Predigt zum 11. Herrentag nach Pfingsten (1 Kor. 9:2-12; Mt. 18:23-35) (08.09.2024) Beliebt
Liebe Brüder und Schwestern,
das Gleichnis vom unbarmherzigen Gläubiger ist von seinem Sinngehalt auch so schon mehr als eindeutig, und doch hält es der Herr für nötig, um unseres Heiles willen die Quintessenz in einem kurzen Satz zusammenzufassen: „Ebenso wird Mein Himmlischer Vater jeden von euch behandeln, der seinem Bruder nicht von ganzem Herzen vergibt“ (Mt. 18:35). Klarer kann man das nicht sagen. Und dies ist ja bereits die Wiederholung des Gedankens aus der Bergpredigt (s. Mt. 6:12,14-15). Doch wissen wir alle, dass es bei uns in der Realität mit dem Vergeben von kleineren und größeren Kränkungen hapert. Warum?
Als gläubige Menschen wissen wir, dass der Widersacher heilbringende Gedanken schnell aus unserem Herzen entfernt (s. Mt. 13:19; Mk. 4:15; Lk. 8:12). Andererseits lässt er Gedanken des Nachtragens sehr lange in unseren Herzen verweilen. Unser Erinnerungsvermögen in Bezug auf gute Vorsätze ist also sehr überschaubar, während es im Hinblick auf die Wiederaufbereitung böser Gedanken hyperaktiv zu sein scheint. Warum hat es der Teufel so leicht, in uns solch böse Gedanken aufkommen zu lassen?
Natürlich will uns die Kirche zur geistlichen Wachsamkeit erziehen (s. Mt. 24:43-44). Es ist ja nicht schwer zu verstehen, dass wenn man auf der Hut ist, der Feind es ungleich schwerer hat, unsere Verteidigungslinien zu durchbrechen. Aber aus menschlichem Vermögen allein – ohne Gottes Beistand – kann dies nicht gelingen (s. Ps. 126:1-2). Doch es gibt die Möglichkeit, Gottes Beistand hervorzurufen – durch das ständige Gedenken der Heilstaten des Herrn und unserer Unwürdigkeit. Dabei müssen wir gar nicht „phantasieren“, sondern nur in völliger geistlicher Nüchternheit die Dinge so sehen wie sie sind. Das Erkennen der eigenen Unwürdigkeit vor dem Herrn führt unweigerlich zur kontemplativen Erkenntnis der unaussprechlichen Liebe Gottes zu uns Sündern, und die wiederum ermöglicht es uns, in jedem Mitsünder ein Kind Gottes zu erblicken – einen Bruder oder eine Schwester im Herrn.
Wenn dies aber nicht geschieht, dann wird es zwangsläufig auch und vor allem in der christlichen Gemeinde zu Zerwürfnissen kommen, wie wir aus der heutigen Apostellesung erahnen können. Der Apostel Paulus verbrachte 18 Monate in Korinth (s. Apg. 18:11), wo er anfänglich zusammen mit dem aus Rom unter Kaiser Claudius ausgewiesenen Juden Aquila und dessen Frau Priszilla dem gemeinsamen Beruf eines Zeltmachers nachging (s. 18:2-3) und nur an den Sabbaten in der Synagoge den Juden und Griechen den Glauben an Jesus Christus verkündete (s. 18:4). Nachdem aber Timotheus und Silas zu seiner Unterstützung aus Mazedonien eingetroffen waren, konnte sich Paulus uneingeschränkt der Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus widmen (s. 18:5). Hier in Korinth und an anderen Orten der Verkündigung machte er teilweise davon Gebrauch, dass er von wohlhabenden Frauen, welche die Apostel üblicherweise auf ihren Missionsreisen begleiteten, mit dem Notwendigsten versorgt wurde (s. Apg. 16:13-15). Und das meint der Apostel im Brief an die Korinther mit: „Haben wir nicht das Recht, eine gläubige Frau mitzunehmen, wie die übrigen Apostel und die Brüder des Herrn und Kephas? Sollen nur ich und Barnabas auf das Recht verzichten, nicht zu arbeiten?“ (1 Kor. 9:5-6). Der heilige Augustinus (+430) stellt hier erklärend fest, dass mit einer „gläubigen Frau“ (griech. adelfin gynaika = Schwester Frau) keinesfalls von mit den Aposteln verheirateten Frauen die Rede ist (wie es aus zahlreichen, zumeist modernen Übersetzungen fälschlicherweise hervorgeht), sondern um „Schwestern im Herrn“. Wir können aber davon ausgehen, dass die Aposteln Paulus und Barnabas auf die Dienste solcher mitreisenden Frauen sowohl auf ihrer gemeinsamen Missionsreise als auch nach ihrer Trennung (s. Apg. 15:36-41) verzichteten. In Korinth, wo der Apostel Paulus längere Zeit lebte, ergab sich, wie oben erwähnt, die Möglichkeit, sich voll und ganz dem Wort Gottes zu verschreiben. Wie der heilige Theophylakt von Ochrid (+ nach 1107) vermutet, gab es in der antiken Metropolis Korinth unter der Oberschicht gut betuchte Prediger und Lehrer, die es sich bequem leisten konnten, auf finanzielle Zuwendungen ihrer Zuhörer und Schüler zu verzichten, die aber ihren unliebsamen „Konkurrenten“ Paulus deshalb verhöhnten, dass er diese Unterstützung offensichtlich vorübergehend in Anspruch genommen hatte. Darauf nimmt der Apostel Bezug im heute von uns behandelten Abschnitt. Er verteidigt zwar sein Recht, für die von ihm gesäten Geistesgaben irdische Güter zu ernten (s. 1 Kor. 9:11; vgl. 9:7-8), betont aber wiederholt, dass er auf das Recht verzichtet hat, für die Verkündigung des Evangeliums vom Evangelium auch leben zu können, sprich, nicht zu arbeiten (s. Apg. 20:33-35; 1 Kor. 9:12-18). Und doch setzt er sich für den vom Herrn Jesus Christus verkündeten Grundsatz ein: „Wer arbeitet, hat ein Recht auf seinen Lohn“ (1 Tim. 5:18b; vgl. Mt. 10:10; Lk. 10:7). Um die gehässigen Stimmen seiner Gegner endgültig zum Schweigen zu bringen, bemüht der Apostel das Gesetz des Mose: „Du sollst dem Ochsen zum Dreschen keinen Maulkorb anlegen“ (1 Kor. 9:9; 1 Tim. 5:18a; vgl. Dtn. 25:4). Wenn Gott Sich um die Tiere sorgt, wozu aber kein Gesetz notwendig ist, umso mehr obliegt es dann den Gläubigen, sich um das leibliche Wohl der Geistlichkeit zu kümmern. Auch wenn der materielle Aspekt bei organisatorischen Fragen des kirchlichen Lebens immer zuletzt und nicht zuerst angesprochen werden sollte, sind finanzielle Aufwendungen entsprechend den individuellen Möglichkeiten der Gläubigen (vgl. Mk. 12:41-44; Lk. 21:1-4) ein nahezu untrügliches Indiz dafür, dass ihnen aus geistlichen Erwägungen am Fortbestand ihrer Gemeinde gelegen ist (vgl. 2 Kor. 9:6-7). Amen.