Predigt zum 4. Herrentag nach Ostern, vom aufgerichteten Gelähmten (Apg. 9:32-42; Jh. 5:1-15) (26.05.2024)
Liebe Brüder und Schwestern,
heute haben wir es mit dem gelähmten Mann zu tun, der 38 Jahre lang am Teich Betesda in völliger Bettlägerigkeit vor sich hin darbte. Betesda heißt übersetzt „Haus der Barmherzigkeit“ und steht sinnbildlich für die alttestamentliche Kirche mit ihrem Gesetz, in dem die Krankheit, Blindheit, Lähmung und jegliche Verkrüppelung unserer Seelen (s. Joh. 5:3) zutage trat. Die fünf Säulenhallen stehen nach einer exegetischen Interpretation des seligen Augustinus (+ 430) für die fünf Bücher Mose, das „Gesetz“, das über einen sehr langen Zeitraum nicht imstande war, den Menschen zu heilen, sprich, seine gefallene Natur wiederherzustellen. Deshalb ist der Heiland nun erschienen, um das Gesetz des Alten Bundes abzulösen. Der Apostel umschreibt es so: „Ebenso seid auch ihr, meine Brüder, durch das Sterben Christi tot für das Gesetz, so dass ihr einem Anderen gehört, Dem, Der von den Toten auferweckt wurde; Ihm gehören wir, damit wir Gott Frucht bringen. Als wir noch dem Fleisch verfallen waren, wirkten sich die Leidenschaften der Sünden, die das Gesetz hervorrief, so in unseren Gliedern aus, dass wir dem Tod Frucht brachten. Jetzt aber sind wir frei geworden von dem Gesetz, an das wir gebunden waren, wir sind tot für das Gesetz und dienen in der neuen Wirklichkeit des Geistes, nicht mehr in der alten des Buchstabens“ (Röm. 7:4-6).
Jedes mal, wenn ich diese Geschichte lese oder höre, versetzt mich eines in Erstaunen: dass der Mann seit 38 Jahren dahinsiechte, jedem Bewohner Jerusalems und vielen Pilgern längst bekannt gewesen sein musste (im Teich am Schaftor wurden die Tiere gewaschen, bevor sie zur Schlachtbank im Tempel geführt wurden), und er dennoch „keinen Menschen“ fand, der ihn „sobald das Wasser aufwallt, in den Teich trägt“ (Joh. 5:7). Lag es an der Hartherzigkeit der Menschen, die auch durch das peinlich genaue Befolgen des Gesetzes nicht geheilt werden konnte, oder an der Person des Kranken selbst, dass er kein Mitleid unter all den Leuten erregen konnte? Wir wissen es nicht. Aber den Worten des Herrn bei der Wiederbegegnung kurz darauf im Tempel nach zu schließen (s. 5:14), muss er vor seiner Krankheit ein großer Sünder gewesen sein. Und dieser an Leib und Seele vollkommen gebrochene, auf sich allein gelassene Sünder findet nun doch diesen „Menschen“. Es ist zugleich der Eine Gott, „Mittler zwischen Gott und den Menschen: der Mensch Jesus Christus“ (1 Tim. 2:5). Dieser „Mensch“ stellt im Nu seine körperliche Gesundheit wieder her als Sinnbild für die Taufe, in der die seelische Gesundheit eines jeden Menschen im Augenblick des Eintauchens in das Taufbecken wiederherstellt wird. Aber Gott erwartet danach die endgültige Abkehr von der Sünde, was einzig und allein durch ein Leben in Christus Jesus möglich ist, dem „Mittler zwischen Gott und den Menschen“. Und so sagt Christus: „Jetzt bist du gesund; sündige nicht mehr, damit dir nicht noch Schlimmeres zustößt“ (5:14). Frage: Was kann schlimmer sein, als sich 38 Jahre im eigenen Kot zu wälzen? Na, kommen Sie drauf?.. Richtig, die Höllenqualen!
Der Mann ist also geheilt. Es ist jedoch Sabbat und er trägt die Bahre, auf der er so lange gelegen hatte. Und wieder geschieht etwas Unbegreifliches, denn anstatt sich über die Heilung dieses Schwerstkranken (den sie wohl alle gekannt haben mussten – s.o.) zu freuen und Gott für dieses Wunder zu preisen, tadeln die Juden den Mann dafür, dass er die Sabbatruhe verletzt (s. Joh. 5:10). Als sie, die noch „in der alten Wirklichkeit des Buchstabens leben“, später von dem Geheilten erfuhren, „dass es Jesus war, Der ihn gesund gemacht hatte“ (5:15), „verfolgten die Juden Jesus, weil Er das an einem Sabbat gemacht hatte“ (5:16). Dabei hatten sie auch in der Sache nicht recht, denn laut Mischna (mündliche Überlieferung der Thora, gilt als Grundlage des Talmud) dürfen am Sabbat z.B. Kranke versorgt und Tote bestattet werden.
Der Mann wurde also von seinem Leiden befreit und trifft unseren Herrn danach im Tempel. So will Christus auch jedem von uns nach der Taufe in dessen „Tempel“ – dem eigenen Leib (s. 1 Kor. 3:16-17; 6:19) – begegnen. Wozu sonst lässt man sich taufen, wenn man danach Christus nicht sucht?!..
Es ist ja bei vielen Getauften von heute so wie bei dem soeben Geheilten: sie „wissen nicht“, dass es Jesus Christus war, Der ihre Seelen geheilt hat (vgl. Joh. 5:13). Natürlich kennen sie den Namen Jesus, aber dass sie Ihm Dank dafür schulden, dass Er sie vom ewigen Tode erlöst hat, das wissen sie nicht, und wollen es auch nicht wissen. Irgendwie bilden sie auf „moderne“ Weise die Juden des Alten Testamentes ab, die jahrhundertelang (wofür wieder die 38 Jahre symbolhaft sind) auf den Messias warteten und Ihn dann, als Er endlich zu ihrer Errettung erschienen war, ablehnten, verrieten und umbringen ließen.
Es gibt für mich nur eine Erklärung für die Vorgehensweise der Christus ablehnenden Juden und für das Verhalten „unserer“ getauften Heiden. Es ist schlicht und ergreifend deren Unglaube. Sie glauben an „ein höheres Wesen“, aber das tun auch die Dämonen (s. Jak. 2:19). Sie wollen jedoch nicht bewusst an den „Mittler zwischen Gott und Mensch“ glauben und entsprechend leben. Denn „jetzt gibt es keine Verurteilung mehr für die, welche in Christus Jesus sind. Denn das Gesetz des Geistes und des Lebens in Christus Jesus hat dich frei gemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes. Weil das Gesetz, ohnmächtig durch das Fleisch, nichts vermochte, sandte Gott Seinen Sohn in der Gestalt des Fleisches, das unter der Macht der Sünde steht, zur Sühne für die Sünde, um an Seinem Fleisch die Sünde zu verurteilen; dies tat Er, damit die Forderung des Gesetzes durch uns erfüllt werde, die wir nicht nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist leben“ (Röm. 8:1-4). Amen.