Predigt zum 27. Sonntag nach Pfingsten (Lk. 13: 10-17) (09.12.2012)
(Eph. 6: 10-17)
Liebe Brüder und Schwestern,
in der heutigen Evangeliumslesung werden wir zu Zeugen einer wundersamen Heilung durch unseren Herrn Jesus Christus, von der uns nur der Evangelist Lukas berichtet. Der Herr lehrt an einem Sabbat in einer Synagoge. Synagogen gab es überall da, wo es mehr als zehn Männer gab, die nicht arbeiten mussten und sich ganz dem Wort Gottes widmen konnten. Je einer oder mehrere fungierten dann als Synagogenvorsteher, die man auch Älteste nannte. Allein in Jerusalem gab es an die 500 Synagogen. Und so versammelten sich die Juden an jedem Sabbat und an jedem Festtag in der Synagoge, um im Gesetz Mose zu lesen und um anschließend von den Ältesten und Schriftgelehrten im Gesetz unterwiesen zu werden.
So einem Ältesten begegnen wir auch heute in der Evangeliumslesung. Durch das heuchlerische Verhalten dieses Mannes erhält der Herr schon einen Vorgeschmack auf das, was Ihn später bei Seiner Verurteilung zum Tode erwarten wird. Dem Synagogenvorsteher geht es ja nicht wirklich um die Treue zum Gesetz. Wahrscheinlich ist er nur von Eifersucht erfüllt, denn ihm, dem Rabbi, ist heute von einem jungen Wanderprediger ganz offensichtlich „die Schau gestohlen“ worden. Das will er Ihm irgendwie heimzahlen und findet, ähnlich vielen anderen vor und nach ihm, einen Ansatzpunkt in der Heilung einer seit 18 Jahren verkrümmten Frau, denn schlechte Taten hat der Herr nicht vorzuweisen. Bemerkenswert ist auch, dass der Synagogenvorsteher seine Spitze landen möchte, indem er nicht Christus direkt attackiert, sondern sein mit Christus sympathisierendes „Stammpublikum“ im allgemeinen, und die soeben geheilte Frau im besonderen: „Sechs Tage sind zum Arbeiten da. Kommt also an diesen Tagen und lasst euch heilen, nicht am Sabbat!“ - Rein sachlich ist diese Anschuldigung schon falsch. Diese Frau kam als fromme Israelitin am Sabbat in die Synagoge, um das Wort Gottes zu hören, und nicht, um von ihrem Gebrechen geheilt zu werden. Zumindest erfahren wir nichts davon, dass sie um Heilung oder Linderung der Leiden gebeten hätte. Sie wird ja ungefragt von ihrem Leiden erlöst. Aber um Wahrheit und Gerechtigkeit geht es dem Synagogenvorsteher ja gar nicht. Was seine „Stammhörer“ verbrochen haben ist eindeutig: sie haben sich von der Lehre dieses fremden Predigers vereinnahmen lassen. In wenigen Monaten wird es sogar Pilatus erkennen, dass das Motiv für den tödlichen Hass der Pharisäer und Schrifgelehrten gegen Christus schnöde Eifersucht ist, die sie durch ihre angebliche Gesetztestreue zu kaschieren versuchen.
Die Antwort Christi ist einfach und einleuchtend. Auch Er spricht im Plural, wendet sich also an die übrigen, mitanwesenden Schrifgelehrten: „Ihr Heuchhler! Bindet nicht jeder von euch am Sabbat seinen Ochsen oder Esel von der Krippe los und führt ihn zur Tränke? Diese Tochter Abrahams aber, die der Satan schon seit achtzehn Jahren gefesselt hielt, sollte am Sabbat nicht davon befreit werden dürfen?“
Wir sehen an diesem Beispiel, dass man sich als Nachfolger Christi durchaus gegen ungerechtfertigte Anschuldigungen zur Wehr setzen darf. Der Herr selbst tut dies auch später bei Seiner Verurteilung. Nur soll es uns nicht darum gehen, „unsere Haut zu retten“ (s. Lk. 17: 32), sondern darum, lediglich so viel zu sagen, wieviel nötig ist, damit derjenige, der nur nach der Wahrheit urteilen will, diese Wahrheit auch erkennen kann. Schließlich müssen wir verhindern, dass Gutgläubige und leicht zu Verführende in die Irre geführt werden und den falschen Anschuldigungen Glauben schenken. Allen anderen hingegen werden auch hundertprozentige Beweise, sogar die Auferweckung von Toten nicht helfen, wenn es ihnen nicht um die Wahrheit geht.
Der Apostel Paulus, selbst im Gefängnis und vom Tode bedroht, schreibt in der heutigen Lesung an die Epheser: „Zieht die Rüstung Gottes an, damit ihr den listigen Anschlägen des Teufels widerstehen könnt. Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister des himmlischen Bereichs. Darum legt die Rüstung Gottes an, damit ihr am Tag des Unheils standhalten, alles vollbringen und den Kampf bestehen könnt“ (Eph. 6: 11-13).
Für uns sollte allerdings schon klar sein, dass wir es in dieser Welt vordergründig sehr wohl mit „Menschen aus Fleisch und Blut“ zu tun haben, die jedoch nicht „die Rüstung Gottes“ angelegt, sich nicht durch die Einswerdung mit Christus in der Taufe „mit Wahrheit gegürtet“, die den „Panzer der Gerechtigkeit“ nicht angezogen und eben nicht „zum Schild des Glaubens gegriffen“ (s. 6: 14-16) haben. Deshalb können diese Menschen „die feurigen Geschosse des Bösen“ (s. 6: 16) nicht auslöschen.
Auch wir sind nicht davor gefeit, zu Werkzeugen der „Fürsten und Gewalten“, der „Beherrscher dieser finsteren Welt“, der „bösen Geister des himmlischen Bereichs“ zu werden. Denn diese Welt ist voll von Nachahmern des Synagogenvorstehers: Politiker aller Länder bezeichnen sich lauthals selbst als Vertreter des Volkes, und vertreten doch nur ihre eigenen Interessen; in der Werbung überbieten sich die Firmen durch Bekundungen ihrer Fürsorge um das Wohl ihrer Kunden, und wollen ihnen doch nur das Geld aus der Tasche ziehen. Für uns ist das alles schon absolut normal, wir kennen es nicht anders. Aber das schlimme dabei ist, dass dieses heuchlerische Verhalten unterbewusst und unbemerkt auch in unser „Fleisch und Blut“ übergeht. Wir sind auch oft nur da hilfreich, wo im Endeffekt für uns etwas herausspringen kann; wir geben vor, für eine gerechte Sache zu streiten, und verfolgen dann eigennützige Ziele – nicht nur Karrieristen und Populisten jedweder Couleur und auf jeder nur denkbaren gesellschaftlichen, politischen oder wirtschaftlichen Ebene, nein – auch wir in unserem Bekannten-, Kollegen- und Familienenkreis neigen zu solchen Verhaltensweisen. Und am schlimmsten ist es, wenn solch eine Entwicklung in ihrer Endphase zu Hass unter Brüdern und Schwestern im Glauben führt. Wenn das passiert, dann haben wir uns von Gott, der Liebe ist, abgewandt: „Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben. Und dieses Gebot haben wir von ihm: Wer Gott liebt, soll auch seinen Bruder lieben“ (I Joh. 4: 20, 21).
Der Apostel Paulus ermahnt uns: „Hört nicht auf zu beten und zu flehen! Betet jederzeit im Geist; seid wachsam, harrt aus und bittet für alle Heiligen, auch für mich: dass Gott mir das rechte Wort schenkt, wenn es darauf ankommt, mit Freimut das Geheimnis des Evangeliums zu verkündigen“ (6: 18-20).
Keine Rede davon, dass er im Kerker sitzt, kein Wort der Klage über die Todesgefahr – er bittet Gott darum, ihm „das rechte Wort zu schenken, um vor seinen Richtern und Henkern mit Freimut das Evangelium zu verkündigen“!..
Wir sehen: der Apostel ist das Gegenteil von dem, was wir sonst kennen und heute auch benennen. Er lebt vor, was er verkündet, und koste es sein Leben.
Wollen wir also die „Rüstung Gottes“ anlegen, damit auch wir „am Tag des Unheils standhalten, alles vollbringen und den Kampf bestehen“ (6: 13) können.
Wenn also der „Schild des Glaubens“, die „Rüstung Gottes“ und das „Schwert des Geistes, das ist das Wort Gottes“ (6: 17) imstande sind, uns vor dem „Tag des Unheils“ zu bewahren, bedeutet das nichts anderes, dass unser Glaube sich auf die geistliche Ebene verlagern soll.
So sagt Metropolit Hilarion (Alfeev): „Das Ideal des Christentums ist es, einen Zustand zu erlangen, in dem sich das ganze Leben in Gebet verwandelt und jede Tat und jeder Gedanke vom Gebet durchdrungen ist. (...) Wenn wir das Gebet lieben, heisst das, wir sind auf dem Weg zu Gott, wenn nicht, dann ist in unserem geistlichen Leben nicht alles in Ordnung. Am Gebet kann man jede Tat prüfen, ob sie Gott wohlgefällig ist oder nicht.“ („Geheimnis des Glaubens“, Universitätsverlag Freiburg / Schweiz, 2003, S. 208). So tat es auch der hl. Siluan, der einem uneinsichtigen Raucher, der dieses Laster nicht als Sünde ansah, empfahl, vor jeder Zigarette zu beten wie vor dem Essen. Als dieser sagte, dass das „irgendwie nicht geht“, gab ihm der Heilige zur Antwort: „Also soll man jede Tat, vor der man nicht ruhig beten kann, besser nicht tun“ (ebd.).
Amen.