jetzigen Erzbischof von San Francisco verfaßte Vorwort zu einem Buch mit Erinnerungen über den Erzbischof, Briefen, Predigten und Erlassen von ihm ab. Darauf folgen die Erinnerungen des Jordanviller Priestermönches Petr, der Erzbischof Ioann als Kind kannte und ihm bei den Gottesdiensten ministrierte. (Red.)
Meine persönlichen Erinnerungen an meine ersten Begegnungen mit Vladyka, d.h. anfangs noch mit dem Priestermönch Ioann, sind mit dem Milkovo Kloster verbunden, in dem dieser als erster von den Russen 1926 von dem Seligsten Metropoliten Antonij zum Mönch geweiht wurde.
Vater Ioann, der weiterhin in den Diensten von Metropolit Antonij stand, war damals Religionslehrer an einem serbischen Gymnasium; schon bald (wahrscheinlich noch vor seiner Zeit als Lehrer und Erzieher am Seminar von Bitola) wurde in Vladimirova in den Karpathen seine inspirierte, apologetische Broschüre “Die Verehrung der Mutter Gottes in der hl. Orthodoxen Kirche” gedruckt. Der Aufsatz wurde zuerst in einem Kalender mit der Signatur Priestermönch Ioann Maksimoviç, Mönch des Milkover Klosters zu Ehren der Einführung Mariae in den Tempel, Jugoslawien, 1928” gedruckt.
Ich las diesen Aufsatz im Milkovo Kloster, in das ich 1930 eintrat. Vater Ioann besuchte uns gelegentlich. Der Abt, Vater Amvrosij, schätzte ihn sehr und äußerte sich mit Bewunderung über seine Demut und Bereitwilligkeit, jeglichen Dienst gehorsamst zu erfüllen.
Ich erinnere mich gut daran, wie Bischof Tichon von San Francisco 1930 nach seiner Bischofsweihe zusammen mit Metropolit Antonij in Milkovo weilte. In jenen Tagen zelebrierte Priestermönch Ioann bei uns zusammen mit Diakon Savva Struve (später Archimandrit) die Liturgie, und damals weihte Metropolit Antonij auch unseren heutigen Erzbischof Antonji von Los Angeles, sowie den später im Rang eines Archimandriten in Mahopac verstorbenen Theophan und noch einen anderen zum Mönch. In jenem Jahr pflegte uns Vater Ioann bereits vom Bitola Seminar aus zu besuchen. Die Zöglinge dieses Seminars liebten ihren russischen Erzieher ganz besonders, sie waren voller Bewunderung für seine Askese und die väterliche Fürsorge, mit der er sie sogar, wenn sie schon schliefen, zuzudecken und zu segnen pflegte...
Damals wirkte Vladyka in der Eparchie des berühmten serbischen Hierarchen Nikolaj von Ochrid, des “Serbischen Chrysostomos”. Dieser in der ganzen orthodoxen Welt bekannte Hierarch schätzte Vladyka überaus, er schrieb Artikel über ihn, in denen er erwähnte, daß Vater Ioann bereits damals Kranke mit der Ikone des ehrwürdigen Naum von Ochrid zu besuchen pflegte, und viele Heilungen stattfanden...
Das Verhältnis von Vladyka Nikolaj zu Vater Ioann war besonders herzlich, rührend und schlicht. In der Folge gab Vladyka Nikolaj in der Reihe “Kleiner Missionar” ein Büchlein mit dem Titel “Vom Belgrader Zeitungsverkäufer zum chinesischen Bischof” heraus. Und einem serbischen Mädchen, das schriftlich angefragt hatte, warum es jetzt keine Heiligen mehr gäbe, antwortete Bischof Nikolaj “Töchterchen, es gibt einen”, wobei er sie auf das vorbildlich heilige Leben von Vladyka Ioann hinwies.
Gerade in diesen Tagen, in denen wir Vorbereitungen für den 25. Jahrestag des Ablebens unseres Vladyka treffen, wurde der Sarg mit den Überresten von Bischof Nikolaj aus Amerika nach Serbien überführt und dort feierlich von der serbischen Hierarchie, dem Klerus und Volk empfangen.
Nach dem Tod von Schema-Archimandrit Amvrosij vom Milkovo Kloster begann Vladyka Ioann auf Bitte des neuen Vorstehers, Material für eine Lebensbeschreibung zu sammeln. Als ich ihn aufsuchte, um ihm meine Erinnerungen über den Verstorbenen mitzuteilen, machte Vladyka einen übermüdeten Eindruck und hatte seinen Kopf auf den Tisch geneigt. “Ehrwürdiger Vladyka, Sie sind müde, ich komme später”, sagte ich. “Nein! Sie sagten, daß....” Vladyka hob den Kopf und wiederholte alles, was ich erzählt hatte. So erschien er auch auf den Sitzungen der Bischofssynode: übermüdet, als ob er am Einnicken wäre, aber - nein! Er hört alles und erfaßt genau den Kern der Sache.
Weiteres Material über Vater Amvrosij konnte er jedoch nicht mehr sammeln, weil er sich bereits nach Shanghai begeben mußte.
Woher schöpfte Vladyka Ioann solche Kräfte, daß er keine Bettruhe kannte, daß er zu jeder Tages- und Nachtzeit bereit bar, Kranke zu besuchen, daß er stets alle zu trösten und zu erbauen vermochte und sogar oftmals das Unmögliche möglich machte?
Denn nicht wenige Leute wissen von Heilungen zu berichten oder darüber, wie Vladyka auf nicht geäußerte Gedanken antwortete. Natürlich besaß Vladyka diese gnadenreichen Kräfte, entsprechend dem Vorbild des Heiligen von Kronstadt, vorallem deshalb, weil er jeden Tag kommunizierte, und an Werktagen, wenn er selber zelebrierte, die hl. Mysterien sehr langsam konsumierte, wobei er noch lange im Altar blieb. Seine Gebete und Erlebnisse währenddessen sind ein großes Geheimnis, über das wir nichts zu auszusagen wagen und können.
Er besaß die Fähigkeit, fast immer gleichzeitig mit den Menschen, denen er zuhörte, und denen er half... und im Geist in Gemeinschaft mit den Heiligen zu sein. Der hl. Johannes von Kronstadt schreibt von sich, daß er sich stets bemühte, die Kanones des Heiligen, dem der Gottesdienst des jeweiligen Tages gewidmet ist, zu lesen. So führte auch Vladyka auf seinen Reisen einen ganzen Satz von gottesdienstlichen Büchern mit; wenn nötig, pflegte er auch aus dem Griechischen die speziellen Tropare an die Heiligen, die im kirchenslavischen Menäon nur allgemeine haben, zu übersetzen. Diese griechischen Menäen, die Vladyka ständig in Gebrauch hatte, befinden sich jetzt in der Bibliothek des Heiligen Dreifaltigkeitsklosters in Jordanville.
Eifrig und beharrlich bemühte sich Vladyka um die Klärung der Daten der Gedenktage jener orthodoxen Heiligen, die im Westen gewirkt hatten und die im orthodoxen Osten halb oder ganz in Vergessenheit geraten waren. Wir besitzen ein derartiges von ihm aufgestelltes Verzeichnis mit den Namen von neunzehn Gottgefälligen, die hauptsächlich in Frankreich und Irland gelebt hatten.
Keinem verweigerte er die Gebetsfürsprache, wie aus verschiedenen Zeugenberichten ersichtlich ist. Ich kenne einen Bischof, der sich sehr die Teilnahme von Vladyka Ioann bei seiner Ordination wünschte, aber leider weilte Vladyka gerade am anderen Ende Amerikas; am Tag der Weihe schrieb Vladyka ihm, daß er genau zu der Zeit, als das Sakrament vollzogen wurde, die bei der Bischofsordination üblichen Gebete für ihn emporgesandt hatte.
Und ein anderer Hierarch teilte uns den Gedanken mit, daß er an Hierarchen, die mit einem derartig universalen Geist am Leben aller anderen orthodoxen Völker und Kirchen teilnahmen, nur zwei kenne, nämlich Metropolit Antonij und unseren Erzbischof Ioann! Das stimmt tatsächlich. Mit Metropolit Antonij rechneten wie mit keinem sonst, die Oberhäupter aller orthodoxen Kirchen. Und auf Erzbischof Ioann bauten sowohl Franzosen als auch Holländer als auf denjenigen, der sie auf den rechten Weg bringen wird.
Wie der Leser merkt, sind für mich persönlich die Erinnerungen an Vladyka Ioann eng mit denen an Metropolit Antonij und das Milkovo Kloster mit seiner Seele, Vater Amvrosij, verbunden... Aber das geht nicht nur mir so! Da habe ich die Nr. 6, 7 und 8 der Zeitschrift “Heiliges Land”, Jahrgang 1935, vor mir liegen. Darin findet sich ein Artikel aus der Feder eines bekannten Kirchenmannes namens P.S. Lopuchin aus der Umgebung von Metropolit Antonij, der uns eine Inhaltsübersicht von dessen Predigten hinterlassen hat. Der Abriß trägt den Titel “Ein christlicher Held in der heutigen Zeit”. Im Laufe seiner Ausführungen teilt der Autor mit, daß er fast gleichzeitig drei Briefe erhalten hatte, die er auch anführt... “Aus Jerusalem sandten sie eine Postkarte von Vater Amvrosij und baten liebevoll darum, etwas über ihn zu schreiben.” Aus Polen schrieb man: “... wir waren in Poçaev. Dort herrscht genauso ein Geist entgegenkommender Liebe wie in Milkovo. Alle halten die Erinnerung an unseren Metropolit Antonij heilig. Und was besonders wichtig ist: viel mehr als über seine Gelehrsamkeit und seinen Verstand, spricht man über seine Aufrichtigkeit und Einfachkeit”.
Aus Charbin: “Zu uns kam Bischof Ioann von Shanghai. Fünf Tage war er hier, und ich folgte ihm auf Schritt und Tritt. An ihm ist etwas von dem, was mich am meisten in Jugoslawien beeindruckt hatte: in ihm ist der Geist Metropolit Antonijs und des Milkovo Kloster gegenwärtig. Dieselbe Aufrichtigkeit und Schlichtheit”.
Im selben Aufsatz gibt der Autor sein letztes Gespräch mit Vater Amvrosij wider, das in der Klinik, in die er kurz vor seinem Ableben eingeliefert wurde, stattgefunden hatte. Ich zitiere aus dem Gespräch: “Er (Vater Amvrosij), ließ erschöpft den Kopf hängen. Nach einer Pause lächelte er und fragte leise: ‘Haben Sie Großväterchen gesehen?’ (so bezeichnete er zuweilen liebevoll den Metropoliten). ‘Ja’. ‘Worüber wurde gesprochen?’. ‘Ich fragte ihn, wer ihm dem Geiste nach am nächsten stehe’. ‘Nun, das ist aber interessant’. ‘Er antwortete, Sie und Vater Ioann’. Vater Amvrosij hob den Kopf, öffnete weit die Augen, bekreuzigte sich und wollte etwas sagen, aber plötzlich fiel er auf das Kissen zurück und fing an zu schluchzen. Mein Gott, wie er weinte! Am nächsten Tag brachte man ihn zum Sterben nach Milkovo, und danach habe ich Batjuschka Amvrosij nicht mehr gesehen; so bewahre ich in meiner Erinnerung dieses Bild eines Mannes, der auf dem Totenbett aus Seligkeit über die geistige Einheit in Gott zu weinen begann” (damit endet der Aufsatz von P.S. Lopuchin).
Die Seligkeit geistiger Einheit!... Schenke Gott auch uns allen, diese Einheit zu empfinden, wenn wir jetzt am Grabmahl unseres so teuren Vladyka Ioann beten werden.
Möge uns Gott, auf unsere Gebete für unseren Vladyka hin, durch seine Fürbitte vor dem Thron Gottes, Wärme und die Kraft zur inneren Erneuerung gewähren. Für solch eine Neubelebung schenkt Gott den Menschen die Freude, von dem Wirken neuer Gottgefälliger zu hören und dabei ihre Kraft zu empfinden.
Bei Gott ist alles möglich (Mk 10, 27)! Viel vermag ja das anhaltende Gebet eines Gerechten (Jak 5, 16). Amen.
Erzbischof Antonij Ð
Bote 1991-6
Priestermönch Peter:
Zum 25. Jahrestag des am 19. Juni 1966 verschiedenen Erzbischof IOANN (MAKSIMOVIC) ewigen Andenkens
Holy Trinity Monastery Jordanville, 1991
25 Jahre sind vergangen seit dem Tag des Hinscheidens von Vladyka Ioann. In dieser Zeitspanne wurde bereits viel über ihn geschrieben. Ich habe mich noch nie im Gedruckten geäußert, da ich dachte, es sei unrecht von mir, ihn besser kennen zu wollen als andere. Jetzt tue ich dies aus Gehorsam.
Ich fürchte, daß das in der letzten Zeit von anderen Geschriebene nicht immer jenem Bild von Vladyka entspricht, das mir persönlich in Erinnerung geblieben ist. Außerdem wächst die Verehrung für Vladyka immer mehr, viele wissen von seinen Wundern, wenig ist jedoch über ihn selber bekannt.
Vladyka war bereits mit unserer Familie in Shanghai bekannt. Als meine Eltern nach San Francisco übersiedelten, korrespondierte meine Mutter mit Vladyka, der mich praktisch seit meiner Geburt kannte. Von Kindheit an betrachtete ich Vladyka als einen Heiligen. Nachdem Vladyka aus Europa nach San Francisco gekommen war, pflegte meine Mutter in der schulfreien Zeit mit uns all seine Gottesdienste zu besuchen.
Ich habe Vladyka als immer froh und lächelnd in Erinnerung; stets war er freundlich und aufmerksam mit Kindern. Wie viele er auch ehemalige Pfarrkinder aus seiner Shanhaier Zeit haben mochte, so vergaß er doch niemals unseren Geburts- oder Namenstag, zu denen er uns stets Glückwünsche sandte.
Ende 1962 wurde Vladyka nach San Francisco berufen, und der Herr gewährte mir, die letzten dreieinhalb Jahre seines Lebens um ihn zu sein. Worüber ich jetzt schreiben werde, ist nur das, was ich selber bezeugen kann. Ich werde das bereits Bekannte nicht wiederholen und mich bemühen, nur das zu erwähnen, was man bei anderen nicht finden kann, oder was aus meiner Sicht unrichtig dargestellt wurde. In Dankbarkeit widme ich meine Erinnerungen meiner lieben Mutter.
Also, segne mein Werk, o Herr!
Die verstorbene Schwester von Vladyka, Ljubov Borisovna, schrieb einmal meiner Mutter, daß Vladkya als sehr folgsamer Knabe aufwuchs, und seinen Eltern die Erziehung nicht schwerfiel. Er lernte ausgezeichnet, und nur zwei Schulfächer konnte er nicht leiden: Turnen und Tanzen.
Vladyka gab sich stets einfach, aber man spürte sofort seine Wohlerzogenheit und sein großes Feingefühl, und bei allen seinem Tun trat sich sein innerer Adel zutage.
In meiner Kindheit hörte ich von einer Begebenheit aus der Jugend Vladykas, als dieser ein Kadett im Kadettenkorps von Poltava war. Einmal marschierte das Korps in geschlossener Ordnung an einer Kirche vorbei. Mischa (das war sein Name, ehe er Mönch wurde) nahm seine Schirmmütze ab und bekreuzigte sich. Der Zuchtmeister sah dies, erteilte ihm jedoch keinen Verweis. Da es jedoch in der geschlossenen Reihe nicht gestattet war, irgend etwas ohne Befehl zu tun, hielt der Zuchtmeister es für angebracht, die Sache dem Vorgesetzten anzuzeigen. Dieser zerbrach sich den Kopf, aber wußte nicht, wie er verfahren solle. Schließlich wurde ein Telegramm an den Großfürsten Konstantin Konstantinoviç gesandt. Es dauerte lange, bis endlich die Antwort kam: “Zwar nicht recht, so doch ein Prachtskerl”. In meiner Anwesenheit wurde Vladyka einmal hinsichtlich dieses Vorfalls gefragt, er leugnete ihn jedoch. Ob er dies aus Bescheidenheit tat, kann ich nicht sagen.
Vladyka liebte überaus die russische Geschichte, in der er ausgezeichnet bewandert war. Einmal unterhielten wir uns über russische Herrscher, und ich sagte, daß mir am meisten von allen Alexander Nevskij, Ivan III. und Alexander III. gefielen. Vladyka dachte ein wenig nach und sagte dann, daß auch seiner Meinung nach diese drei am besten das Ideal des russischen Herrschers darstellten.
Als er noch in Belgrad war, schrieb Vladyka im Auftrag von Metropolit Antonij ein Büchlein “Ursprung des Thronfolgerechts in Rußland”, das 1936 in Shanhai herausgegeben wurde. Es fängt mit dem apostelgleichen Fürst Vladimir an und endet mit dem Märtyrer-Zaren. Es wäre wünschenswert, diese Abhandlung neu aufzulegen.
Vladyka war nicht nur ein überzeugter Monarchist, sondern war auch der Ansicht, daß man die Autorität des Großfürsten Vladimir Kirilloviç unterstützen müsse. Bei den täglichen Gottesdiensten kommemorierte er das Russische Zarenhaus, und bei Festtagsgottesdiensten gedachte er des Großfürsten namentlich. An besonderen Tagen, wie z.B. dem Fest des Sieges der Orthodoxie, kommemorierte er namentlich alle orthodoxen Monarchen: den griechischen, den bulgarischen, den serbischen und den rumänischen.
Vladyka war im Grunde dagegen, bei kirchlichen Gottesdiensten das Gebet für die frommen Zaren durch die Worte “orthodoxe Christen” zu ersetzen. Besonders in dem Tropar “Rette, Herr, Dein Volk” verlangte er, “Sieg den frommen Zaren...” zu singen.
Was die Geschichte der Russischen Kirche anbelangt, so schätzte Vladyka sehr den Patriarchen Nikon. Ich erinnere mich, wie Vladyka einmal bei Religionsprüfungen zugegen war. Ein Mädchen erwischte einen Fragezettel über die Reformen in der Russischen Kirche. Sie antwortete sehr gut, und am Ende wollte Vladyka von ihr wissen, ob Patriarch Nikon ein großer Mann gewesen sei. In Anlehnung an die Ausrichtung unserer Lehrbücher verneinte sie die Frage. Vladyka, der üblicherweise Kinder sehr geduldig anhörte, unterbrach sie und sagte streng: “Nein, Patriarch Nikon war der größte aller russischen Patriarchen”. Ebenfalls hoch schätze Vladyka die Werke von Metropolit Petr Mogila. Fortsetzung folgt