Erinnerungen von Archimandrit Antonin Kapustin
Am 1. März 1881 passierte etwas Schreckliches, Erschütterndes im Leben Rußlands: der in der russischen Geschichte beispiellose Zarenmord. Ein Lichtstrahl in diesen taurigen Tagen war die ergreifende Pilgerfahrt der Großfürsten Sergej und Pavel Alexandrovi¡c, die sich nach all den schweren inneren Erschütterungen zum Lebenspendenden Grab des Herrn wandten, um dort im Gebet Trost für ihre teuren und gottesfürchtigen Eltern zu suchen.
Nach dem “Gespräch mit Ihren Majestäten von Angesicht zu Angesicht in deren Zimmer über die Auslegung verschiedener Aspekte der Evangeliumsgeschichte, – schrieb Vater Antonin in sein Tagebuch, – nahmen mich die reinen, edlen und heiligen Seelen der Zarensöhne ein. Ohne Zweifel hatte Sie, die hehre Gottliebende und demütige Christin sie so erzogen und geformt, zur Freude und zum Beifall aller um den Göttlichen Geist, den Himmel und Gott Beflissenen. Friede sei mit Ihrer Seele!” An Vasilij Nikolaevi¡c Chitrovo schrieb Vater Antonin: “Von den hohen Maiengästen schwärmen dort alle. Abgesehen von ihrer kaiserlichen Geburt und Position sind dies die besten Leute, die ich je auf Erden gesehen habe. Möge die Gnade Gottes unablässig ihr ganzes Leben lang mit ihnen sein! Mich bezauberten sie durch ihre Lauterkeit, Aufrichtigkeit, Höflichkeit und tiefe Gottesfurcht im Geist der Orthodoxen Kirche. Sie weilten zehn Tage lang hier, vom 21. bis 31. Mai, und die halben Nächte dieser Zeit verbrachten sie am Grabe des Herrn im Gebet. Von ihrer Großzügigkeit entfiel auch auf meine Bauprojekte kein dürftiger Happen. Gnade um Gnade – nach den Worten des Evangeliums.”
Als Chitrovo diese ihre Frömmigkeit und Liebe zum Heiligen Land sah, begriff er, wie die Fürsten in der Sache der Schaffung der Palästina-Gesellschaft nützlich sein könnten. Mit Hilfe anderer Förderer der russisch-orthodoxen Sache im Heiligen Land stellte er die Statuten zusammen. Die Hauptziele der Gesellschaft waren: 1) Unterstützung der Orthodoxie; 2) Hilfe für die Pilger; 3) Verbreitung der Zeugnisse über das Heilige Land und wissenschaftliche Forschung. Durch Pobedonoscev wurden diese Richtlinien dem Zaren unterbreitet, welcher nun die Einrichtung der Palästina Gesellschaft billigte. Der Großfürst Sergej Alexandrovi¡c willigte ein, den Vorsitz zu übernehmen.
Die Orthodoxe Palästina Gesellschaft trug Vater Antonin auf, mit Mitteln des Großfürsten archäologische Ausgrabungen auf dem russischen, unmittelbar auf dem Golgatha gelegenen Stück Erde zu unternehmen. Bei diesen Ausgrabungen fand Vater Antonin die Reste eines Tores, durch welches zu Lebzeiten des Erlösers die Verbrecher aus der Stadt zur Hinrichtung geführt wurden, sowie die Reste der alten Stadtbrücke, Bruchstücke der Konstantinischen Basilika und der Stadttürme. Es handelte sich also um jenen furchtbaren Ort, welchen der Heiland der Welt Selbst blutüberströmt, ausgepeitscht, von niemand verteidigt, mit dem Kreuz beladen, zu Seiner Hinrichtungstätte auf dem Golgotha durchschritt. Da sich die Reste dieser heiligen Schwelle im Osten der Herodes Mauer befinden, welche der Konstantin Basilika als Fassade diente, und zur Zeit Konstantin des Großen entweder auf Ebene der Brücke, die neben der Basilika verlief, oder direkt in der Erde unter ihr lagen, besteht Grund zur Annahme, daß Vater Antonin diese heilige Schwelle als erster entdeckte, nachdem die Römer sie nach der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 mit Dreck zugeschüttet hatten.
Im Gethsemane Garten beaufsichtigte Vater Antonin auf dem Landstück, das mit persönlichen Mitteln der kaiserlichen Familie erworben worden war, den Bau der eleganten – wie sie von den Pilgern genannt wurde – Zarenkirche: zur Erinnerung an die “gottliebende und demütige Christin”, die Zarin Maria Alexandrovna. Großfürst Sergej Alexandrovi¡c besuchte das Heilige Land zum zweiten Mal 1888 und war bei der Einweihung der Kirche zusammen mit seiner jungen Gemahlin, der Großfürstin Elisaveta Feodorovna, welche jetzt an diesem Ort ihre letzte Ruhestätte fand, zugegen.
Das also ist in großen Zügen das Werk des ewig denkwürdigen Archimandriten Antonin im Heiligen Land. “Das von ihm gesetzte Monument ist vollkommen beispiellos in der Geschichte der russischen Volksbildung”, schreibt Archimandrit Kyprian Kern. “Er baute ein kleines Museum für Altertümer in der Mission, das in den 30er Jahren von Metropolit Anastasij auf den Ölberg transferiert wurde; weiterhin die wertvolle Bibliothek, in der sich besonders teure alte Handschriften befinden. Ein Teil der von ihm gesammelten Artefakte antiker Kunst und Archäologie wurden der Eremitage vermacht und die Handschriften der Öffentlichen Bibliothek.”
“Man darf auch die literarische Tätigkeit Vater Antonins nicht unerwähnt lassen. Außer dem Tagebuch, das er 50 Jahre lang tagaus tagein führte und das dem Synod zur Aufbewahrung übergeben wurde, veröffentliche Vater Antonin fortlaufend Bücher und Artikel über seine wissenschaftlichen Reisen und Forschungen. Hier einige Titel:
1. “Über alte christliche Inschriften in Athen”, Sankt Petersburg 1874, 84 S. und 26 epigraphische Tabellen.
2. “In Rumelia”, S.P. 1879, 376 S.
3. “Aus Rumelia”, S.P. 1886, 650 S.
Beide diese Tagebuchbände wurden mit interessanten Zeichnungen ausgestattet, mit Kopien verschiedener Inschriften und Exzerpten aus Handschriften und gottesdienstlichen Büchern.
4. Artikel: “Aufzeichnungen eines Sinai Pilgers”, “Notizen eines Verehrers des Heiligen Berges”, “Fünf Tage im Heiligen Land”, “Bethanien”, “In der Lavra des Hl. Savvas”, “Die Hl. Märtyrernonne Susanna von Palästina”, “Überführung der Reliquien des Hl. Nikolaus des Wundertäters”, “Weiteres über den Hl. Nikolaus von Myra”, “Altes Kanonarium vom Sinai” und viele andere.
5. “Predigtenzyklus für das ganze Kirchenjahr” (2 Bände).
Man darf seine Arbeiten in der Bibliothek des Sinai Klosters nicht vergessen, wo er in 40 Tagen alle alten Handschriften kopierte – eine emsige Arbeit, die sich dann der berühmte Harthausen stillschweigend zunutze machte. Gleichzeitig damit beauftragte ihn der Synod mit gelehrten Expertisen in Sachen des sogenannten Sinai Kodex, und anderen. Von unschätzbarem Interesse sind die Briefe Vater Antonins an verschiedene Persönlichkeiten. Die Kunst des Briefeschreibens, die jetzt fast vergessen ist, wurde unter der Feder Archimandrit Antonins lebendig und lehrreich. Viel wurde in geistlichen Zeitschriften abgedruckt, und vieles blieb auch im Archiv unserer Mission zurück” (jetzt vom Moskauer Patriarchat besetzt).
“Der Archimandrit war ein Ehrenmitglied unserer Geistlichen Akademien, ein korrespondierendes Mitglied verschiedener gelehrter Gesellschaften – russischer und europäischer – ausgezeichnet mit diversen Ehrentiteln”.
“Er zeichnete sich durch ein gutes und mitleidendes Herz aus. Das trat nicht nur in der Sorgewaltung um die russischen Pilger in Palästina in Erscheinung, sondern auch in der Liebe zu den Armen, Waisen und Obdachlosen. Er hatte viele Schüler unter den Arabern, Griechen (Familie Apostolidis-Kostanda) und Russen, von denen er während seines Lebens in Athen den jungen Mann Petr Ni¡s¡cinskij, einen Absolventen des Kiewer Seminars und danach der Athener Universität, besonders schulte”.
Eben dieser Prof. A.A. Dmitrijevskij, der einige Male das Heilige Land besuchte und den Archimandriten persönlich kannte, beschreibt die Werktage Vater Antonins so: “Die Türen seines Zimmers schlossen sich vom frühen Morgen bis zum späten Abend nicht: früh morgens empfing er ortsansässige Araber, schlichtete ihre Streitigkeiten, gab ihnen nützliche Ratschläge und erwies ihnen materielle Hilfe durch lebendsnotwendige Güter und in Geld; dann kamen die Lehrer und Lehrerinnen der von ihm gegründeten Schulen, die Angehörigen der Mission, die um seinen Rat und seine Anweisungen baten. Zu jeder Zeit konnten die russischen Pilger frei und voller Zutrauen zu ihm kommen: Würdenträger, Kaufleute und Bauern, Reiche und Arme, alle hofften bei ihm die Lösung der sie beunruhigenden Zweifel zu finden, und Vater Antonin unterhielt sich gerne und ausführlich mit jedem, wodurch er viele von ihnen auf seine Seite ziehen konnte und sie zu aktiven Unterstützern in jenem Werk machte, dem er sich mit ganzer Seele verschrieben hatte. Erst spät abends war er alleine, aber nicht einsam: Seine Freude und Gesprächspartner waren dann seine geliebten Bücher. In jener Zeit, saß er bis zu später Nachtstunde über irgendeinem alten Manuskript oder Folianten, widmete sich entweder gelehrten archäologischen Arbeiten oder führte Korrespondenz mit Zeitungen oder Privatleuten, oder mit einer Lupe ausgerüstet vertiefte er sich in ein wichtiges numismatisches Werk oder strengte seine ganze Sehkraft an, um ein altes Manuskript oder eine griechische Münze zu entziffern (Vater Antonin war ein leidenschaftlicher Numismatiker), oder er begab sich zu dem von ihm über der Mission errichteten Observatorium, um dort einige Zeit zu verbringen und das wunderbare Himmelszelt mit seiner unendlichen Vielfalt an Himmelslichtern zu studieren; oder er saß über seiner “Chronik”, um ihr seine Gedanken, Gefühle, Ideen und Eindrücke des sich geneigten Arbeitstages anzuvertrauen und so dem künftigen Historiker unserer Tage ein äußerst wertvolles Material zur Charakterisierung der Zeit anhand zu geben; oder letztendlich flickte er mit einer Nadel bewaffnet seinen alten Mönchsrock oder stopfte ein Loch im Socken. Das Brodeln des Samovars auf dem Tisch und der Tee, das “geliebte Getränk der fernen Heimat” – das war die unerläßliche Abrundung seiner abendlichen Beschäftigung in seinem Arbeitszimmer... Nach solch einem reichen Arbeitstage sah man ihn nicht selten schon früh morgens in Begleitung seines treuen Dragoman, Jakob Chalebi, bei den russischen Baustellen – wie es ironisch hieß “er patrouilliert die Eparchie”, d.h. er begab sich zur Inspektion irgendwelcher Baustellen, Grundstücke, des geliebten Pilgerhorts von Beth-Dschal, oder der Pilgerhorte in Hebron, Gornjaja, Jericho und in anderen Landesteilen. Welcher von den Palästina Pilgern vor 1894 würde sich nicht an die aus zwei Reitern bestehende Kavalkalde erinnern: der Archimandrit in dem alten Priesterrock und schwarzer Kamilavka mit den an den Ohren herabfallenden langen grauen Haarlocke, unter einem Schirm und leicht schwankend auf seinem Eselchen reitend und hinter ihm sein treuer Diener, der Dragoman auf dem braunen Pferd”.
Man muß dabei hinzufügen, daß Vater Antonin bei all seiner vielseitigen Beschäftigung unbedingt täglich den ganzen, von der monastischen Regel vorgeschriebenen Gottesdienst las. Wann schlief er eigentlich?
“Über die Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit Vater Antonins in seinem persönlichen Leben berichten all seine noch lebenden Zeitgenossen und Mitarbeiter, – schrieb Archimandrit Kyprian Kern 1934, – ein alter Rock, ein äußerst dürftiger Tisch, der oft nur aus einem Gericht bestand, dem beliebten arabischen “Fuli” (große dunkle Bohnen), und niemals durch das so gewöhnliche und bei den Monastischen im Orient gestattete Fleisch verbessert war, zeichneten den Alltag des Leiters der Mission aus. Er fürchtete nicht, das Prestige und die Würde seiner offiziellen Stellung durch seinen bescheidenen Lebenstil und seine Arbeitsmühe einzubüßen. Mehr als einmal trafen ihn unbekannte Leute an, wie er seine Zelle aufräumte: weil sie ihn für den Zellendiener hielten, baten sie, er möge sie bei dem Archimandriten melden, und dann gerieten sie in keine kleine Verwirrung, als eben dieser Zellendiener in einer weiten griechischen Rjasa und in Gestalt des Leiters der Mission selber vor ihnen erschien.”
Die letzten Lebensjahre kränkelte Vater Antonin. Es bildeten sich Gallensteine bei ihm, und seine Sehkraft verschlechterte sich zunehmends. Ungeachtet dessen fuhr er mit seiner Arbeit fort: er machte seine Runde durch die Pilgerheime und las die alten Handschriften. Ende Januar 1894 war Vater Antonin bei der Einweihung der letzten von ihm vollendeten Baulichkeit zugegen, der Kirche des Hl. Apostels Petrus und der gerechten Tabitha in Jaffa. Bald danach verschlimmerte sich die Krankheit so sehr, daß er bereits das Lager nicht mehr verlassen konnte. Am 18. März lud er den geistlichen Vater zu sich, beichtete und empfing die hl. Kommunion. Am 19. März legte der Archimandrit in Anwesenheit des Konsuls S.V. Arsenjev seinen letzten Willen nieder. Am 24. März, um 2 Uhr mittags, las der Missionsälteste Vater Igumen Veniamin über dem im Sterben liegenden Vater Antonin, welcher das Bewußtsein bis zur letzten Minute bewahrte, den Kanon für den Austritt der Seele aus dem Körper. Um 4 Uhr wurde zur Ve¡cernja am Vorabend der Verkündigung geläutet. Der Sterbende fragte: “Wozu läuten sie?” Kurze Zeit später verkündigte ein langgezogener und wehmütiger Glockenton Jerusalem, daß der Archimandrit verschieden ist. Am folgenden Tag, dem Fest der Verkündigung, wurde der Sarg mit seinem Körper in die Kathedrale gebracht, wo man den Totengottesdienst in Anwesenheit des griechischen Patriarchen und einer großen Menge Volks für ihn zelebrierte. Dann schritt die Trauerprozession, die zu einem richtigen Volksgang geworden war, zum Ölberg, wo er geboten hatte, ihn an der linken Seite der von ihm im byzantinischen Stil erbauten prächtigen Kirche zu begraben.
“Seine Bedeutung in der Geschichte der russischen Bildung und für den russischen Kirchenbau ist unbestreitbar,” schreibt Archimandrit Kyprian Kern. “In die Schatzkammer der Byzantinik brachte er von russischer Seite viel ein. Für die Sache der russischen Palästinawallfahrt tat er so viel wie kein anderer nach ihm. Er machte die Russen mit dem Orient auf ausgezeichnete Weise, aber dennoch objektiv vertraut und er verbarg weder vor sich selber noch vor uns die Schattenseiten des orientalischen Wesens, er wußte jedoch daran auch das zu schätzen, was wir übersahen und was uns unverständlich war...”.
“Er war eine reife und prominente Frucht aus russischen kirchlichen Kreisen. Er entstammte jenem Milieu und jener Schule, die mit der Herrschaft des Zaren Nikolaj Pavlovi¡c und mit dem Namen des Moskauer Metropoliten Filaret verbunden waren. In ihm war nichts von jenen, die bereits die neue, reformierte Schule Alexander II. durchlaufen hatten. In ihm war nichts von einem russischen “Intelligenten”, obwohl er bis zum Knochenmark gelehrt und von höchst erlesener Bildung war. In ihm war nichts und konnte nichts sein von intellektueller Räsoniererei, Rebellengeist und Nihilismus. Er war seinem Zaren treu untertan, er liebte ihn und das russische Zarentum uneingeschränkt; er war ein echter Sohn seiner Kirche, gehorsam ihrem Vermächtnis, Bewahrer ihres Wesens und ihrer Überlieferung; er war ein lauterter Mönch, ein guter Pastor, ein hervorragender Gelehrter, ein guter Verwalter, Hausherr und Architekt (ein Familiencharakterzug der Kapustin ist die Liebe zum Kirchenbau), Dichter und Künstler in der Seele, Astronom, Archäologe und ein guter Kenner des klassischen Altertums”.
“Wenn der Intellektuelle gegen alles protestiert, alles verwirft oder zum mindesten dem Zweifel unterwirft, so war Vater Antonin, der viel Trauriges im Leben der Kirche gesehen hatte, bestrebt, nicht zu zerstören und nicht mit aufgezogenen Segeln im Strom des trügerischen Progreß und Liberalismus zu schwimmen, sondern zu den Quellen, zu den Kanones, zum Altertum zurückzukehren. Er war ein besonders eifriger Verfechter der Wiederherstellung der echt konziliaren Fülle der Orthodoxie. Es stimmt, in den oberen Schichten rühmte man ihn als “Liberalen”, als “Modernist”, als “Mensch mit Seele”, als “beweglichen Geist”. Aber sein Gewissen war rein. Verleumdungen konnten niemals in ihm das vernichten, was ihm von Kindheit an eingeimpft worden war.”
Fügen wir zu diesen kurzen Auszügen aus der Biographie Vater Antonins hinzu, daß seine “Pilgersache” im Heiligen Land bis auf diesen Tag gedeiht. Die heutigen Pilger schulden ihm nicht weniger als ihre Vorgänger, welche jene heiligen Stätten vor 100 Jahren und noch früher besuchten. Abgesehen von dem modernen Komfort, den Autobussen mit Klimaanlage, freuen sich unsere Pilger etwa nicht, wenn sie nach einer beschwerlichen Reise in der Gluthitze einen anheimelnden Zufluchtsort in unseren Klöstern finden: auf dem Ölberg, im Garten Gethsemane, unter dem Schatten des Mamrehaines. Dort können sie zuerst zu den festgesetzten Gottesdiensten bei dem harmonischen russischen Kirchengesang ihre Andacht verrichten, wonach sie freudig von den Nonnen und Mönchen bewirtet werden, die ihnen auch helfen, fromme Andenken zu kaufen, welche die Pilger liebevoll mit nach Hause nehmen, und sie bereitwillig zu den heiligen Stätten führen. Diese Klöster existieren dank der von Vater Antonin gelegten Grundlage. Der bedeutendste und heiligste von Vater Antonin gefunde Ort ist – wie bereits oben gesagt, die Schwelle des Tores zur Hinrichtungstätte. Dank der Bemühungen des Archimandriten ewigen Andenkens steht nun dort eine Kirche und bis auf den heutigen Tag wird allwöchentlich die Liturgie, bei welcher der russische Pilger mit heiligem Schauern betet, auf Kirchenslawisch zelebriert.
Wenn die modernen Pilger sich zu dem heißesten Ort des Heiligen Landes, nämlich nach Jericho begeben, so gibt es dort bis auf den heutigen Tag ein paradiesisches Fleckchen Erde für sie, nämlich einen ausgedehnten Obstgarten, der auf einem von Vater Antonin gekauften Grundstück angelegt wurde. Die Pilger können sich in diesem Garten von dem nicht leichten Aufstieg auf den steilen Berg der Versuchung in der Sonnenglut ausruhen und sich an den dort im Überfluß gedeihenden Früchten laben. Das Kloster Gornjaja, die Dreifaltigkeitskathedrale und der Grundbesitz in der Nähe von Jaffa wurden der Auslandskirche 1948 vom Moskauer Patriarchat weggenommen. Dort wurden nach 1948 keine Pilger mehr aufgenommen, weil wegen des eisernen Vorhanges die Sowjetunion keinen hinausließ.
Übrigens hörte die Wallfahrt aus der freien Welt in den Klöstern und Pilgerheimen, welche der Auslandskirche blieben (auf dem Ölberg, in Gethsemane, in Hebron, in Jericho, in Bethanien) niemals auf. In der Kirche auf dem Ölberg, wo vor 100 Jahren Vater Antonin seine letzte Ruhestätte fand, wurde das ganze Jahrhundert hindurch (außer einer fünfjährigen Unterbrechung während des ersten Weltkrieges) alltäglich die Liturgie zelebriert. Die Lampada über seinem Grabmal hörte nie auf zu glimmen.
In den vergangenen einhundert Jahre machten jene, die hier lebten und noch leben, unsägliche Schwierigkeiten durch. Aber wir glauben, daß der Herr diese Stätte bisher bewahrte und durch die Gebete Vater Antonins, dessen Namen täglich bei der Proskomidie zum Himmel getragen wird, noch immer bewahrt.
Wir glauben auch, daß der Strom der Pilger, welche hierher kommen, um sich vor seinem Grabmal zu verneigen, nicht vertrocknen wird – in Ehrfurcht, Dankbarkeit und Staunen vor dem demütigen Archimandriten, der durch Askese und große Mühe mit Gottes Hilfe ein wahrhaft gigantisches Werk errichtete, welches durch irgendein Wunder bis heute erhalten blieb. EWIGES GEDENKEN SEI IHM!
Nonne Marina
Ölberg
Verwendete Arbeiten:
– A. A. Dmitrijevskij. Der Leiter der Russischen Geistlichen Mission in Jerusalem, Archimandrit Antonin Kapustin und sein Wirken zum Nutzen der Orthodoxie im Orient, insbesondere in Palästina (anläßlich des 10. Jahrestages seines Entschlafens), St. Petersburg 1904.
– Die Kaiserliche Orthodoxe Palästina Gesellschaft und ihre Aktivität in den verflossen 25 Jahren (1882-1907). Historische Aufzeichnungen, zusammengestellt im Auftrag des Gesellschaftsrates von Prof. A.A. Dmitrijevskij, St. Petersburg 1907.
– Archimandrit Kyprian. Vater Antonin Kapustin, Archimandrit und Leiter der Russischen Geistlichen Mission In Jerusalem (1817-1894), Belgrad 1934.
– Archimandrit Kyprian. Erinnerungen an Archimandrit Antonin. Paris 1955.