Theologische Betrachtung zum Fest der Taufe Christi (Theophanie) in der Russischen Orthodoxen Kirche
Religionsprojekt: „Sichtbarer Glaube - Auf den Spuren biblischer Orte“
„Taufe Christi im Jordan Vasa sacra aus Glas“
„Als Du, Herr, im Jordan getauft wurdest,
da wurde geoffenbart die Anbetung der Dreifaltigkeit;
denn des Vaters Stimme gab Dir das Zeugnis,
Dich den geliebten Sohn nennend,
und der Geist in Gestalt einer Taube
verkündete des Wortes Untrüglichkeit.
Der Du erschienen bist, Christus, Gott,
und die Welt erleuchtet hast, Ehre sei Dir!“
(Troparion zum Fest)
Vorwort
Das Fest der Taufe Christi gehört gemäß der Tradition der Ostkirche zu den zwölf Hochfesten im Kirchenjahr, es wird am 6./19. Januar gefeiert. Im Osten des Römischen Reiches wurde dieses Fest zu Anfang der byzantinischen Ära zusammen mit Weihnachten als ein Fest begangen. Heute liegen beide Feste im Kalender um 13 Tage auseinander, getrennt, oder besser – verbunden durch die Sviatki, die „Heiligen Tage“, die beide Feste auch liturgisch zu einem Ganzen verbinden. Die Geburt und die Taufe Christi sind beides Feste der Erscheinung Gottes, griech. Theophania. Der hl. Apostel Paulus beschreibt die Erscheinung Gottes in dieser Welt als großes „Geheimnis des Glaubens“, denn „Er ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist“ (I Tim. 3: 16). Der große lateinische Kirchenvater hl. Hieronymus drückt es wie folgt aus: „In Seiner Geburt erschien der Sohn Gottes auf verborgene Weise, während es bei Seiner Taufe in vollendeter Weise geschah“. Die Taufe Christi ist somit die Vollendung Seiner Geburt, ebenso wie die Taufe eines gläubigen Menschen als „Wiedergeburt aus dem Geiste“ angesehen wird. Durch die leibliche Geburt werden wir untereinander zu Verwandten des Menschengeschlechts, durch die geistliche Geburt jedoch zu „Verwandten“ Gottes. Die Taufe stellt folglich gewissermaßen den Eintritt in die Kirche dar, sie ist gleichbedeutend der Aufnahme in das Volk Gottes, das Neue Israel, die Kirche Christi.
A. Hauptteil
I. Andeutungen der Taufe im Alten Testament
1. Wasser als Quelle des Lebens
Auch wenn im Alten Testament nicht explizit auf die Taufe Bezug genommen wird, so sehen wir doch, dass sich das Symbol des Wassers als lebensspendendes Element wie ein roter Faden durch die biblische Geschichte zieht. Ohne Wasser ist kein Leben möglich. Bei der Erschaffung der Welt „schwebte der Geist Gottes auf dem Wasser“ (I Mose 1: 2); das nasse Element war Lebensgrundlage auch schon im Paradies, denn „von Eden ging ein Strom, den Garten zu bewässern, und teilte sich von da in vier Hauptarme“ (1 Mose 2: 10); der Prophet Jesaias verkündet: „Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus dem Heilsbrunnen“ (12: 3), ... „die Wüste und Einöde wird frohlocken, und die Steppe wird jubeln und wird blühen wie die Lilien“ (35: 1) ... „Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein“ (35: 5-7). „Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen, zu säen, und Brot, zu essen, so soll das Wort, das aus Meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu Mir zurückkommen, sondern wird tun, was Mir gefällt, und Ihm wird gelingen, wozu Ich Es sende“ (55: 10-11). Die soeben zitierten Stellen aus dem Buch Jesaias werden auch zur Großen Wasserweihe zum Fest der Taufe Christi gelesen. Zu diesem besonderen Ereignis im Kirchenjahr kommen wir aber später im Laufe dieses Vortrags.
2. Urbilder der Taufe
Die Taufe bedeutet nach christlichem Verständnis die Zerstörung der Sünde durch die Einswerdung mit dem Erlöser der Welt, dem Gott-Menschen Jesus Christus. Wenn wir uns in der Taufe mit Ihm vereinigt haben, so sind wir auch im Tode und in der Auferstehung mit Ihm verbunden. Hierfür finden sich folgende Andeutungen im Alten Testament.
a) die Sintflut
Die erste sinnbildliche Andeutung der Taufe ist die Sintflut (1. Mose, Kap. 7). Wie in der Sintflut die sündhafte Menschheit umgekommen ist, wohingegen nur der gottesfürchtige Noah mit seiner Familie zu einem neuen Leben mit Gott bewahrt worden ist, so sind aus Sicht des Neuen Testamentes „alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, ... in Seinen Tod getauft, ... damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln“ (Röm. 6: 3-4). „Denn was Er gestorben ist, das ist Er der Sünde gestorben ein für allemal; was Er aber lebt, das lebt Er Gott. So auch ihr, haltet dafür, dass ihr der Sünde gestorben seid und lebt Gott in Christus Jesus“ (Röm. 10-11).
Und noch eine frappierende Koinzidenz mit dem Neuen Testament: es ist eine Taube (1. Mose 8: 11), die mit einem Ölzweig (griech. eleion = Öl; Gnade) im Schnabel verkündet, dass das Wasser zu weichen begonnen hatte und Gottes Zorn nun besänftigt war.
b) die Brautwerbung am Brunnen in Mesopotamien
Der Knecht Abrahams reist nach Mesopotamien, um dort eine Frau aus der Verwandtschaft seines Herrn für Isaak zu finden; durch das Zeichen des Wasserschöpfens weist ihm Gott auf Rebekka (1. Mose, Kap. 24); diese alttestamentliche „Liebesgeschichte“ steht für die sich anbahnende „Liebesbeziehung“ zwischen Gott und dem Menschen im Mysterium der Taufe.
c) die Brautwerbung am Brunnen in Haran
Jakob entkommt dem Zorn seines Bruders Esau, der ihm nach dem Leben trachtet, und verliebt sich am Brunnen zu Haran in Rahel, als er ihr beim Tränken der Tiere hilft; wieder ist das Wassersymbol ursächlich für eine Hochzeit (1. Mose, Kap. 29); im übertragenen Sinn deutet sich hier die Befreiung vom Tode im Neuen Testament und die Vereinigung Christi mit Seiner Braut, der Kirche, an; wovon später bei unserer Betrachtung des Gesprächs Christi mit der Samariterin an eben diesem Brunnen die Rede sein wird (s. Joh., Kap. 4).
d) Israels Durchzug durch das Schilfmeer
Einen weiteren Hinweis auf die Erlösung durch das Taufbad sehen wir in der Befreiung Israels aus der Knechtschaft in Ägypten (2. Mose, Kap. 14). Der Pharao und sein Gefolge kommen in den Fluten des Meeres um, während Moses mit dem Volk Gottes dem Gelobten Land entgegensehen darf.
e) Gott gibt dem Volk in der Wüste Wasser
Durch Moses gibt Gott dem murrenden Volk Israel zu trinken: zunächst wird bei Mara durch ein Stück Holz bitteres Wasser süß (2. Mose 15: 25), danach schlägt Moses bei Horeb mit dem Stab gegen den Felsen und es entspringt eine Quelle (17: 6) – beides Andeutungen des erlösenden Kreuztodes Christi.
f) die Überquerung des Jordans
Moses war es aber nicht vergönnt, selbst das Volk Israel in das Gelobte Land zu führen. Diese Aufgabe blieb seinem Nachfolger Josua vorbehalten. Unter seiner Führung führt Gott der Herr das Volk Israel nach 40-jähriger Wanderschaft in der Wüste trockenen Fußes über den Jordan in das Gelobte Land (Jos., Kap. 3).
Die beiden wundersamen Überquerungen des Schilfmeeres und des Jordans besingt der Prophet und König David in seinen Psalmen und prophezeit so unser künftiges Heil durch die Taufe Christi: „Das Meer sah es und floh, der Jordan wandte sich zurück. ... Was war mit dir, du Meer, dass du flohest, und mit dir, Jordan, dass du dich zurückwandest?“ (Ps. 114 3, 5) All diese Textstellen weisen auf die Befreiung von der Macht des Todes und der Sünde und von der Knechtschaft des Teufels hin und deuten die Erlösung durch die Einswerdung mit dem Gott-Menschen Jesus Christus in Seiner Heiligen Kirche vor. Durch den Propheten Jesaias kündigt Gott diesen Neuen Bund mit den Menschen wie folgt an: „Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! ... Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen, euch die beständigen Gnaden Davids geben!“ (55. 1, 3).
Weitere Beispiele für die urbildliche Andeutung der Reinigung von den Sünden und für die Errettung vor dem Tode durch das Wasser des Taufbades sind die Heilung des aramäischen Feldhauptmanns Naamann (2. Kön., Kap. 5), der auf Anordnung des Propheten Elisa durch siebenmaliges Eintauchen in den Jordan vom Aussatz geheilt wird, sowie die wundersame Errettung des Propheten Jonas aus dem Meer im Bauch des großen Fisches (Jon. Kap. 2).
II. Die Taufe im Neuen Testament
1. Christi Taufe im Jordan
Die Heilige Schrift bezeugt, dass der von den Propheten angekündigte Vorläufer Johannes den Weg für den Heiland bereiten wird: „Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg und macht eben Seine Steige!“ (Jes. 40: 3). Er kommt aus der lebensfeindlichen Wüste, um von dort das kommende Heil durch die Umkehr zu verkündigen: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“ (Mt. 3: 2). Wortwörtlich wiederholt der Messias Selbst diesen Aufruf an anderer Stelle (s. Mt. 4: 17).
Johannes der Täufer nimmt kein Blatt vor den Mund. Den Pharisäern und Saddukäern, die sich auf ihre eigene Gerechtigkeit und die Zugehörigkeit zum Volk Israel berufen, ruft er zu: „Ihr Schlangenbrut, wer hat denn euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? Seht zu, bringt rechtschaffene Frucht der Buße! Denkt nur nicht, dass ihr bei euch sagen könntet: ´Wir haben Abraham zum Vater.` Denn ich sage euch: Gott vermag dem Abraham aus diesen Steinen Kinder zu erwecken“ (Mt. 3: 7-9). Damit deutet er geheimnisvoll an, dass von nun an nur noch die Zugehörigkeit zu Gottes Volk nach dem Geiste für das Heil gefragt sein wird. Und es werden die bislang versteinerten Herzen der Heiden sein, welche die Frohe Botschaft begreifen, mit Freude aufnehmen und dadurch selbst zu Kindern Abrahams nach dem Geist werden.
Wenden wir uns nun den Bibelstellen zu, welche die Taufe Christi im Jordan dokumentieren.
a) Matthäus-Evangelium (3: 13-17)
„Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, dass Er Sich von ihm taufen ließe. Aber Johannes wehrte Ihm und sprach: ´Ich bedarf dessen, dass ich von Dir getauft werde, und Du kommst zu mir?´ Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: ´Lass es jetzt geschehen! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen´. Da ließ er es geschehen. Und als Jesus getauft war, stieg Er alsbald herauf aus dem Wasser. Und siehe, da tat sich Ihm der Himmel auf, und Er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über Sich kommen. Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: ´Dies ist mein lieber Sohn, an Dem Ich Wohlgefallen habe´.“
b) Markus-Evangelium (1: 9-11)
„Und es begab sich zu der Zeit, dass Jesus aus Nazareth in Galiläa kam und ließ Sich taufen von Johannes im Jordan. Und alsbald, als Er aus dem Wasser stieg, sah Er, dass sich der Himmel auftat und der Geist wie eine Taube herabkam auf Ihn. Und da geschah eine Stimme vom Himmel: ´Du bist Mein lieber Sohn, an Dir habe Ich Wohlgefallen!´“
c) Lukas-Evangelium (3: 21-22)
„Und es begab sich, als alles Volk sich taufen ließ und Jesus auch getauft worden war und betete, da tat sich der Himmel auf, und der Heilige Geist fuhr hernieder auf Ihn in leiblicher Gestalt wie eine Taube, und eine Stimme kam aus dem Himmel: ´Du bist mein lieber Sohn, an Dir habe Ich Wohlgefallen´.“
Es bleibt hinzuzufügen, dass der vierte Evangelist, Johannes der Theologe dieses Ereignis zwar nicht wiederholt, in seinem Prolog den Täufer gleichwohl zu Wort kommen lässt.
d) Johannes-Evangelium
„Johannes gibt Zeugnis von Ihm und ruft: Dieser war es, von Dem ich gesagt habe: ´Nach mir wird kommen, Der vor mir gewesen ist; denn Er war eher als ich´.“ (1: 15) Später deutet Johannes der Täufer auf Christus und sagt: „Siehe, das ist das Lamm Gottes, Das der Welt Sünde trägt!“ (1: 29).
Obwohl im Johannes-Evangelium die Taufe Christi im Jordan nicht erwähnt wird, wird die Erlösung, die der Welt durch dieses Ereignis zuteil wurde, bei Johannes auf geheimnisvolle Weise angedeutet. Dabei kommt das Wasser als Element des Lebens immer wieder deutlich zum Vorschein. Wohlgemerkt: alle nun folgenden Ereignisse sind nur vom Evangelisten Johannes überliefert worden:
i) bei der Hochzeit zu Kana in Galiläa vollbringt Christus Sein erstes Wunder: Er verwandelt Wasser in Wein (2: 1-12) und deutet damit die kommende Erlösung durch Taufe und Eucharistie an;
ii) im Gespräch mit Nikodemus spielt Christus auf die Geburt „aus Wasser und Geist“ (3: 5) an;
iii) im Gespräch mit der Samariterin verspricht der Herr ihr das „lebendige Wasser“ (4: 10), und dass, „wer von dem Wasser trinken wird, ... den wird in Ewigkeit nicht dürsten“ (4: 14); diese Unterhaltung findet am Brunnen Jakobs statt, an dem zuvor im Alten Testament Jakob auf Brautsuche gegangen war; jetzt „umwirbt“ aber Christus in Person der Samariterin Seine „Braut“, die Kirche (s. Eph. 4: 24); das Mittel des Wasserschöpfens ist Sinnbild für die Vereinigung des Menschen mit Christus Gott im Taufbad;
iv) am Teich von Betesda – einem weiteren Urbild des Taufbeckens, heilt Christus den seit 38 Jahren dahinsiechenden Gelähmten durch Sein Wort (s. 5: 1-18);
v) zum Laubhüttenfest predigt Jesus Christus in Jerusalem und prophezeit die Herabsendung des Heiligen Geistes: „Wer an Mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen“ (7: 38);
vi) am Teich Siloah heilt Christus den Blindgeborenen, nachdem Er ihm einen Teig aus Seinem Speichel und Erdstaub auf die Augen strich und im Teich mit Wasser abwaschen ließ (s. Kap. 9); noch wichtiger aber: der ehemals Blinde wird zudem von der geistlichen Blindheit geheilt und erkennt Jesus als Messias an, als „das Licht Welt“ (9: 5);
vii) der in Kana zu Galiläa begonnene Kreis schließt sich im Moment des Kreuztodes Christi: „Einer der Soldaten stieß mit dem Speer in Seine Seite, und sogleich kam Blut und Wasser heraus. Und der das gesehen hat, der hat es bezeugt, und sein Zeugnis ist wahr, und er weiß, dass er die Wahrheit sagt, damit auch ihr glaubt.“ (19: 34-35); hier wird ebenfalls unsere Teilhabe an Tod und Auferstehung Christi durch Vereinigung mit Ihm in der Taufe und der Eucharistie angedeutet.
Diese Betrachtungen sollen uns als Überleitung zum nächsten Punkt unserer gemeinsamen Reflektion führen.
2. Die Begründung der allgemeinen Taufe im Neuen Testament
Nachdem der Sohn Gottes Sein irdisches Erlösungswerk vollbracht hatte, und bevor Er wieder in den Himmel hinauffuhr, gebot Er Seinen Jüngern: „Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was Ich euch befohlen habe. Und siehe, Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (Mt. 28: 19-20) und: „Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur. Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden“ (Mk. 16: 15-16).
In der bereits zuvor zitierten Stelle aus dem Matthäus-Evangelium ruft Johannes der Täufer die geistlichen Anführer des jüdischen Volkes zur Umkehr auf, anstatt sich auf ihre Abstammung von Abraham zu berufen. Der Vorläufer Christi verkündet als erster den Neuen Bund, in dem nach den Worten Christi Gott „im Geist und in der Wahrheit“ (Joh. 4: 24) angebetet werden wird. Das Neue Israel wird also nicht durch ethnische Kriterien gerecht, sondern durch den Glauben. Auf wahrnehmbare Weise vollzieht sich dieser Neue Bund Gottes mit Seinem Volk in der Taufe eines jeden Gläubigen: „Denn ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen“ (Gal. 3: 26-27). Durch die Taufe werden Gläubige eins mit Christus und auch untereinander, denn „hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau: denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus“ (3: 28).
Dem Taufritus der Orthodoxen Kirche entsprechend erhält jeder Täufling ein weißes Taufkleid als Zeichen dessen, dass er „Christus angezogen“ hat und reingewaschen ist von der Sünde durch die Gnade Gottes. Er ist nun eins mit Christus und mit allen, die auf Ihn getauft sind.
III. Die Taufe in der kirchlichen Praxis
Durch das Wirken des Heiligen Geistes in der Kirche werden Raum und Zeit auf mystische Weise überwunden. Wenn wir nun durch die Taufe mit dem Gott-Menschen Jesus Christus vereint sind, dann ist Seine Taufe im Jordan unsere Taufe, und unsere Taufe zu jeder beliebigen Zeit an jedem beliebigen Ort ist dann Seine Taufe im Jordan.
1. Die Taufe als Initiationsmysterium
Die Taufe gilt in der christlichen Tradition als erstes Mysterium (oder Sakrament im westlichen Sprachgebrauch). Anders als im Westen wird nach östlicher Tradition ein zweites Mysterium oder Sakrament unmittelbar an die Taufe angeschlossen – die Myronsalbung, also die „Besiegelung durch den Heiligen Geist“. In der Praxis der westlichen Christenheit wurde das Sakrament der Firmung oder die Konfirmation im Laufe der Zeit von der Taufe getrennt und wird erst mehrere Jahre nach der Taufe eines Säuglings oder Kleinkindes vollzogen. Die Praxis der Orthodoxen Kirche wird aber eher der Tatsache gerecht, dass bei der Taufe Christi im Jordan der Heilige Geist auf Ihn herabstieg. Diesen hat Christus Gott Seinerseits später Seiner Kirche zu Pfingsten herabgesandt. Somit ist das Mysterium der Myronsalbung unser aller Teilnahme am Pfingstereignis zu Jerusalem.
Der Priester betet im Taufritus der Orthodoxen Kirche darum, „dass geheiligt werde dieses Wasser durch die Kraft und die Wirksamkeit und das Überkommen des Heiligen Geistes“, „dass herabgesandt werde auf dieses Wasser die Gnade der Erlösung, der Segen des Jordans“, „dass herabkomme auf dieses Wasser die reinigende Wirksamkeit der überwesentlichen Dreifaltigkeit“, „dass wir erleuchtet werden mit dem Licht der Erkenntnis und Gottseligkeit durch das Überkommen des Heiligen Geistes“, „dass sich erweise dieses Wasser als vertreibend jede Nachstellung aller sichtbaren und unsichtbaren Feinde“, „dass würdig werde des unvergänglichen Königtums, der in ihm getauft wird“, „für den jetzt zur heiligen Erleuchtung Kommenden und sein Heil“, „dass er erklärt werde als Sohn des Lichtes und Erbe der ewigen Güter“, „dass er miteingepflanzt werde und teilhabe an dem Tode und der Auferstehung Christi, unseres Gottes“; „dass ihm bewahrt bleibe das Kleid der Taufe und das Unterpfand des Geistes rein und unbefleckt zum furchtbaren Tage Christi, unseres Gottes“, „dass dieses Wasser ihm werde zum Bad der Wiedergeburt, zur Vergebung der Sünden und zur Bekleidung mit der Unverweslichkeit“ – kurzum, das Wasser im Taufbecken wird für den Täufling zum „Wasser des Jordans“.
In der Orthodoxen Kirche besteht die Praxis der Ganzkörpertaufe. Der Täufling (Baby oder Kleinkind) werden dreimal untergetaucht. Für Erwachsene gibt es mancherorts sog. Baptisterien, wie sie in der Frühkirche, als sich zahlreiche Heiden zum Glauben an Jesus Christus bekehrten, bestanden. Hier und da kann, wenn die materiellen Möglichkeiten begrenzt sind, mit improvisierten Baptisterien (transportablen Badewannen, Viehtränken, Regentonnen etc.) vorlieb genommen werden. Ich persönlich habe in der warmen Jahreszeit auch schon in Flüssen, Seen und sogar im Meer getauft. Wichtig dabei ist: durch das dreifache Eintauchen kommt unser Glauben an den Tod und die Auferstehung Christi zur Geltung: „Wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in Seinen Tod getauft? So sind wir ja mit Ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln. Denn wenn wir mit Ihm verbunden und Ihm gleichgeworden sind in Seinem Tod, so werden wir Ihm auch in der Auferstehung gleich sein“ (Röm. 6: 3-5). Die Taufe ist also ein Tod und Begrabensein unseres „alten Menschen“ (6: 6), gleichzeitig aber auch eine Auferweckung und eine Wiedergeburt zu einem neuen Leben in Christus. Ein bloßes Übergießen oder Besprengen mit Wasser wird diesem Gedanken demnach nicht im vollen Maße gerecht (und sollte eigentlich nur in absoluten Not- und Ausnahmefällen erlaubt sein).
2. Das Fest der Taufe Christi
Wie erwähnt, ist die Taufe Christi oder Theophanie das Fest der vollendeten Erscheinung Gottes, denn Er offenbart Sich hier erstmals als Dreiheit - der Vater legt Zeugnis vom Himmel ab, der Sohn wird auf Erden getauft und der Heilige Geist geht auf den Sohn in Gestalt einer Taube nieder. Dieses Ereignis wird in der Orthodoxen Kirche durch ein großes Fest gewürdigt, es verdient auch eine nähere Betrachtung an dieser Stelle.
a) der theologisch-liturgische Aspekt
Das Fest der Taufe des Herrn oder Theophanie ist, wie eingangs ebenso erwähnt, eng mit dem Fest der Geburt Christi verbunden. Dies äußert sich vor allem in der Struktur des Festgottesdienstes: beide Feste unterscheiden sich von den übrigen Festen durch einen Vorabend (russ. навечерие oder сочельник), an dem die sog. Königsstunden gelesen werden. Der Vorabend vor Weihnachten bzw. Theophanie, im Westen Heiligabend genannt, ist ein strenger Fastentag, der als letzte Vorbereitung zum Fest dient. Die Krönung eines jeden Festes ist die Liturgie (also die Eucharistiefeier, die den Höhepunkt des täglichen Gottesdienstzyklus bildet).
Auf den Festtagsikonen zur Theophanie sieht man oft, dass auf dem Grund des Jordanflusses die Pforten der Hölle zerstört und die Dämonen niedergetreten werden – womit ikonographisch eine Verbindung zur Auferstehung Christi hergestellt wird, die ja auf Osterikonen als Höllenfahrt Christi und als Befreiung Adams und Evas mitsamt der Heiligen des Alten Testaments abgebildet wird. Ferner ist dass Flussbett des Jordans oftmals in Form einer Höhle dargestellt, die wiederum, einerseits, an die Geburtshöhle Christi auf der Weihnachtsikone erinnert, andererseits aber einen weiteren ikonographischen Hinweis auf die Grabhöhle Christi darstellt. All das bildet miteinander eine Einheit und soll die Erlösung des Menschen durch Christi Geburt, Taufe, Tod und Auferstehung zum Ausdruck bringen. Eine zentrale Funktion kommt hierbei der Taufe zu: „Sind wir aber mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit Ihm leben werden“ (Röm. 6: 8).
b) die Große Wasserweihe – Megali Agiasma
Das Fest der Taufe Christi hat aber noch eine rituelle Besonderheit – die Große Wasserweihe, griech. ´agiasma.
Wie soeben erörtert, werden in den Fluten des Jordans also die Sünden der Welt abgewaschen, im Wasser des Jordans erlangt der Mensch die Wiedergeburt zum neuen Leben. So spricht auch der hl. Apostel Paulus: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden“ (2 Kor. 5: 17). Wie zuvor im Alten Testament durch die Sintflut die Sünde in den Fluten sinnbildlich zerstört wurde, so wird sie in der Taufe Christi symbolisch zu Grabe getragen: „Wir wissen ja, dass unser alter Mensch mit Ihm gekreuzigt ist, damit der Leib der Sünde vernichtet werde, so dass wir hinfort der Sünde nicht dienen. Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde“ (Röm. 6: 6-7). Der Mensch ist die „Krone der Schöpfung“, und „die Schöpfung wird ja auch frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes“ (Röm. 8: 21). Dies bedeutet, dass die ganze Schöpfung in Christus erneuert wird, so wie es schon urbildlich in der Sintflut geschehen ist – nicht nur der Mensch, sondern die ganze Kreatur wurde damals quasi neu geschaffen. In vollendeter Weise geschieht diese Erneuerung der materiellen Schöpfung in den Wassern des Jordans durch das Herabsteigen von Gottes Sohn Jesus Christus.
Aus diesem Grunde wird zum Fest der Taufe Christi die Große Wasserweihe gefeiert. Die Menschen trinken ehrfürchtig dieses heilige Wasser, sie lassen sich selbst und ihre Kinder bereitwillig vom Priester damit besprengen, lassen sich ihre Wohnungen, Gärten, Felder, Fortbewegungsmittel etc. segnen. Die Gläubigen erhalten somit den Segen für ein vergeistlichtes und gottgefälliges Leben in der materiellen Welt – es ist quasi die Wiederherstellung des paradiesischen Zustands vor dem Sündenfall. Doch Ziel aller Segnungen, auch der materiellen Dinge des täglichen Lebens, ist die Gemeinschaft mit Gott – und das bedeutet das Paradies auf Erden.
Mancherorts ist es üblich, nach dem Festgottesdienst eine Prozession direkt zum „Jordan“ zu veranstalten – einem nahegelegenen See, Fluss oder Weiher. Im Russischen gibt es den Begriff „крещенские морозы“, was soviel bedeutet wie „jahreszeitlich bedingter Frost zum Fest der Taufe Christi“. In die Eisdecke wird ein kreuzförmiges Loch geschlagen, damit das große Agiasma unter freiem Himmel stattfinden kann. Nach dem Ende der Wasserweihe tauchen Wagemutige in das geheiligte Wasser des russischen Jordans ein und nehmen ein winterliches Bad zur Feier der Taufe Christi und der Erneuerung der Schöpfung.
Das Wasser der Großen Wasserweihe wird manchmal über Jahre hinweg von den Gläubigen zu Hause aufbewahrt. Manch einer macht die „Probe aufs Exempel“ und stellt neben dem Gefäß mit dem Weihwasser ein Gefäß mit nicht geweihtem Wasser auf, um nach einiger Zeit festzustellen, dass das „profane“ Wasser rasch verdorben, während das Weihwasser frisch geblieben ist.
c) die Kleine Wasserweihe
Da das Weihwasser vom Fest der Theophanie mitunter nicht für das ganze Jahr reicht (denn die Gläubigen trinken es täglich vor dem Frühstück), gibt es zu mehreren Anlässen im Jahr die sog. Kleine Wasserweihe. Diese kann auch ohne besonderen Anlass zu jeder beliebigen Zeit durchgeführt werden, wenn z.B. in der Kirche das Weihwasser ausgegangen ist. Auch wenn das Wasser der Kleinen Wasserweihe im Vergleich zu dem der Großen Wasserweihe nicht „weniger heilig“ ist, so hat doch das Wasser vom Fest der Theophanie eine ganz besondere Bedeutung im Bewusstsein und auch im Herzen der Gläubigen.
Der Ritus der Kleinen Wasserweihe unterscheidet sich von dem der Großen Wasserweihe durch seine kürzere Dauer und einfachere Ausführung.
B. Schlusswort
Es ist zweifelsohne eine erfreuliche Entwicklung, dass sich seit dem Fall des kommunistischen Regimes immer mehr Menschen in der ehemaligen Sowjetunion taufen lassen. Allerdings geschieht dies in einer Vielzahl von Fällen ohne entsprechende Vorbereitung. Ein wenig konkreter Glauben an eine „höhere Macht“ ist in den meisten Fällen schon ausreichend. Doch wenn sich durch die Taufe das Leben nicht grundlegend ändert, kann man kaum von einer „neuen Geburt“ „aus Wasser und Geist“ (Joh. 3: 5) sprechen. Auch wenn solche Menschen von sich behaupten, dass sie „in der Tiefe ihres Herzens an Gott glauben“, kann man diese Einstellung bestenfalls als oberflächlich bezeichnen. Um „von neuem geboren“ (Joh. 3: 3) zu werden reicht es nicht, einfach nur ein „guter Mensch“ zu sein, also praktisch nach eigenen Moral- und Wertvorstellungen zu leben. Ein Leben nach dem Geist ist nur möglich in der Kirche, dem mystischen Leib Christi, der Schatztruhe aller Gnadengaben des Heiligen Geistes. Sie ist die neutestamentliche Arche, welche uns allein vor dem Untergang in dieser „alten“ Welt bewahren und zur Erneuerung unseres Lebens führen kann. Und so ruft uns der Apostel zu: „Zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit“ (Eph. 4: 24).
Im übrigen ist doch eigentlich jedem Menschen der Glaube an eine Existenz nach dem Tod zueigen. Unsere russische Kapelle steht auf dem Historischen Friedhof. Wenn ich an den blumenbeschmückten, liebevoll gepflegten Gräbern ohne christliche Symbolik vorbeigehe, wird mir immer deutlicher bewusst, dass es eigentlich keine wirklichen Atheisten und Materialisten gibt. Auch nicht-gläubige oder, besser, nicht-religiöse Menschen haben ein Verlangen nach jenseitigem Dasein und spüren instinktiv, dass die Seele des Menschen unsterblich ist (Blumen schenkt man nur Lebenden!). Nur sollten solche Menschen sich nicht scheuen, sich Christus in der Taufe anzuschließen, „damit alle, die an Ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“ (Joh. 3: 16).