Predigt zum 5. Herrentag nach Ostern / von der Samariterin (Apg. 11: 19-26, 29-30; Joh. 4: 5-42) (17.05.2020)
Liebe Brüder und Schwestern,
im Mittelpunkt unserer heutigen Lesungen steht das missionarische Wirken. In der Apostelgeschichte lesen wir, dass die Frohe Botschaft neben den Beschnittenen nun erstmals auch unter den Heiden verkündet werden konnte. Die Gemeinde von Jerusalem entsandte Barnabas, einen trefflichen Mann, „erfüllt vom Heiligen Geist und von Glauben“ (s. Apg. 11:23) nach Antiochia, um dort das Wort zu verkünden. „So wurde für den Herrn eine beträchtliche Zahl hinzugewonnen“ (11:24). Doch Barnabas ging von da nach Tarsus, um von dort mit Paulus zurückzukommen. „Dort wirkten sie miteinander ein volles Jahr in der Gemeinde und unterrichteten eine große Zahl von Menschen. In Antiochia nannte man die Jünger zum ersten Mal Christen“ (11:27).
In der Lesung aus dem Johannesevangelium begegnen wir heute einer Samariterin, durch die der Herr am Jakobs-Brunnen, dem Ort, an dem Jakob seine geliebte Frau Rahel kennenlernte (s. Gen. 29:1-14f), stellvertretend um Seine „Braut“ – die Kirche – wirbt. Er bietet ihr als „Brautgabe“ das lebendige Wasser an, das in uns allen zur sprudelnden Quelle werden wird, „deren Wasser ewiges Leben schenkt“ (s. Joh. 4:10,14). Die Rede ist natürlich vom Heiligen Geist, wie wir Ihn am Beispiel des Apostels Barnabas (s.o.) erlebt haben. Der Herr deutet im Gespräch mit der Samariterin die Gründung der Kirche für alle Nationen durch die Niedersendung des Heiligen Geistes an: „Glaube Mir, Frau, die Stunde kommt, zu der ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. Ihr betet an, was ihr nicht kennt, wir beten an, was wir kennen: denn das Heil kommt von den Juden. Aber die Stunde kommt, und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn so will der Vater angebetet werden. Gott ist Geist, und alle, die Ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten“ (Joh. 4:21-24).
Was aber bedeutet „wir beten an, was wir kennen“ bzw. Gott „im Geist und in der Wahrheit anbeten“? - Am Beispiel des Apostels Barnabas erkennen wir, dass die Gabe des Heiligen Geistes in ihm aufgrund seines Glaubens wirksam werden konnte. Der Mensch muss also diese Voraussetzung mitbringen, um von der Gnade des Heiligen Geistes erfüllt zu werden. Sein ganzes Leben soll von dem Bestreben gekennzeichnet sein, durch Werke des Glaubens diese Gnade in sich zu vermehren. Das ist es, was unter Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit zu verstehen ist! Keine Spur von „Gott im Herzen haben“, wie es manche gerne uminterpretieren möchten. Es ist hier auch keinesfalls die Rede davon, dass man zur Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit keinen Gottesdienstraum oder keinen Gebetsversammlungen benötigt, wie vielleicht die ganz Schlauen vermuten werden. Die ersten Christen verharrten nach der Gründung der Kirche einmütig im Tempel Gottes in Jerusalem (s. Apg. 2:46; vgl. 3:1), hielten gottesdienstliche Versammlungen in Privathäusern (s. Röm. 16:5; 1 Kor. 16:19; Kol. 4:15) und an anderen Orten ab (s. Apg. 16:16). Als dann die Christenverfolgungen begannen, betete man in Katakomben. Und erst als die Kirche A.D. 313 die Freiheit erlangte, wurden spezielle Gotteshäuser errichtet. Beten oder Gott dienen konnte und kann man in der Tat zu jeder Zeit und an jedem Ort (vgl. 1 Kor. 10:31 und 2 Thess. 5:17). Aber in einer Diskothek, einem Fußballstadion oder einem Schlachthof betet es sich eben nicht so gut wie in einem kunstvoll ausgestalteten Raum, in dem die Sinne bewusst auf gnadenvolle Weise auf die Schönheit des künftigen Himmelreichs ausgerichtet werden. Besonders wir, die wir durch moderne Medien einer immensen Reizflut ausgesetzt sind und durch die täglichen Sorgen erdrückt werden, müssten uns doch nach so einer Gelegenheit sehnen.
Zur wahren Anbetung müssen wir aber auch wissen, was wir anbeten (vgl. Joh. 4:22). Das Heil kommt von den Juden im Sinne von Röm. 2:28-29 (vgl. 9:6) zu denen auch wir gehören wollen. Unsere Erlösung wurde durch die reine Geburt aus einer unbefleckten jüdischen Jungfrau ermöglicht, in der Taufe Christi wurde der Schuldschein unserer Versündigungen zerrissen, in Seinem Leiden die Strafe für unsere Untreue gesühnt, durch Seinen Tod die Macht des Todes zerstört, in der Himmelfahrt des Herrn für uns das Tor zum himmlischen Paradies wiedereröffnet und in der Sendung des Heiligen Geistes das Reich Gottes auf Erden gegründet – all das geschah unter historisch-kulturellen Rahmenbedingungen eines konkreten Volkes. Dieses Volk sollte den Bund mit Gott bewahren und „unter allen Völkern Sein besonderes Eigentum (…) als ein Reich von Priestern und als ein heiliges Volk“ sein (s. Ex. 19:5-6; vgl. Dtn. 14:2). Es erhielt diese Gabe jedoch nicht, um sie für alle Zeiten für sich zu bewahren, sondern um diese zu gegebener Zeit auf andere Nationen auszuweiten: „Das Volk, das Ich Mir erschaffen habe, wird Meinen Ruhm verkünden“ (Jes. 43:21). In Jesus Christus sollen nämlich alle Völker zu Königen und Priestern werden (s. 1 Petr. 2:5; Offb. 1:6; 5:10; 20:6). Heute erleben wir den Anfang, denn in unserem vorliegenden Fall wird nicht nur eine Frau bekehrt, die zuvor nach eigenen Moralvorstellungen (s. Joh. 4:18) lebte, sondern eine ganze Stadt findet zum Glauben an Jesus Christus. Dies war gewissermaßen vorab die Grundsteinlegung für die am fünfzigsten Tag nach der Auferstehung des Herrn zu errichtende Kirche, in der es „nicht mehr Griechen oder Juden, Beschnittene oder Unbeschnittene, Fremde, Skythen, Sklaven oder Freie gibt, sondern Christus ist alles und in allen“ (Kol. 3:11). Es ist der Glaube an Jesus Christus, der uns nun alle zu Königen macht! Doch dazu müssen wir jetzt durch Wort und Tat sowie durch eine entsprechende Lebensweise erkennen und bekennen: „Er ist wirklich der Retter der Welt“ (Joh. 4:42c). Amen.