Predigt zum 1. Herrentag nach Pfingsten / Gedächtnis aller Heiligen (Hebr. 11: 33 – 12: 2; Mt. 10: 32-33, 37-38; 19: 27-30) (26.06.2016)
Liebe Brüder und Schwestern,
an Pfingsten erlebten wir die vom Herrn Jesus Christus verheißene Niedersendung des Heiligen Geistes auf die erste Christengemeinde zu Jerusalem, der „Mutter der Kirchen“. In der Apostelgeschichte wird berichtet, wie vormals ängstliche oder zu Überreaktionen neigende galiläische Fischer durch die Kraft des Heilgen Geistes damit beginnen, zu „Menschenfischern“ (s. Mt. 4: 19; Mk. 1: 17) zu werden, die später die ganze Welt „einfangen“ werden für Christus. Es ist der Beginn der Kirche, die von Generation bis Generation in eben derselben Kraft des Heiligen Geistes reichlich Früchte hervorbrachte durch ihre Heiligen (vgl. Mt 13: 8; Mk. 4: 20; Lk. 8: 15). Diese hatten ja schon im Alten Bund genügend Vorbilder, denen sie in der Standhaftigkeit des Glaubens nacheifern konnten (s. heutige Lesung). Die Lehre, die wir aus diesem Tag ziehen ist, dass die Mission der Apostel (Mt. 18: 19; Mk. 16: 15) keineswegs in der ersten Christengeneration aufgehört hat, sondern bis heute seine Fortsetzung findet. Die Heiligen aller Epochen der Kirchengeschichte setzten dieses apostolische Werk fort. Tausende uns bekannte und nicht bekannte Männer und Frauen! Allerdings wird der Begriff „Heilige“ im Neuen Testament weiter gefasst. Durch die Verfasser der neutestamentlichen Schriften werden als „Heilige“ all die angesehen, welche „aus Wasser und Geist geboren“ sind (s. Joh. 3: 5) – also wir Christen (s. z.B. Apg. 26: 10; Jud. 3; Röm. 1: 7; 8: 27; 15: 25, 26; 16: 2, 15; 1. Kor. 1: 2; 6: 2; 7: 14, 34; 14: 33; 16: 1, 15; 2. Kor. 1: 1; 8: 4; 9: 1, 12; 12: 12; Eph. 1: 1, 4, 15, 18; 2: 19; 3: 8, 18; 5: 3; 6: 18; Phil. 1: 1; 4: 21, 22; Kol. 1: 2, 4, 12, 22, 26; 3: 12; 1. Thess. 3: 13; 5: 27; 2. Thess. 1: 10; 1. Tim. 5: 10; Tit. 2: 3; Philim. 5, 7; Hebr. 6: 10; 13: 24; Offb. 5: 8, 8: 3; 11: 18; 13: 7, 10; 14: 12; 16: 6; 17: 6; 18: 24; 19: 8; 20: 6, 22: 11).
Sind demnach also auch wir „heilig“?
JA – wenn wir voller Ehrfurcht daran denken, dass wir im Bad der Wiedergeburt in den paradiesischen Urzustand der Erzeltern versetzt und durch die Salbung zu Gottes Tempeln geworden sind, in denen der Heilige Geist wohnt (s. 1. Kor. 3: 16); JA – weil wir im Mysterium der Beichte (vorausgesetzt, ihr liegt aufrichtige Bußbereitschaft zugrunde) durch die Gnade des Heiligen Geistes die Vergebung aller Sünden erlangen und in der Heiligen Eucharistie ein Leib und ein Blut mit Christus werden; JA – denn Christus Gott macht uns heilig, wenn wir mit aufrichtigem Glauben und entsprechender Hingabe dieses Geschenk empfangen.
NEIN – wenn wir nur pro Forma, aus welchen Gründen auch immer, all diese Mysterien über uns ergehen lassen; NEIN – wenn wir nach dem Empfang göttlicher Gnade wieder in schwere Sünden verfallen; NEIN – wenn unser Alltag statt aus kontinuierlicher Vermehrung der Gnadengaben aus Boshaftigkeiten, Streitigkeiten, Eifersüchteleien, Intrigen etc. besteht.
Ganz gewiss wird niemand „automatisch“ zum Heiligen, wenn er die Heiligen Gaben empfängt. Er kann aber, wenn er des Empfanges des göttlichen Leibes und des Blutes Christi gewürdigt worden ist, alles in seiner Macht Stehende tun, diese Gnade so lange wie möglich in ihm verweilen zu lassen. Wir machen das allzu oft verkehrt: wir bereiten uns mehr oder weniger ernsthaft auf die Kommunion vor, indem wir uns quasi eine Auszeit vom „wahren“ Leben gönnen, indem wir ein paar Augenblicke dem Alltag entreißen und intensiv durch Beten und Fasten den Boden für den Empfang des Allerheiligsten bereiten. Aber ist das wirklich der richtige Weg? Kann der Mensch das auf Dauer so weiter durchhalten? - Und welche richtige Alternative gibt es dazu?
Unser Ziel ist es doch wahrlich nicht, eine in Zahlen messbare „Norm“ zu erfüllen oder „Rekorde“ aufzustellen, sondern vielmehr – ja, richtig – heilig zu sein (s. 1. Thess. 4: 7). „Wie Er, Der euch berufen hat, heilig ist, so soll auch euer ganzes Leben heilig werden. Denn es heißt in der Schrift: ´Seid heilig, denn Ich bin heilig`“ (1. Petr. 1: 15-16; vgl. Lev. 19: 2).
Dazu steht uns ein Instrumentarium zur Verfügung, das von Gott gegeben ist. Wir haben die Kirche mit den heilbringenden und vergöttlichenden Mysterien des Heiligen Geistes; wir haben das Evangelium als Richtschnur für ein Leben nach dem Glauben; aber wir haben auch die Heiligen – Männer und Frauen wie wir – anhand derer wir sehen, dass Heiligkeit kein Märchen ist. Wenn wir für das Erlangen dieses Zieles auch nur annähernd soviel investieren würden, wie wir es für zeitliche Dinge tun, wäre eine mit der ersten Apostelgeneration vergleichbare Überfülle an göttlichen Gnadengaben längst keine Illusion. Aber stattdessen sehen wir, wie viel menschliches Potential seitens ungläubiger oder kirchenfeindlicher Menschen für Gott ungefällige Werke aufgewendet wird, während wir Gläubigen aus Halbherzigkeit nur einen Bruchteil unserer Möglichkeiten verwirklichen. Wahrlich, „die Kinder dieser Welt sind im Umgang mit ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichtes“ (Lk. 16: 8).
Dennoch haben wir keinen Grund zur Verzweiflung. Aus der heutigen Lesung aus dem Hebräerbrief wird deutlich, dass immer dann zahlreiche Heilige Gott auf wunderbare Weise verherrlichten, wenn schwere Prüfungen zu bestehen waren – von Männern und Frauen wie wir. So wie aus einfachen Fischern mit Heiligem Geist erfüllte Glaubenszeugen wurden (s. Lk. 24: 48 u. Hebr. 12: 1), so kann durch Gottes Gnade auch unser Lebensweg zu einem Zeugnis der Wahrhaftigkeit der Auferstehung Christi werden. Wie gesagt, alles Notwendige dazu haben wir. Jetzt muss nur unsere Bereitschaft vorhanden sein. Vorerst wollen wir uns aber damit begnügen, dass unsere Taten und Worte nicht zu weit auseinander gehen und wir dadurch allen anderen ein Vorbild an Authentizität sein können. Amen.