Predigt zum 19. Herrentag nach Pfingsten / Hll. Väter d. VII. Ökum. Konz. (2 Kor. 11:31-12:9; Hebr. 8:7-16; Lk. 7:11-16; Joh. 17:1-13) (23.10.2022)
Liebe Brüder und Schwestern,
die heute gehörte Lesung aus dem Evangelium handelt von der Auferweckung des einzigen Sohnes der Witwe aus Nain, die uns der Evangelist Lukas überliefert hat. Diese knappe Erzählung ist wegen ihrer geistlichen Tiefe wie ein unerschöpflicher Quell der göttlichen Weisheit, zumal wir alle wissen, dass nichts Unnötiges, Zufälliges oder Überflüssiges in der Heiligen Schrift steht. Was also offenbart uns dieser Abschnitt des Evangeliums?..
Der Herr wird auf Seinem Weg von Seinen Jüngern und einer großen Menschenmenge begleitet (s. Lk. 7:11). In der Nähe des Stadttores treffen sie auf einen Leichenzug – ebenfalls eine große Menschenmenge (s. 7:12) – die eine Witwe aus der Stadt auf ihrem schweren Weg der Abschiedsnahme von ihrem einzigen Sohn begleitet. Der Platz vor dem Stadttor war in biblischer Zeit der Ort, an dem Gericht gehalten wurde (vgl. Ex. 32:26; Dtn. 21:18-21; Jos. 8:29; 20:4; 4 Kön. 17:20; 2 Chr. 18:9-11; Hiob 5:4; Klgl. 5:14 u.v.m.). Nun treffen hier vor dem Stadttor zwei Prozessionen aufeinander: Jesus Christus steht für das Leben (s. Joh. 1:4; 3:36; 5:24; 6:35; 8:12; 10:10; 11:25; 20:31 u.v.m.), das hier symbolisch auf den Tod trifft, um Gericht über selbigen zu halten. Dem Sohn wurde ja vom Vater das Gericht übertragen (s. Joh. 5:22). Erinnern wir uns an die Worte des Herrn: „Amen, amen, Ich sage euch: Wer Mein Wort hört und Dem glaubt, Der Mich gesandt hat, hat das ewige Leben; er kommt nicht ins Gericht, sondern ist aus dem Tod ins Leben hinübergegangen. Amen, amen, Ich sage euch: Die Stunde kommt, und sie ist schon da, in der die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden; und alle, die sie hören, werden leben. Denn wie der Vater das Leben in Sich hat, so hat Er auch dem Sohn gegeben, das Leben in Sich zu haben. Und Er hat Ihm Vollmacht gegeben, Gericht zu halten, weil Er der Menschensohn ist“ (Joh. 5:24-27).
Die Stunde kommt, und sie ist schon da!.. Heute sehen wir es. Der Jüngling hört die Stimme des Sohnes Gottes – und lebt! Die Auferweckung des Witwensohnes ist aber nur die Vorandeutung der Auferstehung aller an Christus Glaubenden! Der Sohn Gottes herrscht über Leben und Tod. Zur trauernden Mutter sagt Er: „Weine nicht!“ (Lk. 7:13), damit sie erkennen möge, dass Er Derjenige ist, Der alle Tränen von den Augen der Menschen abwischen wird, wenn der Tod nicht mehr ist (s. Offb. 7:17; 21:4). Und Er lässt keinen Zweifel an Seiner Autorität aufkommen: Er hält den Leichenzug an (was für einen Normalsterblichen undenkbar gewesen wäre), berührt sogar die Totenbahre, um zu zeigen, dass Er der wahre Gesetzgeber ist (vgl. dazu Lev. 22:4; Num. 5:2). Welch eine Macht und Größe! Vor Ihm gab es zwar schon Auferweckungen von Toten, doch damals war es Gott, Der auf die Gebete Seiner Propheten diese Wunder vollbrachte (s. 3/1 Kön. 17:21-22; 4/2 Kön. 4:33; deshalb s. Lk. 7:16). Unser Herr aber erweckt den Toten durch Seine (göttliche) Macht: „Ich befehle dir, junger Mann: Steh auf!“ (Lk. 7:14). Und sofort richtet sich der Tote auf und beginnt zu sprechen. Es folgen die Worte des Evangelisten, die bei näherer Betrachtung unsere Herzen mit Freude und Rührung erfüllen: „...und Jesus gab ihn seiner Mutter zurück“ (Lk. 7:15; vgl. 3/1 Kön. 17:23 und 4/2 Kön. 4:36-37).
Können Sie sich die Freude dieser Mutter vorstellen?!.. Ich glaube, dieses Glücksgefühl ist unvorstellbar. Meine Großmutter muss im Sommer 1945 etwas Vergleichbares empfunden haben, als ihr längst totgeglaubter Sohn (mein Vater), von dem sie seit Wochen – auch nach Befreiung des KZ Dachau – keine Nachrichten hatte, plötzlich vor der Tür ihres Wohnhauses stand. Sie las ihr Leben lang ein Kapitel aus dem Evangelium, und an diesem Tag war das 7. Kapitel von Lukas an der Reihe. Die Worte „...und Jesus gab ihn seiner Mutter zurück“ hatten sich da schon in ihrem Herzen eingebrannt.
Aber diese Freude ist ein blasser Schimmer im Vergleich zu dem Frohlocken, das uns ergreifen wird, wenn uns Gott alle unsere Lieben, die im Glauben an unseren Herrn Jesus Christus entschlafen waren, zurückgeben wird…
Aber warum leben wir dann so, als ob es nur ein Leben vor dem Tod, aber keines danach gäbe?! – Schauen Sie sich das Geschehen von Nain an: die arme Frau hatte schon ihren Mann verloren, der sie durch seiner Hände Arbeit ernährt hatte. Ihre ganze Hoffnung ruhte auf ihrem Sohn, dass er, wenn er erwachsen ist, zur Stütze ihres Alters wird. Und jetzt ist er auch tot. Zu der damaligen Zeit war das Los einer alleinstehenden Frau Not und Elend. Jetzt aber hat ihm der Herr das Leben zurückgegeben, damit er seine Mutter vor dem bitteren Schicksal der Armut bewahrt. Und so sollte es bei uns sein, wenn wir zur Zeit der Prüfung den Herrn bitten. Gott wird uns Gesundheit, materielles Auskommen, Schutz und Sicherheit sowie all die lebensnotwendigen Dinge geben, wenn wir diese auch für das Wohl anderer einsetzen und dadurch letztlich unser eigenes Seelenheil bestreiten. Denn wozu soll Gott z.B. einem jungen Mann die Gesundheit zurückgeben, wenn dieser weiter nur seine Begierden befriedigt, Blödsinn macht oder nur an seiner Karriere bastelt?!.. Oder warum sollte Er eine ältere Frau vom Krankenlager aufrichten, wenn sie danach wieder beim Kaffeeklatsch oder am Telefon nur die Gerüchteküche am Kochen hält, stundenlang Hirn verkleisternde Talk-Shows schaut und mit ihren Gedanken und Sehnsüchten überall ist, - nur nicht bei Christus und dem Königtum Gottes?!..
Nutzen wir die Zeit und die Möglichkeiten, die uns gegeben sind, um das ewige Leben zu gewinnen! Es wäre unendlich bedauerlich, wenn wir durch unsere unverzeihliche Sorglosigkeit dieser ewigen Wonne verlustig gingen. Das Heil ist in Jesus Christus, denn Er ist „der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (Joh. 14:6). Und davon handelt die heutige Erzählung aus dem Evangelium. Amen.