Predigt zum 18. Herrentag nach Pfingsten (2 Kor 9:6-11; Lk. 7:11-16) (20.10.2019)
Liebe Brüder und Schwestern,
den historischen Hintergrund der heutigen Epistellesung bildet das von den Aposteln initiierte Hilfswerk der reichen Korinther zugunsten der notleidenden Gemeinde in Jerusalem, das „als großzügige Spende, nicht als Gabe des Geizes“ (2 Kor. 9:5) angesehen werden sollte. Anhand dieses Beispiels der praktizierten Nächstenliebe erkennen wir lehrreiche Ansätze zur Festigung einer christlichen Grundhaltung im Herzen: „Wer kärglich sät, wird auch kärglich ernten; wer reichlich sät, wird reichlich ernten. Jeder gebe, wie er es sich in seinem Herzen vorgenommen hat, nicht verdrossen und nicht unter Zwang; denn Gott liebt einen fröhlichen Geber. In Seiner Macht kann Gott alle Gaben über euch ausschütten, so dass euch allezeit in allem alles Nötige ausreichend zur Verfügung steht und ihr noch genug habt, um allen Gutes zu tun, wie es in der Schrift heißt: ´Reichlich gibt Er den Armen; Seine Gerechtigkeit hat Bestand für immer` (Ps. 111:9). Gott, Der Samen für die Aussaat und Brot zur Nahrung gibt, wird auch euch das Saatgut geben und die Saat aufgehen lassen; Er wird die Früchte eurer Gerechtigkeit wachsen lassen. In allem werdet ihr reich genug sein, um selbstlos schenken zu können; und wenn wir diese Gabe überbringen, wird die Dank an Gott hervorrufen“ (2 Kor. 9:6-11).
Wir sehen: Nächstenliebe kommt nicht einfach so. Man muss zur tätigen Liebe erzogen werden, damit diese in uns wachsen kann. Schon in diesem Leben wird der herzensgute Mensch belohnt: „Mancher teilt aus und bekommt immer mehr, ein anderer kargt übers Maß und wird doch ärmer. Wer wohltätig ist, wird reich gesättigt, wer andere labt, wird selbst gelabt. Wer Getreide zurückhält, den verwünschen die Leute, wer Korn auf den Markt bringt, auf dessen Haupt kommt Segen. Wer Gutes erstrebt, sucht das Gefallen Gottes; wer nach dem Bösen trachtet, den trifft es. Wer auf seinen Reichtum vertraut, der fällt, die Gerechten aber sprossen wie grünes Laub“ (Spr. 11:24-28; vgl. Ps. 36:25-26). Eine genötigte Wohltat ist moralisch wertlos und hat vor Gott keinen Bestand. Zudem sind Berechnung und Vorteilsdenken bei Werken der Liebe völlig fehl am Platz. Die einzige Motivation soll die Liebe zu Gott sein, und die einzige Belohnung – Gottes reziproke Liebe. Die wiederum ist das größte Gut schlechthin. Denn was könnte ich mir, nach Prüfung meines Herzens und eines Verstandes, ausgehend aus meinem ganzen Glauben denn schöneres vorstellen, als vom Schöpfer aller Zeiten, dem Beherrscher des Weltalls und dem ewigen König des Himmelreichs geliebt zu werden?!.. Gott liebt ja im absoluten Sinne alle Seine Geschöpfe – also auch weniger fröhliche Geber und Geizhälse, denn Er ist „gütig gegen die Undankbaren und Bösen“ Lk. 6:35; vgl. Mt. 5:45); jedoch um von Gott zurecht geliebt zu werden, muss man schon Sein Gefallen suchen, d.h. Seine Gebote befolgen, sich Seinem Willen unterordnen und Ihm in Seiner Barmherzigkeit nacheifern. Er gibt jedem, - auch dem letzten Geizkragen, - die Chance, sich die Liebe seines Herrn durch zumutbare Opferbereitschaft zu verdienen. Maßstab für die Zumutbarkeit ist aus meiner Sicht die Bereitschaft, dieselben Mittel, die man sich gerne aus dem Hang zur Annehmlichkeit (Luxusartikel, teure Hobbys) oder aus Eitelkeit (Kosmetik, teure Kleidung) gönnt, für Notleidende und Bedürftige aufzubringen. Sich aus Hilfsbereitschaft in wirklich lebensnotwendigen Dingen einzuschränken – dieses Opfer erwartet Gott im alltäglichen Leben nicht. Wenn aber die allgemeine Not groß ist, erwartet Gott, dass der Vermögende seine Kornkammern öffnet bzw. jeder seinen Teil zur Linderung der Not beiträgt. Diese Früchte der Gerechtigkeit wird Gott dann vermehren – und das bedeutet, dass Gott einen fröhlichen Geber lieb hat. Gott verfügt über die Mittel, alles Selbst zu ordnen und zu regeln. Schließlich hat Gott aus der anfangs wüsten und wirren Erde (griech. chaos; s. Gen. 1:2) alles „sehr gut“ (griech. kosmos; Gen. 1:31) gemacht. Er könnte in Seiner Allmacht jederzeit auch unser selbstverschuldetes Chaos in einen Kosmos verwandeln, jedoch will der Herr stattdessen, dass wir uns an diesem Seinem Werk beteiligen und zu Seinen Mitarbeitern (s. 2 Kor. 6:1) werden. Die uns anvertraute Welt war schon von ihrem Urzustand her „sehr gut“, was zwar der (menschlichen) Bestnote entspricht, Gottes finalen Ansprüchen aber nicht genügt und reichlich Optimierungsbedarf hat. Doch nach dem Sündenfall haben wir alle gemeinsam den geistlichen, moralischen, sozialen, ökologischen und ökonomischen Zustand der Welt zu verantworten.
Mit Gottes Hilfe kann es gelingen, dass der ursprüngliche Zustand verbessert und sogar noch weiter perfektioniert wird (s. Jes. 11:1-11). Gleichwohl muss dieser Idealzustand erst in den Seelen der Menschen Gestalt annehmen (s. Lk. 17:21) mittels der reichlich ausgeteilten Gnade der Mysterien der Kirche.
Ohne Gottes Hilfe werden selbst ausgeklügelte sozialpolitische Systeme, epochale zivilisatorische Errungenschaften und atemberaubender technischer Progress nur das Leid vermehren, anstatt es zu mindern, „denn getrennt von Mir könnt ihr nichts vollbringen“ (Joh. 15:5b). Nichts spricht also gegen eine weitere Modernisierung der Gesellschaft oder gegen technischen Fortschritt an sich, nur soll das im Einklang mit Gottes Willen geschehen, damit es nicht Seinen gerechten Zorn hervorruft (s. Gen. 11:1-9). Im Einklang mit Gottes Willen werden wir gewiss „in allem reich genug sein, um selbstlos schenken zu können“. „In allem“ - bedeutet: geistlich, geistig und materiell. Und am Ende wird all das zweifellos den „Dank an Gott hervorrufen“, denn es heißt: „Tut alles zur Verherrlichung Gottes!“ (1 Kor. 10:31b). Vereint mit Gott waren viele Heilige arm und machten doch viele reich, hatten nichts und hatten doch alles (s. 2 Kor. 6:10). Auch wir können das – mit Gottes Hilfe! Amen.