Zum Fest des Einzugs der Allerheiligsten Gottesmutter in den Tempel
Erzbischof Nafanail
Das heutige Fest, der Einzug der Allerheiligsten Gottesgebärerin in den Tempel, ist in der Form, in der es uns heute bekannt ist, verhältnismäßig spät entstanden. Es formte sich endgültig im 9./10.Jh., aber seine Wurzeln reichen in alte apostolische Zeiten zurück. Damals wurde es jedoch erstens nicht am 21., sondern am 27. November gefeiert, was im Fest der Ikone des Zeichens der Mutter Gottes erhalten blieb, und zweitens hatte es eine andere Bedeutung: Der judenchristliche Kirchenhistoriker Hegesippos schrieb, daß gemäß dem alttestamentlichen Gesetz, das vorschreibt, das männliche Kleinkind am 40. Tag nach der Geburt und das weibliche am 80. Tag in den Tempel zu bringen, auch die Mutter Gottes am 80. Tag in den Tempel Gottes gebracht wurde. Das ist auch der Grundgedanke des heutigen Festes: Der größte Tempel, die Allerheiligste Jungfrau, in dem physisch der Sohn Gottes Wohnung nahm, zieht in den alttestamentlichen Tempel Gottes ein, der Ihre Vorbedeutung, Ihr Urbild war. Der 80. Tag nach der Geburt der Gottesgebärerin ist genau der 27. November. In der Folge zog die Kirche dieses Fest auf den 21. November vor und vereinte es mit einem anderen wichtigen Tag aus dem Leben der Allheiligen Gottesgebärerin, von dem ebenfalls eine Überlieferung spricht, die auf die ersten Zeiten des Christentums zurückgeht: Nämlich, daß Sie als dreijähriges Mädchen in den alltestamentlichen Tempel einzog, selber seine Stufen hinaufstieg und von dem Hohenpriester empfangen wurde, der sie ins Allerheiligste führte. Auf jeden Fall bleibt der Grundgedanke derselbe: Der Tempel höchster Erwählung, vor aller Zeit erkoren, der Tempel, welcher den Sohn Gottes in sich aufnahm, zieht in den Tempel des alten Bundes ein.
Wir verherrlichen die Allerheiligste Gottesgebärerin und Jungfrau, wir preisen sie als das wahre Gotteshaus und wir wollen uns bemühen, so oft wie möglich in die heilige Kirche zu gehen, in den heiligen Tempel Gottes, welchen der Herr uns in Seinem Erbarmen noch schenkt. Amen.
Im Namen
des Vaters und
des Sohnes und
des Heiligen Geistes.
Auf vielen Wegen bereitete der Herr das Menschengeschlecht darauf vor, daß es fähig werde, den Sohn Gottes aufzunehmen. Dieses sture, sündige Menschengeschlecht mußte auf jede nur mögliche Weise hierzu vorbereitet werden. Bei diesen Wegen des Herrn lassen sich als die wichtigsten zwei erkennen: Erstens der in Jerusalem erbaute Tempel des wahren Gottes, in dem der Gottesdienst nach den Weisungen des Herrn vollzogen wurde. Jenes göttliche Leben, das wir in seiner ganzen Fülle in unseren Kirchen kennen, nahm in dem alttestamentlichen, dem einzigen Tempel des wahren Gottes in der damaligen Welt, seinen Anfang.
Der andere wichtige Faktor in der Vorbereitung des Menschengeschlechtes für die Aufnahme des Sohnes Gottes war zweitens die Reinigung des eigentlichen menschlichen Wesens: Von Geschlecht zu Geschlecht bereiteten die besten, die gottesfürchtigsten Leute durch ihre Askese, ihren Glauben, ihre Liebe und Hingabe zu Gott und ihren Gehorsam dem Wort Gottes gegenüber das menschliche Wesen daraufhin, daß schließlich in seiner Mitte jene Ehrwürdigere als die Cherubim und unvergleichlich Herrlichere als die Seraphim erscheinen konnte, deren Einzug in den Tempel wir heute begehen. Alle Vorfahren der Mutter Gottes waren an dem Werk beteiligt, daß Sie die Mutter des Höchsten werden konnte: darunter auch der ehrwürdige Abraham, der auf das Geheiß Gottes seine Heimat verließ und in ein fremdes Land zog, dem Wort des Herrn gehorsam; und als der Herr die Opferung seines einzigen, eingeborenen Sohnes forderte, hielt er nicht ein, zögerte er nicht, seine Hand mit dem Messer zu erheben, um ihn zum Opfer zu bringen. Wie uns die heiligen Väter sagen, ist jene Geistesstärke, welche die Allerheiligste Gottesmutter, am Kreuz ihres Sohnes und Gottes bezeigte, daß Sie nicht murrte, keine Zweifel hegte, nicht ins Wanken geriet, ihre Charakteristik, ihr Heldentum, ihr persönliches und eigentliches Opfer; aber vorbereitet wurde dieses bereits durch ihre rechtschaffenen, gottesfürchtigen Vorfahren. Das Zusammentreffen dieser zwei heiligsten Ströme in dem Werk der Vorbereitung des Menschengeschlechtes feiern wir heute. Das Allheilige und Allreine Mägdlein Maria zog im Alter von drei Jahren, in einem Alter also, in dem nach Ansicht der damaligen Gelehrten der Mensch gerade die Hälfte jenes Wuchses erreicht hat, den er im erwachsenen Alter haben wird (das bemerken auch die Kirchenväter), in den Tempel ein: Es zog die Allerheiligste Jungfrau Maria, der gesegnete Tempel des Herrn, in den nicht beseelten, aber göttlichen, gnadenerfüllten und nach dem Gebot Gottes errichteten Tempel ein. Und diese zwei Ströme flossen ineinander: Bei dem Tempel wurde Sie erzogen, wurde Sie von dem göttlichen, von dem gottesdienstlichen Leben erfüllt, das wir – erinnern wir uns daran – hier in solcher Fülle besitzen. Das heilige, göttliche Tempelleben tränkte sie mit solch geistiger Kraft, daß Sie dem Tempel höchste Reinheit, höchste Heiligkeit, höchste Erfüllung des göttliches Planes verlieh. Daher feiert die Heilige Kirche diesen Einzug der Allerheiligsten Gottesgebärerin in den Tempel von Jerusalem heute und wird ihn bis zum Ende aller Zeiten feiern. Und sie bezeichnet dieses Fest als ein Kirchenfest: Deshalb ist es so schade, daß trotzdem heutzutage so wenige an diesem Tage anwesend sind.
Möge der Herr durch die heilige Vermittlung der Allerheiligsten Gottesgebärerin unsere Kirchen und unsere Gotteshäuser bewahren und uns lehren, die in unseren Kirchen zelebrierten Gottesdienste zu schätzen und zu lieben.