Predigt zum 28. Herrentag nach Pfingsten / vor Christi Geburt / der Väter (Hebr. 11:9-10; 17-23; 32-40; Mt. 1:1-25) (05.01.2025)
Liebe Brüder und Schwestern,
wir stehen an der Türschwelle zum Fest der Geburt Christi. Im Geiste nähern wir uns der kleinen Höhle in Bethlehem, die zuvor Tieren als Behausung diente, jetzt aber zum Mittelpunkt des Weltalls wird. Dort befinden sich Maria, die kurz vor Ihrer Entbindung steht, und Joseph, Ihr nomineller Ehemann. Sie beide bilden den Abschluss des Stammbaums Jesu Christi (s. Mt. 1:1). Formal wird hier der Mann an erster Stelle genannt, weil der Stammbaum dem Gesetz nach durch die männlichen Vertreter seine Gültigkeit erlangt. Doch es heißt nicht etwa in Bezug auf Joseph: „Seine Frau war Maria“, sondern Joseph wird eindeutig als „Mann Marias“ (Mt. 1:16) bezeichnet, denn „von Ihr wurde Jesus geboren, Der der Christus (der Messias) genannt wird“ (1:17). Maria ist de facto das letzte, wichtigste und entscheidende Glied in der langen Ahnenreihe von Abraham über David bis Jesus Christus; Joseph hingegen kommt diese Ehre de jure zu. Er, der vermeintliche Erzeuger, wird zu Lebzeiten und sogar darüber hinaus für den Vater von Jesus aus Nazareth gehalten (s. Mt. 13:55; Lk. 6:22).
In dieser langen Kette finden wir einige „Unstimmigkeiten“, und zwar immer dann, wenn etwas mit den Frauen, gelinde gesagt, „nicht stimmte“: Tamar, die Frau des Stammvaters aller Juden, hatte sich als Dirne verkleidet und „anonym“ Zwillinge von ihrem Schwiegervater Juda empfangen (s. Gen. 38:6-26); Rahab, die Frau des Salmon, war zuvor eine Dirne in Jericho gewesen, welche die beiden Späher der Israeliten vor der Einnahme der Stadt auf dem Dach ihres Hauses versteckte und ihnen danach zur Flucht verhalf (s. Jos. 2); ihr Sohn Boas nahm Ruth, eine gebürtige Moabiterin (also eine Nicht-Jüdin) zur Frau, die als Schwiegertochter für Noomi „mehr wert war als sieben Söhne“ (s. Rut. 4:15) und schließlich Großmutter des Königs David wurde; dieser „war der Vater von Salomo, dessen Mutter die Frau des Urija war“ (Mt. 1:6), eines Hetiters, den David, nachdem er dessen Frau geschwängert hatte, heimtückisch im Krieg umkommen ließ (Batseba, zum betreffenden Zeitpunkt die Frau eines Anderen, wird im Stammbaum Jesu Christi namentlich gar nicht genannt).
Das alles deutet darauf hin, dass es sehr segensreich ist, wenn man Gottes Erwählte unter seinen Vorfahren hat, und umgekehrt, es einem Fluch gleichkommt, wenn unter den Ahnen solche sind, die Böses vor Gott getan haben (s. Ps. 108:6-20). So wird das Geschlecht Dan als einziges der zwölf Stämme der Söhne Israels nicht unter denen erwähnt, die mit dem Siegel Gottes auf der Stirn gekennzeichnet worden waren (s. Offb. 7:1-8), was die heiligen Väter als Hinweis darauf deuten, dass der Antichrist aus diesem Geschlecht entstammen wird. Offensichtlich wird die „Vorgeschichte“ des Stammes Dan ausschlaggebend hierfür sein. Auf uns und unser Erbgut bezogen können wir nicht ignorieren, dass dieses einen erhebliche Rolle für unsere Charaktereigenschaften spielt und einen bedeutenden Einfluss auf unseren persönlichen Werdegang ausübt. Man sagt ja: „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“. Und doch ist diese Beziehung kein „Karma“, kein Teufelskreis, aus dem wir nicht ausbrechen könnten. Wenn unser Herr Jesus Christus neben großen Heiligen auch große Sünder als leibliche Vorfahren zu haben geruhte, kommt damit lediglich zum Ausdruck, dass Er in die Welt gekommen ist, um sowohl die Einen als auch die Anderen zu retten. Für uns ist es deshalb völlig unabhängig von jedweden genealogischen Altlasten das größte erdenkliche Glück, dem geistlichen Stammbaum Jesu Christi angehören zu dürfen, von dem noch im Paradies in Form des „Protoevangeliums“ die Rede gewesen ist (s. Gen. 3:15). Wir werden nämlich zu Verwandten Christi, indem wir den Willen Seines Himmlischen Vaters erfüllen (s. Mt. 12:50; vgl. Mk. 3:35; Lk. 8:21). Hegumen Nikon (Vorobjew, + 1963) hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass wir uns alle als „Familienmitglieder“ Christi betrachten können, wenn wir uns auf die Geburt des Heilands durch aufrichtige Reue und echtes Umgeisten in der Beichte auf dieses überirdische Ereignis vorbereiten. „Christus wird geboren – preiset Ihn; Christus kommt vom Himmel herab – geht Ihm entgegen; Christus ist auf Erden – erhebet euch!“ singen wir im Irmos der ersten Ode des Weihnachtskanons. Das bedeutet für uns, dass wir Ihn mit Herz, Willen und Verstand preisen, Ihm entgegengehen und uns zu Ihm emporheben sollen. Wenn wir Seinen Namen z.B. durch das Jesus-Gebet preisen, werden wir alle uns umgebenden Feinde abwehren können (s. Ps. 117:11).
Doch wie vor und während der Großen Fastenzeit hervorgehoben wird, gibt es keinen Weg zu Gott ohne Frieden und Eintracht unter den Menschen. Wo Liebe und Einigkeit herrscht, dort ist der Herr (s. Mt. 18:20). Durch „Unzucht, Unsittlichkeit, ausschweifendes Leben, Götzendienst, Zauberei, Feindschaften, Streit, Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz; Spaltungen, Parteiungen, Neid und Missgunst, Trink- und Essgelage und ähnliches mehr“ (Gal. 5:19-21) verlieren wir dagegen die Mitgliedschaft in der familiären Gemeinschaft Christi (s. Eph. 2:19) und können das Königtum Gottes nicht erben (s. Gal. 5:21). Wie können wir das Geburtsfest Christi begehen, wenn unter uns Bosheit, Streit, Neid, Unehrlichkeit und ähnliche Dinge vorherrschen?! Dadurch werden wir nur zu Verwandten des Widersachers, welcher der „Vater der Lüge ist“ (Joh. 8:44). Wenn aber Liebe zwischen und herrscht, sind wir Kinder Gottes, dann sind wir alle eins in Christus. Wenn wir nämlich durch Liebe Gott verherrlichen, dann befinden wir uns schon hier auf Erden im Vorhof des Königtums Gottes (s. Lk. 2:14). Ohne Liebe gibt es kein Weihnachtsfest. Ohne Liebe gehören wir nicht zu Christus, denn die Liebe ist das Merkmal unserer Zugehörigkeit zum Heiland (s. Joh. 13:34-35). Amen.