Predigt zum 3. Herrentag der Großen Fastenzeit / Kreuzverehrung (Hebr. 4:14-5:6; Mk. 8:34-9:1) (04.04.2021)
Liebe Brüder und Schwestern,
am Mittelpunkt unserer alljährlichen geistlichen Pilgerfahrt angelangt, fallen wir heute vor dem Kreuz Christi nieder. Dieses liegt mit Blumen geschmückt mitten in der Kirche und erinnert uns sowohl an die Leiden Christi als auch an Seine Auferstehung. Mein Dozent am Priesterseminar, Erzpriester Moissey Tarassevitch (+ 1996), pflegte zu sagen: „Wo Golgatha ist, dort ist auch die Auferstehung“. Wer einmal in Jerusalem in der Grabeskirche war, der kann dies bestätigen: Tod, Begräbnis und Auferstehung Christi ereigneten sich auf engstem Raum, auf einer Gesamtfläche von wenigen hundert Quadratmetern, die heute allesamt unter der Kuppel der Grabeskirche vereint sind. Und als ich im Frühjahr 1993 als Pilger im damals noch nicht einmal im Wiederaufbau befindlichen Kloster „Neues Jerusalem“ in Istra bei Moskau war, begegnete ich einem heiligen Mann, Archimandrit Innokentij (Prosvirnin, + 1993), der kurz darauf von Banditen zusammengeschlagen wurde und später seinen Verletzungen erlag. Er lebte damals als einsamer Mönch in dem riesigen, von Patriarch Nikon (+ 1681) errichteten und der Grabeskirche in Jerusalem nachempfundenen Klosterkomplex. Vater Innokentij strahlte eine Liebe und Freundlichkeit aus, wie ich sie zuvor noch nie gesehen hatte. Auch meine Mitpilger erkannten dies. Er schrieb mir damals zum Abschied als Widmung in einen Kirchenkalender: „Mihail – Gottes Segen für einen über Golgatha führenden Weg zum Heil“ („Михаилу Божие благословение на голгофский путь спасения“). Als ich mich später über Vater Innokentij belesen hatte, erfuhr ich, dass er diese Worte jedem als seine Lebensmaxime ins Stammbuch schrieb. Ich empfand große Freude beim Verinnerlichen dieser Worte.
Es gibt für uns Christen in der Tat keinen anderen Weg des Heils als den der Nachfolge Christi: „Wer Mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge Mir nach“ (Mk. 8:34). Diese Selbstverleugnung bedeutet doch nichts anderes, als dass wir uns entschließen, „nichts zu wissen außer Jesus Christus, und zwar als den Gekreuzigten“ (1 Kor. 2:2) – nicht als Nothelfer, zu Dem wir immer dann erst eilen, wenn der Dachstuhl schon in Flammen steht, sondern zuvörderst als Den um unserer Errettung willen Gekreuzigten! „Sich selbst verleugnen“ bedeutet also nichts anderes, als dass wir uns mit Christus kreuzigen lassen und nicht mehr für uns selbst leben, sondern Christus in uns leben lassen (s. Gal. 2:19-20). Wir leben also in Christus, durch Christus, mit Christus, für Christus. Wollen wir Seine Jünger sein, ja oder nein?!.. Wer will, der zögere nicht, wenn der Herr ihn beruft. Gezwungen wird niemand. Doch kaum einer, der dem Ruf des Herrn gefolgt ist, hat es je bereut, alles stehen und liegen gelassen (s. Mt. 4:18-22; 9:9; Mk. 1:16-20; 2:14; Lk. 5:10-11,27-28) und sich dem Herrn angeschlossen zu haben. Bereuen werden es nur die, welche es nicht um des Kreuzes Christi willen getan haben, sondern dabei andere Ziele verfolgten (s. Mt. 8:19-20; Lk. 9:57-58).
Ein Prüfstein für die Ernsthaftigkeit unserer Absicht ist die Große Fastenzeit bzw. die Art und Weise, wie wir diese verbringen: fasten wir mit Freude und sehnen wir die Große Woche der Leiden Christi herbei oder denken wir die ganze Zeit nur daran, wann diese unendlich lange und öde Zeit endlich vorbei ist und wir wieder „normal leben“ können?!.. Oder fasten wir überhaupt gar nicht, da wir ja an Gott „im Herzen“ glauben und „im Herzen“ unser Kreuz tragen...
Apropos Glauben. Glauben hat auch was mit Vertrauen zu tun: wir glauben nicht nur an Christus, sondern wir glauben auch Christus (im Dativ = wir glauben Ihm). Wer Christus nachfolgt, der zeigt dadurch, dass er an Ihn glaubt, insbesondere dadurch, dass er sein Schicksal in die Hand Dessen legt, Der ihn berufen hat. Christus Selbst wurde ja als „Priester auf ewig nach der Ordnung des Melchisedek“ (Hebr. 5:6; Ps. 109:4) berufen (s. Hebr. 5:4-5), hat also nicht in Seinem eigenen Namen gehandelt (s. Joh. 3:27), sondern im Namen Dessen, Der Ihn gesandt hat – des Vaters (s. Mt. 10:40; 15:24; Mk. 9:37; Lk. 4:43; 9:48; Joh. 3:34; 4:34; 5:23-24,30,36-38; 6:29,38-40,44; 7:16,18,28-29; 8:16,18,26-29,42; 9:4; 10:36; 11:42; 12:44-45,49; 13:20; 14:24; 15:21; 16:5; 17:3,8,18,21,23,25; Apg. 3:20-26). Können wir also noch zweifeln, dass uns der Weg des unerschütterlichen Gottvertrauens zum Heil führen wird?!..
Es gibt für uns Christen keinen anderen Weg als den des Kreuztragens. Und wer sich die Worte des Herrn über die ungezwungene, bereitwillige Teilhabe an den Leiden Christi aneignet, der wird dabei wahrhaft überirdische Freude verspüren (s. Joh. 16:20-22). Es geht uns im Alltag nicht darum, irgendwelche Großtaten zu vollbringen, sondern darum, die uns herabgesandten unvermeidlichen Prüfungen dankbar, mit Freude, Ausdauer und Geduld zu ertragen. Das ist der Weg der Nachfolge Christi! - „Nicht mein Wille geschehe, sondern Dein Wille!“ (vgl. Mt. 6:10). Was für eine Menge an glaubhaften Zeugnissen wir doch in den unzähligen Werken der heiligen Väter haben, im Martyrologion, in den Heiligenviten und sogar in lebenden Zeugen, wie es für mich 1993 Archimandrit Innokentj gewesen ist, dem man die Freude des freiwilligen Kreuztragens buchstäblich ansah. „Was ergibt sich nun, wenn wir das alles bedenken? Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns? Er hat Seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern Ihn für uns alle hingegeben – wie sollte Er uns mit Ihm nicht alles schenken? Wer kann die Auserwählten Gottes anklagen? Gott ist es, Der gerecht macht. Wer kann sie verurteilen? Christus Jesus, Der gestorben ist, mehr noch: Der auferweckt worden ist, sitzt zur Rechten Gottes und tritt für uns ein. Was kann uns scheiden von der Liebe Gottes?“ (Röm. 8:31-25a). - Denn das Kreuz Christi öffnet uns den Himmel auf Erden. Amen.
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2021
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