Predigt zum 5. Herrentag der Großen Fastenzeit / hl. Maria von Ägypten (Hebr. 9:11-14; Gal. 3:23-29; Mk. 10:32-45; Lk. 7:36-50) (21.04.2024)
Liebe Brüder und Schwestern,
die Fastenzeit nähert sich ihrem Ende und das Kirchenjahr geht auf seinen Höhepunkt zu, wobei der fünfte und letzte Herrentag dieser vierzigtägigen Vorbereitung auf die Große Woche der gottseligen Maria von Ägypten (+522) gewidmet ist. Wir bestaunen ihren unvorstellbaren asketischen Lebenswandel – 49 Jahre allein und völlig mittellos in der Wüste – was aber nicht das ausmacht, was an ihr nachahmenswert ist. All das vollbrachte sie, wie andere Asketen, Märtyrer und alle übrigen gottgefälligen Christen nicht aus eigener Kraft, sondern durch Den, Der ihr die Kraft dazu gab (s. Phil. 4:13). Unsere Aufmerksamkeit richtet sich demnach nicht auf das äußere Erscheinungsprofil ihrer Askese, sondern auf die inneren Beweggründe, die ihr die Entschlossenheit und Kraft verliehen, ein Leben nach dem Willen Gottes zu führen. Es war nämlich die Reue, die in ihr solch überreiche Gnade hervorrief (s. Röm. 5:20). Hierdurch und nur hierdurch ist sie ein leuchtendes Vorbild für alle Christen. Die kompromisslose Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit, das tränenreiche Bedauern der eigenen Verfehlungen und das unstillbare Verlangen, seine nie und nimmer zu begleichende Schuld vor Gott tilgen zu wollen (vgl. Mt. 18:23-27) – das sind die Voraussetzungen für das geistliche Leben schlechthin. Ohne die drei: Einsicht, Reue und tätige Umkehr, wird jegliche „Spiritualität“ zur Farce, wird der sich solcher pseudo-spiritueller Mediation Hingebende zu einem Spielball der Dämonen. Das der heiligen Maria gewidmete Gleichnis von der Sünderin im Hause des Pharisäers Simon enthält aber die Frohe Botschaft für alle Sünder, dass Gott dem aufrichtig bereuenden Sünder Seine große Gnade gewährt (s. Lk. 7:47; vgl. 1 Petr. 4:8) und dass dem Herrn reumütige Sünder tausendmal lieber sind als selbstgerechte Heuchler (s. Lk. 18:9-14). Denn bei Gott triumphiert Barmherzigkeit über das Gericht (s. Jak. 2:13b). Also müssen wir alles daran setzen, uns selbst als große Sünder zu sehen (s. Mt. 25:31-46; 1 Tim. 1:15). Nur dann dürfen wir auf die Gnade Gottes hoffen. Kriterium für unsere aufrichtige Reue ist das Vorhandensein der Fähigkeit in uns, unsererseits den Menschen zu vergeben (s. Mt. 6:12; Mt. 18:28-35; Jak. 2:13a).
Aus dem soeben Erwähnten dürfte eindeutig hervorgegangen sein, dass das Mysterium der Beichte, ohne das die Fastenzeit bloß eine Diät ist, für uns zum Quell der überreichen Gnade Gottes wird. Nur müssen wir hier tatsächlich der heiligen Maria von Ägyptern oder der Sünderin im Hause Simons, des Pharisäers, nachahmen! Die heiligen Väter lehren uns nämlich, dass Reue immer der Schwere der begangenen Sünde entsprechen muss (s. 2 Kön. / 2 Sam. 12:16-17; Gal. 1:13-17). Doch wie sieht es in der Realität bei uns aus? Lange Warteschlangen vor der Beichte kennen wir zuhauf. Die Leute „müssen“ ja jedes Mal beichten, wenn sie die Heiligen Gaben empfangen wollen – also auch am zweiten Tag von Ostern oder Weihnachten, selbst wenn sie zehnmal während der vorausgegangenen Fastenzeit und natürlich am Festtag selbst „ihre Pflicht erfüllt haben“ (krank ist das, anders kann man es nicht nennen!). Ja, beichten tun wir oft. Aber bereuen?!.. Wir zählen brav unsere Sünden auf, bereuen sie verbal, geloben natürlich Besserung, beugen danach unsere Nacken unter das Epitrachilion des Priesters, und gehen wieder von dannen. Aber tut es uns auch wirklich leid, dass wir unsere Mitmenschen gekränkt haben, gestehen wir tatsächlich unsere Schuld ein, vergeben wir von Herzen unserem Nächsten?!.. Das zeigt sich dann bei der nächsten „Gelegenheit“ – wenn es wieder zu einer Konfliktsituation kommt. Wenn ich z.B. meine Frau sehr, sehr stark gekränkt habe, ihr Unrecht getan und ihr mutwillig großes Leid zugefügt habe, dann werde ich, sofern es mir wirklich leidtut, sie unablässig und unter Tränen um Verzeihung anflehen. Und wenn sie mir dann nach einer langen Zeit endlich vergeben hat, werde ich mich doch hüten, ihr nochmals solchen Schmerz zuzufügen! Wie abscheulich und geradezu idiotisch wäre es von mir, wenn ich ihr nach fünf Minuten wieder etwas Hässliches sagen würde!.. Das gilt für uns Menschen. Und wie ist es mit unserer Beziehung zu Gott?! Können wir, nachdem wir „aufrichtig bereut haben“, am nächsten Tag wieder in den gleichen Trott verfallen? Viele von uns „beichten“ gleich im Präsens („Ich rauche, saufe, fluche, schaue mir ungehörige Dinge im TV oder Internet an“ etc.), also so, als ob sie gar nicht daran dächten, etwas an ihren Lebensgewohnheiten zu ändern.
Wir müssen uns daher bewusst werden, dass die Beichte ein Mysterium ist, also eine gnadenvolle Handlung, in welcher der Geist Gottes wirkt. Ziel der Beichte ist es nicht, „unnötigen Ballast abzulegen“, sondern die kranke Seele zu heilen. Der Arzt der Seele wartet nur darauf, dass wir zu Ihm kommen (s. Mt. 9:12; Mk. 2:17; Lk. 5:31). Aber ein jeder Arzt ist auf die Kooperation seiner Patienten angewiesen, so ist das nun mal. Doch da machen manchmal (vorher kaum oder gar nicht bekannte) Menschen einen Termin für eine ausführliche Beichte aus, kommen zum vereinbarten Zeit auch in die Kirche, reden dann aber nur von ihren persönlichen Problemen. Sie erwarten von Gott (vermittels des Priesters), dass diese im Nu gelöst werden. Geld würde bei der Bewilligung ihres Anliegens keine Rolle spielen, aber sich selbst als Sünder/-in zu sehen, mehr noch: die persönlichen Probleme als Ursache für die eigene Sündhaftigkeit zu erkennen, – das übersteigt ihre Vorstellungskraft. Andere verwechseln den Ort der Beichte mit dem roten Sofa beim Psychiater. Sie wollen gecoacht werden. Aber Sünde als Krankheit der Seele sehen – Fehlanzeige! Wenn dann seitens des Priesters irgendwann doch die Sprache auf begangene Sünden kommt, stellt sich heraus, dass, na ja, das „volle Programm“ anzubieten gewesen wäre. Darauf hatte Christus gewartet – und zwar gleich zu Beginn, nicht erst auf Nachfrage.
Die heilige Maria von Ägypten zeigt uns, wie man seine Verfehlungen vor Gott bereut. Sie war ja im heute vorherrschenden Verständnis „kein schlechter Mensch“, bot ihren jugendlichen Körper sogar umsonst feil. Heute ist das fast zur Norm geworden. Die Kirche bleibt aber bei ihrem Standpunkt, dass jede andere Sünde, die der Mensch tut, außerhalb des Leibes geschieht, und dass wer Unzucht treibt, sich gegen seinen eigenen Leib versündigt (s. 1 Kor. 6:18).
Ich bin in einer Welt groß geworden, in der für mich gar nicht vorstellbar war, dass Papa vor Mama eine andere Frau gehabt haben könnte oder Mama vor Papa schon einschlägige Erfahrungen gemacht hätte. Heute mag das naiv klingen. Und trotzdem sage ich allen jungen Menschen, für die es noch nicht zu spät ist: eheliche Treue beginnt schon lange vor der Ehe, evtl. sogar lange Zeit, bevor man seinen künftigen Ehepartner getroffen hat. Wie wunderbar es aber ist zu wissen, dass mein Ehepartner niemand anderen vor mir gehabt und, umgekehrt, dass er/sie für mich der/die Erste und Einzige im Leben ist!.. Heute erntet man aber nur Gelächter und Kopfschütteln dafür.
Maria „genoss das Leben“ in Alexandria und sah sich wohl nicht als große Sünderin, bis sie von Gott am Betreten der Grabeskirche zu Jerusalem gehindert wurde. Voller Bestürzung erkannte sie, wie sehr sie Gott gekränkt hatte. An Ort und Stelle bat sie unter Tränen um Vergebung und versprach, von nun an nur noch nach Gottes Weisungen unter der Anleitung der Gottesmutter zu leben. Als getaufte Christin mag sie wohl zuvor nicht gänzlich ungläubig gewesen sein, aber ein Leben nach dem Glauben (s. Röm. 1:17) begann sie erst nach ihrer Umkehr. Hierin ist sie vorbildhaft für uns. Denn wie viele herzensgute junge oder nicht mehr ganz junge Menschen befinden sich im Dilemma, dass sie zwar gerne nach den Geboten leben würden, die „Umstände es aber erfordern“, dass sie z.B. in einem eheähnlichen Verhältnis leben oder gar häufig ihren Partner wechseln. Das Problem aber tritt dann richtig zutage, wenn sie zur Beichte kommen. Was kann ihnen der Priester sagen? Die Keule schwingen und sagen: „Entweder oder!“ (s. Mt. 6:24; Lk. 16:13) - das wäre das Einfachste und Naheliegendste. Aber dann hat man mutmaßlich diese für Christus und die Kirche verlorene Seele auf dem Gewissen. Wir leben in einer Zeit, in der man mit der Androhung des Ausschlusses aus der kirchlichen Gemeinschaft (faktisch: Verweigerung der Heiligen Kommunion) kaum noch jemanden zum Umdenken bewegen kann. Deshalb empfiehlt es sich aus meiner Sicht, die Eigenverantwortung zu betonen (s. 1 Kor. 11:27-31), denn allzu gerne schiebt man die Verantwortung auf den Priester, sprich: erwartet, dass er einen trotzdem von allen Sünden losspricht und zur Heiligen Kommunion zulässt. Dann wäre ja alles paletti!.. Es muss aber andersrum gehen: „Glauben sie selbst, dass sie so die Heiligen Gaben empfangen können?! Wie sehr wollen sie am Abendmahl des Herrn teilnehmen. Was ist ihnen das himmlische Königtum wert?“... Ab diesem Moment liegt die Verantwortung beim Beichtenden. Der Priester steht aber mit Rat und Tat zur Seite, sofern das Beichtkind hier nicht auf dem Absatz kehrtmacht. Die heilige Maria von Ägypten jedenfalls nahm die ihr erteilte Lektion an und erlangte so die Heiligkeit. Auch wir können das. Amen.