Predigt zum 1. Herrentag nach Pfingsten / Gedächtnis aller Heiligen (Hebr. 11:33 – 12:2; Mt. 10:32-33,37-38; 19:27-30) (14.06.2020)
Liebe Brüder und Schwestern,
am ersten Herrentag nach Pfingsten begehen wir das Gedächtnis aller Heiligen der Kirche, womit betont werden soll, dass alle Menschen von Gott berufen sind, nach Heiligkeit zu streben. Durch Gnade gerettet zu werden (s. Röm. 3:24; Eph. 2:5-10; 2 Tim. 1:9; Tit. 3:7) bedeutet ja nicht völlig teilnahmslos Gottes Wirken über sich ergehen zu lassen, sondern in einem Leben nach den Geboten fortzuschreiten und dadurch die Güte und Menschenleibe Gottes, unseres Retters, die uns „durch das Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung im Heiligen Geist“ (s. Tit. 3:5) – also vermittels Taufe und Myronsalbung – geschenkt wurde, in unseren Herzen wirksam werden zu lassen. Es ist Gott, Der wirkt, aber Er tut es nicht ohne den Menschen (vgl. Lk. 1:38). Gott will doch, „dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ (1 Tim. 2:4; vgl. Joh. 3:15), Seit der Gründung der Kirche ist der Leib jedes einzelnen ihrer Mitglieder ein „Tempel des Heiligen Geistes“ (s. 1 Kor. 6:19), worauf sich nun für uns die Aufgabe ergibt, Gott in unserem Leib zu verherrlichen (s. 6:20; vgl. Phil. 1:20), „denn wie die Sünde herrschte und zum Tod führte, so soll auch die Gnade herrschen und durch Gerechtigkeit zum ewigen Leben führen, durch Jesus Christus, unseren Herrn“ (Röm. 5:21). Aber es reicht eben nicht, die Gnade ein Mal empfangen zu haben und weiter nichts aus ihr zu machen: „Auch ihr standet Ihm einst fremd und feindlich gegenüber; denn euer Sinn trieb euch zu bösen Taten. Jetzt aber hat Er euch durch den Tod Seines sterblichen Leibes versöhnt, um euch heilig, untadelig und schuldlos vor Sich treten zu lassen. Doch müsst ihr unerschütterlich und unbeugsam am Glauben festhalten und dürft euch nicht von der Hoffnung abbringen lassen, die euch das Evangelium schenkt“ (Kol. 2:21-23a). Wie glücklich wir uns schätzen dürfen, solch leuchtende Anschauungsbeispiele in Gestalt der vielen, vielen Heiligen zu haben, die dem Evangelium gedient haben (s. 2:23b) und deren Gedächtnis wir heute ehren! Sie sind unsere Wegweiser auf dem Weg zur Erlangung der himmlischen Gnade, die in uns herrschen und durch Gerechtigkeit zum ewigen Leben führen soll.
Dazu ist uns dieses irdische Leben geschenkt worden. Die Zeitspanne dieses irdischen Lebens ist aber für jeden Einzelnen individuell festgelegt. Vorrangiges Ziel muss sein, nicht irgendwelche Pläne zu verwirklichen oder einfach nur „Gutes zu tun“ (das aber selbstverständlich auch), sondern primär sich in seinem Innenleben und in allen Unternehmungen als Söhne Gottes vom Geist Gottes leiten zu lassen (s. Röm. 8:14). Wäre ich, beispielsweise, ein genialer Wissenschaftler, der einen Impfstoff oder ein Medikament gegen das Corona-Virus entwickeln könnte, würde ich auf alle Fälle vor der Entwicklung des Wirkstoffes und vor allem vor der Marktreife zu Gott beten, dass Sein Wille geschehe. Wenn in Gottes Vorsehung soundso viele Menschen sterben müssen, dann ist es Sein Wille (s. Mt. 6:10). Sterben müssen wir alle sowieso (s. Sir. 41:3-4), doch wann, wo und wie – das liegt allein in der Hand Gottes. Erinnern wir uns an das Gebet unseres Herrn im Garten Gethsemane: „(…) Nicht wie Ich will, sondern wie Du willst“ (s. Mt. 26:39b; vgl. Mk. 14:36b; Lk. 22:42b). Gottes Wille ist vollkommen, der menschliche Wille hingegen unvollkommen. Gott lässt das Böse gewähren, denn wo „die Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergroß geworden. Denn wie die Sünde herrschte und zum Tod führte, so soll auch die Gnade herrschen und durch Gerechtigkeit zu ewigem Leben führen, durch Jesus Christus, unseren Herrn“ (Röm. 5:20b-21). Er Selbst ertrug ja Selbst unvorstellbare Ungerechtigkeit und unaussprechliches Leid, verursacht von Seinen Geschöpfen, doch dadurch befreite Er uns aus den Fängen des Todes – und Seinen Propheten offenbarte Er dieses Geheimnis im voraus (s. 1 Petr. 1:11)! Will der Herr, dass wir Ihm durch das bereitwillige Erdulden von Leid und Ungerechtigkeit in diesem Leben nacheifern, dann geschehe Sein heiliger Wille (s. 1 Petr. 4:12-19)! Was Gott jedoch definitiv nicht will, ist der Tod der Seele von uns Sündern (s. Joh. 3:16-17; 1 Tim. 2:4), der „zweite Tod“ (s. Offb. 20:6; 21:8). Seien wir aber auf der Hut, denn der „zweite Tod“ kann schon vor dem „ersten“ eintreten (s. Mt. 8:22; Lk. 9:60).
Unsere Heiligen zeigen uns deshalb, wie wir nach Gottes Willen handeln und leben können. Wir sind keine Asketen und Wundertäter, aber wir können uns nach Kräften bemühen, allen zu vergeben, niemanden zu richten, unsere eigenen Sünden zu sehen etc. etc. etc. – kurz, in der Gnade Gottes zu wachsen (s. 2 Petr. 3:18; Röm. 6:1), durch sie gefestigt zu werden (s. 1 Petr. 5:10; 2 Tim. 2:1; Hebr. 13:9), in ihr zu dienen (s. 1 Petr. 4:10; Eph. 3:7), um schließlich durch sie gerettet zu werden (s. 2 Tim. 1:9) – so wie es die Heiligen vorgemacht haben.
Der heilige Varlaam von Khutyn´ (+ 1192) war so ein Vollender des göttlichen Willens, – und nicht „Sklave von Menschen“ (s. 1 Kor. 7:23), also kein Erfüllungsgehilfe des menschlichen Willens. Einem zurecht verurteilten Verbrecher rettete er durch seine einschreitende Fürsprache das Leben und gab ihm unter seiner Obhut die Möglichkeit zur Umkehr; einen unschuldig Verurteilten bewahrte er hingegen nicht vor dem ungerechten Tod. Der heilige Paisios (+ 1991) wusste genau, dass im Juli 1974 die Türken mit ihrer Invasion auf Zypern begannen, doch er warnte seine Glaubensbrüder nicht vor der Bedrohung, weil er wusste, dass alles gemäß Gottes Willen geschah. „Unmenschlich, gottlos!“, werden die irdisch Gesinnten (s. 1 Kor. 2:14) sagen.
Gott will nicht, dass Menschen leiden. Er will aber, dass wir vor allem Ihm vertrauen und unsere ganze Hoffnung auf Ihn setzen. Unser Herr ließ doch die Jünger allein auf den See fahren, obwohl Er wusste, dass ein Sturm aufzieht (s. Mt. 14:22-33; Mk. 6:45-52 /hierbei insbesondere 47-48/; Joh. 6:15-21); ein anderes Mal war Er mit Ihnen im Boot und schlief seelenruhig inmitten des Sturms (s. Mt. 8:23-27, Mk. 4:35-41; Lk. 8:22-25). Er ließ sie in diese Notlagen geraten, um sie im Glauben zu stärken! Auch wir müssen langsam lernen, dass es uns nicht darum gehen soll, uns möglichst sorglos und komfortabel in dieser Welt einzurichten (s. Lk. 12:19f), sondern uns auf Gottes Wege, die ins Himmelreich führen, zu begeben. Hören wir also endlich auf, kleingläubig und ängstlich zu sein! Die Heiligen, die vor uns auf dieser Erde lebten, hatten permanent Krisenzeiten durchzustehen. Ihnen ging es aber nie um irdische Besitzstandswahrung, sondern um das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit (s. Mt. 6:32-33). Und wer soll diese Gerechtigkeit auf Erden verwirklichen, wenn nicht wir, die Christen? Das ist doch gerade unsere Aufgabe! Nur so bilden wir mit unseren Vorbildern – den von uns verehrten Heiligen – einen Leib in Christus (s. 1 Kor. 12:12-21) und können somit selbst „heilig“ werden (s. Lk. 1:74-75; Röm. 6:22; Eph. 4:24; 1 Thess. 4:7; 1 Tim. 2:15; Hebr. 12:10,14). Diese Heiligung ist im Hinblick auf das Seelenheil alternativlos. Das ist geistliches Leben, das ist Spiritualität! Wonach aber konkret wollen wir streben? - Hier die konkrete Antwort: „Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung; dem allem widerspricht das Gesetz nicht. Alle, die zu Christus Jesus gehören, haben das Fleisch und damit ihre Leidenschaften und Begierden gekreuzigt. Wenn wir aus dem Geist leben, dann wollen wir dem Geist auch folgen“ (Gal. 5:22-25).
Es gibt sehr viele Heilige – bekannte, weniger bekannte und unbekannte. An wen wollen wir uns halten? - Wir alle haben doch eine(n) Namenspatron(in), dem (der) wir nacheifern können, zu dem (der) wir täglich beten können und den (die) wir als himmlische(n) Fürsprecher(in) vor Gottes Thron haben. Sie ekeln sich nicht davor, unsere Fürbitten anzunehmen und an den Herrn weiterzuleiten, wenn diese im Geiste der Demut und Zerknirschung des Herzens (s. Ps. 50:19) vorgetragen werden. Wir werden aus eigener Erfahrung erkennen, dass Heilige „lebendig“ sind (s. Mt. 22:32; Mk. 12:27; Lk. 20:38). Wir gehören alle zum lebendigen Leib Christi! „(…) Gerade die schwächer scheinenden Glieder des Leibes sind unentbehrlich. Denen, die wir für weniger edel ansehen, erweisen wir umso mehr Ehre, und unseren weniger anständigen Gliedern begegnen wir mit mehr Anstand, während die anständigen das nicht nötig haben, Gott aber hat den Leib so zusammengefügt, dass Er dem geringsten Glied mehr Ehre zukommen ließ, damit im Leib kein Zwiespalt entstehe, sondern alle Glieder einträchtig füreinander sorgen. Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit; wenn ein Glied geehrt wird, freuen sich alle anderen mit ihm. Ihr aber seid der Leib Christi, und jeder einzelne ist ein Glied an ihm“ (1 Kor. 12:22-27). Welch ein unglaubliches Glück es doch ist, in diese himmlische Solidargemeinschaft eintreten und zu ihr gehören zu dürfen! Nur müssen wir schon auf Erden den genannten Idealen entsprechen können. Dazu erbitten wir heute die Gebete aller Heiligen, die in Christus verherrlicht sind. Amen.