Predigt zum 16. Herrentag nach Pfingsten (2 Kor. 6:1-10; Lk. 5:1-11) (06.10.2019)
Liebe Brüder und Schwestern,
die beiden Fischer Simon und Andreas hatten die ganze Nacht nichts gefangen, doch nachdem der Herr Jesus Christus von ihrem Boot aus zu den Menschen am Ufer gepredigt hatte, wies Er sie an, erneut auf den See hinauszufahren und ihre Netze auszuwerfen. Die Folge ihres Vertrauensbeweises war ein riesiger Fang, durch den sogar die Netze zu reißen drohten, worauf der überwältigte Simon Petrus dem Herrn zu Füßen fiel und Ihn bat, von ihm, einem Sünder, wegzugehen. Ähnlich reagierten auch die beiden anderen Brüder, die Söhne des Zebedäus. Der Herr verspricht ihnen aber, dass sie von nun an Menschenfischer werden sollen, worauf sie alles stehen und liegen lassen und Ihm nachfolgen.
Die Berufung der ersten Jünger, so „spektakulär“ sie von den Begleitumständen erscheinen mag, dient lediglich als Modell zur Berufung aller Menschen. Berufen ist bekanntermaßen jeder (s. Mt. 22:14), denn wir sind alle von Gott zum Heil vorbestimmt. Aber um auch gerecht gemacht und verherrlicht zu werden (s. Röm. 8:30), muss das Wort Gottes, wie im vorliegenden Fall, auf fruchtbaren Boden fallen (vgl. Mt. 13:8,23; Mk. 4:8,20; Lk. 8:8,15). Und selbst wenn sich die äußeren Umstände und die chronologische Abfolge der Berufung eines jeden von uns von Fall zu Fall z.T. erheblich voneinander unterscheiden, lässt sich doch jedes Mal ein allgemein gültiges Muster beobachten: Gott sieht das Potenzial im Herzen des Betreffenden, beruft den Menschen zu Seiner Nachfolge, lässt ihm sofort Seine spürbare Gnade angedeihen, doch dann, nach einer gewissen Zeit der unbeschwerten Freude will Gott, dass die zur Nachfolge Berufenen das Wort Gottes „nicht nur mit gutem und aufrichtigen Herzen hören“, sondern auch „durch ihre Ausdauer Frucht bringen“ (Lk. 8:15; vgl. 2 Kor. 6:4ff). So ergeht es neu Getauften, frisch Vermählten, zum monastischen oder priesterlichen Dienst Berufenen – nach einer Phase der schier ungetrübten Freude der Gemeinschaft mit Gott kommt die ernüchternde und langwierige Phase der äußeren und inneren Prüfungen. Der Apostel Paulus nimmt uns aber die Angst vor den Anfechtungen durch die Feinde Christi, denn er sagte ja, dass „wo die Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergroß geworden“ (Röm. 5:20b), und „jeder von uns empfing die Gnade in dem Maß, wie Christus sie ihm geschenkt hat“ (Eph. 4:7), damit wir einander zur gegenseitigen Erbauung dienen können. Welch ein Trost, welch ein Ansporn das doch ist! Gott versieht uns mit unglaublich vielen Gaben, aber zumeist nutzen die Menschen diese nicht zur Verherrlichung Dessen, Der ihnen diese Talente verliehen hat, sondern um sich selbst einen Namen zu machen, um Ruhm, Macht und Reichtum für sich zu erwerben. Umso schöner ist es dann aber, wenn jemand seine Kapazitäten ganz in den Dienst Gottes stellt und dadurch dem Urheber alles Guten die Ehre erweist (s. Ps. 113:9)! Nur so werden wir zu Mitarbeitern Gottes (s. 2 Kor. 6:1). Was aber erwartet diejenigen, welche sich in den Dienst Gottes stellen? Wir sehen, dass die Ankündigungen der Drangsal immer auch mit großen Verheißungen einhergehen bzw. umgekehrt (vgl. Apg. 9:15-16) - so auch in der heutigen Lesung aus dem zweiten Korintherbrief, die durch ihre Aussagekraft aktueller und authentischer nicht sein könnte: „Als Mitarbeiter Gottes ermahnen wir euch, dass ihr Seine Gnade nicht vergebens empfangt. Denn es heißt: ´Zur Zeit der Gnade erhöre Ich dich, am Tag der Rettung helfe Ich dir` (Jes. 49:8). Jetzt ist sie da, die Zeit der Gnade; jetzt ist er da, der Tag der Rettung. Niemand geben wir auch nur den geringsten Anstoß, damit unser Dienst nicht getadelt werden kann. In allem erweisen wir uns als Gottes Diener: durch große Standhaftigkeit, in Bedrängnis,in Not, in Angst, unter Schlägen, in Gefängnissen, in Zeiten der Unruhe, unter der Last der Arbeit, in durchwachten Nächten, durch Fasten, durch lautere Gesinnung, durch Erkenntnis, durch Langmut, durch Güte, durch den Heiligen Geist, durch ungeheuchelte Liebe, durch das Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit in der Rechten und in der Linken, bei Ehrung und Schmähung, bei übler Nachrede und bei Lob. Wir gelten als Betrüger und sind doch wahrhaftig; wir werden verkannt und doch anerkannt; wir sind wie Sterbende, und seht: wir leben; wir werden gezüchtigt und doch nicht getötet; uns wird Leid zugefügt, und doch sind wir jederzeit fröhlich; wir sind arm und machen doch viele reich; wir haben nichts und haben doch alles“ (2 Kor. 6:1-10).
Welche „Alternativen“ gibt es zum Weg der Gnade Gottes, in deren Erlangung der heilige Seraphim (+1833) den Sinn des geistlichen Lebens sah? - Streben nach Glück, Reichtum, Macht, Erfolg, Ruhm? Aber wenn das ohne Gott, ohne Seine Gnade, ohne die Ausrichtung auf das Himmelreich geschieht, ist das alles nur Windhauch (s. Koh. 1:2-3). Um aber mit Gott zu sein, müssen wir in der Nachfolge Christi unser Kreuz auf uns nehmen, wie vor genau einer Woche zum Herrentag nach Kreuzerhöhung in der Kirche verkündet wurde. Der Kreuzweg Christi besteht zwar in der Selbstverleugnung (s. Mk. 8:34; vgl. Mt. 16:24 und Lk. 9:23), nicht aber in der Selbstzerfleischung. Die sündhaften Leidenschaften werden ans Kreuz genagelt (s. Gal. 5:24; 6:14). Wenn ich z.B. den Hass gegen die mich ständig bedrängenden, kränkenden, betrügenden und ärgernden Menschen konsequent und beharrlich bekämpfe,wachse ich in der Liebe Christi – und für dieses Ziel darf mir keine Anstrengung zu groß sein. Dann erfülle ich meine Bestimmung (bzw. Berufung), die in der Befolgung nur eines Doppelgebots besteht: der Liebe zu Gott und den Menschen. Ohne Gottes allmächtige Hilfe und ohne Seine allweise Vorsehung kann ich die Möglichkeiten, die mir gegeben sind, nicht ausschöpfen. Doch „jetzt ist sie da, die Zeit der Gnade; jetzt ist er da, der Tag der Rettung“. Amen