Predigt zum 5. Herrentag der Großen Fastenzeit / Hl. Maria von Ägypten (Hebr. 9:11-14; Gal: 3:23-29; Mk. 10:32-45; Lk. 7:36-50) (02.04.2023)
Liebe Brüder und Schwestern,
uns bleiben noch zwei Wochen bis zum absoluten Höhepunkt des Kirchenjahres. Heute gedenken wir der heiligen Maria von Ägypten (+ 522), deren Vita am vergangenen Mittwoch während des Orthros verlesen wurde. Sie war eine Asketin (= Kämpferin), die ihresgleichen sucht. Aber gegen wen kämpft man, wenn man 47 Jahre allein in der Wüste lebt? Die Antwort liefert folgender wohlbekannter Satz: „Wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister des himmlischen Bereichs“ (Eph. 6:12). Damit sind natürlich die Dämonen gemeint, deren eigentlicher Aufenthaltsort unter der Erde ist, die aber in den Bereich unter dem Himmel ihr Unwesen treiben (so wie sich die Engel Gottes eigentlich im Himmel befinden, im Auftrag Gottes aber auf die Erde entsandt werden). „Alles Blödsinn!“ - werden einige sagen. Na, dann schaut euch doch mal ein Kind an. Es ist unschuldig, rein, frei von Bosheit. Aber wenn die Eltern das Kind nicht von klein auf im Glauben erziehen und ihm die Teilnahme an den Mysterien der Kirche vorenthalten, wird dieses engelsgleiche Geschöpf in einigen Jahren zu einem egoistischen, selbstverliebten und respektlosen kleinen Monster mutieren, dabei aber selbstverständlich stets nett und im Freundeskreis allseits beliebt bleiben. Dies wird passieren, weil dieses heranwachsende Kind es versäumt haben wird, „die Rüstung Gottes“ anzulegen, damit es „am Tag des Unheils standhalten, alles vollbringen und den Kampf bestehen“ kann (Eph. 6:13). Es hängt also bei diesem Kampf um unsere Seele von uns ab, wem wir unsere Herzen als Behausung überlassen. Wir haben die Möglichkeit, durch Demut, Gehorsam und Ehrfurcht zu begreifen, „was der Wille des Herrn ist“ (s. Eph. 5:17). Dann wird unser Schutzengel über unser Herz und unseren Verstand wachen und uns gute und richtige Gedanken eingeben. Verhalten wir uns aber wie störrische kleine Biester, werden sehr schnell dunkle Mächte Besitz von unserer Seele ergreifen. Den Kampf gegen die unter dem Himmel befindlichen „Beherrscher dieser finsteren Welt“ bzw. gegen deren Erfüllungsgehilfen führt unweigerlich zu Verfolgungen all derer, die „in in der Gemeinschaft mit Christus Jesus ein frommes Leben führen wollen“ (2 Tim. 3:12). Das ist kein Märchen, sondern alltäglich erfahrene Realität. Und jetzt leben wir in einer Zeit, in der es praktisch unmöglich geworden ist, sein Herz frei von Hass zu bewahren, wenn man seinen Leib nicht zur Wohnstatt des Heiligen Geistes gemacht hat (s. 1 Kor. 6:19; vgl. 2 Kor. 6:16). Dann wird unser Herz, ohne dass wir es selbst merken, zur Brutstätte allen Übels (s. Mt. 12:34-35; 15:18-19; Mk. 7:20-21; Lk. 6:45). Wir weilen zwei Stunden in der Kirche, gehen von da nach dem Empfang der Heiligen Mysterien Christi in Frieden nach Hause, machen im Auto das Radio an – und in zwei Minuten herrschen erneut Hass, Furcht und Verzweiflung in unseren Herzen. In der heutigen Zeit gibt es keine „Neutralität“ mehr zwischen Gut und Böse (die gab es auch nie zuvor, nur die Illusion derselben). Entweder es herrscht der Friede Gottes, der unserer Herzen und unsere Gedanken in der Gemeinschaft mit Jesus Christus bewahrt (s. Phil. 4:7) oder der teuflische Hass – es gibt nichts dazwischen. Wer aber Hass wider seinen Nächsten empfindet und das Böse tut, „hat Gott nicht gesehen“ (s. 2 Joh. 11). Doch wir alle sind aufgefordert, unsere Feinde zu lieben (s. Mt. 5:44; Lk. 6:27; vgl. Röm. 12:14,20). Verlangt der Herr da nicht etwas Unmögliches von uns? Jemanden, der z.B. meine Familie umgebracht hat, mich zum Krüppel geschlagen und mir meinen gesamten Besitz weggenommen hat, den kann ich doch nicht lieben!.. In der Tat, dürfen wir nicht blauäugig sein und uns nicht selbst betrügen. Wenn solche schlimmen Dinge tatsächlich passieren (und das tun sie von Tag zu Tag überall), können wir sie nicht ignorieren. Der Schuldige darf und muss der irdischen Gerechtigkeit zugeführt werden, die ein Werkzeug Gottes darstellt (s. Röm. 13:3-4). Es darf bei mir Genugtuung hervorrufen, wenn der irdischen Gerechtigkeit Genüge getan worden ist, mehr aber nicht. Rachegelüste darf ich hingegen nicht in mir aufkommen lassen. Die staatliche Justiz ist ja nicht die letzte und höchste Instanz, denn es gibt noch das Gericht Gottes, dem sich niemand entziehen können wird. Und die von Christus gebotene Feindesliebe äußerst sich nach den Worten von Metropolit Anthony (Bloom, + 2002) darin, dass ich am Tag des Jüngsten Gerichtes vor meinen Herrn trete und flehe: „Herr, richte diesen Menschen nicht!“ Recht hat er. Ich bin selbst ein Sünder. Vor Gottes grenzenlosen Erhabenheit ist jeder, ganz gleich ob er 10 oder 10.000.000 schwere Sünden begangen hat, Sein unendlicher Schuldner, denn im Vergleich zur Unendlichkeit sind alle Zahlen null, sagt auch der heilig Bischof Ignatij (Briantchaninov, + 1867). Und so sage ich: „Wenn Du also mich begnadigen willst, dann begnadige auch diesen Menschen, oder streiche auch mich aus dem Buch des Lebens!“ So traten zuvor schon Abraham (s. Gen. 18:23-33), Moses (Ex. 32:11-14; vgl. Ps. 105:23) und Paulus (Röm. 9:3) vor Gott für Sünder ein. Bleiben wir bei der Mathematik: Gott rettet uns aus Gnade (s. Eph. 2:8), und zwar zu 99,99%; die restlichen 0,01% müssen wir von uns aus beisteuern. Wenn also der Herr für Seine Feinde gebetet hat (s. Lk. 23:34) – und was gibt es Stärkeres als dieses Gebet? – dann kann Er in Seiner unermesslichen Liebe auch bewirken, dass mein unwürdiges Gebet für meinen Feind in Seinen Augen so schwer wiegt, dass Er diesem Menschen verzeihen wird. Mit anderen Worten: Wir können uns nach Gottes Plan an der Errettung aller Menschen „mit beteiligen“. Somit entscheidet sich die Frage meines Heils und das meiner Mitmenschen auch in meinem Herzen. Amen.