Predigt zum fest der Allheiligen Dreiheit (Pfingsten) (Apg. 2: 1-11; Joh. 7: 37-52; 8: 12) (31.05.2015)
Liebe Brüder und Schwestern,
im Kontakion zum heutigen Gründungsfest der Kirche singen wir unter Bezugnahme auf zwei biblische Ereignisse:
„Als Er herab kam, die Sprachen zu verwirren,
schied der Höchste die Völker;
als Er des Feuers Zungen verteilte,
rief Er alle zur Einheit:
und einstimmig verherrlichen wir den Allheiligen Geist!“
Zur Vorgeschichte: am Anfang der menschlichen Ära wollten die Menschen „einen Turm, mit einer Spitze bis zum Himmel“ (Gen. 11: 4) bauen, um sich damit „einen Namen zu machen“, d.h. den Himmel aus eigener, menschlicher Kraft zu erreichen. Also immer wieder die gleiche Ursünde des Menschen, der Vergöttlichung ohne Gott anstrebt! Und das konnte nicht ohne Folgen bleiben:
„Da stieg der Herr herab, um Sich Stadt und Turm anzusehen, die die Menschenkinder bauten. Er sprach: ´Seht nur, ein Volk sind sie, und eine Sprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, was sie sich auch vornehmen. Auf, steigen Wir herab, und verwirren dort ihre Sprache, so dass keiner mehr die Sprache des anderen versteht`. Der Herr zerstreute sie dort aus über die ganze Erde, und sie hörten auf, an der Stadt zu bauen. Darum nannte man die Stadt Babel (Wirrsal), denn dort hat der Herr die Sprache aller Welt verwirrt, und von dort aus hat Er die Menschen über die ganze Welt zerstreut“ (Gen. 11: 5-9).
Das Pfingstereignis zu Jerusalem ist die „Wiedergutmachung“ des Turmbaus zu Babylon. Es geschah: „Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab. In Jerusalem aber wohnten Juden, fromme Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als sich das Getöse erhob, strömte die Menge zusammen, und war ganz bestürzt, denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden“ (Apg. 2: 4-6). Hatte der Herr da noch die Menschen mittels Sprachenvielfalt zerstreut, weil sie sich anmaßten, ohne Gott den Himmel erreichen zu wollen, so vereint der Herr sie hier mittels Sprachenvielfalt, damit Menschen mit Gott zur himmlischen Herrlichkeit gelangen. Somit wurde Babylon zum Inbegriff alles Gottesfeindlichen und des endzeitlichen satanischen Gegenentwurfs zur Kirche Christi (s. Offb. 16: 19; 17: 5; 18: 10; 18: 21).
Pfingsten ist ja das Fest der Allheiligen Dreifaltigkeit, denn durch die Herabsendung des Heiligen Geistes auf die Kirche Christi ist unsere Teilhabe an der Trinität Gottes nun verwirklicht. Beim babylonischen Turmbau wurde die Trinität ja bereits durch den auf den Herrn bezogenen Plural (s. Gen. 11: 6-7) angedeutet. Protopresbyter Alexander Schmemann (+ 1983) definiert Sie folgendermaßen: Der Liebende, der Geliebte und die Kraft der Liebe.
„Der Höchste rief alle zur Einheit auf“ - deren absolutes Vorbild Er Selbst in der Trinität ist. Das griechiche Wort für Kirche, Ekklesia (= s.v.w.Versammlung aller Berufenen), impliziert schon rein etymologisch, dass niemand ausgeschlossen ist (s. Gal. 3: 28). Gott will, dass alle Menschen eins werden (s. Joh. 17: 11, 21, 22). Folglich ist Glauben nicht Privatsache. Gewiss kann und soll man auch separat zu Hause beten (s. Mt. 6: 6), der Sinn des Christentums besteht jedoch seit jeher in der Einheit aller mit Gott und untereinander.
Aber nicht jede Einheit ist gut, und eine Einheit um ihrer selbst willen ist Gott zuwider. Der deutsch-britische Philosoph und Schriftsteller Houston Stewart Chamberlain (1855-1927) vertritt in seinem fundamentalen pangermanistischen und antisemitischen Werk „Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ die These, dass die Massen am einfachsten für eine Idee zu begeistern sind, wenn sie gegen etwas sein können. Dies war der ideologische Nährboden, auf dem Hitlers „Mein Kampf“ entstanden ist. Die Bolschewiken in Russland gingen in ihrem „Modellversuch“ noch weiter. Erzpriester Georgij Mitrofanov, Professor an der Geistlichen Akademie St. Petersburg, sieht in der gottesfeindlichen und menschenverachtenden kommunistischen Ideologie ein einzigartiges Experiment, das Wort „Liebe“ faktisch aus dem alltäglichen Sprachgebrauch zu verbannen. Plötzlich hatte dieses wahrhaft wunderbare Wort einen negativen bzw. ironischen Beiklang, hatte es doch nach offizieller Lesart seine substanzielle Bedeutung verloren. Stattdessen versuchte man eine neue Gesellschaftsordnung auf dem Fundament des Hasses zu errichten: des Hasses gegen die Adligen, die das Land innen- und außenpolitisch zu seiner beispiellosen Größe geführt hatten; gegen die Intellektuellen, die für eine bis dahin nie dagewesene kulturelle Blütezeit verantwortlich zeichneten; gegen den Klerus, der von jeher über den geistlich-moralischen Zustand der Bevölkerung gewacht hatte; gegen die Armeeangehörigen, die mit ihrem Blut die Heimat verteidigten und für die Freiheit anderer Völker ihr Leben ließen; gegen die Industriellen, die das Rückgrat der heimischen Wirtschaft bildeten und Millionen in Lohn und Brot brachten; gegen die Großgrundbesitzer, die das Land zu einer Zeit ernährten, als man das Wort „Mangelwirtschaft“ bestenfalls in utopischen Romanen hätte lesen können. - Kein Wunder, dass Hass bei den Massen besser ankommt, denn es ist nun mal einfacher, seine Feinde zu hassen, als zu lieben; ihnen etwas zu neiden, als etwas zu gönnen; seine eigenen Interessen mit allen Mitteln durchzusetzen, als größtmögliche Opfer für das Allgemeinwohl zu bringen etc. In so einem Wertesystem hat das Wort „Liebe“ keinen Platz, zumal es noch dazu ein Synonym für „Gott“ ist (s. 1. Joh. 4: 16b). Und „wer Gott liebt, soll auch seinen Bruder lieben“ (1. Joh. 4: 21).
Besagtes System erreichte sogar am 12.04.1961 den „Himmel“ und verkündete der Welt, dass es dort keinen Gott gibt. Der damalige Staatschef versprach danach sogar, dass man dank des wissenschaftlichen und medizinischen Fortschritts bis zum Jahr 2000, und zwar ganz ohne Hilfe „von oben“, die Unsterblichkeit erlangen werde. Vorher, 1980, sollte allerdings noch der letzte Pope öffentlich in einem Schaukasten vorgeführt werden. In diesem Anti-Glauben ließ es sich die euphorisierten Massen vortrefflich vereinigen, aber nicht für lange.
Wir sehen aus diesen Beispielen, dass Einheit nach dem Heilsplan Gottes nicht ohne Wahrheit vollzogen werden kann. Für uns alle fand ja unser persönliches Pfingstereignis im Mysterium der Myronsalbung statt. „Die Salbung, die ihr von Ihm empfangen habt, bleibt in euch, und ihr braucht euch von niemand belehren zu lassen. Alles, was Seine Salbung euch lehrt, ist wahr und keine Lüge. Bleibt in Ihm, wie es euch Seine Salbung gelehrt hat“ (1. Joh. 2: 27). So lautet die kirchliche „Ideologie“ dann auch: Einheit in Liebe und Wahrheit. Dieses Modell der „Vielfalt in der Einheit“ und der „Einheit in der Vielfalt“ drückte St. Vinzenz von Lerins (+ 434/450) wie folgt aus: „In erstrangigen Sachen herrsche Einheit, in zweitrangigen – Freiheit, doch in allem - Liebe“. Warum sonst sollten wir nach der Wahrheit hungern und dürsten (s. Mt. 5: 6) und um ihretwillen bereit sein, Verfolgungen zu erleiden (s. 5: 10), wenn sie für die Erlangung des Himmelreiches unerheblich wäre (vgl. Joh. 4: 23-24)?!
Vor drei Monaten erklangen bei der Gründungsversammlung des „Interreligiösen Dialogs“ in Erfurt, zu dem neben Christen auch Juden und Moslems eingeladen waren, (sinngemäß) folgende Worte aus dem Munde eines christlichen Vertreters: „Keiner von uns ist im Besitz der absoluten Wahrheit, aber wir alle verfolgen doch dasselbe Ziel, nur auf unterschiedlichem Weg. Es geht uns vielmehr darum, respektvoll miteinander umzugehen und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten“. Was die zweite Hälfte dieser Aussage angeht, würde ich jederzeit unterschreiben, aber den ersten Satz?!.. Ich habe persönlich kein Problem damit, wenn ein Jude, ein Moslem oder ein heterodoxer Christ seinen Glauben für den einzig wahren hält, vorausgesetzt, er ist im Gegenzug bereit, meinen Glauben zu respektieren. Ganz im Gegenteil, mein Respekt für jeden nicht fanatisierten Andersgläubigen nimmt zu, wenn ich erkenne, dass er nach seiner Überzeugung aufrichtig lebt und handelt. Wer aber in religiösen Fragen eine relativistische Haltung vertritt, verdient in meinen Augen nicht wirklich Anerkennung. Das ist die Haltung der lauwarmen Christen, deren einziges Credo lautet: „Es gibt nur einen Gott“. Für sie ist es folglich egal, welcher Konfession man angehört, da alle im Grunde nur das Gleiche lehrten. Aber „ist denn Christus zerteilt?“ (1. Kor. 1: 13).
Sicher gibt es sogar in einfachen weltlichen Dingen einen gewissen Subjektivismus, den ich jedem zugestehen würde: Für mich ist z.B. meine Frau die Schönste, schmecken die Kulitschi meiner Mutter am besten, sind meine eigenen Kinder die Liebsten usw. Aber über diesen Absolutheitsanspruch des liebenden Herzens werde ich mich mit niemandem ernsthaft streiten wollen. Mir ist es sogar recht, wenn der andere seine Frau bewundert und seine Kinder für die Bravsten hält. Es lässt sich daraus aber der logische Schluss ziehen, dass derjenige, welcher von der Richtigkeit seiner Religion nicht vollends überzeugt ist, seinen Gott, seinen Glauben und seinen Erlöser nicht wirklich liebt...
Der Glaube definiert sich nun mal durch das Streben nach Wahrheit. Und wir glauben sehr wohl, das unser Herr Jesus Christus die Wahrheit Selbst (s. Joh. 14: 6), dass das Evangelium die authentische Verkündigung dieser Wahrheit und die Kirche Christi die Hüterin dieser Wahrheit ist. - Da wir jedoch das alles offenbar haben, wozu oder wonach „hungern und dürsten“ wir dann noch?
Nun, jeder Christ hat die Aufgabe, die Wahrheit für sich zu erlangen, aber nicht außerhalb Christi, des Evangeliums und der Kirche. Ohne den der Kirche beiwohnenden Geist Gottes ist kein wahrer Glaube möglich: Gott „hat uns als ersten Anteil den Geist gegeben“ (2. Kor. 5: 5). Dieser erste Anteil an der göttlichen Gnade ist zur Erlangung des Glauben unerlässlich, „denn als Glaubende gehen wir unseren Weg, nicht als Schauende“ (2. Kor. 5: 7). An etwas glauben oder auf etwas hoffen kann man nur, wenn man es nicht sieht (s. Röm. 8: 24-25). Lieben kann man hingegen nur jemanden oder etwas, den oder das man (aus eigener Erfahrung) kennt. Und das ist wohl der Grund dafür, warum der hl. Seraphim von Sarov (+ 1833) den Sinn des Lebens in der Erlangung des Heiligen Geistes sieht. Wenn wir nicht in diesem Sinne „als Glaubende unseren Weg gehen“, werden wir so sein, wie die verbeamteten russischen Missionare, die im 19. Jahrhundert zur systematischen Bekehrung der indigenen Bevölkerung nach Sibirien geschickt wurden. Sie bekamen von den Eingeborenen Folgendes zu hören: „Wir wissen, dass Christus der wahre Gott ist, auch wissen wir, dass der christliche Glaube der wahre Glaube ist, und schließlich wissen wir, dass das Evangelium das wahre Wort Gottes ist. Aber zeigt uns bitte einen wahren Christen, damit wir wirklich daran glauben können“. Hier wird auf frappierende Art und Weise deutlich, dass nicht einmal rationale Kenntnis der Wahrheit imstande ist, den Glauben in den Herzen zu verankern, wenn dieser Glaube nur auf Gedankenebene gepredigt, aber nicht realiter gelebt wird. Darum ging es wohl auch dem hl. Gregorios Palamas (+ 1357) in seinem Disput mit dem kalabrischen Gelehrten Barlaam: Gott kann man mit dem Verstand allein nicht erfassen. Man kann Ihn aber mit seinem Herzen suchen und kraft der Gnade des Heiligen Geistes in Seinen göttlichen Energien sogar nach dem Vorbild der drei Jünger auf dem Berg Thabor empirisch wahrnehmen. Das ist die Erleuchtung, die von Gott kommt: „Das Licht bringt lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit hervor“ (Eph. 5: 9). Das setzt wiederum das beherzte Streben nach der Wahrheit voraus: „Wer Durst hat, komme zu Mir, und es trinke, wer an Mich glaubt. Wie die Schrift sagt: Aus seinem Inneren werden Ströme von lebendigem Wasser fließen“ (Joh. 7: 37b-38). Amen.