Predigt zum 5. Herrentag nach Pfingsten (Röm. 10: 1 - 10; Mt. 8: 28 - 9: 1) (21.07.2019)
Liebe Brüder und Schwestern,
der Apostel Paulus befindet, dass seine Stammesgenossen, für deren Errettung er betet, „Eifer haben für Gott; aber es ist ein Eifer ohne Erkenntnis. Da sie die Gerechtigkeit Gottes verkannten und ihre eigene aufrichten wollten, haben sie sich der Gerechtigkeit Gottes nicht unterworfen. Denn Christus ist das Ende des Gesetzes, und jeder, der an ihn glaubt, wird gerecht“ (Röm. 10:2-4).
Isoliert betrachtet würde der letzte Satz bedeuten, dass man allein durch den Glauben an Jesus Christus die Gerechtigkeit erlangt. Angesprochen sind aber die Juden, die durch formale Frömmigkeit den vom Gesetz angekündigten Messias (s. Dtn. 18:18) verkannt hatten. Einfache und im Herzen reine Menschen erkennen den Messias dagegen auf Anhieb und werden zu Jüngern (s. Joh. 1:41,47), sogar Nichtjuden werden gläubig (s. Joh. 4:25), während die im Gesetz Unterwiesenen zu Christi Widersachern werden (s. Joh. 9:28-29). Demzufolge besteht auch heute durch lediglich oberflächliche Annahme des Glaubens die Gefahr, die eigene Gerechtigkeit an Stelle von Gottes Gerechtigkeit zu setzen. Häresien, Schismen, Sekten etc. bis hin zum Unglauben haben ihren Ursprung in diesem Grundübel, das so alt ist wie die Menschheit selbst (s. Gen. 3:12-13).
Aus sorgloser Bequemlichkeit wird z.B. auch folgender Satz des Herrn oft aus dem Zusammenhang gerissen: „Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden“ (Mk. 16:16). Der Satz für sich allein genommen könnte gewiss zu der bequemen Sorglosigkeit verleiten, es genüge schon, getauft zu werden und oberflächlich an ein höheres Wesen zu glauben, um errettet zu werden (so „glauben“ wohl 99% der heutigen Getauften). Aus dem gesamten Zusammenhang wird aber deutlich, dass der unerschütterliche Glaube an die Auferstehung Christi und die uneingeschränkte Annahme des Evangeliums für das Heil maßgeblich sind (s. Mk. 16:14), was selbstverständlich mit entsprechender religiös und moralisch motivierter Lebensweise verbunden ist, da der Glaube durch entsprechende Zeichen der göttlichen Gaben bekundet werden soll (s. 16:17-18). Ein Glaube aber, der keine Veränderung der Seele herbeiführt, kann auch nicht gerecht machen.
Nun aber wieder zurück zum Begriff der „eigenen Gerechtigkeit“. Wie bereits kurz angedeutet, sträubten sich schon unsere Urahnen gegen die Gerechtigkeit Gottes, indem sie ihr frevelhaftes Handeln rechtfertigen bzw. die Verantwortung auf andere – sogar auf Gott Selbst – schieben wollten (s. Gen. 3:12-13). Wenn das eigene Versagen notorisch heruntergespielt wird, muss irgendjemand ja Schuld an der Misere sein. Feindbilder werden gesucht und gefunden, dann kommen verführerische Heilsbringer, aber das „einzig Notwendige“ (s. Lk. 10:42) wird missachtet. So schließen wir uns selbst vom Paradies aus, welches in der Gemeinschaft mit Christus in der Kirche besteht. Auch wenn im äußeren Erscheinungsbild der Kirche – insbesondere ihrer Repräsentanten – nicht alles „paradiesisch“ ist, sind es die von ihnen gespendeten Mysterien doch. Aber um das wirklich spirituell zu erfassen, fehlt den nur formalen Kirchengliedern der Glaube (s. Lk. 18:8), sonst wären unsere Kirchen so voll, dass wir allerorts neue Gotteshäuser errichten müssten. Die Muslime machen es uns gerade vor. Und, ehrlich gesagt, ist es mit unserer „praktizierten“ Glaubensnorm auch nicht zum Besten bestellt (vgl. Mk. 4:40; 11:22; Lk. 8:25). Immerhin aber kann derjenige, der seine Glaubensdefizite demütig erkennt und bekennt, auf Besserung hoffen (s. Lk. 17:5ff). Wer sein Scheitern im Glauben aber nicht realisiert, der sieht sich in der Konsequenz berufen, die Welt durch eigenen Antrieb retten zu wollen. Ob man da einem uniformierten Mann mit schwarzen Oberlippenbart oder einem Mädchen mit blonden Zöpfchen hinterherläuft ist in puncto Glauben beinahe belanglos, weil beide Wege – und darauf kommt es dem Widersacher im Wesentlichen ja an – Gott ausschließen bzw. an Ihm vorbeiführen (aber, natürlich, vom moralischen Aspekt unterscheiden sich diese beiden Modelle dann doch extrem voneinander).
Welche Rolle spielt denn dann der Einzelne bei der Errettung der Welt? Darf er als Akteur ein relevanter Faktor sein oder darf er sich bloß als unbedeutende Figur in einem gigantischen Schachspiel verstehen? - Auch wenn es paradox klingt – er ist beides. Wir sind doch einerseits nur „unnütze Sklaven“ (s. Lk. 17:5) vor dem Herrn, und ich „bin ein Wurm und kein Mensch“ (Ps. 21:7), sind ferner sämtliche Potentaten vor Gott bloß mickrige Rädchen im Getriebe (s. Ex. 9:14-18; vgl. Röm. 9:16-17; ebenso Dan. 4:16-34), doch andererseits ist jeder von uns mehr wert als die ganze Welt (s. Mt. 16:26; Mk. 8:36-37; Lk. 9:25). Im Moment sehen wir nur ein wüstes Wirrwarr (griech. chaos, hebr. tohu-wabohu – s. Gen. 1:2), aber am Ende aller Tage wird aus allen diesen mikroskopischen Teilchen „die Stadt mit festen Grundmauern, die Gott selbst geplant und gebaut hat“ (Hebr. 11:10). Diese riesengroße Baustelle wird einmal zu einem genialen Mosaik aus unzähligen bunten Steinchen zusammengefügt. Wir können uns dem vortrefflichen „Künstler“ entziehen, gegen Ihn aufbegehren und sogar sein Werk sabotieren – Er wird es trotzdem zu Ende führen. Warum aber sollten wir uns nicht als freiwillige Gehilfen (anstatt als willenlose Sklaven) an Seinem Meisterwerk beteiligen und entsprechend unseren Kapazitäten zu aktiven und kreativen Mitarbeitern in Gottes Bau werden (s. 1 Kor. 3:9,10-12)?! Dazu brauchen wir aber den Glauben daran, dass alles in Gottes Ackerfeld (s. 1 Kor. 3:9) seinen Zweck und seine Ordnung hat, dass nichts, was uns widerfährt, sinnlos ist, sondern alles nur zu dem einen Ziel führt: zu Christus, Der das Ende des Gesetzes ist. Dazu braucht es also einen Glauben, der uns „als lebendige Steine zu einem geistigen Haus“ werden lässt (1 Petr. 2:5). Amen.