Über Ikonographie
Am ersten Sonntag der Großen Fastenzeit, dem Sonntag der Orthodoxie, feiern wir das Ende der ikonoklastischen Häresie und beten für die Bewahrung der Kirche vor allen falschen Lehren. Im Zusammenhang mit der Frage der Ikonenverehrung halten wir den folgenden Vortrag des Hl. Erzbischofs Johannes von Shanghai und San Francisco für aktuell für diese Ausgabe unseres “Boten”. Der zweite Text desselben neuverherrlichten Heiligen betrifft das Ende der Fastenzeit – das Gebet Christi im Garten von Gethsemane. (Die Redaktion).
Die Ikonographie nahm ihren Anfang mit jenem Tag, als unser Herr Jesus Christus sich ein Tuch auf Sein Gesicht legte und auf diesem Sein Göttliches Menschenantlitz abbildete. Der Hl. Evangelist Lukas hat nach der kirchlichen Überlieferung das Antlitz der Gottesmutter gemalt. Gemäß der Überlieferung existieren heute zahlreiche Abbilder des Hl. Evangelisten Lukas. Der zukünftige Ikonenmaler fertigte nicht nur die ersten Ikonen der Gottesmutter, sondern auch die der Hll. Apostel Petrus und Paulus und möglicherweise auch andere, welche jedoch nicht bis zu uns gelangt sind. Danach blieb die Entwicklung der Ikonographie für einige Zeit stehen. Die Christen wurden schrecklich verfolgt: jede Erinnerung an Christus versuchten Seine Feinde zu vernichten und zu verhöhnen. Deshalb hat sich die Ikonenmalerei in der Zeit der Verfolgungen nicht weiterentwickelt. Die Christen bemühten sich darum in Symbolen das auszudrücken, was ihnen mit Worten verboten war. Christus wurde als Guter Hirte dargestellt, in Gestalt mythischer, heidnischer Persönlichkeiten. Es gab die Symbolisierung des Herrn als Weinstock, gemäß den Worten: “Ich bin der Weinstock, ihr aber die Reben” (Joh. 15,1-6). Gleichermaßen gab es die Darstellung Christi mit dem Symbol des Fischers. Warum als Fisch? Wenn man auf Griechisch die Worte schreibt “Jesus Christus Sohn Gottes Erlöser” (IhsouV CristoV, Qeou UioV, Sothr), so bilden die Anfangsbuchstaben das griechische Wort für “Fisch”. Deswegen zeichneten die Christen einen Fisch und erinnerten damit an jene Worte, welche denen bekannt waren, die an Christus als den Erlöser glaubten. Als das Symbol den Verfolgern bekannt wurde, verbot man ebenfalls das Symbol des Fisches. Als den Christen nach dem Sieg des Hl. Konstantin des Großen über Maxentius die Freiheit der Religionsausübung gegeben wurde, das Christentum rasch das ganze Römische Reich durchdrang und das Heidentum verdrängte, entwickelte sich auch die Ikonographie bald wieder mit alter Kraft. Schon in den Unterlagen der ersten Ökumenischen Konzilien finden wir Hinweise auf die Ikonographie. In den kirchlichen Gesängen, welche heute ständig benutzt werden, gibt es Verweise auf die Ikonenmalerei.Was sind nun Ikonen? Ikonen sind Synthesen aus jenen Symbolen, welche für einige Zeit die Ikonen abgelöst hatten und der Malerei. Die Ikone ist nicht bloß ein Bild oder ein Porträt. Denn in diesen wird nur das äußerliche, leibliche Antlitz abgebildet. Die Ikone aber soll die Menschen an das geistliche Antlitz der Person erinnern, welche abgebildet wird. Das Christentum ist die Vergeistigung der Welt. Christus hat Seine Kirche gegründet, um die Welt zu vergeistigen, zu verändern, sie von der Sünde zu reinigen und sie zu jenem Zustand zu führen, der im künftigen Äon existieren wird. Das Christentum wurde auf der Erde gegründet, ruht auf der Erde, aber reicht mit seinen Pfeilern bis in die Himmel. Das Christentum ist jene Brücke und Leiter, auf welcher die Menschen von der irdischen Kirche zur himmlischen Kirche gelangen. Deswegen ist eine einfache Darstellung, welche die äußeren Züge eines Gesichts zeigt, noch lange keine Ikone. Selbst die Genauigkeit der Zeichnung im Sinne der physiologischen Darstellung bedeutet nichts! Ein Mensch kann äußerlich sehr schön sein und innerlich zugleich böse. Oder andersherum: er kann äußerlich unscheinbar sein und innerlich ein Abbild der Gerechtigkeit. Und daher muß die Ikone die äußerlichen Züge der Person und, was wir mit leiblichen Augen sehen, bewahren, – denn mittels des Körpers wirkt unsere Seele in dieser Welt – und zugleich jenes geistige innere Sein aufzeigen.
Und die Aufgabe des Ikonenmalers besteht darin, diejenigen geistigen Züge am stärksten und möglichst vollständig darzustellen, durch welche er des himmlischen Königreichs gewürdigt wurde und durch welche er den unverweslichen Kranz von unserem Herrn erhalten hat. Denn die Aufgabe der Kirche ist die Errettung der menschlichen Seele. Das, was auf Erden ist, vergeht. Wenn wir den menschlichen Leib zu Grabe betten, geht die Seele an einen anderen Ort. Wenn diese Welt untergeht und im Feuer vergeht, wird es eine neue Erde und einen neuen Himmel geben, wie der Hl. Johannes der Theologe sagt. Denn er hatte mit seinen geistigen Augen dieses himmlische Jerusalem bereits geschaut und uns in der Offenbarung eindringlich beschrieben. Der Herr ist zu dem Zweck gekommen, um die ganze Welt auf diese geistige Wiedergeburt vorzubereiten. Um sich auf dieses kommende Reich vorzubereiten, muß man aus seiner Person alle Wurzeln der Sünde ausreißen, welche in die menschliche Seele mit dem Sündenfall unserer Ureltern eingedrungen sind und unsere erstgeschaffene gute Natur verdarben, derer wir derart verlustig gegangen sind. Ziel des Christentums ist die tägliche Veränderung, die tägliche Verbesserung, und genau davon zeugen unsere Ikonen.
Indem die Ikone an die Heiligen erinnert, an ihre Askese, ist sie nicht einfach nur die Darstellung eines Heiligen, wie er auf der Erde gelebt hat. Nein, die Ikone stellt seinen inneren geistigen Kampf dar, wie er jenen Zustand erreicht hat, in welchem wir ihn als irdischen Engel oder himmlischen Menschen bezeichnen. Derart sind die Ikonen der Gottesmutter, die Ikone Christi. Sie müssen jene überhohe Heiligkeit darstellen, welche in ihnen war. Denn Jesus Christus ist die Vereinigung von allem Menschlichen und allem Göttlichen, und wenn die Ikone des Erlösers gezeichnet wird, muß dies so geschehen, daß wir spüren: dies ist ein Mensch, ein echter Mensch. Und gleichzeitig: Er ist mehr als ein Mensch. Damit wir Ihm nicht begegnen wie jedem anderen zufällig vorbeikommenden Menschen, wie irgendeinem Bekannten. Nein, wir müssen spüren, daß Er ein Mensch ist, Der uns nahe ist und zugleich unser Herr, uns gegenüber barmherzig und zugleich ein strenger Richter, Der will, daß wir Ihm nachfolgen und Der uns ins himmlische Königreich geleiten will. Deswegen darf man weder die eine, noch die andere Seite überbetonen. Man darf nicht nur das geistige Antlitz des Heiligen darstellen, ohne darauf zu achten, wie er auf der Erde ausgeschaut hat. Das ist auch ein Extrem. Alle Heiligen müssen, sofern es möglich ist, so gemalt werden, daß ihre echten Züge hervortreten: die Krieger werden mit ihren militärischen Kleidungen gezeigt, die Bischöfe in Bischofskleidung. Es ist z.B. nicht richtig, die Bischöfe der ersten Zeit in Sakkos zu malen, denn damals trugen sie solche nicht, sondern sie trugen Feloni. Doch das ist kein besonders großer Fehler. Besser ein Fehler in den äußerlichen, körperlichen Darstellungen, als – um es einmal so zu sagen – die geistige Seite zu verletzen.
Denn es ist viel schlimmer, wenn unter dem Aspekt des Physischen, des Körperlichen alles richtig gezeigt ist, der Heilige aber aussieht wie ein gewöhnlicher Mensch, als hätte man ihn photographiert, Geistiges aber ist in ihm nichts zu sehen. Das ist schon keine Ikone mehr. Oft richtet man große Aufmerksamkeit darauf, daß die Ikone schön sei. Wenn dies nicht zum Verlust des geistigen Moments führt, so ist das gut. Doch wenn die Schönheit allzusehr unseren Blick ablenkt, daß wir das Wichtigste vergessen: nämlich die Seele zu retten, die Seele zu himmlischer Höhe zu führen, dann ist diese Schönheit bereits schädlich. Das ist dann keine Ikone mehr, sondern ein Bild. Es wird schön sein, aber keine Ikone mehr. Eine Ikone ist jenes Abbild, welches uns zum dargestellten Heiligen führt, oder zum Himmel zieht, oder in uns das Gefühl der echten Reue, des Mitleids und das Gebet hervorruft, das Bedürfnis, sich vor diesem Bild zu verneigen. Der Wert der Ikone besteht darin, daß wir – sobald wir uns ihr nähern – gottesfürchtig beten wollen. Wenn dies durch die Darstellung bewirkt wird, so ist es eine Ikone.
Das ist es, wonach unsere Ikonenmaler gestrebt haben – die alten Ikonenmaler, welche es schon vor der Taufe Rußlands sehr viele gab, und schließlich auch unsere russischen Ikonenmaler, beginnend mit dem Hl. Alipij vom Kiewer Höhlenkloster, welcher eine Reihe von Ikonen der Gottesmutter gemalt hat, von denen einige bis heute erhalten geblieben sind. Das sind wunderbare Ikonen, welche die byzantinische Tradition der Ikonographie bewahrt haben und die die Seele anrühren. Sie sind nicht unbedingt von dunklen Farben bestimmt, meistens waren es helle Farben, doch diese Farben sprachen an: man will nichts als Beten vor so einer Ikone. Dann der Hl. Peter, ursprünglich ein Galizier, späterer Metropolit von Kiew und Ganz Rußland. Von ihm sind Ikonen erhalten geblieben, welche sich später in der Entschlafen der Gottesmutter- Kathedrale in Moskau befanden. In Nowgorod wurde eine ganze Ikonenschule unter der Leitung des Hl. Alexij von Nowgorod gegründet, und eine Reihe Ikonen von seiner Hand sind erhalten geblieben. Andrej Rubljow hat die Ikone der Hl. Dreieinigkeit gemalt, die heute nicht nur in der christlichen, sondern auch der halb-christlichen Welt bekannt ist.
Leider wurde jedoch dieser ganze orthodoxe Weg verlassen, als in Rußland der westliche Einfluß einzudringen begann. Die Bekanntschaft Rußlands mit Westeuropa war in vielen Dingen sehr nützlich. Zahlreiche technische Wissenschaften, viel nützliches Wissen kamen von dort. Wir wissen, daß das Christentum nie Wissen, welches von außen kam, verabscheut hat. Der Hl. Basilios der Große, der Hl. Gregor der Theologe und der Hl. Johannes Chrysostomos haben in heidnischen Schulen studiert und viele unserer besten Theologen kannten die weltlichen Schriftsteller gut, ja selbst der Hl. Apostel Paulus zitiert in einer seiner Reden weltliche Dichter. Doch nicht alles Westliche war gut für Rußland. Es verursachte zugleich schrecklichen moralischen und sittlichen Schaden. Und zwar weil die Russen zusammen mit dem Nützlichen begannen, auch das unserer orthodoxen Tradition und unserem Glauben Fremde anzunehmen. Die gebildeten Schichten entfernten sich schnell vom Leben des Volkes und der Orthodoxen Kirche, wo alles vom Sakralen geprägt war. Und so berührten die fremden Einflüsse auch die Ikonographie. Es tauchten Darstellungen in westlichen Varianten auf, möglicherweise schön im künstlerischen Sinne, aber bar jeder Heiligkeit. Schön im Sinne weltlicher Schönheit, manchmal sogar verführerisch, aber ohne jede Geistigkeit. Das waren schon keine Ikonen mehr. Das waren Entstellungen, falsch verstandene Ikonen.
Unser Ziel ist es – zuallererst bei unseren russischen Landsleuten und den Orthodoxen, das richtige Verständnis für die wahren Ikonen zu entwickeln. Zweitens, die Liebe zu diesen Ikonen hervorzurufen und den Wunsch, daß unsere Häuser und Kirchen von wirklichen Ikonen geschmückt werden, und nicht von irgendwelchen westlichen Bildern, welche uns nichts Wahrhaftes und Heiliges mitteilen, sondern nur äußerlich angenehm sind. Natürlich, es gibt Ikonen, die richtig im Sinne der Ikonographie gefertigt worden sind, aber grob sind in der Ausführung. Man kann theoretisch sehr richtig malen, aber falsch in der praktischen Ausführung. Doch das heißt nicht, daß diese Ikonen vom Prinzip der Ikonenmalerei her schlecht sind. Und umgekehrt kann es passieren, daß man sehr schön malt, die Regeln der Ikonographie aber mißachtet. Das eine wie das andere ist schädlich. Man muß sich bemühen, die Ikonen so zu malen, daß sie gut sind sowohl dem Prinzip nach, als auch der Methode und der Ausführung nach.
[...] Das ist der Grund, weshalb wir uns hier einigen Personen und ihren Bemühungen, Kirchen auszumalen, entgegengestellt haben, weil ihre Grundsätze falsch sind, sie in die falsche Richtung gehen. Wie gut auch ein Zug fahren mag, er entgleist dennoch und es kommt zur Havarie: so geschieht es mit denen, die möglicherweise technisch gut arbeiten, wo aber der Ansatz falsch ist und falsche Bewegungen in die falsche Richtung führen. Möge der Herr uns helfen, daß unsere Gesellschaft fruchtbar zum Nutzen unserer Kirche arbeitet.
Vortrag, gehalten am 26. Jan. 1965 auf der Eröffnungsversammlung der Gesellschaft der Liebhaber der Russischen Orthodoxen Ikone in San Francisco.