Predigt zum 18. Herrentag nach Pfingsten / Festabschluss Kreuzerhöhung (2. Kor. 9: 6-11; Gal 2: 16-20; Mt. 18: 23-35; Mk. 8: 34 – 9: 1) (04.10.2015)
Liebe Brüder und Schwestern,
der heutige Abschnitt aus dem Galaterbrief drückt auf sehr prägnante und kontrastierende Weise die neutestamentliche Rechtfertigungslehre als Gegensatz zu den Werken des Gesetzes aus. Ihm liegt die Argumentation zugrunde, welche, kurz auf den Punkt gebracht, in die rhetorische Frage mündet: wozu brauchte es einen Erlöser, wenn uns schon das Gesetz gerechtfertigt hat?! „Denn käme die Gerechtigkeit durch das Gesetz, so wäre Christus vergeblich gestorben“ (Gal. 2: 21). Adressaten waren hier natürlich die Judenchristen. Doch nun ab ovo: „Weil wir aber erkannt haben, dass der Mensch nicht durch Werke des Gesetzes gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir dazu gekommen, an Christus Jesus zu glauben, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus, und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des Gesetzes wird niemand gerecht“ (Gal. 2: 16). Ursprung unserer Rechtfertigung ist der Glaube. Der Sinn des Gesetzes bestand doch darin, dem Mensch im Zustand seiner gefallenen Natur eine Handreichung für ein gottgefälliges Leben zu geben, während der Glaube die verdorbene menschliche Natur in einen in Christus erneuerten Zustand umwandelt. Dem Gesetz liegt das Wirken des Menschen zugrunde, während der Glaube auf dem Wirken Gottes basiert. Somit vollzieht sich im Glaubensleben alles durch das Zusammenwirken von Gott und Mensch. Wie hätte es auch anders sein können?
- die Heilige Schrift stammt von Gott, ist aber vom Menschen verfasst; Gott offenbart sich den Menschen, und die Menschen öffnen Gott darauf ihre Herzen
- die Kirche ist von Gott, ihr Oberhaupt ist der Gottesmensch Jesus Christus und ihre Glieder sind wir Menschen; selbst durch das Herabkommen des Heiligen Geistes auf Menschen gegründet, macht uns die Kirche zu Gliedern am Leib Christi und zu Gefäßen des Heiligen Geistes
- die Liturgie, die Theologie und die kanonische Ordnung sind von Menschen verfasst, die vom Heiligen Geist inspiriert wurden; überall kommt es zur Synergie des göttlichen und menschlichen Willens (vgl. Apg. 15:28), was freilich voraussetzt, dass der Mensch einen freien Willen haben muss, und nicht bloß willenloses Werkzeug ist. Über alledem ist Christus Ursprung und Erfüllung, Er ist „der Erste und der Letzte“ (Offb. 1: 17).
Durch die Gabe des Heiligen Geistes in der Myronsalbung hat der Mensch die Befähigung erlangt, ein Leben nach dem Willen Gottes zu führen – nicht als Sklave des Gesetzes, sondern als geliebtes Kind Gottes ( vgl. Eph. 5: 1; Kol. 3: 12; 1. Thess. 1: 4). Folglich ist diese Sohnschaft göttlichen Ursprungs, nicht menschlichen; was uns rettet ist die Verheißung Gottes, nicht menschliche Taten. Das Gesetz diente als Hilfsmittel zum Schutz des Menschen lediglich bis zur Vereinigung mit Gott in Jesus Christus, doch von da an strebt der Mensch die Ähnlichkeit Gottes (s. Gen 1: 26) und die Erlangung des Himmelreichs an.
„Wenn nun auch wir, die wir in Christus gerecht zu werden suchen, als Sünder gelten, ist dann Christus etwa Diener der Sünde? Das ist unmöglich!“ (2: 17). Wenn das Gesetz für uns noch gültig ist, dann sind wir, die wir ein Leben in Christus führen (aber nicht mehr das Gesetz Mose erfüllen), Sünder. Das kann nicht sein! Aber gerade das wäre der logische Umkehrschluss aus Sicht all derer, welche als Christen die Gültigkeit und die Wirksamkeit der Werke des Gesetzes zur Rechtfertigung des Menschen propagieren.
„Wenn ich allerdings das, was ich niedergerissen habe, wieder aufbaue, dann stelle ich mich selbst als Übertreter hin“ (2: 18). Umgekehrt, die Restitution des Gesetzes mit seinen Werken bedeutet doch, dass wir die durch das Erlösungswerk Christi gewonnene Gnade von uns weisen und den toten Werken nachtrauern. Somit ist in Wahrheit nicht Christus der Gesetzesübertreter, sondern die, welche quasi dem alten, fruchtlosen Zustand der Entfremdung von Gottes lebendiger Gemeinschaft nachtrauern.
„Ich aber bin durch das Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich für Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt worden“ (2: 19). Zur Klarstellung: das Gesetz soll nicht entehrt oder gar auf der Müllhalde entsorgt werden. „Das Gesetz ist heilig, und das Gebot ist heilig; gerecht und gut“ (Röm. 7: 12), aber letztlich ist es nichtsdestoweniger „ohnmächtig“ (s. Röm. 8: 3). Mit Eintritt des Neuen Testamentes ist der erste Bund gleichsam „veraltet“. „Was aber veraltet und überlebt ist, ist dem Untergang nahe“ (Hebr. 8: 13). Die „neue Schöpfung“ (2. Kor. 5: 17) in Christus und das Leben im Geiste nach dem „Gesetz“ der Gnade ist doch die eigentliche Erfüllung der Bestimmung des Gesetzes (vgl. Mt. 5: 17)! Das setzt allerdings voraus, dass jeder von uns sich selbst nach dem Vorbild Christi freiwillig „kreuzigt“ – gemeint ist aber nicht die Natur des Menschen, sondern das „Fleisch“ (s. Röm. 8: 1-13; 1. Kor. 15: 50; Gal. 5: 13-26) oder, genauer: die Neigungen und Leidenschaften des Fleisches sowie der fleischliche Willen und das fleischliche Denken (s.v.a. Gal. 5: 24). Christus kam ja, „um an Seinem Fleisch die Sünde zu verurteilen“ (Röm. 8: 3).
„Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Soweit ich aber jetzt noch in dieser Welt lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, Der mich geliebt und Sich für mich hingegeben hat“ (Gal. 2: 20). Wenn Christus durch die Taufe in mir Gestalt annahm, dann nur darum, dass ich in allem – dem Leibe, der Seele und dem Geiste nach in Christus lebe. Eben das bedeutet, dass wir „durch den Glauben an Christus“ (2: 16) gerechtfertigt werden. Ich lebe im Glauben an Christus! Sein Gehorsam, Seine Treue zu Gott, dem Vater, und Seine selbstlose, hingebungsvolle Liebe zu uns manifestieren den Glauben, der nach dem Willen Gottes die ganze Menschheit in der Kirche Christi mit einschließt. Amen.