Bad Homburg - Kirche Allerheiligen

Die Grundsteinlegung zur Kirche “Allerheiligen Rußlands” (Patronatsfest jeweils am 2. Sonntag nach dem orthodoxen Pfingstfest) fand am 16. Oktober 1896 in Gegenwart des “orthodoxen Kaisers Nikolaus II. und seiner Gemahlin... und anderer hoher Herrschaften” statt. Zu den Anderen hohen Herrschaften gehörten Großfürst Sergij und seine Gemahlin Großfürstin Elisabeth (die Schwester der Zarin), der russische Botschafter aus Berlin, der russische Generalkonsul, der Oberbürgermeister von St. Petersburg und von deutscher Seite die Witwe Kaiser Friedrichs, Angehörige des Hauses Hessen-Darmstadt und bey Rhein, sowie Vertreter der Stadt Homburg. Das Ereignis wurde in der gesamten Regionalpresse gewürdigt und ausführlich beschrieben (Kleine Presse v. 18.10.1896; Frankfurter Zeitung v. 16.10.1896; Taunusbote v. 17.10.1896).
Als Grund der Kirchweihe wurde vermerkt, daß “die Zahl der russischen Curgäste von Jahr zu Jahr zugenommen hat, so daß die Beschaffung eines geeigneten Gotteshauses für die griechisch-katholische Gemeinde dringendes Bedürfnis geworden” war. (Centralblatt der Bauverwaltung Nr. 2 von 1899). Weiter hieß es im “Centralblatt”, daß die Kirche “nach Plänen des Petersburger Architekten Prof. Benois unter Leitung von Baurat Jacobi aus Homburg erbaut... wurde. Die Mauern sind in Backsteinbau mit reich gegliederten Haustein-Werkstücken errichtet, buntglasierte Platten aus Mettlach beleben, dem Stil entsprechend, den Fries und die Eckvorsprünge der Fronten. Das Ganze wird durch verschieden geneigte Dächer aus grünem und grauem Schablonenschiefer abgeschlossen, und das flache Hauptdach, von einem schlanken, laternenartigen Thürmchen der bekannten russischen Form mit kupferner, echt vergoldeter Zwiebelkuppel wirkungsvoll bekrönt. Die Spitze ziert ein großes eisernes, ebenfalls vergoldetes Kreuz, reiche Schmiedearbeit nach einem Vorbild aus dem 15. Jahrhundert, das beiderseits von verzierten Streben gehalten wird... Das Prunkstück bildet die Ikonostase, der aus Eichenholz geschnitzt und reich mit byzantinischen Ornamenten bedeckt ist. Die Heiligenbilder sind sehr sorgfältig in Oelfarbe auf vergoldete Zinkplatten gemalt... in neuzeitlicher Form im Gegensatz zur älteren Darstellungsweise.”
Dank der finanziellen Unterstützung durch die Stadt konnte die Kirche in den 70er Jahren vollständig restauriert werden. Ziel dieser Maßnahmen war die Beseitigung der Schäden am Mauerwerk und die Wiederherstellung der ursprünglichen Ausmalung im Innern. Nachdem die ursprüngliche Ausmalung aufgrund mehrfacher Übermalungen und durch Feuchtigkeit nicht mehr wiederhergestellt werden konnte, entschloß man sich zur Neuausmalung der Kirche. Im Jahre 1981 begann der bekannte Ikonenmaler Adam W. Russak (gest. 1996) mit dieser Arbeit. Zum Hauptwerk Russaks gehörte die Ausmalung russischen Kirche des Hl. Nikolaus in Frankfurt. Das Deckengewölbe im Altarraum wurde in einem nachtblauen Ton mit vergoldeten Sternen ausgeschmückt, was der ursprünglichen Ausmalung entsprach. Der eigentliche Kirchenraum wurde mit frühchristlichen Heiligen und russischen Heiligen ausgemalt. Gegenüber der Ikonostase an der Westwand befindet sich eine Darstellung der Gottesmutter, Schutz und Schirm (Pokrov).
Die Weihe der Kirche fand am 10./22. Sept. 1899 statt. Die Kirche war bei Ausbruch des I. Weltkrieges geschlossen worden. Das Kircheninventar, samt der Ikonostase, wurde ins Städtische Museum überführt. Die Wiedereröffnung der Kirche erfolgte erst am Ende des II. Weltkrieges.
Das Pfarrhaus befindet sich am Elisabethenbrunnen (früher Provorov Straße) und war im Jahre 1908 erbaut worden, “da es oft schwer war, für die hier eintreffenden Seelsorger eine Wohnung auf einige Tage zu finden... Außerdem sollte das zu erbauende Haus auch Zwecken der Mildtätigkeit und der Barmherzigkeit dienen, indem einige Zimmer zur Aufnahme von leidenden Landsleuten dienen sollen, welche ihre Genesung bei den hiesigen Heilquellen suchen.” Weiter hieß es in der Gedenkschrift, das “Haus soll gleichzeitig ein Sammelpunkt für unsere hierher kommenden russischen Kurgäste (sein), die hier ihre Landsleute finden, mit denen sie in ihrer Muttersprache sprechen und in diesem Hause eine Heimat im kleinen finden können”.
Kirche und Pfarrhaus sind Eigentum der Stadt Homburg, da beide auf städtischem Grund stehen. Die Stadt hat sich aber verpflichtet, der russischen orthodoxen Gemeinde und ihrem Geistlichen die Kirche und das Pfarrhaus zur Verfügung zu stellen. Das Pfarrhaus war im Jahre 1908 aus Mitteln des Geheimrats Alexander von Provorov errichtet worden und sollte erkrankten Kurgästen (daher findet man auch häufig die Bezeichnung “Hospiz” für das Haus) und dem Priester als Unterkunft dienen. Der Bau des Hauses wurde laut Stadtverordnetenversammlung vom 15.6.1909 unter Maßgabe folgender Bedingungen genehmigt:
“1. Die Stadt behält sich das Eigentum an dem Grundstück vor.
2. Die Stadt behält sich vor, das Eigentum des Gebäudes unentgeltlich zu erlangen, sobald dieses aufhört, für seine gegenwärtigen Zwecke benutzt zu werden.
3. Die Stadt behält sich vor, die Größe des Grundstücks, die Lage etc. zu bestimmen.”
Dieser Vertrag wurde dann dahingehend erweitert, daß die Stadt das Gebäude “für ewige Zeiten der russischen Kirche zur Verfügung” stellt.
Trotz der Schließung der Kirche in der Zwischenkriegszeit wurden hier aber gelegentlich Gottesdienste zelebriert. Die Geistlichen kamen hierzu aus Berlin und Wiesbaden angereist, doch liegen keine weiteren Informationen vor. Es hatte zwar im Sommer 1922 Pläne zur Wiedereröffnung der Kirche gegeben, um “hier wieder regelmäßig Gottesdienste” zu zelebrieren, doch wurden diese Absichten nicht weiter verfolgt. Im Sommer 1945 kam Erzpriester Leonid Kasperskij nach Bad Homburg, wo zu dieser Zeit etwa 100 Flüchtlinge lebten. Nachdem die Genehmigung zur Wiedereröffnung der Kirche vorlag, wurden das Kircheninventar und die Ikonostase der Kirche zurückgegeben.
Vater Leonid betreute auch die ca. 500 Gläubigen, die in Frankfurt lebten, wo es zunächst keine organisierte Gemeinde gab. Er bemühte sich aber bei der Münchner Diözesanverwaltung um die Registrierung. Da es in Frankfurt bis 1950 keine russische Kirche gab, besuchten die Gläubigen aus dem gesamten Raum zunächst die Gottesdienste in Bad Homburg. Die Zahl der registrierten Gemeindemitglieder der Homburger Gemeinde betrug 1948 400 Personen. Von ihnen besuchten etwa 150 bis 200 Gläubige regelmäßig die Gottesdienste. So war die kleine Kirche in Bad Homburg in diesen Jahren auch zu gewöhnlichen Gottesdiensten immer hoffnungslos überfüllt. Anfang 1950 gehörten noch etwa 250 Personen zur Gemeinde, seit Mitte der 50er Jahre lag die Zahl dann bei etwa 150 Personen.
Metropolit Serafim besuchte die Homburger Gemeinde erstmals im August 1946. Im November 1947 wandte sich Erzpriester Leonid Kasperskij an die Diözesanverwaltung und bat um Genehmigung und Unterstützung zur Gründung eines von der Kirche getragenen deutsch-russischen Gymnasiums in Bad Homburg.
Im Jahre 1949 fand aus Anlaß des 50. Jahrestages der Weihe der Kirche ein feierlicher Gottesdienst in Bad Homburg statt, den Metropolit Serafim (Lade) zusammen mit Erzbischof Filofej, der zu dieser Zeit Administrator der Gemeinden in Hessen war, unter Assistenz von mehreren Geistlichen zelebrierte. Aus Anlaß dieses Jubiläums wurde die Kirche mit Unterstützung der Stadtverwaltung gründlich renoviert.
Nachfolger von Vater Leonid wurde Erzpriester Evgenij Seleckij. Er betreute die Gemeinde bis zu seiner Auswanderung in den Jahren 1947 bis 1951. Ihm folgten Erzpriester Leonid Graf Ignatiev (gest. 1974) und dann sein Sohn, Erzpriester Dimitrij Graf Ignatiev (seit 1974). Da seit den 70er Jahren für beide Gemeinden - Bad Homburg und Frankfurt - ein Priester zuständig ist und die Entfernung beider Kirchen nicht sehr groß ist, finden die Gottesdienste seitdem einmal monatlich in Bad Homburg, an den übrigen Sonn- und Feiertagen in Frankfurt statt.
Literatur: Russische Allerheiligen Kirche in Bad Homburg. München 1999, Verlag des Hl. Hiob Klosters
Georg Seid

Bote 1999-5
Bad Homburger Kirche: Geschichte der Gemeinde anläßlich der Wiedergründung 1945

Im Herbst 1995 jährt sich zum 50. Mal die Wiederbegründung der Bad Homburger Allerheiligengemeinde. Im Spätsommer 1945 erfuhr Tatjana Peiker, ein heutiges Gemeindemitglied, von Pfarrer Ohly der Erlöserkirche, daß ein russisch- orthodoxer Priester in der Villa Herrmann Quartier genommen hatte, um sich der Gläubigen anzunehmen und wieder eine Gemeinde in Bad Homburg zu bilden. Kriegsbedingt wurden viele Russisch- Orthodoxe in die Rhein- Main- Region verschlagen: verschleppte Ostarbeiterinnen und - bearbeiter, aus Rußland stammende Deutsche, russisch- deutsche Familien und amerikanische Soldaten russischer Herkunft.
In Bad Homburg an der Ecke Friedberger Straße/Heinrich v. Kleist Straße/ Waldfriedhof war ein Barackenlager, im Volksmund “Klein Moskau” genannt; in Zeilsheim und Frankfurt- Nied befanden sich DP-Lager mit mehr als 10.000 “Displaced Persons”; ebenso am früheren Heddernheimer Kupferwerk (VDM), dem jetzigen Mertonviertel. All diese Gläubigen wurden seelsorgerlich nach Wiedererrichtung der Gemeinde bzw. Inbetriebnahme des Gotteshauses von Bad Homburg aus betreut.
Für seine Seelsorge fand Priester Leonid Kasperski, der aus Berlin kam und heute in den USA lebt, ein reiches Betätigungsfeld. Zunächst wurde der alte Kirchenschlüssel von der damals noch unter Bürgermeister Dr. Eberlein im Aufbau befindlichen Stadtverwaltung besorgt. Ebenso wurde aus dem Bad Homburger Schloß mit einem Handwagen die berühmte, aus Eichenholz geschnitzte Ikonostase, berühmt durch ihre auf vergoldeten Zinkplatten gemalten Darstellungen, daneben auch das große Altarkreuz und die weiteren Ikonen zur Kirche transportiert. Priester Kasperski und ein Gemeindemitglied, Heinrich Peiker, ein in Rußland geborener, 1943 in Frankfurt ausgebombter Bad Homburger Unternehmer und “Mann der ersten Stunde”, montierten die Bilderwand und hängten die Ikonen auf. Die Altargeräte aus Edelmetall und die Silberbeschläge der Ikonen waren in der Kriegszeit im Schloß gestohlen worden. So wurden die ersten Altargeräte der neuen Gemeinde, die nun keine “Sommergemeinde” wie vor dem ersten Weltkrieg war, aus von Amerikanern zur Verfügung gestelltem Aluminium neu gefertigt. Unterstützung erfuhr die Gemeinde insbesondere durch die amerikanischen Kommissare Dwight D. Eisenhower und Joseph T. McNarney, die in der “Villa Reimers”, dem heutigen “Haus im Walde”, inmitten eines mit Stacheldraht abgesperrten Stadtviertels lebten. Ihr bis 1955 ständig “unter Dampf” stehender Sonderzug ist noch vielen Homburgern in Erinnerung. Spenden, Lebensmittel und Pakete für die vielen zu Betreuenden, kamen hauptsächlich von den “Amis” und wurden unter den vielen notleidenden Gemeindeangehörigen verteilt. Ein Chor, unter der Leitung von Igor Tschitschakoff, der zur gleichen Zeit wie Pfarrer Kasperski nach Bad Homburg kam, wurde gebildet. Noten wurden von Hand geschrieben; und da es keine Vorlagen gab, wurden die Töne nach dem Gedächtnis der einzelnen Sängerinnen und Sänger niedergeschrieben. Hochzeiten, Taufen, Beerdigungen und natürlich auch die vielen Gottesdienste, sorgten für reges kirchliches Leben.
Vater Leonid, wie die Gläubigen ihren Priester nannten, fuhr oft zu seelsorgerischen Besuchen in die Lager. Die meisten der damaligen Gemeindemitglieder wanderten dann nach und nach in die Vereinigten Staaten aus.
Der zuständige Bischof, Metropolit Seraphim Ladde, ein gebürtiger Sachse, besuchte häufig von München aus die Bad Homburger Gemeinde. Damals wurde auch durch Verfügung der amerikanischen Militärregierung im Zusammenwirken mit dem Leiter des Wohnungsamtes Dr. Depene die im ersten Stock des “Russischen Hospizes”, Proworoffstr. 4, seit 1955 “Am Elisabethenbrunnen 4”, gelegene Priesterwohnung der Gemeinde übergeben.
General McNarney sagte in diesem Zusammenhang Vater Leonid und Frau Irina N. Obuchowitsch, der damaligen Kirchenältesten, wörtlich: “Sie können das ganze Haus haben, es gehört sowieso Ihnen.” Aber angesichts der vielen Flüchtlinge und der großen Wohnungsnot wurde nach Verhandlungen zwischen dem amerikanischen Stadtkommandanten Captain Weaver und Bürgermeister Dr. Eberlein nur die Priesterwohnung im 1. Stock mit Nebenräumen in Anspruch genommen. (Die entsprechenden Unterlagen befinden sich im Stadtarchiv.)
Das aufgrund der großen Spenden von russischen Kurgästen und auch vieler Homburger Bürger errichtete “Hospiz” steht auf einem Grundstück, welches die Stadtverordnetenversammlung vor dem 1. Weltkrieg der “russischen Gemeinde” zur Verfügung gestellt hat. Die Priesterwohnung ist heute noch Zentrum der Seelsorge für Russisch- Orthodoxe Gläubige.
Die in der Wohnung befindlichen Möbel wurden von der Gemeinde gegen eine Abstandszahlung übernommen. Als Metropolit Seraphim Ladde, der im Jahr 1910 in Bad Homburg als Kurseelsorger tätig war, die Wohnung nach über 35 Jahren wieder betrat, rief er mit breitem sächsischen Akzent aus: “Das sind ja meine Möbel!” (zweimal bezahlt.)

Interessant erscheint mir noch die Tatsache, daß (ich vermute 1946 - als Metropolit Evlogij aus Paris nach Moskau zum “Paklon” fuhr) der Gemeinderat und der Priester zur Jurisdiktion der Karlowitzer Synode wechselten.
Peter Peiker
Bad Homburg 1996