Predigt zum 16. Herrentag nach Pfingsten, Herrentag vor Kreuzerhöhung (Gal. 6:11-18; 2 Kor. 6:1-10; Joh. 3:13-17; Mt. 25:14-30) (24.09.2023)
Liebe Brüder und Schwestern,
wer kennt nicht das Gleichnis von den Talenten, das wir heute aus dem Evangelium nach Matthäus gehört haben?! Ich kenne es seit den Tagen meiner Kindheit. Ich kann mich sogar erinnern, dass wir das bei der Jahresfeier der evangelischen Jungschar in Eschborn bei Frankfurt, in der meine Geschwister und ich als Orthodoxe damals gerne mitgemacht haben, übertragen auf die Moderne, auf der Bühne gespielt haben. Mir kam die „Ehre“ zuteil, den dritten Knecht (den bösen und faulen – s. 25:26), einen Prokuristen zu spielen, der das von seinem Chef ausgehändigte Kapital nicht in Umlauf brachte und von diesem dann mit Schimpf und Schande gefeuert wurde. Ich weiß nicht warum, aber ich gefiel mir irgendwie in der Rolle, sie war mir wie auf den Leib geschneidert...
Auch wir sind Handlungsbevollmächtigte Gottes, jeder entsprechend den ihm gegebenen Möglichkeiten. Es gibt aber keinen, der nicht wenigstens ein Talent von seinem Herrn mit auf den Weg dieses Lebens ausgehändigt bekommen hat. Der eine kann mit genialen Fähigkeiten ausgestattet sein, es auch sehr weit bringen, aber wenn er sein Talent nicht für Gott vermehrt hat, wird er am Tag der Wiederkehr Christi mit leeren Händen dastehen. Ein anderer kann, ohne irgendwelche herausragenden Eigenschaften allein durch Liebe, Demut, Friedfertigkeit, Geduld, Langmut etc. einen Schatz für sich im Himmel erwerben. Es ist die Freiheit und die mit ihr einhergehende Verantwortung, die uns von den übrigen Geschöpfen Gottes vom Wesen her unterscheidet. Nur wir Menschen werden – einer nach dem anderen – einst persönlich Rechenschaft ablegen vor unserem Herrn. Denken wir daran!
Tatsächlich kenne ich das Gleichnis seit über einem halben Jahrhundert. So fragen manche, weshalb wir in die Kirche gehen und dort immer dieselben Texte lesen. Aber genau hierin besteht unsere Aufgabe, immer neue, tiefere Erkenntnisse aus den uns längst vertrauten Worten unseres Erlösers zu ziehen. Als Elfjähriger hatte ich ein Verständnis dieser Parabel, als beinahe Sechzigjähriger ein anderes – kein grundlegend anderes, aber ein vertieftes. Und was die übrigen, nicht so oft liturgisch vorgelesenen Bibelstellen angeht, untersagt uns ja keiner, diese eigenständig zu lesen und mithilfe der heiligen Väter zu deuten. Auch dazu hat der Herr uns befähigt.
Doch viele getaufte Christen meinen, der Glaube allein genüge schon zum Heil. Doch was wird sein, wenn sie mit der absoluten untrüglichen geistlichen Realität konfrontiert werden und erkennen, was sie aus ihren Möglichkeiten hätten tun können, und nicht getan haben… Allein schon in Glaubensfragen gibt uns der Herr die Befähigung, die Wahrheit, die ins ewige Leben führt, zu erkennen (s. Joh. 17:3). Aber sehr, sehr oft verhalten sich die „Gläubigen“ so wie der dritte Diener aus dem Gleichnis. Da sie sich für ihren Glauben gar nicht oder nur höchst oberflächlich interessieren und ihn allzu gerne eigenmächtig auslegen, kommen bei ihnen solche Zerrbilder von Gottes Güte zum Vorschein, die im Grunde nur als blasphemisch zu bezeichnen sind (s. Mt. 25:24-25). So wusste (!) der besagte dritte Diener, dass sein Herr ein strenger Mann war, der erntet, wo er nicht gesät und sammelt, wo er nicht ausgestreut hat. Auch wir sind uns, wenn die Not groß ist, der Güte Gottes nicht bewusst. Dies kommt einer Kapitulation vor der eigenen Kleingläubigkeit gleich, die auf dem lügnerischen Postulat basiert, dass man Gott nicht wohlgefällig sein kann und stattdessen nur ein Spielball der Elementarmächte dieser Welt ist (s. Gal. 4:3; Kol. 2:8). Das ist im geistlichen Sinne der Nährboden für die Verzagtheit (slaw. уныние), die geradewegs zum Tod der Seele führt. Befeuert durch den Widersacher rechtfertigt sich der Mensch selbst: „Egal was ich tue, es kommt sowieso nichts bei mir heraus“. Doch statt zu beten und in Reue und Demut am Leben der Kirche teilzunehmen, geben sie sich allen erdenklichen Aktivitäten hin, nur eben ohne Gott, und manchmal auch direkt gegen Gott. Wer z.B. seine Kinder nicht im Glauben erzieht, der liefert sie geradewegs den besagten Elementarmächten dieser Welt aus (soziale Netzwerke, Schule, Gesellschaft). Er muss sie selbst nicht in Gottlosigkeit, Unzucht, Unredlichkeit, Habgier, Egoismus usw. aktiv instruiert haben, aber er trägt vor Gott die Verantwortung dafür, dass er seiner erzieherischen Aufgabe nicht gerecht geworden ist. Und das ist die überwiegende Mehrheit der Menschen, die sich nicht einmal mehr Gedanken darüber machen, dass sie vor Gottes Gericht erscheinen werden (s. Mt. 18:6; Mk. 9:42; vgl. Mt. 12:36-37). Auf dem post-sowjetischen Territorium führte diese de facto Gott verachtende Einstellung der breiten Massen nach dem Sturz des totalitären kommunistischen Regimes dazu, dass anstelle des Atheismus der Ungetauften nun der Satanismus der Getauften Einzug hält. Um uns aufzurütteln, lässt Gott das Überhandnehmen der Mächte der Unterwelt gegen die Kirche in der Ukraine und ihre Heiligtümer zu (was von den westlichen Medien geflissentlich totgeschwiegen wird, so wie schon vor 35 Jahren die staatlich geförderte Willkür der Uniierten gegen die orthodoxe Kirche in der West-Ukraine. Orthodoxe Christen sind ja keine Rohingya oder Uiguren, damit man im Westen die Stimme für sie erhebt). Was derzeit in der Ukraine geschieht, ist ein Aufflammen des Satanismus, der durch die gegenwärtig herbeigeführte politische Lage nun offen zutage tritt. Gleichwohl ist er in den anderen ehemaligen Teilrepubliken der UdSSR latent ebenso vorhanden.
Man mag mir keinen Glauben schenken, kein Problem! Aber es ist der Herr Jesus Christus, Der unmissverständlich erklärt: „Wer hat, dem wird gegeben, und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat“ (Mt. 25:29). Wer Ohren hat, der höre! Amen.