Predigt zum 19. Herrentag nach Pfingsten (2 Kor. 11:31-12:9; Lk. 8:5-15) (31.10.2021)
Liebe Brüder und Schwestern,
das Gleichnis vom Sämann. Jeder kennt es. Aber was geschieht danach, nachdem es der Herr erzählt hat? In der Parallelstelle bei Matthäus zeigen sich die Jünger besorgt um das Volk und fragen den Herrn, weshalb Er den Leuten die Wahrheit in Gleichnissen verkündet (s. Mt. 13:10), ihnen, den Jüngern, die darin enthaltenen rätselhaften Bilder aber entschlüsselt. Es spricht für die Reinheit der Herzen der Jünger Christi, dass sie das Wohl ihrer Mitmenschen nicht unberührt lässt. Jedem dürfte klar sein, wovon das Gleichnis handelt, zumal es der Herr kurze Zeit später Seinen Jüngern deutet. Das Gleichnis drückt vier verschiedene, uns allzu gut bekannte Modelle der Reaktion auf die Verkündigung von Gottes Wort aus. Jedoch sind damit nicht nur vier Gruppen von Menschen gemeint, sondern genauso gut jeder Einzelne im Ganzen: Auch ich bin manchmal aus übler Nachlässigkeit nicht empfänglich für das Gute, das mir Gott schickt, ein anderes Mal nehme ich es zwar mit Freuden auf, fasse sogleich den Entschluss, danach zu handeln – und erliege dann meiner notorischen Antriebslosigkeit; wieder ein anderes Mal packe ich es anfänglich ernsthaft an, ändere auch meine Gewohnheiten, aber die Lebensumstände sind letztlich stärker als mein Glaube an Gottes jederzeitige gnädige Hilfe, so dass die in mir vorhandenen guten Vorsätze vom Alltagsgeschehen um mich herum (Beruf, Karriere, Familie, Freizeit, Hobbyes etc.) erstickt werden. Na ja, und auch bei mir geschieht es trotz allem manchmal, dass der Herr dann doch mit Seinem Klopfen an die Tür meines Herzens durchdringt (s. Offb. 3:20), wodurch mein Leben (dank Gottes Gnade) dann doch nicht völlig fruchtlos verläuft.
Der Sinn des Gleichnisses ist also eindeutig; ebenso die Tatsache, dass man dieses Gleichnis jedem Neuankömmling in der Kirche in Spiegelschrift auf die Stirn ritzen sollte, damit er jeden Morgen daran erinnert wird, wie leicht man aus der Gnade auch wieder herausfallen kann (s. Gal. 5:4). Und doch gibt es noch vieles mehr darüber zu sagen. Im Grunde geht es ja hauptsächlich um das Herz des Menschen. Gemeint ist natürlich nicht die organische Pumpe in der linken Vorderseite unseres Brustkorbs, sondern der einzige Bereich, in dem Gott uns die absolute Hoheit überlassen hat. Deshalb wendet Er Sich an jeden von uns mit den Worten: „Gib Mir dein Herz, Mein Sohn, deine Augen mögen an Meinen Wegen Gefallen finden“ (Spr. 23:26). Wir sind schließlich keine Zombies, sondern im Ebenbild Gottes erschaffene Kinder des Allerhöchsten. Er will uns nur Gutes, schenkt uns die Freiheit, doch, wie gesehen, reagieren wir nicht alle und nicht immer entsprechend. Wir haben sogar die Macht, die Tür unseres Herzens vor Gott zu verschließen. Ist das nicht furchtbar?! Gleichen wir da nicht vormals bettelarmen, obdachlosen Untertanen, denen der König möblierte Wohnungen geschenkt hat, die aber dann, als er ihnen einen Besuch abstatten will, sich als Eigentümer weigern, ihn zu sich hereinzulassen?!..
Überhaupt, ist es nicht erstaunlich, dass die moderne Wissenschaft Roboterfahrzeuge auf entfernte Planeten entsendet, um dort Gesteinsproben zu analysieren und die Ergebnisse an die Erde zu funken, oder dass man für Milliarden Euro Teilchenbeschleuniger baut und sich damit Aufschlüsse über die Entstehung des Universums erhofft, sich aber kein Mensch mit dem Herzen (im oben ausgeführten Sinne) des Menschen befasst?!.. Dabei ist das die Aufgabe aller Aufgaben. Die Schriften der Heiligen Väter handeln im Grunde nur davon. Unser Ziel muss nämlich sein, dass der Herr Jesus Christus in unserem Herzen eine ständige Wohnstatt findet (s. Joh. 14:23). Wie oft aber geschieht es, dass Er keinen Ort bei uns Menschen findet, wo Er Sein Haupt hinlegen könnte (s. Mt. 8:20; Lk. 9:58)? Selig sind aber die, welche reinen Herzens sind, weil Sich Gott nur solchen offenbart (s. Mt. 5:8). Welch eine Glückseligkeit es daher ist, sich in das Gebet des Herzens (das „Jesus-Gebet“) zu vertiefen und somit selbst eine permanente Behausung für unseren Herrn zu sein! Aber wer liest heute noch die Heiligen Väter? Und warum wurden und werden Mönche, die niemandem je etwas angetan haben, zu allen Zeiten und an allen Orten derartig angefeindet? Gott respektiert die Entscheidung von Atheisten, sich gegen Ihn zu entscheiden, doch diese akzeptieren die Entscheidung anderer nicht, die sich für Gott entscheiden! Im Ikonoklasmus, unter der Türkenherrschaft oder im Kommunismus waren Klöster stets Zielscheibe feindlicher Angriffe. Heute ist es der Berg Athos, jedoch auf eine viel subtilere Art und Weise.
Selbst die sog. Ökumene, die noch vor Jahrzehnten konsensorientiert war, tritt heute nur noch gegen sexuelle Diskriminierung, Klimawandel, Rassismus, soziale Ungerechtigkeit etc. auf. Für das einzig Notwendige, das Wort Gottes (s. Lk. 10:42) scheint man sich nicht einmal mehr peripher zu interessieren.
Die orthodoxe Kirche bewahrt, trotz der unübersehbaren menschlichen Unzulänglichkeiten ihrer Vertreter, das Erbe der Heiligen Väter, welche die Heilige Schrift im Heiligen Geist interpretieren konnten, da sie selbst von göttlicher Gnade erfüllt waren. Dieses Vermächtnis halten wir im Gottesdienst und in der Kirchenlehre in unseren unwürdigen Händen (vgl. Joh. 4:23-24). Das patristische Erbe ist der einzige praktische Zugang zur Heiligen Schrift, der es ermöglicht, ein Leben nach Gottes Willen zu führen. Wer aber sein Herz nicht durch unaufhörliches Festhalten am Wort Gottes gereinigt hat, wird zum Spielball der Elementarmächte dieser Welt (s. Gal. 4:3; Kol. 2:8). Dann bestimmt das Sinnliche jegliches menschliche Handeln. Wir sollten erkennen, dass die moderne Wissenschaft letztlich zu nichts zunutze ist, wenn der Mensch nicht begreift, was die „Wissenschaft der Wissenschaften“ ist. Amen.
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2021
Deutsch