Predigt zum 21. Herrentag nach Pfingsten / Gedächtn. d. VII. Ökum. Konz. (Gal. 2: 16-20; Hebr. 13: 7-16; Lk. 7: 11-16; Joh. 17: 1-13) (25.10.2015)
„Die Weisheit hat ihr Haus gebaut, ihre sieben Säulen behauen“ (Spr. 9: 1).
Liebe Brüder und Schwestern,
mehrmals im Jahr gedenken wir der Väter der sieben Ökumenischen Konzile, entweder einzeln nach Konzilen oder aller gemeinsam. Am bedeutendsten sind hierbei der „Triumph der Orthodoxie“ am ersten Sonntag der Großen Fastenzeit (an dem wir insbesondere der Väter des VII. ÖK gedenken) und der Sonntag zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten (zu Ehren der Väter des I. ÖK).
Weshalb betont die Kirche die herausragende Stellung der Ökumenischen Konzile, die ja allesamt in der byzantinischen Epoche (313 – 1453) stattfanden? Wir wissen ja, dass es außerhalb der Orthodoxie durchaus kritische Stimmen in Bezug auf die Epoche des Staatskirchentums gibt, wobei mit vorgeschützter Wehmut genüsslich auf die im krassen Gegensatz zum byzantinischen Pomp stehende Schlichtheit der Ur-Kirche verwiesen und wohl nicht zu unrecht behauptet wird, das frühe Christentum sei das beste gewesen (s. Apg. 2: 43-47).
Auch wir betrachten die frühchristliche Ära als eine ganz besondere, die eben einmalig war und unwiederbringlich vergangen ist. Es war ja a) die Ära der Christenverfolgung im Römischen Reich, in der die Kirche nur im Untergrund existieren konnte, infolgedessen b) eine derartige Vielfalt herrschte, die bei weiterem Andauern des Katakomben-Daseins zu einer völligen Atomisierung der Gesamtkirche geführt hätte. Schließlich lenkt Gott Selbst die Geschicke der Welt, in welcher der Mensch nur als Werkzeug in Seinen Händen fungiert.
Gewiss, mit der Erhebung des Christentum zur Staatsreligion unter Theodosius dem Großen (379-394) und der sich daraus ergebenen Vereinigung von Kirche und Staat (Symphonie) ging, oberflächlich betrachtet, die „Einfalt des Herzens“ (Apg. 2: 46) verloren: die uns heute bekannte Basilios- bzw. Chrysostomos-Liturgie wurde dem kaiserlichen Hofzeremoniell entlehnt (was freilich vollkommen natürlich ist), Bischöfe wurden zu „Kirchenfürsten“ und das Kirchenrecht wurde nicht von ungefähr als das erste von zwölf Büchern in den Codex Iustinianum (528) aufgenommen. Aber ist das alles negativ zu bewerten? Ist es nicht, im Gegenteil, absurd, sich Kirchenverfolgungen zurückzuwünschen und ein absolutes theologisches, liturgisches und kanonisches Wirrwarr herbeizusehnen? Im Grunde bieten sich aus der kirchenhistorischen Perspektive des abendländischen Betrachters nur zwei Alternativen als Kirchenmodell an: a) die totale Ungebundenheit an Formen und Dogmen oder b) die strikte, allgemein verbindlich von einer höheren kirchlichen Instanz festgelegte Norm, die Glauben, Gottesdienst und Privatleben reguliert. Erstere stellt die Forderung auf: „sola Scriptura“; doch bei uneingeschränkter Freiheit der Auslegung der Heiligen Schrift entstehen nur neue Spaltungen, wie an der Vielzahl protestantischer Sekten unschwer zu erkennen ist (zudem ist hierdurch der Anpassung an den Zeitgeist bzw. an die gesellschaftspolitische Konjunktur Tür und Tor geöffnet). Letztere dagegen muss als finale logische Konsequenz auf dem Anspruch der Unfehlbarkeit eines der Gesamtkirche übergeordneten Organs bestehen, um durch verpflichtende Verordnungen wenigstens äußerlich die Einheit der Gläubigen zu gewährleisten. - Sind Gnade (s. Apg. 20: 24; Röm. 5: 2) und Freiheit (s. 2. Kor: 3: 17; Gal 5: 1, 13) miteinander nicht vereinbar?!..
Die Epoche der Ökumenischen Konzile gab uns doch ein funktionstüchtiges Modell der kirchlichen Einheit, welches im wahrsten Sinne des Wortes katholisch (gr. kat ´olon = allumfassend, die Allgemeinheit betreffend) ist. Die Beschlüsse der Ökumenischen Konzile gewährleisteten nicht nur die Einheit des Glaubens unter Beibehaltung kultureller und ritueller Vielfalt, sie gründeten vor allem auf dem Prinzip der Akzeptanz durch das Kirchenvolk. Nichts konnte „von oben“ einfach so verordnet werden, wenn es sich nicht in der lebendigen Praxis der Kirche bewährte und von einem oder mehrerer nachfolgender Konzile bestätigt wurde. So kam das Prinzip der Katholizität (slaw. соборность), in dem das Kirchenvolk ein letztlich entscheidendes Mitspracherecht besitzt, zum Tragen. Dass der menschliche Faktor in Gottes Ratschluss immer Berücksichtigung findet, steht außer Zweifel. So wurde zu Beginn dieser Epoche (327) die für uns heute verbindliche Kanonisierung der Bücher des Neuen Testaments vorgenommen, und auch unser Glaubensbekenntnis gäbe es ohne diese Prozesse nicht. Genau dadurch kommt ja das theandrische Prinzip der Kirche zur Geltung, ist doch der Gott-Mensch Jesus Christus Teilhaber unserer Schwachheit geworden (s. Jes. 53: 4; 2. Kor. 13: 4; Hebr. 5: 7-8) und hat hierdurch unsere Erlösung bewirkt. Demzufolge ist auch die Kirche nicht „allwissend“ und schon gar nicht „allmächtig“, hat auch nicht gleich auf alles eine vorgefertigte Antwort parat (vgl. Mt. 24: 36; Mk. 13: 32) und ist nicht frei von menschlichen Verfehlungen – vom obersten Vertreter bis hin zu den Laien. Auch die Jünger des Herrn, die Er Selbst auserwählt hatte, waren nicht ohne Schwächen. Es wäre auch zu einfach, wenn in unserem Leben alles von vornherein normiert und vorbestimmt wäre. Wozu wäre dann der Glauben nötig bzw. ein Leben und Handeln nach dem Glauben? Darin liegt ja die Herausforderung und die Bestimmung der Kirche, im Geiste Christi in jeder erdenklichen Situation, unter jedem gesellschaftlichen System und in jeder historischen Epoche verantwortungsvoll den Weg Gottes zu beschreiten. Heute hörten wir die Worte: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Soweit ich aber noch in dieser Welt lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, Der mich geliebt und Sich für mich hingegeben hat“ (Gal. 2: 20). Auch wir wollen gemeinsam und einmütig im Glauben an den Sohn Gottes leben. Amen.