Hl. Neomärtyrer Erzbischof Pjotr von Vorone¡z

Erzbischof Pjotr kam am 16/29. Juli 1925 nach Voroneœ, um dem Voroneœer Metropolit Vladimir zu assistieren. Vladyka Pjotr war zuvor Bischof von Staritza, einem Vikariat von Tver. Aus der Überschrift der Rede, welche der Vorsteher des Tverer Œelitikov-Klosters (Maria-Entschlafungs-Kloster) Archimandrit Pjotr bei seiner Ernennung zum Bischof von Balachna, einem Vikariat der Diözese von Niœni-Novgorod, am 1. Februar 1919 in den Gemächern des Heiligsten Patriarchen Tichon hielt, wissen wir, wer er zuerst war, wann und wo seine Erhebung in den Bischofsstand erfolgte. Aus derselben Rede erfahren wir auch, daß er von frommen Eltern geboren und erzogen wurde und seine weltliche Erziehung im Gymnasium genossen hatte; den Durst nach theologischem Wissen stillte er in der Orthodoxen Geistlichen Akademie, in der er auch zum Mönch geschoren und zum Priestermönch geweiht wurde. Nachdem er 19 Jahre lang gedient hatte, erlangte er schließlich die hohe Würde eines Bischofs.1    
Der Stellvertreter des Verwesers des Patriarchenstuhls Metropolit Sergij (das war noch vor seiner Deklaration) sagte, daß er nach Voroneœ den besten Verkünder des Wortes Gottes der Moskauer Metropolie gesandt hätte.
Hinsichtlich seines Dienstes in der Diözese Tver besitzen wir zwei Dokumente, welche die Zeit der Konfiszierung kirchlicher Wertgegenstände durch die Kommunisten betreffen. In einem Aufruf von Bischof Pjotr an die Tverer Gläubigen vom 18/31 März 1922 heißt es:
“Wir segnen die Gläubigen der Heiligen Kirche von Tver, für diesen edlen Zweck aus dem Kircheneigentum all das zu opfern, was nicht absolut unentbehrlich für die Durchführung des Gottesdienstes ist (die wirklich unentbehrlichen Gegenstände müssen in der Kirche bleiben, siehe Dekret vom 23. Februar 1922) und was nicht in Verbindung mit der Vollziehung der Heiligsten Geheimnisse der Eucharistie steht.
Was die für hl. Eucharistie unerläßlichen Gegenstände anbelangt, mit denen ein besonderes religiöses Empfinden der Gläubigen verbunden ist und deren Ablieferung ihrem Gewissen widerstreben würde, gestatten wir den Gläubigen für den Fall, daß die Kommission auch die Beschlagnahmung dieser Gegenstände fordert, schriftlich zu protestieren und mit den Vertretern der Sowjetmacht über den Ersatz der heiligen Gegenstände zu verhandeln, damit einerseits durch unser Verständnis und korrektes Verhalten und andererseits dadurch, daß die Staatsmacht den Gläubigen in weitblickender Weise entgegenkommt, das große und heilige Werk der mildtätigen Hilfe für unsere leidenden Brüder und Schwestern friedlich vonstatten geht.”
In dem Zirkular an die Geistlichkeit der Tverer Diözese sagt Bischof Pjotr folgendes:
“Gemäß dem Dekret der Sowjetmacht vom 23. Februar d.J. tritt die Kommission für die Konfiszierung kirchlicher Wertgegenstände zugunsten der Hungerleidenden in Aktion. Wir rufen den gesamten Klerus der Diözese auf, in keinerlei Weise gegen die Durchführung dieses Dekrets zu agitieren, und darüber hinaus durch eine massive Ermahnung jeden Versuch böswilliger Aufwiegler gegen die Konfiszierung kirchlicher Wertgegenstände zugunsten der Hungerleidenden zu unterbinden. Der Klerus muß sich unbedingt an meinen Aufruf an die Tverer Gläubigen halten und sich völlig korrekt verhalten, um der Situation gewachsen sein. Gleichzeitig hiermit ermahne ich den Klerus, der Politik absolut fernzubleiben und all seine Kräfte und Fähigkeiten aus-schließlich der kirchlichen Aktivität zu widmen. Jegliche Verletzung dieser meiner Anordnung wird dem Klerus nicht nur Unannehmlichkeiten seitens der bürgerlichen Macht verursachen, sondern kann auch meinerseits eine entschiedene Maßregelung zur Folge haben.
Der Verwalter der Diözese von Tver Pjotr, Bischof von Staritza".
Die angeführten Dokumente zeugen von dem Streben des Bischofs nach absoluter Loyalität der bürgerlichen Macht gegenüber, und sie unterstreichen gleichzeitig, daß die Verfolgungen und Leiden, die ihn in der Folge ereilten (bereits 1922-24 befand er sich in der Verbannung) nur ein unverschuldetes Martyrium um des von ihm so feurig verkündeten Glaubens willen sein konnten.
In Voroneœ wurde Vladyka sehr vom Volk geliebt. Bei seinen Gottesdiensten waren die Kirchen stets dermaßen überfüllt, daß im buchstäblichen Sinn des Wortes kein Platz für eine Stecknadel war. Es war so eng, daß man nicht einmal mehr die Hand zum Bekreuzigen erheben konnte. Und wenn einem dies doch irgendwie gelungen war, dann war es unmöglich, sie wieder zu senken.
1925 zelebrierte Vladyka Pjotr meist in der sogenannten “Dornen”-Kirche. Dies war eine riesige Kirche mit fünf Altären am Rande der Stadt auf der sogenannten Dornen-Wiese. Der Hauptaltar war der lebenschaffenden Trias geweiht. Vladyka zelebrierte häufig dort und unterhielt sich gern mit dem Volk.
Vladyka war ausnehmend zuvorkommend, aufmerksam und freundlich, er liebte alle, und alle waren für ihn wie seine eigenen Verwandten. Und ebenso war er allen teuer und nahe. Schriftlich und mündlich redete er sie gewöhnlich mit “Meine Lieben” an.
Im Jahre 1925 blieb Vladyka bis zum 10/23. November in Voroneœ, als er plötzlich von der GPU nach Moskau in das Lubjanka-Gefängnis gerufen wurde, zu dem damals berüchtigten Führer der Bolschewiken in antikirchlichen Aktivitäten Evgenij Tuçkov, den Vladyka scherzhaft “Metropolit Evgenij” zu nennten pflegte. Das Volk war sehr betrübt über diese Trennung, und Vladyka selber sagte, als er sich von den Gläubigen verabschiedete, daß an allen Orten seiner Tätigkeit ein Stückchen seines Herzens hängengeblieben sei: “Und in Voroneœ bleibt nun wieder ein Stückchen meines Herzens”. Dann meinte er, daß für ihn das Datum 10/23 irgendwie entscheidend sei, denn alle Vorladungen und Verhaftungen würden immer wieder an diesem Datum erfolgen. Und ihrer gab es gewiß nicht wenige. Kurz vor seiner Berufung nach Voroneœ war er aus der Verbannung aus Zentralasien zurückgekehrt, wo er sein Leben unter schweren Verhältnissen gefristet hatte, an Skorbut erkrankt war und als Folge dieser Krankheit seine Zähne verloren hatte. So kam es, daß Vladyka abreisen mußte, das Volk jedoch wartete ungeduldig auf seine Rückkehr.
Zu jener Zeit gab es noch eine andere Leuchte der Kirche in Voroneœ, nämlich den hochbetagten 87-jährigen Erzhierarchen Metropolit Vladimir mit seinem ruhigen, bescheidenen und sanftmütigen Wesen.2   
Durch das ruhige und freundliche Strahlen seines ungewöhnlich warmherzigen Wesens und durch seine große Anteilnahme tröstete er alle, die zu ihm kamen. Er war kein Hierarch, der glänzen wollte. Sein ruhiges Licht war auf die Entfernung nicht wahrzunehmen, aber wer den Metropoliten näher kannte, der war ihm von ganzer Seele ergeben und bewahrte bis zum Ende seiner Tage sein leuchtendes Andenken im Herzen.
Der ehrwürdige Metropolit nahm eine feste Position gegen die Erneuerer ein, weshalb er nicht wenig unter der Sowjetmacht zu leiden hatte; sie sperrten ihn ein, und als er krank war, stellten sie ihn unter Hausarrest. In Voroneœ ging zu jener Zeit die Mehrheit der Kirche zu den Erneuerern über. Die Kathedralkirche befand sich auch in ihren Händen. Ihr Vorsteher war der in der ganzen Stadt bekannte Erzpriester Tichon Popov, ein leidenschaftlicher Verfechter der “Lebendigen Kirche”. Nach einer routinemäßigen Kundgebung der Erneuerer gegen die Orthodoxen wollte einmal eine der Kirchenaktivistinnen dem Metropoliten Bericht erstatten über das, was sich ereignet hatte. Sie erwähnte wiederholt den Namen dieses Erzpriesters und fragte den Metropoliten, ob er diesen überhaupt kenne. Vladyka antwortete schließlich: “Nein, ich kenne nur ein Chamäleon”. So charakterisierte er die Erneuerer, die den gottlosen Machthabern gefällig sein wollten.
Das Leben des ehrwürdigen Greises verlosch langsam, was er auch selber fühlte, denn er sagte an seinem Namenstag (15. Juni 1925), daß er ihn zum letzten Mal feiere. Anfang November ging Vladyka Pjotr weg, am 21. Dezember war Metropolit Vladimir zum letzten Mal in der Kirche, und am Heiligen Abend wurde sein Körper unter dem bitteren Weinen des Volkes aus der Kirche getragen. Zu den Panichiden erschienen so viele Menschen und es brannten so viele Kerzen, daß diese aus Sauerstoffmangel erloschen.
Immer wieder fragten die Leute: Wann kommt Vladyka Pjotr? Eine Närrin in Christo namens Theoktista Michajlovna, die im Jungfrauenkloster von Voroneœ lebte, antwortete “In der fastenfreien Zeit kommt er”. So traf es auch ein. Vladyka Pjotr kam am 28. Dezember und am 30. hielt er das Totenamt für den Entschlafenen zusammen mit dem ebenfalls an der Beerdigung teilnehmenden Metropoliten Nafanail.3
Er wurde im Aleksevskij Kloster von Voroneœ, in der Gruft unter dem Fußboden der Unterkirche, hinter dem rechten Chor begraben. Bis zur Schließung des Klosters fanden alle Panichiden in dieser Kirche über dem Grab von Vladyka statt, weil hier das Panichiden-Tischchen und ein großes Kreuz aufgestellt waren.
Sechs Jahre später, im Jahre 1931 schlossen die Sowjets das Aleksevskij-Kloster und vernichteten den gesamten Klerus. In der unteren Kirche wurde eine Garage eingerichtet. Was für ein Schicksal die Grabstätte von Vladyka ereilte, ist unbekannt. Es gab Gerüchte, daß sie geöffnet, sein Körper herausgenommen und auf dem Friedhof begraben wurde. Aber zuverlässig ist nichts bekannt. Die Oberkirche von Voroneœ verwandelten die Sowjets in ein Stundentenwohnheim. Noch vor der Schließung der Kirche entfernten sie den großen hellen Korridor, der die Kirche mit den Gemächern von Vladyka verbunden hatte und als Zugang zu dem westlichen Eingang gedient hatte. Dadurch schnitten sie den Gläubigen den Zugang zur Kirche ab. Man mußte nun im Altarraum eine enge Passage abteilen, damit die Gläubigen über die enge Altarwendeltreppe in die Kirche gelangen konnten. Aber ungeachtet all dieser Hindernisse war die Kirche immer voll von Betenden.
Nach der Beerdigung fuhr Vladyka nach Moskau ab, aber zum 40. Tag des Gedenkens des Entschlafenen kam er wieder nach Voroneœ. Am Fest der Begegnung unseres Herrn zelebrierte Vladyka im dortigen Jungfrauen-Kloster. Es waren außerordentlich viele Leute gekommen, unter denen sich auch viele Arbeiter befanden. Dies war eine Zeit, als die Arbeiter noch bis zu einem gewissen Grad Einfluß auf die kirchlichen Angelegenheiten nehmen konnten, und die Machthaber ihre Stimme zuweilen berücksichtigten. Alle wollten, daß der Nachfolger des Verstorbenen kein anderer als Vladyka Pjotr sein sollte. Als Wortführer dieses Begehrens traten die Arbeiter auf. Von ihrer Seite wurde ein schriftliches Gesuch an Vladyka gerichtet, in dem sie ihn darum baten, die Verwaltung der Diözese zu übernehmen.4
Vladyka stimmte zu. Noch einmal fuhr er eiligst nach Moskau - zum Fest der wundertätigen Ikone der Gottesmutter “Auffindung der Verlorenen” (5. Februar) und wahrscheinlich auch zur Sanktion der von ihm getroffenen Wahl durch die höchste kirchliche Gewalt. Nach Voroneœ zurückgekehrt, beging er die Große Fastenzeit mit den dortigen Gläubigen und tröstete alle durch die Erhabenheit seiner Gottesdienste.
Vladyka hielt sich äußerst streng an die kirchlichen Vorschriften, er zelebrierte Kanones, Kathismen und Stichiren nach dem Athos-Ritus - alles las und sang er vollständig, ohne Auslassungen; daher dauerten seine Gottesdienste einige Stunden lang, was das Volk jedoch überhaupt nicht störte, denn keiner dachte daran, vor dem Ende des Gottesdienstes die Kirche zu verlassen. Die Kirchen, in denen Vladyka zelebrierte, waren stets überfüllt. Er selber sagte einmal zu seinem Zellendiener: “In allem hat dein Pjotr gesündigt, aber das Typikon hat er nie verletzt”. Den vielstimmigen Gesang liebte er nicht, bei ihm mußte die ganze Kirche singen. Oftmals begann er selber, an seinem Platz stehend, das “Lobet den Namen des Herrn” zu singen, und dann wurden beide Psalmen vollständig nach der Weise des Athos gesungen. Lange dauerten die Gottesdienste, und danach begaben sich die Gläubigen fast endlos zu Vladyka, um seinen Segen zu empfangen; währenddessen sang das Kirchenvolk mit oder ohne Vorsänger verschiedene Hymnen und Troparien, übrigens immer das Troparion an die Ikone der Mutter Gottes “Besänftige meinen Kummer”, an deren Festtag Vladyka auch verschied. Bei allen Gottesdiensten Vladykas fungierten die Arbeiter als freiwillige Ordnungshüter. Wenn unter dem Druck der riesigen Menschenmassen das Geländer der Kathedra am Bersten war, bildeten sie oftmals eine Kette um die Kathedra, um das Volk zurückzuhalten. Ebenso mußte verfahren werden, wenn Vladyka an der Kirche vorfuhr oder wieder wegfuhr. Auch um die Analogien formten sie eine Kette, und sie ließen die Gläubigen zum Küssen der Ikonen nur der Reihe nach vor. Vladyka gestaltete seine Gottesdienste immer sehr schön und zelebrierte wunderbar. Er forderte auch Respekt vor seinem erzbischöflichen Rang und vor der Erhabenheit dieser Würde, jedoch unterstrich er dabei, daß er diese Ehrung nicht für sich persönlich verlange: “Denn ich erkenne meine Missetaten, und meine Sünde schwebet ständig vor mir”.
Dem Klerus von Voroneœ stand Vladyka nicht besonders nahe, mit dem Volk jedoch konnte er ganze Tage verbringen, wenn nicht in der Kirche, wo er zelebrierte und seine Herde lehrte, so zu Hause, denn die Gläubigen kamen fast ununterbrochen mit ihren Nöten zu ihm. Und man konnte beobachten, wie diejenigen, die mit niedergeschlagener und betrübter Miene zu ihm hineingingen, strahlend und getröstet herauskamen.
Der ständige Begleiter und Mitzelebrant von Vladyka Pjotr war sein Archimandrit Innokentij, der mit ihm nach Voroneœ kam und in der Folge, noch ein Jahr vor Vladyka, auf Solovki gestorben ist. Vladyka sandte ihn nach Sarov, von wo er die Noten zum Akathist an den hl. Seraphim mitbrachte, und von da an wurde jeden Mittwoch dieser Akathist gesungen. Vladyka schickte ihn auch zum Gedenktag des hl. Tichon von Zadonsk in das Dorf Podgornoje, zu dem heiligen Brunnen, den der Ehrwürdige einst mit eigenen Händen gegraben hatte, aber das Kapellchen über dem Brunnen war schon zerstört, und der Brunnen selbst befand sich in beklagenswertem Zustand.
Unter Vladyka Pjotr begann eine fast totale Rückkehr der Kirchen aus dem Erneuerertum. Die Wiederaufnahme in die Orthodoxie vollzog Vladyka sehr feierlich. Alle zurückkehrenden Priester mußten öffentlich Reue ablegen. Vladyka stand auf seinem Platz, der Kathedra, und die Reumütigen legten vom Ambon (Plattform vor der Ikonostasis) aus vor Vladyka und dem ganzen Volk ihr Schuldbekenntnis ab, wobei das Loblied “Dich Herr preisen wir” gesungen wurde. Diejenigen, die bereut hatten, ließ Vladyka nicht sofort zum Zelebrieren zu, sondern er wies ihnen auf kürzer oder länger, je nachdem er es für richtig hielt, zuerst einmal einen Platz im Kleros (Chor) zu. Die Kirchen der reuigen Erneuerer wurden vorsorglich neugeweiht. In allen zurückgekehrten Kirchen wurde Vladyka mit einer Prozession und mit Kreuzfahnen begrüßt, wozu stets viele Menschen herbeiströmten. Natürlich bekehrten sich nicht alle Priester aufrichtig und aus Überzeugung. Einige von ihnen gaben in privaten Gesprächen zu, daß sie fürchteten am Ende allein, ohne Volk zu sein.5
Andere jedoch hegten keine solche Befürchtungen, wie die Priester der Vvedenskij , Nikolskij und Voskresenskij Kirchen und des Mitrofanjevskij Klosters, deren Wiederanschluß an die Orthodoxie ein heißersehnter Traum Vladykas war. Die Erneuerer empörten sich schrecklich über das Geschehene und spien buchstäblich Gift und Galle. Die Aktivität von Vladyka Pjotr (Zverjev) in Voroneœ bezeichneten sie auf ihrem Diözesankongreß als “Petro-Viecherei” (Wortspiel auf seinen Namen); auf diesem Kongreß erwählten sie auch einen neuen Metropoliten namens Kornilij anstelle des verstorbenen Tichon. Übrigens erklärte Vladyka Pjotr vom Ambon aus, daß in der Kirche für den Verstorbenen nicht gebetet werden dürfe, daß jedoch jeder privat mit den Worten “Laß ihm nach deinem Erbarmen geschehen, o Herr” beten könne.
Vladyka wurde zum Verhör in die GPU vorgeladen. Das Volk machte bei jeder Vorladung viel durch. Man erzählte sich, was für einen Eindruck Vladyka auf die Angestellten der GPU gemacht hätte. Er trat in das Zimmer des Untersuchungsführers und schaute sich um, als ob er eine Ikone suchen würde. Nachdem er keine solche fand, bekreuzigte er sich nach der rechten Zimmerecke zu, machte eine halbe Verbeugung und begann erst dann mit dem Untersuchungsrichter zu sprechen. Es wurde erzählt, daß die Angestellten bei seinem Erscheinen unwillkürlich den Kopf entblößten, und auch wenn sie vorher untereinander abgemacht hatten, daß sie den Hut nicht abnehmen würden, so hielten sie es doch nicht durch.
Während des Gottesmutterfastens sang Vladyka jeden Tag den Akathist an die Entschlafung Marias; danach fand täglich eine Prozession um die Kirche (des Aleksejevskij Klosters) statt, bei der das Troparion der Entschlafung gesungen wurde. Man befürchtete immer irgendwelche Hinterlistigkeiten und unangenehme Folgen bei solchen Prozessionen. Die Arbeiter waren stets um Vladyka, aber was konnten sie schon tun im Falle irgendeines böswilligen Angriffes. Nach dem Gottesdienst begleiteten die Arbeiter Vladyka stets nach Hause. In der Folge wurden viele von ihnen festgenommen und wegen Widerstandes gegen die Staatsmacht verurteilt. Zu jener Zeit wurde Vladyka von der Miliz, die ihr Revier nicht weit von seiner Wohnung hatte, zur Vernehmung vorgeladen. Nach dem Gottesdienst begleitete ihn die ganze Kirche dorthin. Die Gläubigen schritten schweigend über das Straßenpflaster, und eine riesige Menge umgab Vladyka. Lange, lange warteten sie auf der Straße um das Milizgebäude herum und schauten gespannt auf die Fenster. Schließlich wurde die berittene Miliz gerufen, die auf Pferden in die Menge sprengte und sie auseinandertrieb. Zum Fest der Entschlafung konnte Vladyka wegen der Vorladung zum Verhör nicht zelebrieren. Man wartete in der Himmelfahrtskirche auf ihn, aber vergeblich. Es herrschte eine angespannte Stimmung, allerhand finstere Mutmaßungen wurden im Volke geäußert. Am 25. Oktober zelebrierte Vladyka in der Maria-Schutz-Kirche. Es war so viel Volk zugegen, daß die Menge mit der sowjetischen Demonstration konkurrieren konnte, die sich bekanntlich nur auf Anordnung und unter Zwang versammelt hatte.
Am 15. November (alten Stils) 1926 zelebrierte Vladyka Pjotr zum letzten Mal. Vielleicht war ihm dies bewußt, denn er schien sehr bekümmert zu sein. Am Morgen verbreitete sich in der Stadt die Nachricht von seiner Verhaftung. Bei Vater Innokentij wurde ebenfalls eine Haussuchung durchgeführt, jedoch wurde er zu diesem Zeitpunkt nicht verhaftet. Viele stürzten sich zum GPU-Gebäude in der Hoffnung, Vladyka irgendwo zu sehen. Schließlich glückte es gegen Abend jemand, zu erspähen, wie sie ihn hinausführten und in ein Auto packten. Irgendwie erfuhren sie, daß man ihn zum Bahnhof fahren würde. Sie stürzten sich daher zum Bahnhof, aber die GPU bei der Eisenbahn warf ein scharfes Auge auf alle, und ließ niemand den Bahnsteig betreten, solange der Zug noch nicht abgefahren war. So wurde Voroneœ dieses heiligen Hierarchen beraubt.
Als himmlische Beschützerin von Vladyka galt die Tichvin Ikone der Mutter Gottes. Eine große Darstellung von ihr in einer wunderschönen Verkleidung stand in seinem Zimmer. Nach seiner Verhaftung wurde sie in das Aleksejevskij Kloster gebracht, und jeden Montag lasen die Gläubigen den Akathist vor ihr, wobei sie innig für ihren geliebten Hohenpriester beteten. z

 1 Erzbischof Pjotr (Zverjev) wurde am 18. Februar 1878 geboren. Nachdem er zwei Jahre der historisch-philologischen Fakultät an der Moskauer Universität absolviert hatte, schrieb er sich in der Kazaner Geistlichen Akademie ein. Am 2. Februar 1919 wurde er zum Bischof von Balachna, einem Vikariat von Niœni Novgorod, geweiht. Bald wurde er festgenommen, und danach von 1922 bis 1924 nach Mittelasien verbannt. Ab 16. Juli 1925 befand er sich in Voroneœ. Er wurde am 16. November 1926 erneut gefangengenommen. Er starb am 25. Januar 1929 im Gefangenenlager der Solovezki Insel Anzer. Nach einigen Aufzeichnungen, in denen eine ganze Reihe zu Tode gemarterter Hierarchen aufgezählt wird, befand sich darunter auch Erzbischof Pjotr von Vorone¡c, von dem es heißt, daß er auf Solovki den Märtyrertod durch Erfrieren gefunden hatte. Nach anderen Aussagen wurde er auf der Insel “Solovki” selbst begraben, und Professor I.M. Andrejev sah sogar die Stelle, an der er begraben worden war (das Grab wurde später dem Erdboden gleichgemacht).

 2 Metropolit Vladimir (@Simkovi¡c) wurde 1886 zum Bischof geweiht, und hatte nacheinander die Bischofssitze von Narva, Sumy, Ekaterinoslav, Ekaterinburg, inne, und ab 1900 den von Ostrog, einem Vikariat der Diözese Vorone¡c. Seit dem 6. August 1925 war er im Rang eines Metropoliten. Er starb am 24. Dezember 1925, und der an seiner Statt ernannte Erzbischof Tichon (früher von Sympheropol’ und Kursk) ging zu den Erneuerern über.   

3  Metropolit Nafanail: 1917 Bischof von Archangelsk, ab 1920 Bischof von Char’kov, seit 1926 Metropolit von Kursk und Obojan’     

4 Diese Einmischung der Arbeiter spielte eine bedauerliche Rolle im Schicksal von Erzbischof Pjotr. Er kam mit einer für den Klerus besonders langen Haftperiode nach Solovki, nämlich auf 10 Jahre. Unter den inhaftierten Klerikern hieß es, daß er gefährlicher konterrevolutionärer Aktivitäten, der Aufhetzung der Arbeiter und ihrer Organisierung gegen die Sowjetmacht bezichtigt wurde. Man konnte natürlich jedmögliche Lüge erfinden als Vergeltung für den geistlichen Einfluß, den er auf die Arbeiter genommen hatte. Einmal soll Vladyka angeblich die Arbeiterdelegation gefragt haben, wodurch sie garantieren würden, daß er auf seiner Kathedra vor den Verfolgungen der Atheisten unangetastet bleibe. Und es scheint, daß dies auch eine Ursache für die Härte seiner Bestrafung war.

5 Interessant ist ein Fall von tragischer Unschlüssigkeit. Der Erzdiakon Simeon Sil’¡cenko hatte sich zu den Erneuerern gesellt, dann brachte er jedoch vor Erzbischof Pjotr öffentliche Reue dar und zelebrierte sogar, aber in der Folge legte er sein Amt nieder und veröffentlichte in der Zeitung “Vorone¡cer Abendpost” einen Artikel mit der Überschrift “Diesem schimpflichen Handwerk mache ich ein Ende”.