Die Lehre der Orthodoxen Kirche über die Person des Erlösers der Welt
Als Erlöser der Menschen von der Sünde, der Verdammung und dem Tode – Welchen Gott unseren Ureltern noch im Paradies versprach (Gen. 3,15) und auf dessen Annahme Er die Menschen 5508 Jahre lang vorbereitete und Welcher die Menschen rettete, immer noch rettet und retten wird, anerkennen alle jene, die sich Christen nennen, Jesus, der im judäischen Bethlehem unter dem römischen Imperator Augustus und dem jüdischen König (dem Statthalter des Augustus) Herodes dem Großen geboren wurde und 33 1/2 Jahre später in Jerusalem unter Pontius Pilatus, dem Prokurator des Tiberius, des Nachfolgers Augustus, gekreuzigt wurde.
Daß gerade diese Person und keine andere der Erlöser der Welt ist, das verkündeten die Engel den Hirten von Bethlehem bei Seiner Geburt (Lk. 2,10). Davon kündeten ebenfalls: am 40. Tag nach der Geburt auf eine himmlische Offenbarung hin Simeon der Gottesempfänger und Anna die Prophetin (Lk. 2,29-38) und später, etwa um die Zeit der Taufe Jesu, Johannes, der Sohn des Priesters Zacharias (Jh. 1,26,29-36) und die Apostel (die von Jesus zur Predigt ausgesandten Jünger: z.B. Mt. 16,16; Jh. 6,69; 20,27 u.a.), und schließlich bezeugte Er Selber dies mehr als einmal vor den Jüngern (Jh. 6,62; 14,9-11; 16,29) und vor dem Hohenpriester im Synhedrion (Mt. 26,63-65). In bezug auf Seine messianische Sendung wies Jesus auch auf Seine Werke hin, die Er aus Erbarmen, und um den Glauben an Sich zu stärken vollbrachte (Jh. 5,36), auf Seine Lehre, die Er geradewegs als Evangelium – die Frohe Botschaft der Erlösung – bezeichnete, und darauf, daß sich an Ihm alle Weissagungen, die über den Messias, den Retter im Alten Testament, gemacht worden waren, erfüllten (Jh. 5,39; Lk. 24,27; 44,45).
All diese Berichte über Jesus als den Erretter der Welt werden uns vor allem in den von der Kirche akzeptierten, sogenannten kanonischen Evangelien (des Matthäus, Markus, Lukas und Johannes) gegeben und weiterhin in verschiedenen anderen Werken kirchlicher Schriftsteller der ersten Jahrhunderte der christlichen Ära. Übrigens stellt das Zeugnis dieser letzteren größtenteils nur eine Wiederholung und Ergänzung dessen dar, was in den Evangelien erzählt wird, die zweifellos von Augenzeugen unseres Herrn Jesus Christus geschrieben wurden, die Ihn auf Seinen Reisen durch das Jüdische Land begleiteten und Seiner Lehre lauschten.
Von daher versteht es sich von selbst, welch große und wesentliche Bedeutung diese Evangelien für uns haben als erste Quelle unserer Lehre über die Person des Retters der Welt, und begreiflich wird auch, warum so viel von den verschiedensten Typen von Ungläubigen gegen sie vorgebracht wird. Man kann kühn behaupten, daß es auf der ganzen Erde kein zweites solches Buch gibt, gegen das soviel geschrieben worden wäre, wie gegen die Evangelien: buchstäblich nicht eine Zeile, nicht ein Wort blieb ohne Widerspruch. Aber ebenso kühn kann man sagen, daß all diese Einwände Lüge sind, und die Echtheit der Evangelien jenseits allen Zweifels steht.
Daß unsere Evangelien echt sind, d.h. auf die Apostel zurückgehen, das bestätigen uns: 1) die vielzähligen Zeugnisse über ihre apostolische Herkunft, die in den Werken der Väter und Lehrer der ersten Jahrhunderte und sogar in einigen heidnischen Schriften jener Zeit zu finden sind; 2) Die Tatsache, daß weder die Juden noch die Heiden, die nicht an Jesus Christus als den Erlöser glaubten, jemals die Christen irgendeiner absichtlichen Entstellung dieser Erzählungen oder ihrer Erfindung bezichtigten, wodurch sie am besten das Christentum als falsch hätten beweisen können; 3) Die völlige Übereinstimmung des uns geläufigen Evangeliumstextes mit dem der erhalten gebliebenen Evangeliumskodizes der ersten christlichen Jahrhunderte – und derartiger Kodexe wurden nicht wenige entdeckt.
Eine viel wichtigere Frage hinsichtlich der Authentizität der Evangelien ist die Frage nach ihrer Zuverlässigkeit, – darüber, ob ihre Autoren alles getreu und wahr in ihnen wiedergaben. Gegen diese Glaubwürdigkeit führen ungläubige Kritiker am häufigstens das Argument der mangelnden Übereinstimmung der Evangeliumsberichte ins Feld; dagegen ist zu sagen, daß die von den Kritikern festgestellten widersprüchlichen Erzählungen der Evangelisten daher rühren, daß die Evangelisten bei weitem nicht alles beschrieben, was Jesus sprach und wirkte, sondern nur einen Bruchteil; sie widersprechen einander nicht, sondern ergänzen sich nur gegenseitig und erklären einander, so daß alle vier Evangelien nicht nur allgemein im Wesentlichen, sondern auch in Einzelheiten übereinstimmen, und wenn wir sie durchlesen, erhalten wir ein ganzheitliches Bild Dessen, von Dem sie berichten. Diese wechselseitige Eintracht der Evangelien ist um so teurer, als nach nicht zu bezweifelnden historischen Zeugnissen die Evangelisten ihre Bücher, ohne daß sie sich aufeinander bezogen oder sich gegenseitig abgesprochen hätten, zu verschiedenen Zeitpunkten, an verschiedenen Orten und unabhängig voneinander schrieben. Das wichtigste an all dem ist jedoch, daß das in den Evangelien dargestellte einfache, dem kindlichen Verständnis des Herzens zugängliche geistige Portrait des Erlösers in seiner Würde und Vollkommenheit weit über das idealste Bild hinausgeht, welche jemals in den künstlerisch besten Werken von den größten Schriftstellern geschaffen worden wäre. Wie hätte solch ein Bild von den Evangelisten, die alle galiläische Fischer waren, gemalt werden können, wenn es nicht einfach eine genaue Wiedergabe dessen wäre, was sie mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört hatten?
Welcher Art ist nun das Bild des Heilandes der Welt, das uns in den Evangelien gegeben wird? Was lehrt die Orthodoxe Kirche auf Grundlage der Evangeliumsberichte über die Person des Erretters der Welt?
Diese Lehre kann bündig in den Worten des Hl. Propheten Jesaia, die im Matthäusevangelium stehen, ausgedrückt werden: Siehe, die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären und man wird Ihn Emmanuel, das ist Gott mit uns, heißen (Mt. 1,23); dem unmittelbaren Sinn dieser Worte zufolge wurde unser Heiland von der Jungfrau geboren, Er ist also einer Natur mit uns, d.h. wahrer Mensch, und gleichzeitig wahrer Gott – mit einem Wort der Gottmensch, der fleischgewordene Sohn Gottes.
So glaubt die Orthodoxe Kirche in bezug auf die Person des Erlösers der Welt: dieser Glaube wird uns in der Heiligen Schrift vermittelt, und immerdar wurde er in der wahren Kirche Christi aufrechterhalten; mit besonderer Klarheit und Exakheit jedoch wurde dieser Glaube auf den ökumenischen Konzilien, die wegen verschiedener falscher Lehren (Häresien) über den Erlöser zusammengetreten waren, bezeugt.
Die erste derartiger Ketzereien war die Häresie des Arius (ein alexandrinischer Priester des 4. Jh.), der behauptete, daß Jesus Christus Seiner Gottheit nach nicht einwesentlich mit Gott dem Vater sei und nicht geboren, sondern erschaffen worden wäre. Die zur Verurteilung des Arius zum ersten Ökumenischen Konzil in Nikäa 325 zusammengekommenen heiligen Väter bekräftigten auf der Grundlage der direkten Zeugnisse der Evangelien (bes. des Johannesevangeliums: 1. und 5. Kapitel) die Lehre über die göttliche Wesenseinheit des verkörperten Sohnes Gottes mit Gott dem Vater und sie formulierten diese Lehre ganz exakt im 2. Glaubenssatz des Glaubensbekenntnisses, das auf diesem Konzil (bis zum 8. Glaubenssatz) aufgestellt wurde: (ich glaube) an einen Herrn Jesus Christus, den eingeborenen Sohn Gottes, der aus dem Vater von Ewigkeit geboren ist; Licht vom Licht, wahrer Gott von wahrem Gott, gezeugt, nicht erschaffen, eines Wesens mit dem Vater, durch den alles geworden ist.
Es verging etwa ein Jahrhundert seit dem 1. Ökumenischen Konzil, welches die Lehre über die Gottheit des Erlösers, als den aus dem Heiligen Geist und der Jungfrau Maria Verkörperten, genau und bestimmt formuliert hatte, bis eine neue Häresie, nämlich die des Nestorios auftauchte, welche das Phänomen der Vereinigung von zwei Naturen in Jesus Christus betrifft. Nestorius, der Erzbischof von Konstantinopel, der nicht begriff, wie sich in Jesus Christus die Gottheit mit der Menschheit verbunden hatte, wollte diese Verbindung an dem Vergleich Jesu Christi mit den Propheten erklären: in ähnlicher Weise wie bei den Propheten, auf die zu einem gewissen Zeitpunkt der Heilige Geist herabkam, so wurde auch Jesus Christus – nach der Lehre des Nestorios – als einfacher Mensch aus der Jungfrau Maria geboren, und erst später nahm der Sohn Gottes Wohnung in Ihm, so wie sich der Heilige Geist in den Prophethen niederließ: Jesus Christus ist deshalb nicht der Gottmensch, sondern der Gottesträger, d.h. ein Mensch, der die Gottheit in Sich trägt, wie in einem Tempel, und die Jungfrau Maria ist nicht die Gottesgebärerin, sondern die Gebärerin eines Menschen.
Aber das Nichtverstehen der Verbindung von zwei Naturen in Jesus Christus berechtigt noch lange nicht dazu, eigenwillig die Lehre des Wortes Gottes zu entstellen. Wir können beispielsweise auch nicht begreifen, auf welche Weise unsere Seele, durch die wir uns wesentlich von den Tieren unterscheiden, mit unserem Körper vereint ist, und dennoch betrachten wir uns nicht als Tiere, in denen für eine gewisse Zeit eine menschliche Seele wohnt. Es stimmt, daß auch die Propheten genauso wie Christus, Wunder taten und die dem menschlichen Geist unzugängliche Zukunft enthüllten; aber wenn sie prophezeiten und Wunder wirkten, so sprachen und handelten sie nicht von sich aus, sondern im Namen Gottes, und diese göttliche Kraft bezeichneten sie nicht als die ihre. Der Herr Jesus Christus jedoch sprach in eigener Person, wenn Er göttliche Geheimnisse enthüllte (siehe z.B. Mt. 5,21-22; 26-28 u.a.), und wenn Er Wunder wirkte, war die göttliche Kraft, mit der Er handelte, Seine eigene. Er redete nicht wie die Propheten: hört, was Gott sagt, sondern: hört, was Ich spreche. Daraus folgt, daß Er wußte, daß Er Gott ist. Dessen war Er sich nicht erst nach der Taufe, sondern schon früher bewußt: als ein 12-jähriger Knabe sprach Er zu Seiner Mutter: Wußtet ihr nicht, daß ich im Hause Meines Vaters sein muß? (Lk. 1,49). Bereits als die Jungfrau Maria nach der Verkündigung durch den Erzengel zur Mutter Johannes des Täufers kam, bezeichnete diese Sie als Mutter meines Herrn (Lk. 1,43); als der Erzengel Gabriel der Jungfrau Maria die Geburt Jesu durch Sie verkündete, sprach er, daß das von Ihr geborene Heilige der Sohn Gottes ist (Lk. 1,35). Daher ist Jesus Christus, obwohl Mensch, gleichzeitig auch wahrer Gott und vom Augenblick Seiner Empfängnis an ist Er nicht der Gottesträger, sondern der Gottmensch, und die Jungfrau Maria ist die Gottesgebärerin. Daher verurteilte das gegen Nestorios zusammengetretene 2. Ökumenische Konzil in Ephesus 431 seine Lehre als Häresie, d.h. als eine Lehre, die nicht übereinstimmt mit der Lehre des Wortes Gottes und daher verderblich auf die Seele wirkt. Wenn Jesus Christus nicht der allmächtige Gott ist, dann könnten sich beim Menschen, der seiner grenzenlosen Sündhaftigkeit gewahr wird, Zweifel an der Möglichkeit seiner Rettung durch die Kraft Christi, und als Folge dieser Zweifel Verzweiflung einstellen.
20 Jahre nach diesem Konzil machte sich hinsichtlich der Person des Erlösers eine neue, eine der Ketzerei des Nestorios entgegengesetzte Häresie, nämlich die monophysitische breit. Der Archimandrit Eutychios von vorgerückten Jahren, der die grenzenlose Größe der göttlichen Natur des Erlösers zu der von Ihm auf Sich genommenen menschlichen Natur in Vergleich setzte, begann aus Eifer für den Ruhm des Erlösers, jedoch in einem unvernünftigen Eifer, d.h. aus dünkelhafter Gottesfurcht, zu lehren, daß in Jesus Christus die Gottheit kraft ihrer Unermeßlichkeit vollkommen Seine Menschlichkeit verschlungen, also vernichtet hätte, so wie das Meer den Tropfen in sich verschlingt, und also in Christus nur ein Wesen, nämlich das göttliche sei. Daher wird dieses Lehre auch die monophysitische genannt, d.h. die Lehre über das eine Wesen oder die eine Natur des Erlösers der Welt. Da diese Lehre offensichtlich nicht passabel war, wurde auch sie auf dem 451 in Chalkedon zusammengetretenen 4. Ökumenischen Konzil von der Orthodoxen Kirche als Häresie verurteilt. Denn wenn die Heilige Schrift über die Gottheit des Erlösers redet, spricht sie auch klar über Seine Menschlichkeit: sie sagt, daß Christus heranwuchs, erstarkte, und voll der Weisheit wurde (Lk. 2,40), daß Ihn dürstete (Jh. 19,28) und hungerte (Lk. 4,12), daß Er müde war (Jh. 4,6), weinte (Jh. 19,28), daß Er litt. Auf diese echt menschliche Natur des Erlösers bezogen die Väter des 1. Ökumenischen Konzils vollkommen richtig die Worte des Erlösers, daß der Vater größer als Er ist (Jh. 14,28), und daß Er die Zeit der zweiten Wiederkunft nicht kennt (Mk. 13,32). Nichts derartiges hätte sein können, wenn die Menschlichkeit in Christus von Seiner Gottheit verschlungen worden wäre. Es stimmt zwar, daß ein Tropfen Wasser im Meer verschlungen wird, in der unendlichen Menge von Tropfen, welche das Meer ausmachen, verschwindet, aber das kommt daher, daß der Tropfen einer Natur mit allen übrigen Tropfen des Meerwassers ist; man darf das jedoch nicht auf die Gottheit und die Menschheit des Erlösers übertragen. Die heiligen Väter führten einen anderen Vergleich der Göttlichkeit und Menschlichkeit Christi an, nämlich den mit dem Feuer und Eisen. Im Feuer kann das Eisen sich vollkommen dem Feuer angleichen, sozusagen feurig werden, aber es hört deshalb nicht auf, Eisen zu sein. Das kann auch von der Menschlichkeit Jesu Christi gesagt werden*. Sie wurde in Verbindung mit der Gottheit vergöttlicht, erhielt göttliche Eigenschaften (jetzt sitzt Christus auch Seiner Menschlichkeit nach zur Rechten des Vaters, und der Körper Christi besitzt göttliche Eigenschaften), aber sie hörte nicht auf menschlich zu sein. Denn wenn in Christus die Menschlichkeit von Seiner Göttlichkeit verschlungen worden wäre, dann hätte Er keine menschlichen Bedürfnisse empfunden, und Er könnte nicht mit unseren Gebrechen mitleiden, wie z.B. ein Mensch, der selber nicht Hunger erfahren hat, auch nicht die Hungergefühle eines anderen verstehen kann und daher auch mit einem Hungrigen nicht von Herzen mitfühlen und mitleiden kann. Wenn es so wäre, wie Eutychios dachte, dann könnten wir uns nicht mit Bitten hinsichtlich unserer Nöte an Christus wenden, in der Hoffnung, daß Er auf sie antwortet. Die Väter des 4. Ökumenischen Konzils, welche das Phänomen der Vereinigung der zwei Naturen in Christus definierten und die Häresie des Eutychios verurteilten, sagten, daß durch das Geheimnis der Verkörperung die Gottheit und Menschheit sich in der einen Person der Erlösers unverschmolzen und unvermischt vereinigten, d.h. die Menschlichkeit in Christus verschmolz nicht mit der Göttlichkeit und veränderte sich nicht in ihrer Natur, wurde also nicht Göttlichkeit (das ist gegen Eutyches), sondern sie ist ungeteilt und ungeschieden zugleich, d.h. sie verband sich mit der Göttlichkeit des Sohnes Gottes im Moment der Verkündigung, und von jenem Augenblick an (gegen Nestorius) verbleibt sie in unzertrennlicher Einigung in der Weise, daß man sich jetzt die Gottheit des Erlösers nicht gesondert von Seiner Menschlichkeit vorstellen darf.
Leider verebbten die Wellen, die in der Kirche von den Häresien von Nestorios und Eutychios aufgeworfen wurden, auch nach dem Konzil von Chalkedon nicht und nicht einmal nach dem 5. Konstantinopolischen Konzil, das Theodor Mopsuestia und Ivo von Edessa verurteilten, welche nestorianische Gedanken teilten. Damals wollte der Kaiser Heraklios mehr aus politischen Motiven als aus Eifer für den wahren Glauben die Nestorianer und Eutychianer mit der Orthodoxen Kirche versöhnen und gestattete einige Konzessionen in ihrer Lehre zum Nutzen der einen wie der anderen. Er wollte die Orthodoxen zwingen, in Jesus Christus bei zwei Naturen einen Willen anzunehmen. Aber das war eine neue Häresie, genannt die monotheletische, d.h. eine Lehre, die nur einen Willen akzeptiert. Die heiligen Väter bezeichneten diese Lehre als Häresie, denn wenn in Christus bei dem göttlichen Willen nicht auch ein davon unterschiedlicher menschlicher Wille gewesen wäre, dann wäre Er kein voller Mensch gewesen und Seine Passion (die er der Menschheit nach litt) wäre nicht freiwillig gewesen, und hätte daher auch keine erlösende Wirkung haben können. Das Wort Gottes spricht ja ganz klar über die freiwilligen Leiden des Erlösers (Jh. 10,18). Besonders deutlich kam die Tatsache, daß in Christus nicht nur ein göttlicher, sondern auch ein menschlicher, vom göttlichen unterschiedlicher Wille war, in dem Gebet des Erlösers im Garten Gethsemane zum Ausdruck (Mt. 26,39-44; Lk. 22,42). Hier betete Er zu Seinem Vater darum, daß Ihm das Leiden erspart bleiben möge: Mein Vater, wenn möglich, so gehe dieser Kelch an Mir vorüber. Es ist klar, daß Er das Leiden nicht aus Seiner Gottheit, sondern aus Seiner Menschlichkeit heraus vermeiden wollte. Aber der von dem göttlichen Willen zu unterscheidende menschliche Wille in Christus widersetzte sich diesem nicht (in Christus, als dem aus der Jungfrau Maria und dem Heiligen Geist Geborenen war keine Ursünde), sondern ordnete sich ihm in allem unter; daher fügte Christus auch hinzu: aber nicht wie Ich will, sondern wie Du willst, nicht mein Wille, sondern der Deine geschehe. Auf all das wiesen damals die echten Orthodoxen, wie Sophronios, Patriarch von Jerusalem und der Hl. Maximos der Bekenner, die Monotheleten hin, und als all diese Argumente sie nicht zur Einsicht in die Fehlerhaftigkeit ihrer Meinung brachten, wurde 680 in Konstantinopel das 6. Ökumenische Konzil versammelt, welches den Monotheletismus als Häresie verdammte.
So stellten die heiligen Väter und Lehrer der Orthodoxen Kirche auf dem Weg der Verurteilung verschiedener häretischer Entstellungen der gottoffenbarten Lehre die richtige Lehre über die Person des Erlösers in all ihren Aspekten heraus: unerschütterlich und für immer bekräftigten sie diese von der Orthodoxen Kirche bekannte, gottoffenbarte Lehre über die Person des Erlösers, nämlich daß in Ihm zwei Wesen, das göttliche und das menschliche unverschmolzen und unvermischt, ungeteilt und ungesondert in der einen Person des Gottmenschen vereint sind, daß Christus, welcher wahrer Gott ist, auch wahrer Mensch ist und einen menschlichen Willen hat, der dem göttlichen nicht entgegensteht und nicht sündhaft ist, sondern diesem in allem gehorcht, und daß Jesus der Christus ist, der uns Seiner menschlichen Natur nach ähnlich ist, aber weder die Erbsünde noch persönliche Sünde hat. Denn Er verkörperte Sich aus dem Heiligen Geist und von der Jungfrau Maria, die keinen Mann gekannt hatte, sondern eine Jungfrau war vor der Geburt, bei der Geburt und nach der Geburt, und daher die Immerjungfrau genannt wird.
Diese Lehre wurde unfehlbar genau in den ökumenischen Konzilien festgelegt und auf vielerlei Weise in den patristischen Werken aufgezeigt; klar und deutlich kommt sie auch in den kirchlichen Gesängen zum Ausdruck, die bei der Nachtwache gesungen werden und als Theotokaria oder Dogmatika bezeichnet werden. So lesen wir im Dogmatikon des 3. Tones: Wie sollen wir nicht bewundern dein gottmännliches Kind, Hochehrwürdige. Denn ohne mit einem Mann Umgang gepflogen zu haben o Allunbefleckte, hast du geboren den Sohn ohne Vater im Fleische, der von Ewigkeiten aus dem Vater gezeugt ward ohne Mutter: der durchaus keine Wandlung erlitt oder Vermischung oder Trennung, sondern jeder Wesenheit Eigentümlichkeit unversehrt bewahrte.Fast das gleiche lesen wir im Dogmatikon des 6. Tones: Wer sollte dich nicht selig preisen, Allheilige Jungfrau? Wer nicht besingen dein allreines Gebären? Denn der außerhalb aller Zeit aus dem Vater hervorstrahlende einziggezeugte Sohn, er selbst kam aus dir, der Unschuldvollen hervor auf unaussprechliche Weise Fleisch geworden, welcher der Natur nach Gott ist und der Natur nach Mensch geworden ist um unseretwillen, nicht in zwei Personen geteilt, sondern in zwei Naturen unvermischt erkannt. Dasselbe, nur mit einer noch perfekteren Ausführung der Lehre über die Gottmenschlichkeit des Erlösers wird im Dogmatikon des 8. Tones gesagt, der also lautet: Der König der Himmel erschien aus Menschenliebe auf Erden und verkehrte mit den Menschen. Denn indem er aus der reinen Jungfrau das Fleisch genommen hat und aus dieser hervorgekommen ist mit dem Angenommenen, ist er, der Sohn zwiefach nach der Natur, aber nicht nach der Person. Deshalb ihn als vollständigen Gott und vollständigen Menschen in Wahrheit verkündend, bekennen wir Christum als unseren Gott.
So bekennt die Orthodoxe Kirche vollkommen im Einklang mit der Lehre der Heiligen Schrift und den Glaubenssätzen der Ökumenischen Konzilien, und gleichzeitig auch vom künstlerischen Standpunkt her vortrefflich, die Lehre über die gottmenschliche Natur des Erlösers der Welt in ihren geisterfüllten Gesängen, die von dem großen Theologen und Hymnologen, dem ehrwürdigen Johannes von Damaskus, geschaffen wurden.
Einen künstlerisch nicht weniger wertvollen, dabei jedoch genauen und vollen Ausdruck findet diese Lehre in den von der Orthodoxen Kirche verwendeten Darstellungen oder Ikonen des Erlösers der Welt. Der auf ihnen dargestellte Erlöser in Gestalt eines Menschen – sei es eines Kindes oder erwachsenen Mannes – trägt immer um Sein Antlitz in dem für die Ikonen üblichen Heiligenschein das Wort: Ôo “wn. Dieses griechische Wort bedeutet: Der Seiende. Das ist der Name Gottes, mit dem Gott Selber Sich dem ehrwürdigen Moses offenbarte, als er ihn nach Ägypten sandte, um die Hebräer von dort herauszuführen, und Moses Gott zur Vergewisserung des Volkes bat, Seinen Namen als Umschreibung Seines Wesens anzuzeigen. Ich bin: der Seiende, d.h. der Ewige, Unwandelbare, Sich immerdar Wahrhaftige, stets Gleiche, Unermeßliche, Unaussprechliche. So bleibt die Orthodoxe Kirche auch in ihren Ikonen als künstlerischen Leistungen der Lehre der Heiligen Schrift und der Überlieferung treu, und versucht nicht gleich den rationalistisch denkenden Protestanten, durch selbsterfundene Kniffe das Unaussprechliche auszudrücken, sondern indem sie Freiheit in der Darstellung der menschlichen Natur des Erlösers gewährt, verwendet sie zur Bezeichnung Seines Göttlichen Wesens nur das von Ihm Selber, dem Unaussprechlichen, ausgesprochene Wort.z